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Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach

Die wunderbare Welt des Ruhrpotts

AutorFrank Patalong, Konrad Lischka
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783838710242
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR

Konrad Lischka und Frank Patalong sind im Ruhrgebiet groß geworden. Jetzt kehren sie zurück, kramen in Erinnerungen und entdecken ihre Heimat neu. Sentimental, melancholisch, aber auch mit viel Sinn für Ironie und Deftigkeit - eben typisch Ruhrpott - zeigen sie die Einzigartigkeit des Reviers und seiner wunderbaren Bewohner.

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Leseprobe

Vorwort

MEIN TODESSTERN Ich wuchs mit der ersten Generation im Pott auf, für die Schwerindustrie vor allem Geschichte war. Im Süden von Essen hatte die letzte Zeche vor Jahrzehnten dichtgemacht, die Kokerei im Norden schloss, als ich in der Grundschule war. Wir sind nie auf Halden geklettert, nur auf stillgelegte Bahngleise von alten Kohlestrecken. Gestunken haben in meinem Ruhrgebiet nur die Autobahn, die Gülle auf den Feldern in Richtung Ruhr und ab und zu die Köttelbecke, in die wir Stöcke (wir nannten sie Stöcker) warfen. Als Teenager gingen wir in die frühere Schlosserei der Krupp-Zeche Sälzer & Neuack, weil da Drum ’n’ Bass aufgelegt wurde. Da war es ein bisschen rostiger und verfallener als anderswo und draußen unglaublich still, weil das gesamte Krupp-Gelände drumherum noch Niemandsland war.

Schwerindustrie hab ich nie gerochen, aber ihre Folgen habe ich als sehr lebendig erlebt. Jede Woche fuhr der oberschlesische Metzger durch unsere Hochhaussiedlung, und meine Mutter kaufte bröckelige Sahnebonbons (Krówki, also Kühchen) und Krupnioki – Graupenwurst, deren Füllung beim Anbraten eine wunderbare Kruste ergibt. Den Einwanderern verdankt der Ruhrpott neben den oberschlesischen Metzgern auch Schalke 04 und das wunderbare Wort Motek. Das heißt Hammer, aber wenn jemand zeigen will, wo »der Motek hängt«, klingt das viel besser.

Als 1920 ein paar Städte in der Region den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk gründeten (der umfasste die Gegend, die man heute als Ruhrgebiet kennt), war alles auf Zeit gebaut wie eine Goldgräberstadt. Die Gebäude der heute als Weltkulturerbe mühsam erhaltenen Zeche Zollverein wurden in den Zwanzigern als Wegwerfarchitektur errichtet: Sechzig Jahre sollten die elf Zentimeter dicken Ziegelsteinwände zwischen Eisenträgern halten, länger nicht, schließlich waren dann die Kohlevorkommen erschöpft.

Gerade deshalb gibt es im Ruhrgebiet den unbändigen Drang, die Region als fertig zu deklarieren, ihr eine Tradition und Identität zu attestieren und diese Behauptungen zu feiern. Die Vorfahren der meisten Einwohner sind erst vor ein paar Generationen hier gestrandet (Frank Patalongs vor dem Zweiten Weltkrieg, meine erst während des Kalten Kriegs). Geblieben ist aus der Goldgräberzeit die Irrsinnslandschaft. Vor sich hin brennende Halden, verfallene Fabrikhallen, leere Hochhäuser, dazwischen ein paar neue Parks auf Industriebrachen – es sieht an vielen Stellen so aus, als würde das Ruhrgebiet gerade noch gebaut. Die Region ist jünger, unfertiger und entwurzelter als jede andere Millionengegend Deutschlands. Das ist sehr sympathisch und prägt die Gegend heute noch.

DJ Kay Shanghai, der in Essen einen Club betreibt, hat ein großartiges Bild für dieses Ruhrgebiet gefunden: »Das sieht hier aus wie der Todesstern.«

Das ist ein Kompliment. Denn das Ruhrgebiet war ein ähnlich größenwahnsinniges Projekt wie der künstliche Mond in den »Star Wars«-Filmen. Der Todesstern wie die Region entstanden zu einem einzigen Zweck: Jener sollte Planeten zerstören, der Pott sollte Stahl und Waffen produzieren. Man muss sich nun einmal vorstellen, die Besatzung des Todessterns erhält plötzlich das Kommando: Wir brauchen keine Planetenzerstörer mehr. Ihr könnt ruhig hierbleiben, aber macht mal etwas anderes. Schwer vorstellbar. Und dennoch ergeht es dem Ruhrgebiet genau so.

FECKELN WIR LOS! Manchmal, sehr selten, landen wir spät nach der Arbeit in kleiner Gruppe noch auf einen Absacker in einer Hamburger Kneipe. Die Redaktion, in der wir als Journalisten arbeiten, ist typisch für ein bundesweit publizierendes Angebot: Die Kollegen kommen aus allen Ecken des Landes. Einige wenige sind aus dem Ruhrgebiet.

Wenn wir also in kleiner Gruppe nach zwei, drei, vier Bier beieinandersitzen, kommt es in überraschend häufiger Zahl der Fälle vor, dass die Ruhrgebietler von zuhause erzählen. Wir Pöttler schwelgen dann in Vergangenheiten, die mit unserem jetzigen Leben nur noch wenig gemein haben.

Interessanterweise hören aber auch die anderen zu. Für sie klingt das manchmal wie Geschichten aus einer Parallelwelt. Denn – man begreift das erst, wenn man das Revier verlässt – der Pott ist tatsächlich ein gutes Stück anders als jede andere Region in diesem Land. Konrad Lischka und ich sind dort aufgewachsen, in zwei unterschiedlichen Teilen des Potts, zu zwei unterschiedlichen Zeiten, mit unterschiedlichen Hintergründen. Wir teilen eine Menge, aber wir unterscheiden uns auch in vielem, nicht zuletzt in unserer Wahrnehmung des Ruhrgebiets. Denn die ist auf völlig anderen Erfahrungen gewachsen.

Ich habe meine Jugend in den siebziger und frühen achtziger Jahren erlebt, für Konrad waren es die Neunziger. Uns trennen siebzehn Jahre, die das Ruhrgebiet von Grund auf veränderten.

Ich wuchs auf in einer Malocherschlafstadt mit erbärmlicher Infrastruktur, keinerlei Nachtleben, null Angeboten für Jugendliche, einem mitleiderregenden Nahverkehrsnetz und einer Zukunftsperspektive, die nichts Gutes verhieß: Erwachsen wurde ich kurz vor dem Kollaps der Schwer- und Montanindustrie. Bis dahin wurden Jobs quasi vererbt. In meiner Kindheit waren neunzig Prozent der Männer entweder in der Stahlindustrie oder »auf Zeche«, die anderen waren reich: Ärzte, Bäcker, Metzger, Priester. Standardberufe waren Schlosser (mit oder ohne Auto davor), Schweißer, Dreher, Hauer. In der gymnasialen Oberstufe warb das Arbeitsamt für das neue Berufsbild des Hüttenfacharbeiters, bis dahin eine reine Hilfsarbeit für Angelernte. Wir lachten nur noch darüber.

Denn unsere Perspektiven lösten sich gerade da in Luft auf, als unsere Schulzeit dem Ende zuging. Eineinhalb Jahre nach dem Abitur lebten von meinen langjährigen Freunden noch zwei in der Stadt und insgesamt fünf irgendwo im Ruhrgebiet, der Rest war fort. Ich zog wenig später weg (aber auch noch einmal wieder zurück). Es blieben die, die Arbeit hatten, alt waren oder zu wenig qualifiziert – oder ihr Glück in Handwerk, Dienstleistung oder Selbständigkeit suchten. Von meinen Freunden lebt heute noch einer in Bochum und einer in Oberhausen, das war’s.

Als Konrad Lischka siebzehn Jahre später das Alter erreichte, das ich bei meinem (ersten) Wegzug hatte, erlebte er Ruhrstädte, denen man mittlerweile Kultur nachsagte. Auf die Idee wäre man früher nicht gekommen.

Was für meine Generation verfallene Infrastrukturen waren, die wir für Housepartys nutzten, zehn Jahre, bevor das Wort erfunden wurde, waren nun bestens gepflegte Industriedenkmäler, die man mit Millioneneinsatz teils zu spektakulären Clubs, zu Museen oder Kulturzentren umgebaut hatte.

Konrad schreibt: »Ich wuchs mit der ersten Generation im Pott auf, für die die Schwerindustrie vor allem Geschichte war.«

So ist das wohl.

Zu der gehöre ich nicht.

Interessant finde ich, dass ihm dadurch die Identifikation mit dem Ruhrgebiet leichterzufallen scheint als mir. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass meine dort perspektivlose Generation, die vom sogenannten Strukturwandel voll erwischt wurde, das, was man anderswo Heimat nennen würde, als so große Ernüchterung erfahren hat. Sein Pott ist noch da, meiner ist vor allem eine Erinnerung.

Vielleicht gibt mir das die Perspektive eines enttäuschten Liebhabers? Die Frage, ob ich dort bleiben wollte, hatte sich mir nie gestellt. Als ich zwanzig, einundzwanzig Jahre alt war, war klar: Der Pott will dich nicht, er kann dich nicht gebrauchen, er hat dir nichts zu bieten.

Stattdessen nahm ich ihn mit. Erst außerhalb lernte ich, wie viel Ruhrgebiet in mir war. Wie »falsch« ich beispielsweise spreche. Echtes Hochdeutsch spreche ich bis heute nicht, warum auch? Inzwischen ist mein so ruhrtypischer Minderwertigkeitskomplex geschwunden, ich weiß, dass mir die raue Heimat Ruhr ein paar Fähigkeiten mitgegeben hat, die andere nicht haben. »Datten« und »Watten« diskreditiert einen nicht. Und dass sich mir mitunter sogar beim Schreiben was einschleicht und die Chefin vom Dienst anruft und fragt, ob »feckeln« etwas Unanständiges sei, ist okay. Heute weiß ich: Das ist kein Fehler, sondern ein Dialekt.

Ja, wir sind ein ganz eigenes Völkchen, mit eigener Sprache, spezifischen Bräuchen, eigener Denkweise. Ein seltsam unpatriotischer, flachwurzelnder, weltoffener, lauter, mal komplexbeladener, mal großspuriger Haufen. Ein stets nach unten orientierter, bodenständiger, nicht zur Arroganz neigender, pragmatischer, mitunter sogar nervtötend fatalistischer Schlag mit einem selbstironischen, aber gern auch schmutzigen Humor. Am liebsten lachen wir über uns und die Klischees, die man uns nachsagt: primitiv zu sein, ungebildet, prollig. Die Ruhr-Archetypen haben sich verändert – meiner ist Herbert Knebel, Konrads vielleicht Atze Schröder – aber sie sind eng verwandt. Proll sein ist Teil der Kultur.

Das ist nicht immer echt, es ist unsere Form des Understatements. Man ist kein echter Ruhrjunge, wenn man das nicht kann. Wir können lernen und promovieren und Titel ernten und erfolgreich werden, aber wir wissen, dass wir uns eine Fähigkeit erhalten müssen, wenn wir zuhause in der Kneipe »nich auffe Ömme« kriegen wollen: sich im richtigen Moment auch intellektuell fallen und den Proll raushängen lassen. Das erdet übrigens sehr effektiv.

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