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Der Aufstand

Die arabische Revolution und ihre Folgen

AutorVolker Perthes
VerlagPantheon
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641071349
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Erst in Tunesien, dann in Ägypten, dann in immer mehr Staaten der Region haben die Menschen im Nahen Osten und Nordafrika begonnen, ihr politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Auch wenn 2011 zunächst nur einige Autokraten stürzten und die Mühen des Aufbaus demokratischer Staaten und Gesellschaften noch ausstehen, erleben wir eine Zeitenwende in der arabischen Welt: einen politischen Bruch, eine neue Generation meldet sich zu Wort, die Verhältnisse zwischen den Staaten ordnen sich neu.

Volker Perthes, geboren 1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und ein viel gefragter Kommentator zur deutschen Außenpolitik und zu den Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten. Perthes lehrte in Duisburg, Beirut, München und Berlin und ist durch zahlreiche Veröffentlichungen zum Nahen und Mittleren Osten einem breiten Publikum bekannt geworden.

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Leseprobe
Über die arabische Welt hinaus (S. 137-138)

Implikationen für europäische Politik

Die EU-Staaten und die USA wurden überrascht vom plötzlichen Anbruch des arabischen Frühlings und haben die Erfahrung machen müssen, dass sie wenig Einfluss auf den Verlauf der revolutionären Umbrüche haben. Sie können helfen oder im Weg stehen, aber die Ergebnisse bestimmen können sie nicht. Das gilt selbst für die Situation in Libyen: Zwar hätte das Qadhafi-Regime ohne das Eingreifen der NATO noch länger aushalten können, aber ob dort eine neue Diktatur, eine Art tribale Konföderation oder ein demokratisches System entsteht, ob Libyen in mehrere Teile oder in Anarchie zerfällt, wird von den libyschen Akteuren, nicht von europäischen Staaten oder der NATO entschieden werden.

Der begrenzte Einfluss Europas und der internationalen Gemeinschaft auf den Beginn und den Verlauf der Aufstände ist für sich genommen eher ein Vorteil: Die Schönheit der ägyptischen wie der tunesischen Revolution liegt neben dem friedlichen Verlauf gerade darin, dass sie autochthon waren und dass alle Vorwürfe, sie seien das Werk ausländischer Agenten, ins Leere gingen. Wenig Einfluss zu haben heißt aber nicht, der Verantwortung zu entgehen.

Es fällt auf, dass auf den arabischen Websites und Blogs, die die Aufstände und Revolutionen begleiten, eher wenig über Europa diskutiert wird. Die Aufbruchsgeneration ist Europa gegenüber ausgesprochen freundlich gesinnt, aber die europäischen Regierungen werden, wenn über ihre Politik überhaupt debattiert wird, überwiegend für zynisch gehalten. 81 Dabei hat man durchaus konkrete Erwartungen an Europa, die von Investitionen bis zur technischen Unterstützung beim Aufbau demokratischer Institutionen und zur Reisefreiheit reichen.

Tatsächlich hat Europa sowohl eine Verantwortung als auch ein Interesse, die Zusammenarbeit mit der Region – und insbesondere mit den Umbruchstaaten – auszuweiten und zumindest partiell neu zu gestalten. Jeder Umbruch birgt Risiken, und auch in Europa fanden sich die üblichen Alarmisten, die in den Revolutionen und Aufständen zunächst nur Gefahren sehen wollten. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Risiken der Umbrüche in unserer südlichen Nachbarschaft vor allem kurzfristiger Natur sind, die Chancen aber schon mittelfristig überwiegen, und sei es nur, weil besser regierte Staaten, die ihre Bürger besser behandeln, auch bessere Nachbarn und Partner sind.

Europa ist nicht der einzige internationale Spieler in der Region. Allerdings ist das Interesse anderer Mächte viel selektiver. Das strategische Interesse der USA richtet sich vor allem auf den Persischen Golf und auf Israel und dessen unmittelbare Nachbarschaft. Sie werden in beiden Bereichen engagiert bleiben. Das wünschen die meisten regionalen Akteure auch. Die arabischen Golfstaaten setzen weiter, trotz aller Differenzen, auf amerikanische Hilfe gegen die Hegemonialansprüche Irans.

Im Nahen Osten sehen selbst die arabischen Konfliktparteien, die den USA vorwerfen, nicht neutral zu sein, in aller Nüchternheit, dass ohne einen entscheidenden Beitrag Washingtons auch weiterhin keine friedliche Regelung des Nahostkonflikts zu erwarten ist. Washingtons strategische Interessen im Mittelmeerraum sind allerdings begrenzt. Ägypten wird, neben Israel, als strategischer Partner betrachtet, dagegen ist das Interesse an den anderen Staaten der Region nachrangig. Das hat die US-Regierung mit Blick auf den Libyen-Krieg sehr deutlich gemacht, den man gern ganz den europäischen Verbündeten überlassen hätte.

China, Indien und Südkorea verbindet ein rasant wachsendes wirtschaftliches Interesse mit der Region. China hat den Handelsaustausch mit den Staaten im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts verzehnfacht, Indien hat ihn verachtfacht, Korea immerhin noch verdreifacht. Alle drei Staaten weisen gegenüber der Region ein Handelsbilanzdefizit auf. Sie haben deshalb ein großes Interesse, mehr Waren in die Region zu exportieren und mehr Aufträge für große Bau- und Infrastrukturprojekte zu erhalten. Aber sie werden sich wenig um die politischen Prozesse in diesen Ländern kümmern.
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