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E-Book

Den Absprung wagen

Stürzen, aufstehen, siegen lernen

AutorFabian Hambüchen
VerlagAriston
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641215828
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Im Sport ist alles möglich - im Leben auch
2016 war das Jahr des Fabian Hambüchen, auch wenn es alles andere als gut begonnen hatte: Eine Schulterverletzung wirft ihn Anfang des Jahres so weit zurück, dass er nicht mehr trainieren kann - und doch ist er wenige Monate später Olympiasieger. Fabian Hambüchen hat sich vollendet.
Mutig und ehrlich erzählt er über sein Leben und seine Karriere, schildert seine Erfolge und Rückschläge und lässt uns teilhaben an der Kunst, aus Niederlagen gestärkt hervorzugehen. Sein Geheimnis: die mentale Kraft - und die Fähigkeit, im entscheidenden Moment ganz bei sich zu sein. Eine faszinierende Lebensgeschichte, die dazu motiviert, sich nicht mit weniger zufriedenzugeben. Denn du kannst alles erreichen, im Sport wie im Leben.

Fabian Hambüchen, geboren 1987 in Bergisch Gladbach, gehört zu den erfolgreichsten Sportlern Deutschlands. Er fing im Alter von vier Jahren mit dem Turnen an, bestritt mit fünf sein erstes Turnier, trat bei Schüler- und Juniorenmeisterschaften an und wurde mit 14 Jahren Profi. Es folgten zahlreiche Siege auf nationaler und internationaler Ebene, mehrfach war er Welt- und Europameister. Nach einer schweren Schulterverletzung kämpfte er sich an die Weltspitze zurück und konnte mit dem Olympiasieg in Rio seinen sportlich größten Erfolg feiern. Zum zweiten Mal nach 2007 wurde er 2016 zu Deutschlands »Sportler des Jahres« gekürt.

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Leseprobe

Kapitel 1

Hirnrattern

Es gab mal eine Zeit, da war ich kein besonders guter Schläfer. Wenn mein Tag aufregend war oder ein besonderer Wettkampf bevorstand, wenn ich Liebeskummer hatte oder Prüfungen angesetzt waren, habe ich schwer in den Schlaf gefunden. Dann habe ich mich von links nach rechts gewälzt, war stundenlang damit beschäftigt, die richtige Schlafposition zu finden. Ich habe Selbstgespräche geführt und mir befohlen, dass ich jetzt endlich einschlafen müsse. Natürlich ohne Erfolg.

Mich hat dieses Hirnrattern fertiggemacht. Die Maschine der Gedanken rotiert, dröhnt und bohrt im Kopf und macht mich mürbe. Und ich konnte sie lange Zeit überhaupt nicht abstellen.

Es ist noch schlimmer als reine Nervosität, die einen heimsucht, wenn man die Wettkampfhalle betritt. Nervosität führt dazu, dass man vor seiner Darbietung fünfmal binnen kürzester Zeit noch zur Toilette rennt, was zwar nervt, aber letztlich hinnehmbar ist. Manchmal macht Nervosität einen aggressiv. Manchmal übermütig. Vereinzelt auch hibbelig. Aber die eigene Nervosität zu durchschauen und in den Griff zu bekommen ist viel einfacher, als mit diesem Chaos im Kopf umzugehen. Das Hirnrattern ist schriller. Dein ganzes Nervensystem wummert in unerträglicher Lautstärke.

Beim Hirnrattern steigen zudem auch plötzlich Blasen in deinem Kopf auf und irren unkontrolliert umher, bis sie an Nervensträngen zerplatzen – jedenfalls fühlt es sich genau so an.

2005 gab es mal eine Situation, die genau diese Reaktion ausgelöst hat. Ich war in der zwölften Klasse und musste mich parallel um Schule und Turnen kümmern.

Wegen der Turn-Weltmeisterschaft in Melbourne, bei der ich knapp hinter Bronzemedaillengewinner Walerij Hontscharow auf Platz vier landete, fehlte ich fast den gesamten November sowie eine Woche vom Oktober in der Schule. Weil ich nicht noch mehr Fehltage aufbauen wollte, ging ich nach meiner Rückkehr aus Australien trotz zwanzigstündigen Flugs und Jetlags am nächsten Tag direkt zum Unterricht. Irgendwie hoffte ich, es würde ein entspannter Tag mit wenig Stoff und schnellem Ende.

Doch Pustekuchen! Stattdessen stand zu meiner größten Überraschung eine Klausur an, von der ich nichts geahnt hatte und auf die ich nicht im Geringsten vorbereitet war.

Als ich meiner Lehrerin entgegentrat, hoffte ich auf Verständnis und bat sie, mir wenigstens vierundzwanzig Stunden Aufschub zu gewähren angesichts der außergewöhnlichen Umstände.

Sie quittierte meinen Wunsch mit einem müden Lächeln und gab mir klipp und klar zu verstehen, dass ich wie jeder andere Schüler den Test mitzuschreiben hätte – und zwar jetzt und heute! »Es gibt keine Extrawürste. Auch nicht für Sie.«

Keine fünfzig Stunden, nachdem ich in Melbourne geturnt hatte, sollte ich nun also in einer Klausur glänzen. Ich wusste so gut wie gar nichts über das Thema. Wäre ich bloß nicht hingegangen! Dieser Dreckstag gefährdete allen Ernstes mein Abitur.

Als sie die Klausur eine Woche später korrigiert zurückgab, überreichte mir die Lehrerin mein Null-Punkte-Werk mit den Worten: »Der Kopf ist nicht nur dazu da, um Medaillen drumzuhängen.«

Bodenlos unverschämt, mal ganz davon abgesehen, dass es noch gar nicht so viele waren. Vier goldene bei den Jugend-Europameisterschaften 2002 in Patras und 2004 in Ljubljana. Eine weitere goldene, die ich 2005 bei den Europameisterschaften der Großen am Reck gewann.

Ganz davon abgesehen, hatte ich ja nicht versagt, weil ich faul gewesen war. Oder lieber auf Partys rumgehangen hatte.

Ich hatte, wofür es die offizielle Erlaubnis von unserem Direktor gab, beim wichtigsten Wettkampf des Jahres am anderen Ende der Welt geturnt – und die Alte verweigerte mir einen Aufschub und bot nicht einmal an, was mit meiner Sonderregel möglich gewesen wäre: dass ich stattdessen ein Referat halte.

Nachts im Bett brach das Chaos in meinem Kopf aus. Ich dachte ernsthaft darüber nach, die Schule einfach hinzuwerfen und mich nur noch auf den Sport zu konzentrieren.

Mich nervte der anhaltende, wuchtige Groll, den diese alte Schabracke – ja, so und noch ganz anders bezeichnete ich sie in meiner Wut, wenn ich nachts wach lag – mit ihrer Aussage ausgelöst hatte.

Wie mich dieser eine einzige Satz ergriff und völlig aus dem Gleichgewicht brachte!

Wobei es eigentlich klar war, dass die Trulla kein Verständnis hatte. Man konnte ihrer Figur deutlich ansehen, dass sie noch nie einen Fuß in eine Sporthalle gesetzt hatte. Eigentlich hätte mir dieser unförmige Sportmuffel völlig egal sein sollen. Aber – verflucht noch mal! – so war es nicht. Vielleicht war sie ja früher, als sie selber noch Schülerin gewesen war, im Sportunterricht gehänselt worden und rächte sich nun an mir.

Der verächtliche Blick, mit dem sie mich bei der Rückgabe der Klausur bedachte, ging mir nächtelang nicht aus dem Sinn. Ich fühlte mich, als wäre ich in einen Sog geraten, wie er entsteht, wenn man den Stöpsel aus der Badewanne zieht, nur hundert Mal stärker.

Tennislegende Andre Agassi hat sich in seiner wundervollen Autobiografie Open als »Sklave seiner Nerven« geoutet – er wüsste bestimmt genau, was ich mit meinem Hirnrattern meine.

Vor allem nervte es mich, dass ich nicht genauso entspannt mit der Schwachsinns-Bemerkung meiner Lehrerin umging wie mit den Hänseleien meiner Mitschüler wegen meines »Schwuchtelsports«. Die waren mir immer völlig egal gewesen. Hatten überhaupt nichts bei mir ausgelöst. Es war mir vollkommen gleichgültig, dass für die Halbstarken aus unserem Jahrgang nur Fußball zählte, vielleicht noch ein bisschen Basketball. Und wenn man ganz viel Glück hatte, konnte man auch noch als guter Leichtathlet vor ihnen bestehen. Aber mit Turnen hatten sie nichts am Hut. Dass ich Spagat konnte, fanden nicht wenige »mädchenhaft«, und über meinen engen Turnanzug machte sich ständig irgendjemand lustig. Einzig meine gut trainierten Oberarme hielten die Großmäuler wohl davon ab, mich zu einem richtigen Mobbingopfer auf dem Schulhof zu machen.

Doch nun zermürbte es mich, wenn ich daran dachte, 2007 gleichzeitig mein Abitur und die Heim-WM in Stuttgart meistern zu müssen. Zwei Prüfungen dieser Größenordnung erschienen mir zu viel. Vielleicht sollte ich mich lieber darauf konzentrieren, möglichst viele Medaillen einzuheimsen. Erst ausführliche Gespräche mit meinen Eltern holten mich aus dem Gedankenstrudel, der kurz davor war, mich runterzuziehen.

Was ich dabei gelernt habe? Es gibt kein besseres Mittel, um das Hirnrattern abzustellen, als offene Gespräche mit Menschen, die es gut mit mir meinen und nicht genervt sind, wenn ich zum zehnten Mal mit dem Thema anfange – bis das Rattern und Dröhnen irgendwann endlich zum Schweigen gebracht wird.

Wie wichtig es in solchen Situationen ist, den Mund aufzumachen und das Gespräch zu suchen, hatte ich schon einige Jahre zuvor zum ersten Mal erfahren. Denn genau so ein Hirndurcheinander hatte ich auch schon 2002 erlebt, als ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war.

Die Welt war völlig in Ordnung. Ich turnte mit unheimlicher Freude, war gut und hatte schon ein paar Medaillen gesammelt, als Papa mich vor unserem Haus um ein Gespräch bat. Wir waren gerade vom Training heimgekommen, und er hatte den Wagen geparkt, als er sich vor mich kniete, eine Hand auf meine Schulter legte und sagte: »Fabian, wenn du woanders turnen willst, dann kannst du es mir ehrlich sagen. Ich lege dir keine Steine in den Weg.«

Seit ich sieben Jahre alt war, war er mein Trainer. Mein halbes Leben arbeiteten wir also schon zusammen, wobei »arbeiten« dafür eigentlich nicht der passende Begriff ist. Für mich war es ein täglicher Spaß, mit meinem Vater in der Halle zu toben, zu springen, zu hüpfen und durch die Luft zu wirbeln, wie es nur ganz wenige andere Kinder in meinem Alter können.

Ich verstand überhaupt nicht, was er mir sagen wollte. Was sollte dieser staatstragende Auftritt vor der Garage? Sein Kniefall und dieser Griff an die Schulter, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen?

Ohne nachzufragen, drehte ich mich um und ging ins Haus. Das Essen war wie immer bereits fertig. Nachdenklich schaufelte ich es in mich hinein. Doch egal, wie lange ich über Papas Worte nachdachte, es fiel mir keine logische Erklärung ein.

Ein paar Tage später wiederholte sich das Szenario in ähnlicher Form. Dieses Mal setzte er sich in der Trainingshalle neben mich, atmete tief ein, so als müsse er seinen ganzen Mut zusammennehmen für das, was er mir zu sagen hatte. Und wieder erzählte Papa diesen Käse, dass er mir keine Steine in den Weg legen wolle und ich auch gerne woanders trainieren könne.

Wollte er mich etwa loswerden?, schoss es mir abends durch den Kopf, als ich mich im Bett daran erinnerte. Klar, das musste es sein. Die einzig logische Erklärung. Mein Vater wollte nicht mehr mit mir trainieren. Ihm war es zu viel. Oder ich war zu begriffsstutzig. Und anstatt es direkt zu sagen, versuchte er, es mir unterschwellig unterzuschieben.

Solche Gedanken bohrten sich ganz tief in mein Gehirn. Ich hatte offenbar irgendwas so falsch gemacht, dass mein eigener Vater nicht mehr mit mir trainieren wollte.

In den nächsten Tagen wurde ich immer einsilbiger Papa gegenüber – nicht nur im Training. Ich redete nur das Nötigste mit ihm. Als Mama begriff, dass es keine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen ihren beiden Lieblingssturköpfen war, besuchte sie mich in meinem Zimmer und fragte, was los sei. Und ich erklärte ihr, dass Papa mich loswerden...

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