„Das Glück ist ein Mysterium wie die Religion und duldet kein Rationalisieren.“
Gilbert Keith Chesterton (1874-1936)
Das Wort „Glück“ zu definieren, ist kein leichtes Unterfangen. Der römische Grammatiker Marcus Terentius Varro zählte schon im ersten Jahrhundert v. Chr. 288 Glücksdefinitionen. Und wenn man die Menschen bittet, den Satz „Glück ist, wenn…“ zu vollenden, geht die Zahl der Antwortvarianten gegen unendlich (Schreiber 2009, S. 28).
Befassen wir uns zunächst mit der Etymologie. Das Wort tritt relativ spät auf und die Herkunft ist unsicher. Das mittelhochdeutsche „gelücke“ ist erstmals in der frühhöfischen Dichtung (1160) dokumentiert. Mit der höfisch-ritterlichen Kultur vom Rhein verbreitete es sich dann über das deutsche Sprachgebiet. Glück bedeutet ursprünglich Schicksal, Geschick oder Ausgang einer Sache (zum Guten wie zum Schlechten). Mit der Zeit verschwindet die Pluralform und der Begriff verengt sich auf den positiven Zufall. Das negative Schicksal wird zum „Un-glück“. Bis zum 14. Jahrhundert entwickelt sich eine neue Bedeutungsdimension. Glück bezeichnet nun auch einen wünschenswerten Zustand starker innerer Befriedigung und Freude (vgl. Grimm & Grimm 1958, S. 226ff.; Zentralinstitut für Sprachwissenschaft 1989, S. 581f.).
In anderen Sprachen werden die unterschiedlichen Dimensionen des Glücks (Gunst der Umstände, Glücksgefühl) durch terminologische Varianten auseinander gehalten. So zum Beispiel im Englischen. „Luck“ bedeutet Zufallsglück, „pleasure“ bezeichnet ein kurzfristiges Glücksgefühl, das Vergnügen, und mit „happiness“ ist das Lebensglück gemeint. Das Zufallsglück (luck) spielt keine große Rolle in der Glücksforschung, wird aber auch nicht völlig vernachlässigt. Im Fokus stehen das kurzfristige Glücksgefühl (pleasure) und vor allem das Lebensglück (happiness).
In der Brockhaus Enzyklopädie wird das Glück als Ziel jeden menschlichen Handelns und Strebens bezeichnet, „insofern es eine jeden in irgendeiner Weise betreffende Sehnsucht zum Ausdruck bringt und mit Sinnerfüllung des Lebens assoziiert wird“ (Brockhaus 1989, S. 607). Das Glück wird üblicher Weise als etwas Positives und Erstrebenswertes betrachtet, aber auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel. So hat zum Beispiel ein Psychologe versucht, „happiness“ als „psychiatric disorder“ zu klassifizieren (Bentall 1992).
Das Glück kann man als das Ziel und den Sinn des Lebens bezeichnen, weil letztlich alle anderen Ziele nur auf das eigene oder das Glück anderer (und damit wieder auf das eigene) hinauslaufen. Das gilt selbst für jenseitsorientierte Menschen. Diese suchen ihr Glück nicht (nur) im irdischen Leben, sondern verhalten sich auf Erden so, dass sie das größtmögliche nachweltliche Glück zu erwarten haben. Die Utilitaristen verstehen das Glück auch als Quelle, aus der alle anderen moralischen Werte entspringen und gründen darauf ihre Ethik (Gesang 2003, S. 19).
Der Soziologe Gerhard Schulze (2008, S. 220ff.) unterscheidet zwischen „Glück 1“ und „Glück 2“. Glück 1 ist die Freiheit von Leid und Mangel und damit Voraussetzung für das zweite Glück, das schöne Leben. Wer sich um objektive Lebensbedingungen kümmert, strebt nach der ersten Variante. Um die zweite Variante geht es demjenigen, der sich um die Gestaltung des Lebens unter diesen Bedingungen kümmert. Man könnte nun sagen: Glück 1 ist wichtig und Glück 2 nur Luxus. Doch dann kann man mit Schulze fragen: „Wofür lebt man, wenn nicht für das schöne Leben?“ (Schulze 2008, S. 221). Abgesehen von der wohltuenden Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen ist Glück 1 daher nur Vorstufe, nur Möglichkeit zum Erlangen von Glück 2. Der Ökonom Richard Layard ist der gleichen Meinung: „happiness begins where unhappiness ends“ (Layard 2006, S. 13).
Man kann verschiedene Formen des Glücks auch innerhalb einer sozialmoralischen Dimension klassifizieren. Sozial vorbildliches Glück wird dabei erlebt, zu den Glücksempfindungen anderer Menschen beizutragen (z. B. durch Hilfe, Anerkennung, Liebe und Sex). Sozial unbedenkliches Glück empfindet man, wenn man sich selbst etwas Gutes tut (z. B. Essen, Faulenzen oder Selbstverwirklichung). Das Glück, das im Aufstieg und im Sieg erlebt wird, ist sozial bedenklich, weil die Erfolge zu Lasten von Mitbewerbern gehen. Das sozial schädliche Glück findet man in der Machtlust, der Rache und der Demütigung, ergo darin, anderen Nachteile zuzufügen (vgl. Schneider 2007, S. 251f.).
Bei dem Glück, das die Happiness Science misst, handelt es sich fast ohne Ausnahme um ein Gefühl. Layard spricht stellvertretend für die meisten Glücksforscher, wenn er sagt: „by happiness I mean feeling good – enjoying life and wanting the feeling to be maintained. By unhappiness I mean feeling bad and wishing things were different (Layard 2006, S. 12). Er zeigt uns auch, dass man Gefühle anhand der Dimensionen “Erregungsgrad“ und „Glückslevel“ einordnen kann (siehe Abbildung 1). Zufriedenheit bedeutet Glück, hat aber wenig mit Erregung zu tun. Freude aber ist Glück plus Erregung. Gefühle mit hohem Erregungsgrad sind eher kurzfristig, solche mit niedrigem dagegen langfristiger (vgl. Layard 2006, S. 20ff.).
Wie kann man das Glück nun messen? Man könnte die Leute beobachten. Das Problem dabei ist, dass die Einschätzung des Glückszustands anderer Menschen nicht unabhängig von der eigenen Stimmung ist (Veenhoven 1989b, S. 83). Das Naheliegendste ist es ohnehin, die Leute zu befragen. Die Frage „Wie glücklich sind Sie?“ ist allerdings zu unscharf. Der Befragte könnte z. B. erwidern: „Jetzt, heute, diese Woche oder überhaupt?“ oder: „Am Arbeitsplatz, zu Hause, mit Freunden, mit dem Erreichten oder insgesamt?“. Man muss die Frage folglich zeitlich spezifizieren und den Kontext klären (vgl. Spitzer 2008, S. 133). Ruut Veenhoven definiert Lebensglück folgendermaßen: Happiness is „the degree to which an individual judges the overall quality of his life-as-a-whole favorably” (Veenhoven 1989b, S. 22). Diese Definition trägt der Erkenntnis Rechnung, dass es keine allgemeingültigen glücklichen Lebensumstände gibt (das werden wir im Kapitel 5 noch genauer betrachten). Menschen, die unter gleichen Lebensbedingungen leben, können sich in ihrem Glückslevel erheblich voneinander unterscheiden. Das heißt, man muss das Individuum (das Konzept zielt nicht auf Kollektive oder Objekte) nach seinem Glückslevel fragen. Eine Person, die denkt, dass sie glücklich ist, ist auch glücklich. Es geht also nicht um die Frage, ob das Glück in irgendeiner Weise objektiv gerechtfertigt ist. Das wird durch den in der Glücksforschung gebräuchlichen Begriff „Subjektives Wohlbefinden“ ausgedrückt (zum Begriff siehe Diener 1984). Da happiness nach Veenhoven aus den Komponenten „momentane Stimmung“ und „Zufriedenheit mit dem Leben“ (Grad der Zielerfüllung) besteht, muss das befragte Individuum in der Lage sein, vergangene Erfahrungen und Zukunftserwartungen zusammen mit dem aktuellen Gefühlszustand zu evaluieren. Das Lebensglück von Tieren, Kleinkindern und geistig Behinderten kann so folglich nicht erfasst werden (vgl. Veenhoven 1989b, S. 17ff.).
Man könnte nun also fragen: „Alles in allem, wie würden Sie Ihren Zustand in letzter Zeit beschreiben – Würden Sie sagen, dass Sie a) sehr glücklich, b) ziemlich glücklich, oder c) nicht so glücklich sind?“. Diese Frage wird in der General Social Survey gestellt, die das durchschnittliche Glückslevel der Menschen in mehreren Ländern über Jahre hinweg erfasst (vgl. National Opinion Research Center 2009). Oder man fragt: „Wie zufrieden sind Sie zurzeit insgesamt mit ihrem Leben auf einer Skala von 1 (unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden)?“. Mithilfe dieser Frage wird in der World Values Survey das Glücksempfinden vieler Menschen in verschiedenen Ländern miteinander verglichen. (vgl. World Values Survey Association 2009). Die Verbalisierungsfähigkeit des Befragten ist durch das Stellen von geschlossenen Fragen kein Problem. Nur fallen einem gleich viele weitere Probleme ein. Kürzlich erlebte Ereignisse, das Wetter, der Gesundheitszustand, sozialer Druck und die Laune des Augenblicks können z. B. das Ergebnis verfälschen. Sozialwissenschaftlich-methodisch höchstens gefährlich Halbgebildeten – zu denen offensichtlich der deutsche Journalist Wolf Schneider gehört – stehen da schnell „die Haare zu Berge“ und wenn von Soziologen „rasche Antworten“ eingefordert werden, die dann zu einer Statistik summiert und als Grundlage für politische Entscheidungen dienen, dann finden sie das „töricht“. Schneider behauptet: „Ob ein Mensch glücklich ist: dies zu entscheiden brauchen wir bessere Indizien als das, was er uns darüber erzählt. Ja, es lässt sich der Satz wagen: Ihm zuzuhören lohnt sich nicht“ (Schneider 2007, S. 23). Er hätte den Satz lieber nicht „wagen“ sollen, denn der ist wirklich „töricht“.
Betrachten wir das Problem etwas differenzierter. Selbstverständlich sind bei Glücksumfragen dieselben methodischen Schwierigkeiten (einen guten Überblick findet man z. B. bei Strack 1994) zu beachten, wie bei allen anderen (standardisierten) Befragungen auch. Durch eine geschickte...