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E-Book

Der Abstieg

Wie Funktionäre einen Verein ruinieren

AutorDaniel Jovanov, Tobias Escher
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783644406322
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Fußball- und HSV-Experten Tobias Escher und Daniel Jovanov erzählen vom langen Abstieg des Hamburger Sport-Vereins. Die Autoren haben mit ehemaligen Spielern, Trainern und Verantwortlichen gesprochen und gewähren einen einmaligen Blick hinter die Kulissen. Packend zeichnen sie Konflikte und Machtkämpfe nach und machen deutlich: Der Abstieg des «Dinos» kam nicht über Nacht, der Verein hat jahrelang darauf hingearbeitet. Als einziges Gründungsmitglied war der sechsfache deutsche Meister durchgehend erstklassig und sah sich lange an der Spitze des deutschen, ja, des europäischen Fußballs. Doch seit 2009 kämpfte der HSV immer wieder mit finanziellen Abhängigkeiten, dramatischen Fehlentscheidungen der Führungsriege, Trainern, die nicht zur Mannschaft passten, Spielern, die verheizt wurden. Escher und Jovanov zeigen, warum der Verein nach 54 Jahren, 261 Tagen, 36 Minuten und 2 Sekunden wirklich abgestiegen ist.

Tobias Escher ist Mitbegründer des Taktikblogs «Spielverlagerung.de», das zahlreiche Auszeichnungen erhalten hat. In der Internetsendung «Bohndesliga», einer Produktion von Rocket Beans TV, analysiert er die Spiele der Bundesliga. Als freier Journalist schreibt Escher für die «WELT» sowie für das Fußball-Magazin «11 Freunde». Das Medium-Magazin wählte Escher 2013 unter die besten zehn Sportjournalisten. Bei Rowohlt erschienen zuletzt seine Bücher «Vom Libero zur Doppelsechs» und «Die Zeit der Strategen».

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Leseprobe

Das vierfache Derby


Eigentlich hatte Michael Gravgaard den gegnerischen Angriff bereits gestoppt. Ein harmloser Einwurf. Schulbuchmäßig hatte der Hamburger Innenverteidiger seinen Gegenspieler weggeblockt, der Ball rollt Richtung Toraus. Die gegnerischen Stürmer traben schon wieder zurück in die eigene Hälfte. Gravgaard hat alle Zeit der Welt. Er möchte den Ball im Spiel halten und setzt zum Pass an. Es soll ein simpler Rückpass zum Torhüter werden. Doch plötzlich macht der Ball einen Satz nach oben, der Ball springt an Gravgaards Schienbein und kullert von dort ins Seitenaus. Eckball. Ungläubig schaut Gravgaard nach unten. Warum sprang der Ball so komisch? Der Rasen ist in einem einwandfreien Zustand. Was war da los? Neben sich sieht Gravgaard eine handgroße, zerknüllte Papierkugel. Diese Papierkugel sollte in die Geschichte des deutschen Fußballs eingehen. Als Beginn des Abstiegs des Hamburger SV.

 

Vier Wochen zuvor war die Stimmung in Hamburg noch euphorisch gewesen. Der HSV war auf dem Weg, seine beste Saison seit 1983 zu spielen. 1983, ein heiliges Jahr für die Hamburger Anhänger: Damals, als der Außenseiter aus Hamburg den übermächtigen italienischen Meister Juventus Turin im Finale des Landesmeister-Pokals bezwang. Noch über 25 Jahre später zehrt der Klub von diesem Ereignis. Es ist Teil seines Selbstverständnisses: Eigentlich ist der Hamburger SV kein gewöhnlicher Bundesliga-Verein, kein lokales Phänomen. Eigentlich gehört er an die Spitze des deutschen, ja gar des europäischen Fußballs – wie damals, 1983.

In der Saison 2008/09 kehrt das Gefühl, zu den Großen zu gehören, endlich nach Hamburg zurück. In drei Wettbewerben hat der HSV noch die Chance, einen Titel zu gewinnen. In der Liga stehen sie wenige Spieltage vor Saisonschluss auf Rang drei der Tabelle, nur drei Punkte hinter Tabellenführer VfL Wolfsburg und punktgleich mit dem FC Bayern. Die Bayern fremdeln merklich mit ihrem Trainer Jürgen Klinsmann. Der Architekt des Sommermärchens 2006 hatte zuvor noch nie eine Vereinsmannschaft trainiert, sein Erfolg in München ist überschaubar. Wenn nicht in diesem Jahr jemand anders als die Bayern Meister werden sollte – wann dann? Auch im DFB-Pokal hat der HSV noch Titelchancen. Zum ersten Mal seit über zehn Jahren haben sie das Halbfinale erreicht. Noch beeindruckender ist ihre Bilanz im UEFA-Pokal: Auch hier sind sie ins Halbfinale eingezogen, gewannen dabei sieben ihrer zehn Spiele. Sie bezwangen u.a. die englischen Klubs Aston Villa und Manchester City sowie den türkischen Spitzenklub Galatasaray. Mitte April tanzt der HSV auf drei Hochzeiten, gleich drei Titel sind in Greifweite. Das hatte es so in der Geschichte des HSV noch nie gegeben. Ein Hauch 1983 weht durch das Volksparkstadion.

Der HSV war an diesem Punkt angelangt nach einem Jahrzehnt des langsamen, aber stetigen Aufschwungs. Nachdem der Klub in den neunziger Jahren in der fußballerischen Bedeutungslosigkeit verschwunden war, kämpfte er sich in den nuller Jahren zurück an die Spitze. 2000 qualifizierte er sich erstmals für die Champions League, 2006 kehrte man in die Königsklasse zurück. In den Jahren dazwischen qualifizierte sich der Verein regelmäßig für den UEFA-Pokal.

Den Erfolg ermöglicht ein dynamisches Trio: An der Spitze des Klubs steht Bernd Hoffmann, Vorstandsvorsitzender des Hamburger SV. Der gelernte Diplom-Kaufmann leitet die geschäftliche Ebene des Vereins. Kein Transfer, kein Sponsoring-Vertrag, keine Ausgabe, die nicht über seinen Tisch geht. Hoffmann stilisiert sich gerne als Macher: selbstbewusster Auftritt, stets leger, aber äußerst modisch gekleidet.

Unterstützung erhält Hoffmann von Katja Kraus, ihres Zeichens Marketingvorstand. Sie kümmert sich um die Vermarktung des Vereins sowie um die Gewinnung neuer Fans. Hoffmann und Kraus bilden ein unzertrennliches Duo auf der geschäftlichen Seite der Hamburger Erfolgsgeschichte. In ihrer Amtszeit vervielfacht sich der Umsatz des HSV. Das zwischenzeitlich auf über 20 Millionen Euro angewachsene negative Eigenkapital bauten sie auf nahezu null ab. In der Goldgräberzeit des deutschen Fußballs um die WM 2006 verkaufen sie eifrig Werbeflächen und VIP-Logen – manch kommerzkritische Fußball-Anhänger meinen sogar: zu eifrig.

Den Gegenpol zum Duo Hoffmann/Kraus bildet Dietmar Beiersdorfer. Der Ex-Profi kümmert sich als Sportvorstand um die sportliche Ebene. Neue Spieler aussuchen, den Kader planen, sich um den Nachwuchs kümmern: Das sind seine Aufgaben. Im Gegensatz zu Hoffmann hat Beiersdorfer nichts Hemdsärmeliges an sich, wirkt nie gehetzt. Beiersdorfer überlegt sich jede öffentliche Aussage dreimal, bevor er sie tätigt. Er ist bei den Fans beliebt, und das nicht erst, seit er 2002 zum Sportvorstand aufstieg. Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger absolvierte der Manndecker 174 Pflichtspiele für den HSV. Seine Glücksgriffe auf dem Transfermarkt befeuerten seine Popularität. Unter seiner Ägide kaufte der HSV Spieler wie Rafael van der Vaart, Nigel de Jong und Daniel van Buyten und verkaufte sie später mit großem Gewinn. Der Boulevard taufte ihn aufgrund dieser positiven Bilanz «Dukaten-Didi».

Das Führungstrio funktioniert auch deshalb so gut, weil die drei völlig unterschiedliche Typen sind. Der ruhige Beiersdorfer sucht die Nähe zu den Fans und wirkt mit seiner Art zugänglich. Hoffmann hingegen kann die Anhänger elektrisieren, taugt mit seiner betriebswirtschaftlichen Denkweise aber auch als Blitzableiter für viele Fans, die mit der Entwicklung des modernen Fußballs nicht einverstanden sind. Wem der eine nicht gefällt, der mag auf jeden Fall den anderen. Das ist ein Teil ihres Erfolgsrezeptes. Unter Hoffmann, Kraus und Beiersdorfer hat sich der HSV unter den besten fünf Teams der Bundesliga etabliert. «Wir befinden uns auf einer Insel der Glückseligkeit», so Hoffmann.

 

Die Mannschaft, die Hoffmann und Beiersdorfer gebastelt haben, betreut Martin Jol. Er ist wie ein Abziehbild des zähneknirschenden holländischen Grantel-Trainers: die Mundwinkel stets nach unten gezogen, die Stirn in Falten gelegt, in seinen Ansprachen klar und bissig. Er erinnert in Sprache und Gestik an seine Landsmänner Huub Stevens oder Louis van Gaal. Doch wie bei vielen autoritären holländischen Trainern schlummert hinter der grummeligen Fassade ein Freund des schönen Spiels. Er ist gewiss kein Anhänger des totalen Offensivfußballs, kein zweiter Johan Cruyff. Doch er sucht eine Symbiose zwischen niederländischer Spielfreude in der Offensive und Disziplin in der Defensive.

Im Angriff setzt er mit Mladen Petrić, Ivica Olić und Paolo Guerrero häufig auf drei echte Stürmer. Das Feuerwerk im Sturm sichern zweikampfstarke, athletische Mittelfeldspieler ab: HSV-Urgestein David Jarolím oder Alex Silva, ein körperlich robuster Brasilianer, wie er weniger brasilianisch kaum Fußball spielen könnte. Für Flair sorgen die Außenstürmer Piotr Trochowski, ein kleiner Spieler mit einer Gabe für punktgenaue Flanken, sowie Jonathan Pitroipa, ein schneller Dribbler. Die Mannschaft verbindet eine bissige, kompakte Defensive mit pfeilschnellem Tempofußball, meist vorgetragen über die Flügel. Hauptverantwortlich dafür ist Jol, der für die Zeit äußerst flexibel taktiert: Immer wieder ändert er taktische Details, um sich an den Gegner anzupassen – heutzutage im Fußball weit verbreitet, zu jener Zeit keine Selbstverständlichkeit. Jols Arbeit wird in der Bundesliga derart geschätzt, dass bereits Gerüchte die Runde machen, die Bayern wollen ihn als Nachfolger für Jürgen Klinsmann verpflichten.

 

Auf dem Weg zum ersehnten Titel wartet jedoch eine ganz besondere Hürde: Die Losfeen der UEFA und der DFB haben jeweils eine Kugel mit der Aufschrift «Werder Bremen» aus ihren Lostöpfen gezogen. Die beiden Nordklubs sind sich seit Jahrzehnten in gegenseitiger Abneigung verbunden. Nun stehen sie sich im Halbfinale des DFB-Pokals wie auch des UEFA-Pokals gegenüber. Zu allem Überfluss treffen beide Teams wenige Tage später auch noch in der Bundesliga aufeinander. Vier Nordderbys in achtzehn Tagen – so etwas hatte es in der langen und stolzen Geschichte der beiden Klubs noch nicht gegeben.

In Hamburg sieht man diesen Duellen mit Vorfreude entgegen. Eigentlich standen die Bremer in den nuller Jahren in der Tabelle stets vor den Hamburgern. Unter Trainer Thomas Schaaf waren sie zur Spitzenmannschaft gewachsen. Zwischen 2004 und 2008 qualifizierte sich Werder jedes Jahr für die Champions League. Dieses Selbstverständnis strahlte auch der Bremer Kader aus: Die Abwehr bilden der junge Per Mertesacker und der brasilianische Haudegen Naldo, im defensiven Mittelfeld spielen mit Torsten Frings und Frank Baumann zwei Nationalspieler. Hinter den Spitzen toben sich die kreativen Wirbelwinde Diego und Mesut Özil aus, im Angriff versetzt Claudio Pizarro die Gegner in Angst und Schrecken. Ein Kader, der auch mit zehn Jahren Abstand nach großartigem Fußball klingt.

Ihr unbestrittenes Talent zeigen die Bremer in dieser Saison jedoch nur selten auf dem Platz. Werder spielt die schlechteste Saison, seit Thomas Schaaf 1999 den Trainerposten übernommen hat. In der Liga stehen sie auf Rang zehn, also im Nirgendwo der Tabelle. In der Champions League hatte man sich mit zwei Unentschieden gegen den zypriotischen Vertreter Anorthosis...

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