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E-Book

Dating

Eine Kulturgeschichte

AutorMoira Weigel
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641213350
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Früher hat man nicht gedatet. Erst als Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts allein in die Städte aufbrachen, um dort zu leben und zu arbeiten, änderte sich das. Die Geschichte des Datings ist also auch eine Geschichte des Feminismus. Und eine Geschichte ökonomischer Realitäten, die das Date schon immer maßgeblich beeinflusst haben und es bis heute tun. Moira Weigel hat die erste Kulturgeschichte des Datings geschrieben. Darin spricht sie über die ersten Kinos und besorgte Eltern, über Sex im Auto, Online Dating und was Romantik mit harter Arbeit zu tun hat.

Moira Weigel wurde 1984 in Brooklyn geboren, arbeitet an ihrer Doktorarbeit und lehrt an der Yale University. Ihre Texte werden u.a. in Die Welt, The Guardian, The Nation und n+1 veröffentlicht, sie hat Henrich von Kleist und Werner Herzog ins Englische übersetzt. Heute lebt sie mit ihrem Mann in San Francisco und nach Jahren der persönlichen Recherche in Sachen Dating, hat sie nun die erste Kulturgeschichte des Datings geschrieben.

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Leseprobe

Kapitel 1. Geschäfte

Ein Mittagessen umsonst zu bekommen wird im Geschäftlichen immer schwieriger und auch im Privaten. Wenn ich herumfrage, was eigentlich ein »Date« ist, bekomme ich meistens zur Antwort, dass eine Person dabei eine andere zum Essen oder Trinken oder zu irgendeiner anderen Art von Unterhaltung einlädt. Anschließend wird wehmütig angemerkt, welchen Seltenheitswert das inzwischen habe. Artikel, die das Aussterben des Datings beklagen, führen häufig das Ausbleiben solcher Ausflüge als Beweis für den Niedergang der Romantik an. Dabei war in den Anfangstagen des Datings die Vorstellung, ein Mann führe eine Frau irgendwohin aus, um dort etwas für sie zu bezahlen, regelrecht schockierend.

Bis dahin hatte man sich auf der Suche nach Liebe nämlich nicht in der Öffentlichkeit treffen oder Geld ausgeben müssen. Als die Polizei dann um 1900 feststellte, dass junge Menschen sich auf der Straße trafen und miteinander ausgingen, war die Irritation groß. Viele derer, die zu dieser Zeit bei einem Date erwischt wurden – also eigentlich nur die Frauen –, wurden deswegen sogar verhaftet. In den Augen der Behörden wirkten Frauen, die sich von Männern Essen, Trinken, Eintrittskarten oder sonstige Geschenke bezahlen ließen, wie Prostituierte und Dates wie die Werbung um Freier.

Das Wort »Date«, wie wir es heute benutzen, tauchte das erste Mal 1896 in gedruckter Form auf. Der Schriftsteller George Ade verwendete es in seiner Wochenkolumne für die Zeitung The Chicago Record. Die Kolumne nannte sich »Stories of the Streets and Town« und versprach ihren bürgerlichen Lesern einen Einblick ins Leben der Arbeiterklasse.

Der Protagonist der Kolumne ist der junge Büroangestellte Artie. Als dieser den Verdacht hegt, seine Freundin treffe sich mit anderen Männern und habe kein Interesse mehr an ihm, konfrontiert er sie damit, dass sie sich wohl mit anderen trifft während der Zeit, in der sie sich sonst sahen: »I s’pose the other boy’s fillin’ all my dates?«

Drei Jahre später staunt Artie in einer anderen Folge darüber, dass eine Dame so beliebt ist, dass sie ihren Kalender wohl nach dem Prinzip der doppelten Buchführung gestalten müsse: »Her Date Book had to be kept on the Double Entry System.«

Die Frauen, die Artie datete, waren etwas ganz Neues. In Chicago bezeichnete man sie als women adrift, haltlose Frauen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verließen immer mehr Frauen, die auf Bauernhöfen oder in Kleinstädten aufgewachsen waren, ihre Heimat und suchten Arbeit in der Stadt. Sie kamen bei entfernten Verwandten oder in billigen Zimmern in Privatpensionen unter. Die sich wandelnde Wirtschaft bot ihnen immer mehr Beschäftigungschancen. In Fabriken konnten sie Kleidung und andere Leichtgüter herstellen. In Kaufhäusern konnten sie als Verkäuferinnen und bei reichen Familien als Hausmädchen arbeiten. Sie konnten Stenografieren lernen und Sekretärinnen werden. Oder sie arbeiteten in den Wäschereien, Restaurants und Cabarets.

Noch häufiger als weiße Frauen suchten Afroamerikanerinnen eine Stelle außerhalb des eigenen Zuhauses. Nach dem Ende des Bürgerkriegs versuchten viele ehemalige Sklaven, Arbeit zu finden. Viele Männer verdienten aufgrund von Diskriminierung nicht genug Geld für den Lebensunterhalt, und die Frauen mussten sich in der Stadt mit den Stellen begnügen, die sonst niemand haben wollte. Im Jahr 1900 arbeiteten 44 Prozent von ihnen als Hausangestellte. Die meisten waren verzweifelt über ihre Situation, denn in den weißen Haushalten waren sie oft körperlichem, emotionalem und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Viele probierten daher, nur noch tagsüber zu arbeiten und nicht mehr dauerhaft dort zu wohnen. Andere entschieden sich stattdessen sogar für Schwerarbeit.

In den 1890ern löste ein Börsencrash die schlimmste Wirtschaftskrise aus, die die USA bis dato erlebt hatten, wodurch die Flut an alleinstehenden Frauen, die vom Land in die Städte zogen, wuchs. Zeitgleich strömten Einwanderer aus Italien und Osteuropa ins Land, die sich in die überfüllten Wohnhäuser unter die Iren mischten, die dort schon lebten. Auch deren weibliche Familienmitglieder machten sich auf die Suche nach Arbeit.

In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts machte die zweite Welle des Feminismus einen Appell stark, den Betty Friedan in Der Weiblichkeitswahn aufgebracht hatte. Friedan rief Hausfrauen dazu auf, die Vorstädte zu verlassen und einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Heutzutage vergisst man deshalb leicht, dass bis 1900 bereits mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Frauen außerhalb ihres eigenen Zuhauses arbeitete.

Viele von ihnen waren ledig, und bei der Arbeit oder auf dem Weg zwischen Arbeitsstelle und Wohnort kreuzten ihre Wege die der Männer. Es überrascht wohl kaum, dass manche dieser alleinstehenden Frauen an Beziehungen interessiert waren, sie flirteten, und logischerweise geschah dies an öffentlichen Orten. Wo sonst hätten sie es tun sollen?

Samuel Chotzinoff, Sohn eines Rabbiners, kam im Alter von siebzehn Jahren mit seiner Familie aus Witebsk in Russland nach New York, wo sie in einer Sozialwohnung in der Lower East Side von Manhattan lebten. Chotzinoff wurde später ein berühmter Musikkritiker, und in seiner Autobiografie beschrieb er die Siedlung an der Stanton Street, wo sie früher gewohnt hatten:

»Eine durchschnittliche Wohnung bestand aus drei Zimmern: Küche, Wohnzimmer und einem tür- und fensterlosen Schlafzimmer dazwischen.«

»Die Etikette des Hofierens war streng«, ergänzt er.

Wenn ein junger Mann seine ältere Schwester besuchte, musste das Paar sich in die kleine Küche zwängen, und wenn die Eltern außer Haus waren, musste Samuel zu Hause bleiben, um seine Schwester und eventuell auftauchende Verehrer auszuspionieren.

»Zu Hause gab es so gut wie keine Privatsphäre«, erinnerte sich der erwachsene Chotzinoff. »Privatsphäre war nur in der Öffentlichkeit möglich.«

Natürlich bevorzugten es die traditionell veranlagten, nicht in den USA geborenen Eltern noch immer, ihre Kinder durch Familienmitglieder oder Heiratsvermittler zu verkuppeln, in der alten Heimat waren Familie und Gemeinde für die Anbahnung zuständig gewesen. Viele ethnische und religiöse Gruppen richteten deshalb Politik- und Theaterclubs aus und hofften, ihre Kinder würden sich dort zusammentun. Doch selbst strenge Eltern vertrauten meist darauf, dass ihre Kinder sich in der Öffentlichkeit nicht allzu unpassend verhielten. Viele unverheiratete Paare durften unbeaufsichtigt spazieren gehen und Konzerte, Bälle oder das Theater besuchen. Wenn der jugendliche Samuel in den nahen Park ging, sah er oft junge Männer und Frauen. Sie gingen Händchen haltend spazieren, saßen eng nebeneinander auf den Bänken oder zogen sich zwischen die Bäume zurück, um heimlich Küsse und andere Zärtlichkeiten auszutauschen. Englisch, Russisch und Jiddisch schwirrten durch die Luft.

Die Frauen arbeiteten meistens in Wäschereien oder Textilfabriken. Die Männer in ausbeuterischen Industriebetrieben. Sobald sie ausgestempelt hatten, trafen sie sich. Mit Voranschreiten der Dämmerung glich das Ganze zunehmend einem großen Fest, auf dem sich die Paare immer wieder in dunkle Ecken zurückzogen. Es bestand zwar immer die Gefahr, gesehen zu werden, aber die Wahrscheinlichkeit war gering. Das Risiko, das man gemeinsam einging, vertiefte die Beziehung, es war ein Geheimnis, das man teilte.

Für diejenigen, die es sich leisten konnten, gab es immer mehr Orte, an denen man sein Date treffen konnte: In Städten im ganzen Land schossen Kneipen, Restaurants, Tanzlokale und Vergnügungsparks für die Neuankömmlinge aus dem Boden.

Je mehr Paare ausgingen, desto größer wurde die Auswahl. Es gab etwa sogenannte penny arcades, Spielhäuser, die randvoll waren mit Automaten. Als dann Filme länger und qualitativ hochwertiger wurden, schafften die Eigentümer solcher Etablissements Projektoren an und begannen, fünf Cent Eintritt zu nehmen. Im Jahr 1908 gab es rund zehntausend solcher nickelodeons in ganz Amerika.

• • •

Eigenes Geld zu verdienen verschaffte jungen Frauen eine neue Entscheidungsfreiheit, sie konnten theoretisch selbst bestimmen, wohin sie mit wem ausgehen wollten. Doch kamen sie mit ihren Gehältern nicht besonders weit. Trotz der Rekordzahl von Frauen, die auf den Arbeitsmarkt drängte, war die Annahme weit verbreitet, diese Frauen würden nicht für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeiten, sondern um das Einkommen ihrer Väter oder Ehemänner aufzubessern. Arbeitgeber nutzten diesen Irrglauben als Entschuldigung, um Frauen deutlich geringere Gehälter zu bezahlen als Männern. Im Jahr 1900 verdiente die durchschnittliche Arbeiterin weniger als halb so viel wie ein Mann in derselben Position. Die women adrift hatten also kaum genug Geld, um sich zu ernähren, geschweige denn, um es einfach zum Spaß auszugeben.

»Wenn ich alle Mahlzeiten, die ich esse, selbst bezahlen müsste, würde ich niemals mit meinem Geld hinkommen«, erklärte eine junge Frau, die ein Zimmer in Hell’s Kitchen bewohnte, einer Sozialarbeiterin im Jahr 1915. Diese Sozialarbeiterin, Esther Packard, arbeitete an einer Reihe von Berichten über Frauen und Kinder des Viertels.

»Wenn mein Freund mich nicht ausführen würde«, fragte eine andere, »wie sollte ich dann jemals irgendwohin ausgehen können?«

Packard verstand, was sie meinte. In ihrer Akte vermerkte sie: »Dass eine Frau beinahe jede Einladung annimmt, bedarf keiner Erklärung, wenn man bedenkt, dass sie oft...

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