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Hinter den Fassaden von Versailles

Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs

AutorWilliam Ritchey Newton
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783843706766
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Auch am französischen Königshof war nicht alles Gold, was glänzte: Wo mehr als 4000 Menschen auf engstem Raum zusammenlebten, ergaben sich handfeste Probleme. Die Hofdamen froren erbärmlich vor den zugigen Kaminen, saubere Wäsche war Mangelware und allzumenschliche Bedürfnisse ließen sich bei den ständig verstopften Latrinen kaum befriedigen. William Ritchey Newton wirft einen völlig neuen Blick auf das Leben am Hof von Versailles. Dabei kommt Sensationelles, Kurioses und Unappetitliches ans Licht. Eine höchst amüsante Kulturgeschichte.

William Ritchey Newton, geboren 1945 in New York, ist Historiker und Frankreichs führender Versailles-Experte. Nach der Promotion arbeitete er mehrere Jahre als Verlagslektor, bevor er sich ganz der Forschung widmete. Seine Bücher über das Schloss von Versailles wurden in Frankreich vielfach ausgezeichnet, u. a. von der Académie française.

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Leseprobe

1. Wohnen

Das standesgemäße Quartier

Als erstes wollen wir uns der Wohnsituation bei Hofe widmen, spielte die Unterkunft doch für das persönliche Befinden wie für die Markierung der eigenen Position eine entscheidende Rolle.

Wer in höfischen Diensten stand, hatte auch Anspruch auf eine Wohnung; man durfte vom König erwarten, dass er seine militärischen und zivilen Beamten unterbrachte. Die Glücklichsten unter ihnen verfügten über eine Wohnung im Schloss selbst, die anderen wurden in unterschiedlichen königlichen Gebäuden in der Umgebung beherbergt. Man konnte aber auch eine Entschädigung in Form von Geld erhalten, die es einem ermöglichte, sich in der Stadt eine Unterkunft zu suchen. Direkt im Schloss zu wohnen war aber natürlich so prestigeträchtig, dass alles, was Rang und Namen hatte, es jedem anderen Ort vorzog, auch den eigenen Stadtvillen, so prächtig diese auch sein mochten.

Der riesige Palast, den wir heute bestaunen, war ursprünglich nur ein Landpavillon, in dem Ludwig XIII. gelegentlich die Nacht verbrachte, wenn er in den umliegenden Wäldern der Jagd nachging. Später ließ der König sich auf dem Hügel, der den Sumpf überragte, eine Residenz bauen, die jedoch so bescheiden war, dass ein Memoirenschreiber sie als »Kartenschloss« herabwürdigte. Ludwig XIV., der die kleine Gen­til­hommière erbte, brachte zahlreiche Erweiterungen und Verschö­nerungen an. Südlich des Ehrenhofs wurde ein Flügel mit Stallungen errichtet, der – bald zu einem Wohntrakt umgebaut – unter dem Namen »Alter Flügel« bekannt wurde. Trotz zahlreicher Umgestaltungen existiert er noch heute, während der Pavillon, der zur Stadtseite ausgerichtet ist, unter Ludwig XVIII. durch den Architekten Dufour – nach dem der Pavillon benannt ist – vor allem deshalb neu gebaut wurde, um den Alten Flügel mit dem Nordflügel des Hofs in Symmetrie zu setzen. In den 1660er Jahren errichtet, um Küchen und Offices – Räume in unmittelbarer Nähe zur Küche, in denen man gewisse Speisen zubereitete und aufbewahrte – aufzunehmen, wurde er bald zu Wohnungen umgestaltet, und als sich der Hof 1682 in Versailles niederließ, bezog der Intendant der Domäne und der Stadt darin Quartier. 1719 wurde seine Charge zu einem Gouverneursamt erhoben, seither hieß der Flügel Aile du Gouvernement. Ab 1760 bekamen jedoch die Mauern Risse, und der Gouverneur musste ihn verlassen. Der Pavillon wurde 1771 weitgehend abgerissen, von dem Ersten Hofarchitekten Ludwigs XVI., Ange Jacques Gabriel, umgebaut und nach ihm Aile Gabriel benannt.

Bei den Erweiterungen und Verschönerungen durch Ludwig XIV. wurde im Zentralbau des Schlosses die Struktur der Originalarchitektur beibehalten: rote Backsteinmauern, an den Ecken Hausteinbänder und Schieferdächer. Ein zweites Gebäude aus Quadersteinen umschloss das erste vollständig. Im Norden befanden sich die großen Staatsappartements; im Westen führte beim ersten Entwurf eine Terrasse auf die Gärten hinaus, die aber schließlich durch den Spiegelsaal ersetzt wurde, während im Süden die Appartements der Königin eingerichtet wurden. Als der Südflügel, auch »Prinzenflügel« genannt, vollendet war, verlegte Ludwig XIV. seinen Hof vollständig nach Versailles. 1689 wurde die lange Fassade zum Garten durch einen Nordflügel ergänzt. Beide waren dazu bestimmt, die Hofwürdenträger – Beamte aus dem hohen Adel, die am französischen Königshof Dienst taten – aufzunehmen. Denn tatsächlich hatten die hohen Herren beim Lever und Coucher, dem zeremoniellen Aufstehen oder Zubettgehen des Königs, oder auch bei der Toilette der Königin eine dienende Funktion. Ja sie buhlten geradezu um diese käuflich erwerbbaren Hofämter, die sie symbolisch an das monarchische Zeremoniell banden, während die eigentliche Arbeit von einer großen Schar Beamter aus dem niederen Adel verrichtet wurde.

Unter Ludwig XIV. ließen sich die Inhaber der höheren Ämter Privathäuser auf einem Terrain errichten, das ihnen der König zur Verfügung stellte. Die Wohnprobleme, die vor dem Bau des Nord- und Südflügels bestanden, beschrieb der Anwalt Marais, der zur Zeit der Régence tätig war, so: »Unter der Herrschaft Ludwigs XIV., der stets in Versailles weilte, zählte der Hof nur wenige Frauen, da ein Mann von Rang seine Ehefrau in Versailles nicht in einem Gasthaus oder einem möblierten Zimmer untergebracht hätte, wohingegen es für die Herzöge, die Häuser besaßen, leichter war, ihre Frauen bei sich zu haben.«1

Die Inhaber niederer Ämter wohnten in einem Nebengebäude des Schlosses, dem Grand Commun, einem weitläufigen Bau, der im Erdgeschoss die Schlossküchen und die Speisesäle des Haushalts von König und Königin sowie auf vier weiteren Stockwerken Unterkünfte jeder Größe bis hin zu einfachen Verschlägen beherbergte. Dort zu wohnen wurde von manchen als nicht besonders schmeichelhaft empfunden, da es ja eigentlich ein Wirtschaftsgebäude war, wenn dessen Nähe zum Schloss auch praktisch war. Doch trotz seiner Größe vermochte der Grand Commun nicht sämtliche Beamte aufzunehmen, die ein Anrecht auf eine Unterkunft am Hof hatten. Es mussten weitere Gebäude gekauft oder angemietet werden: das Hôtel de Duras in der Rue de la Chancellerie, die drei Wohntrakte des Hôtel des Louis in der Rue de l’Orangerie und schließlich das Hôtel de Nyert in der Rue Saint-François. Die Beamten und das Personal bestimmter Dienstbereiche wie des großen und kleinen Marstalls oder der Jägerei verfügten über Wohnungen direkt an ihrem Arbeitsort.

Die Hauptsorge jedes Höflings war es, eine seinem Rang, seinen Ämtern, seiner Familie und seinen Bedürfnissen entsprechende Unterkunft zu ergattern. Da weder das Schloss noch die königlichen Gebäude in der Stadt dafür ausreichten, bot der Gouverneur den Beamten des Königshauses und dem Personal, das dem Dauphin und den Söhnen und Töchtern Frankreichs diente, die noch zu jung waren, um eine Haushaltung mit einem eigenem Budget zu führen, eine Kompensation in Form von Geld an. Die Entschädigungen für die Unterkünfte der Beamten der anderen Haushalte wie jene der Dauphine oder der Mesdames de France wurden von der königlichen Schatzkammer übernommen.2

In der Stadt zu wohnen war sehr unpopulär: Die Mieten waren hoch und die Entfernung vom Schloss beträchtlich. So fand man sich nur unwillig mit dieser Lösung ab. Das mittlere Gehalt eines Beamten, der par quartier, also ein Quartal pro Jahr, diente, belief sich auf 300 Livres, was kaum ausreichte, um ein möbliertes Zimmer oder eine bescheidene Wohnung zu mieten. Das traf für viele niedere Beamte zu, die ihre jeweilige Charge – ein Amt auf Lebenszeit, das jedoch nicht vererbbar war – wegen des sozialen Prestiges und der damit verbundenen Steuererleichterung kauften. Da sie zum Teil nur einige Tage pro Woche tätig waren, lebten sie die übrige Zeit zu Hause, oft in der Ile-de-France oder in Paris. Die meisten Gesellschaftsdamen verbrachten jeweils nur kurze Zeit am Hof, da sie nicht mehr als eine von drei Wochen Dienst taten, so dass eine noch so mittelmäßige Unterkunft im Schloss nicht von größerem Nachteil war. Für zahlreiche Höflinge stellte ihr »Quartal« vor allem eine angenehme Abwechslung dar, um der Langweile des ländlichen Lebens zu entkommen. Zugleich bedeutete es einen Prestigegewinn, wenn ihre Abreise und Rückkehr in der Sonntagsmesse verkündet wurden.

Der Polizeikommissar von Versailles schätzte, dass zu Beginn der Herrschaft Ludwigs XIV. kaum fünfzig Bewohner ein chambre garnie, ein möbliertes Zimmer, zur Vermietung an­boten. Im Jahr 1724 waren es bereits vierhundert, die professionellen Hoteliers noch nicht eingerechnet. Er schrieb dies gleichzeitig der großen Nachfrage wie der Verlockung eines einträglichen Nebenverdienstes zu: »Als der König […] sich in Versailles niederließ, sind ihm zahlreiche Personen gefolgt. Die Mieten stiegen daraufhin beträchtlich, und die hohen Preise haben die meisten Bewohner veranlasst, ein möbliertes Zimmer zu vermieten, um sich an den Mieten zu bereichern, so dass man königliche Beamte, Bedienstete, normale Bürger, sogar Schuster, Bäcker, Flickschuster, Lakaien, Frauen im Witwenstand bis hin zu ihren Söhnen findet, die alles dafür tun, um möblierte Zimmer vermieten.«3 Der Kommissar empfahl, die Tarife während der Regierungszeit des Sonnenkönigs gesetzlich zu regeln, und tatsächlich wurden sie den Gastwirten von Versailles 1735 per Verordnung diktiert: 2 Sols pro Tag für ein nicht tapeziertes Zimmer mit einem Bett; 4 Sols für zwei Betten. Ein tapeziertes Zimmer wurde für 4 Sols pro Tag vermietet, eins mit zwei Betten für 8 Sols.

Diese Tagessätze aber wurden nur von den eher bescheidenen Einrichtungen angewandt. Die Zahlen, die im Budget von Monsieur de Beauregard du Mesnil, dem Königlichen Leibgardisten und Ritter des Ludwigsordens, genannt werden, scheinen eine glaubwürdigere Vergleichsgröße zu sein. Beauregard du Mesnil zahlte dem Ehepaar Martin, Speisewirte in der Rue d’Anjou, für seine Unterkunft 20 Livres im Monat, also mehr als 13 Sols pro Tag, dazu 3 Livres täglich für die Mahlzeiten. Ein anderer Leibwächter mietete ein Doppelzimmer für durchschnittlich 36 Sols pro Tag.4

Neben diesen zum Teil registrierten, zum Teil illegalen Unterkünften gab es in Versailles noch eine ganze Reihe weiterer Übernachtungsmöglichkeiten. Die Stadt zählte ungefähr hundertzwanzig Wirtshäuser für Gäste jeglichen Standes. Unter Ludwig XIV. konnten hochrangige Persönlichkeiten im Écu de France auf der Place du Marché...

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