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Der Anfang vom Ende des alten Europa

Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 1914-1919

AutorHans Fenske
VerlagLau-Verlag & Handel KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783957681324
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Es gilt weithin als unzweifelhaft, dass das Deutsche Reich einen wesentlichen Anteil am Ausbruch des Weltkriegs 1914 hatte, dass es während des vierjährigen blutigen Ringens sehr expansive Ziele verfolgte und im Falle eines Sieges seinen Gegnern einen harten Frieden auferlegt hätte. Dass es sich tatsächlich anders verhielt, zeigt diese Studie. Sie fragt zunächst nach der Haltung der Mächte zum Krieg 1914 und erörtert dann deren Einstellung zum Frieden bis zum Versailler Vertrag 1919. Während dieses Zeitraums waren England und Frankreich nie zu einem Verständigungsfrieden bereit, wohl aber Deutschland und Österreich-Ungarn. Abschließend geht es um die Auswirkungen des Versailler Vertrags. Dessen Reparationsregelungen trugen entscheidend zu den großen Wahlerfolgen der NSDAP ab 1930 bei. Hätten sich die Staaten der Entente während des Krieges auf einen Verständigungsfrieden eingelassen, so wäre die Geschichte seither sehr anders verlaufen. Der Krieg wäre dann nicht der Anfang vom Ende des alten Europa geworden.

Hans Fenske war von 1977 bis 2001 Professor für Neue und Neueste Geschichte an der Universität in Freiburg im Breisgau und lebt seither im Ruhestand.

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Leseprobe

Ziele der Westmächte


Sauerbecks oben zitierte Schuldzuweisung an die Alliierten, den Krieg ohne Not entfesselt zu haben, sah den Sachverhalt richtig. Nun ist seine zweite Anklage zu bedenken, dass nämlich die Entente den Krieg ohne Not zu dem machte, was er tatsächlich war: zum Grab ganzer Völker. Dabei ist zu fragen, welche Ziele die Spitzenpolitiker dieser Staaten anstrebten.

Deutschlands stetiges wirtschaftliches Wachstum, sein großes militärisches Potenzial, seine wiederholt bekundeten Vorbehalte gegen die fortdauernde überseeische Expansion der Mächte ohne Rücksicht auf Deutschland, namentlich gegen Frankreichs Verhalten in Marokko, wurden in London und Paris seit Langem mit Unbehagen beobachtet. Hier wie dort stellten einflussreiche Politiker sich die Frage, wie man die Lage ändern könne. Bei diesen Erwägungen spielte der Gedanke an Krieg durchaus eine Rolle. Im September 1912 etwa brachte Grey Sasonow gegenüber zum Ausdruck, England werde alles daransetzen, der deutschen Machtstellung einen so vernichtenden Schlag wie möglich zu verabreichen, falls Frankreich und Russland in einen Krieg mit den Zentralmächten verwickelt würden. Und einige Wochen später, im November, versicherte Poincaré, damals Ministerpräsident und Außenminister, Sasonow, Russland könne auf französische Hilfe rechnen, wenn es zu einem allgemeinen Krieg komme. Er erwarte diesen Krieg in naher Zukunft. Dem französischen Journalisten Ernest Judet sagte er im Januar 1914: „Binnen zwei Jahren werden wir den Krieg haben. Ich verwende meine ganze Kraft auf seine Vorbereitung.“27 Jetzt war der Krieg da und damit die Gelegenheit, ein neues Kapitel der Geschichte zu schreiben. Das Gewicht der Mittelmächte und vor allem Deutschlands sollte deutlich gemindert und die Machtverteilung zwischen den Großmächten gründlich revidiert werden. Eine solche Zielsetzung war nur bei einem vollen alliierten Sieg zu verwirklichen, und bis dahin musste gekämpft werden. Daran ließen die meisten Politiker in den Staaten der Entente in ihren Reden keinen Zweifel. Der britische Premier Asquith erinnerte am 4. September 1914 an die Revolutionskriege, als England unter dem jüngeren Pitt in der Auseinandersetzung mit Frankreich „das Schwert nicht eher in die Scheide steckte als bis, nach nahezu zwanzig Jahren des Kämpfens, der Friede Europas gesichert war“, und fügte kategorisch hinzu: „Laßt uns hingehen und desgleichen tun.“ In einer Rede in Edinburgh zwei Wochen später nannte er den Krieg einen „Kreuzzug gegen die Anmaßung einer einzelnen Macht, die die Entwicklung Europas zu beherrschen“ trachte. Kurz danach fügte er in einer Rede in Dublin dem Kriegsziel, das er am 6. August im Unterhaus genannt hatte – sicherzustellen, dass kleine Nationen nicht von einer sich überhebenden Macht vernichtet werden –, ein weiteres hinzu, nämlich „die endgültige Abschaffung des Militarismus als des regierenden Faktors in den Beziehungen der Staaten.“28 Als er den Sinn des Krieges in der Guildhall in London am 9. November erläuterte, präzisierte er die eben zitierte Zielangabe und sprach von der notwendigen Niederwerfung des preußischen Militarismus. Mit derlei Auffassungen stand er wahrlich nicht allein. Sein Parteifreund Lloyd George verkündete am 19. September, England bekämpfe nicht das deutsche Volk. Dieses lebte seines Erachtens unter der Hölle der Militärkaste und werde es als Tag der Freude empfinden, wenn diese Kaste zerbrochen werde. „Nicht eher soll der Krieg enden, als bis der Friede Europas gesichert ist durch völlige und endgültige Garantien gegen die Möglichkeit, daß der Friede je wieder durch den Militarismus Preußens gestört werden kann.“29 In der Thronrede hieß es am 11. November entsprechend, England werde solange weiterkämpfen, bis es den Frieden bestimmen könne. Von dieser Position wich die britische Führung nicht mehr ab. Lloyd George brachte sie am 28. September 1916 in einem Interview mit einem Vertreter der United Press auf eine berühmt gewordene Formel: „Der Kampf wird dauern bis zur Niederschmetterung“ des Gegners, bis zum Knock-out. „Die ganze Welt sollte wissen, daß eine Einmischung von außen … nicht in Frage kommen kann. England wird keine Vermittlung dulden, da es zum Kampfe so lange bereit ist, bis der preußische Militärdespotismus auf ewig zerstört ist.“30 Man darf derlei Äußerungen getrost als Demagogie bezeichnen, denn mit der deutschen Verfassungswirklichkeit hatten sie nichts zu tun. Dass der so oft berufene preußische Militarismus nichts weiter als ein Schwarzer Peter war, versteht sich von selbst. England hatte, nebenbei, seit dem 17. Jahrhundert deutlich mehr Kriege geführt als Preußen. Lloyd George war zum Zeitpunkt dieses Interviews Staatssekretär des Krieges, wenig mehr als zwei Monate später, am 7. Dezember, löste er Asquith als Premierminister ab. Seiner Prussophobie blieb er treu. In seiner Antrittsrede nannte er Preußen einen schlimmen, anmaßenden, drohenden, eisenfressenden, Verträge nach Gutdünken missachtenden Aggressor, der immer wieder seine Nachbarn beraubte. In diesem Kriege sah er die Dämme, die Generationen von Männern „mühsam gegen die Barbarei aufgebaut haben …, durchbrochen, und wäre nicht die Macht Englands in die Bresche getreten, dann wäre Europa von einer Flut der Barbarei und einer ungezähmten Machtgier überschwemmt worden.“31

Seit Anfang September 1914 waren die Staaten der Entente durch die öffentliche Erklärung miteinander verbunden, dass sie keinen Sonderfrieden mit Deutschland abschließen würden. Nach den ständigen Bekundungen, bis zum endgültigen Sieg zu kämpfen, war ein Verständigungsfrieden undenkbar. Er wurde auch nie ins Auge gefasst, selbst in sehr kritischen Phasen des Krieges nicht, und alle Vermittlungsangebote wurden beiseitegeschoben. Dass nur ein Waffenstillstand infrage kam, der es den Alliierten erlaubte, ihre Kriegsziele durchzusetzen, wurde von Grey schon im September 1914 gegenüber dem britischen Botschafter in Washington festgestellt. Die wichtigste Bedingung eines Vorfriedensvertrags sollte die Auslieferung der deutschen Flotte sein. Die britische Presse, die seit Anfang 1912 ein recht positives Deutschlandbild gezeichnet hatte, war noch bis Anfang August 1914 in der Mehrheit für Neutralität. Das änderte sich nach dem Kriegseintritt Englands schlagartig. Die Medien verbreiteten nun einen entschiedenen Kriegswillen und zeigten eine unbeugsame Siegeszuversicht, was sie nicht selten zur kräftigen Beschönigung der Tatsachen zwang. Sogleich begann eine intensive antideutsche Propaganda. Das Reich wurde als steter Unruhestifter in der internationalen Politik dargestellt, das, getrieben vom Ehrgeiz seiner archaisch-militaristischen Herrschaftselite, nach der Weltführungsrolle griff und England vom ersten Platz unter den Mächten verdrängen wollte. Den Deutschen wurde bei der Kriegführung äußerste Rücksichtslosigkeit unterstellt, sie wurden zu „Hunnen“, und Deutschland wurde nicht selten „Barbaria“ genannt. Auch für die Presse war der Krieg ein Kreuzzug gegen das Böse, auch sie verwarf einen Verständigungsfrieden. Die von ihr diskutierten Kriegsziele waren nur durch einen Siegfrieden zu verwirklichen. Dabei wurden „bereits im August 1914 wesentliche Elemente des späteren Versailler Vertrags zur Sprache gebracht“32.

In Frankreich war das Meinungsbild differenzierter, die politische Diskussion kontroverser. Schon wegen der Nähe des Kriegsschauplatzes konnte die französische Presse nicht eine derartige Schönfärberei treiben wie die britische; die Last, die Frankreich im Kriege zu tragen hatte, war deutlich schwerer als im Nachbarland. Die Stimmung war mithin nicht so stabil wie in England. Für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stand aber stets fest, dass das Deutsche Reich am Krieg schuld sei, dass der Frankreich aufgenötigte Kampf mit einem Sieg enden müsse und eine Verständigung vorher nicht möglich sei. Der Friede müsse Frankreich eine feste Garantie gegen eine neue deutsche Aggression und Entschädigung für die erlittenen schweren Verluste bringen. Auch die französische Presse malte ganz überwiegend ein düsteres Deutschlandbild und führte Preußen und seinen Militarismus als böses Prinzip in Deutschland vor. Dieses Böse müsse zerschlagen werden. Als im November 1917 der 67-jährige Radikaldemokrat Georges Clemenceau Ministerpräsident wurde, verhärtete sich der politische Kurs in Frankreich sehr. Der neue Regierungschef hatte schon seit Kriegsbeginn all diejenigen heftig befehdet, die seines Erachtens zu maßvolle Töne anschlugen. Jetzt verschärfte er diesen Kampf und setzte zur Beeinflussung der Presse erhebliche staatliche Mittel ein – mit gutem Ertrag für seine Zielsetzungen. Für ihn, der 1870/71 die monatelange Einschließung von Paris durch deutsche Truppen in der Stadt miterlebt hatte, war dieser Krieg in gewisser Weise die Fortsetzung des damaligen. Jetzt endlich sollten Verhältnisse geschaffen werden, die gewährleisteten, dass Frankreich...

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