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Zwischen den Stühlen: Psychisch kranke Frauen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe

Eine qualitative Befragung von Sozialpädagoginnen

AutorJutta Preisinger
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783842817494
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Aktuelle Zahlen belegen, dass der Anteil der psychischen Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Ungleich schneller wächst die Zahl von psychisch Kranken in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe - eine Tatsache, auf die soziale Dienste und Einrichtungen häufig weder inhaltlich, zeitlich, räumlich noch finanziell ausreichend vorbereitet sind. Auch fehlt das entsprechende Fachpersonal - meist aus Kostengründen.
Die wenigen Untersuchungen zum Thema 'Soziale Arbeit mit psychisch kranken Wohnungslosen' beziehen sich fast ausschließlich auf Männer. Untersucht wurden dabei überwiegend soziodemographische Daten, Ursachen und Auslöser von Wohnungslosigkeit sowie die Prävalenz psychiatrischer Krankheitsbilder. Frauen als eigene Zielgruppe finden in diesen Studien, obwohl sie in weit höherem Maße von psychischen Erkrankungen betroffen sind, nur wenig Raum. Studien zu den erhöhten Belastungen des Personals von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe liegen praktisch gar nicht vor.
Aus diesem Grund untersuchte die Autorin welche zentralen Herausforderungen sich für das Hilfesystem ergeben, um eine adäquate Betreuung und Unterbringung für wohnungslose psychisch kranke Frauen zu schaffen und dabei die Mitarbeiterinnen der Wohnungslosenhilfe in ihrer Arbeit mit dieser Klientel so zu unterstützen, dass diese langfristig motiviert und zufrieden sind.
Zu diesem Zweck wurden Sozialpädagoginnen aus frauenspezifischen Einrichtungen der Münchner Wohnungslosenhilfe zu diesem (Tabu-)Thema befragt und die Interviews anschließend systematisch ausgewertet. Sinngemäß wurden u.a. folgende Fragen gestellt: Werden in vorhandenen Konzepten psychische Erkrankungen ausreichend berücksichtigt? Welche Infrastruktur ist/wäre erforderlich? Reichen Vernetzung und Kapazitäten der sozialen Einrichtungen aus? Wie gehen die Mitarbeiterinnen mit der unzureichenden Anzahl von speziell ausgebildetem Fachpersonal, mit unangemessenen Wohnformen und zeitlichen Engpässen um? Welchen Belastungen sehen sie sich gegenüber und wie gehen sie damit um?
Die Interviewpartnerinnen beschreiben auch die grundsätzlichen Problemlagen ihrer Klientinnen, ihre Nöte und den besonderen Umgang mit diesen Frauen. Sie gehen auf die Grenzen ihrer eigenen Handlungsfähigkeit ein und haben auch keine Scheu, über eigene Überforderung und die großen psychischen Belastungen ihrer Arbeit zu sprechen.
Aus den o.a. Befragungen leiten sich wesentliche Verbesserungsvorschläge für das Versorgungsangebot ab. Es werden Forderungen nach einer verbesserten Betreuungs- und Unterbringungsform sowie solche für die fachliche und persönliche Unterstützung des Personals formuliert.
Als Fazit werden die Entscheidungsträger aufgefordert, sich an die Fachbasis zu wenden und im Dialog mit den Kolleginnen entlang der Ergebnisse dieser Untersuchung die Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

Jutta Preisinger, geb. 1966 in München. Nach 15-jähriger kaufmännischer Tätigkeit begann die Autorin 2002 ihr Studium der Sozialen Arbeit an der Kath. Stiftungsfachhochschule in München und schloss es im Jahre 2006 mit summa cum laude ab.
Bereits während des Studiums arbeitete die Autorin in frauenspezifischen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, wo sie sich intensiv mit der Betreuung von psychisch Kranken befasste und erste praktische Erfahrungen auf diesem Arbeitsgebiet sammelte. In den beiden Studienschwerpunkten, Frauen- bzw. Gefährdetenhilfe, erarbeitete sie sich die erforderlichen theoretischen Grundlagen für ihre Untersuchung, vertiefte diese Kenntnisse durch Befragungen im Rahmen von Studienarbeiten. Dabei setzte sie sich eingehend mit den Zielgruppen, ihren Biographien und Problemlagen auseinander. Nach ihrem Abschluss als Diplom- Sozialpädagogin arbeitete sie zunächst in einem niederschwelligen Fachdienst an der Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Wohnungslosenhilfe (Betreutes Einzelwohnen für psychisch kranke Frauen mit Wohnproblemen). Später wechselte sie in eine ambulant betreuende Einrichtung der Wohnungslosenhilfe, in denen sie sich mit der Thematik der Betreuung von psychisch kranken Frauen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe abermals konfrontiert sieht.

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Leseprobe
Textprobe: Probleme auf institutioneller Ebene. - Fachleute der Wohnungslosenhilfe sehen die Gründe für die mangelnde Inanspruchnahme psychiatrischer Dienste und therapeutischer Einrichtungen vor allem in deren hohen Zugangsvoraussetzungen, den starren Konzepten und in den hohen Anforderungen an die sprachliche und soziale Kompetenz der potentiellen PatientInnen. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass insgesamt weitaus mehr psychisch Kranke durch niedergelassene Allgemeinmediziner als durch Fachärzte oder -kliniken betreut werden. Dies hängt teilweise mit der größeren Mobilität dieser Ärzte, vor allem aber mit den geringeren Zugangshemmnissen zusammen. Die befragten Sozialpädagoginnen berichten ebenfalls über die, für wohnungslose Klientinnen oft unüberwindbare Hochschwelligkeit von Facheinrichtungen: '(Es ist so, dass) die fachpsychiatrischen Einrichtungen (.) so hochschwellig sind, dass man da nur hingeht, wenn man krankheitseinsichtig ist'. Der Arbeitskreis Wohnungsnot weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass seitens der psychiatrischen Fachbereiche noch immer Defizite bestehen, die Mitwirkungsgrenzen der psychisch kranken Wohnungslosen zu erkennen und ihre begrenzte Kontaktfähigkeit zu würdigen. Behandlungsmotivation, so Rauchfleisch, sollte als Behandlungsziel und nicht als Zugangsvoraussetzung gewertet werden, zumal verschiedene Untersuchungen die Vermutung zulassen, dass Wohnungslosigkeit Krankheitseinsicht negativ beeinflusst. Vertreter der Wohnungslosenhilfe kritisieren außerdem, dass die Bedürfnisse der PatientInnen häufig den Interessen der MitarbeiterInnen der Psychiatrie entgegenstehen - beispielsweise das 'In-Ruhe-gelassen-Werden' - und diesen daher zu wenig Beachtung beigemessen werden. Des Weiteren entsprechen vorhandene Konzepte - hier sei insbesondere die verpflichtende Teilnahme an Gruppenangeboten genannt - und die hohe soziale Dichte in den Hilfeeinrichtungen häufig nicht den Möglichkeiten und Bedürfnissen der KlientInnen. Diese Faktoren werden auch von den Sozialpädagoginnen als Stressoren für die Klientinnen wahrgenommen: 'Da gibt es die Gravelottestraße, die sind so auf unserer Ebene (.) und dann haben die fast nur Doppelzimmer. Es ist einfach so: für psychisch kranke Frauen, zum Beispiel eine Zwanghafte oder eine mit Wahnvorstellungen, die lassen sich nicht in ein Doppelzimmer unterbringen'. Neumann de Zavala weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass manche Anforderungen oder Zugangsvoraussetzungen selbst für gesunde Menschen unzumutbar seien. Eine der Sozialpädagoginnen ist derselben Meinung: 'Man muss die Leute nicht gemeinschaftsfähig machen. Ich mach' auch keinen Töpferkurs, keinen Tangokurs oder Schreitherapie. Und ich möchte auch nicht haben, dass das sein muss. Und warum man denkt, dass gerade Leute, die psychisch krank sind, die Gruppensituation ständig aushalten müssen, das finde ich.(stöhnt auf)'. Des Weiteren, so Schild, fühlen sich Einrichtungen mit psychiatrischem Behandlungsauftrag von wohnungslosen PatientInnen missbraucht: man geht davon aus, dass diese ihre Dienste lediglich als eine Form der Unterkunft (be-)nutzen, ohne dabei wirkliche Bereitschaft zur Veränderung zu zeigen (vgl. ebd. 2000, 99). In Folge dessen entwickeln fachpsychiatrische Dienste Taktiken, um 'sich vor solchen 'Kunden' zu schützen oder sie baldmöglichst wieder loszuwerden' (ebd., 2000, S.99 - Hervorhebung durch den Verfasser). Dies wiederum verschärft das Phänomen der mangelnden Inanspruchnahme durch wohnungslose psychisch Kranke zusätzlich. Eine der Sozialpädagoginnen umschreibt die Situation folgendermaßen: '.und wo die Psychiatrie natürlich schon viel früher einen Schnitt macht, eine Zäsur macht: `Ja, bei uns ist jetzt Ende. Wir haben alles gemacht was wir konnten, wir haben medikamentös eingestellt und jetzt schauen Sie, wie Sie zurechtkommen, wie Sie etwas finden, was Ihnen eine Hilfe ist´'. Zusammenfassung und Schlussfolgerung. - Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe fungieren als Auffangbecken für die 'ungeliebte und schwierige Patientengruppe', die häufig vorzeitig aus der stationären Behandlung entlassen und für die oft kein Nachsorgeprogramm vorbereitet wird. Gründe dafür sind mangelnde Krankheitseinsicht und negative Vorerfahrungen seitens der Klientinnen. Demgegenüber stehen hohe konzeptionelle Anforderungen der Facheinrichtungen, die häufig nicht den Möglichkeiten der Klientinnen entsprechen und diese damit von vorne herein von der Behandlung ausschließen. Ein Umstand, auf den in den Interviews nicht eingegangen wurde, sind ungeklärte Kostenträgerschaften und fehlende Meldeadressen, wodurch der Zugang zusätzlich erschwert wird. Resümierend kann festgestellt werden, dass ungeachtet aller Versorgungshindernisse psychisch kranke Frauen ein sehr hohes Hilfesuchverhalten aufweisen. Dieses Verhalten ist bei Frauen grundsätzlich ausgeprägter als bei Männern. Meine Hypothese dazu ist, dass die Frauen Hilfen zwar in Anspruch nehmen, dies jedoch verdrängen oder aus Scham und/oder aus Angst vor negativen Konsequenzen vor ihrer betreuenden Sozialpädagogin verschweigen. Dies könnte die Ursache für die oben genannten Widersprüche sein. Darüber hinaus wurde deutlich wie wichtig es ist, den Zugang zu therapeutischen Einrichtungen und zur Psychiatrie zu erleichtern. Dazu müssen vorhandene Konzepte überdacht werden. Es sollte über Sonderregelungen für wohnungslose, krankheits-uneinsichtige Klientinnen diskutiert werden, anstatt sie von vorne herein von Behandlungen auszuschließen. Auch der Vorschlag von Gaupp, psychiatrische Betten in Allgemeinkrankenhäusern einzurichten, weil die Hemmschwelle für das Aufsuchen einer solchen Klinik für psychisch kranke Frauen wesentlich geringer sei als eine Fachklinik aufzusuchen, ist in diesem Zusammenhang eine mögliche Option. Eine völlig andere Möglichkeit wäre, für Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe Konzept-Erweiterungen in Zusammenarbeit mit den Kostenträgern auszuhandeln. In München existiert bereits ein breites Angebot an frauenspezifischen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Mit entsprechender personeller Erweiterung - auch aus dem Fachbereich Psychiatrie - könnte eine, den Bedürfnissen der psychisch Kranken entsprechende Betreuung in diesen Einrichtungen stattfinden. Für den bestehenden Personalstamm würde dies sicherlich eine Entlastung in ihrer Alltagsarbeit bedeuten und zu größerer Zufriedenheit führen. Die Klientinnen könnten auf diese Weise der gefürchteten Stigmatisierung durch die Unterbringung in einer psychiatrischen Facheinrichtung entgehen. Dieser Punkt darf nicht unterschätzt werden, da viele Klientinnen Wohnungslosigkeit noch immer weniger diskriminierend als psychische Erkrankungen empfinden.
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