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E-Book

Der Aufstand

17. Juni 1953

AutorGuido Knopp
VerlagEdel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783955302658
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Kaum ein Datum in der Geschichte der beiden deutschen Staaten ist so zur Legende geworden wie der 17. Juni 1953. In der Bundesrepublik wurde dieser Tag zum Symbol - für den Kampf aller Deutschen um Freiheit und Demokratie. In der DDR hingegen versuchte das Regime, die Erinnerung daran auszulöschen. Das Geschehen und seine Hintergründe wurde bisher weder in einer großen Fernsehdokumentation noch in einer bedeutenden populären Buchpublikation gewürdigt - dabei war es einer der Meilensteine deutscher Nachkriegsgeschichte. Wer wäre besser geeignet, diese Lücke zu schließen, als Guido Knopp? In seinem Werk schildert er die Ereignisse um diesen historischen Tag in all ihrer Dramatik. Er erzählt, wie sich die Wut der aufgebrachten Massen entlud, wie sie für freie Meinungsäußerung und freie Wahlen auf die Straße gingen. Ohne das Eingreifen der Sowjetpanzer wäre der Aufstand erfolgreich verlaufen - und die Einheit vielleicht früher gekommen.

Prof. Dr. Guido Knopp, Jahrgang 1948, war jahrzehntelang Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte. Zuvor war er Redakteur der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' und Auslandschef der 'Welt am Sonntag'. Als Autor publizierte er zahlreiche internationale Sachbuch-Bestseller. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Jakob-Kaiser-Preis, der Europäische Fernsehpreis, der Telestar, der Goldene Löwe, der Bayerische und der Deutsche Fernsehpreis, das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und der Internationale Emmy.

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Leseprobe

Der »Neue Kurs«


Was sie denn davon hielten, fragte Lawrentij Berija am 27. Mai 1953 fast beiläufig die Mitglieder des sowjetischen Ministerrates, wenn man den Sozialismus in der DDR über Bord werfe? Wie es denn wäre, die Gleise für ein vereinigtes, neutrales und nicht sozialistisches Deutschland zu stellen? Seine Zuhörer glaubten zunächst, sie hätten sich verhört. Außenminister Wjatscheslaw Michajlowitsch Molotow erinnerte sich später, dass Berija sich von den verblüfften Gesichtern um ihn herum nicht hatte beirren lassen, sondern völlig ungerührt weitergeredet habe. »Alles, was wir wollen, ist ein friedliches Deutschland, und dabei spielt es keine Rolle, ob es sozialistisch ist oder nicht.« Seit Stunden schon hatten die Politiker über die alarmierenden Flüchtlingszahlen in der DDR und die prekäre finanzielle Situation des westlichsten Trabanten debattiert. Die meisten plädierten für eine sanfte Kurskorrektur. Aber würde das reichen?

Die DDR schlingerte nun schon seit Monaten am wirtschaftlichen Abgrund, und noch immer war keine Besserung in Sicht. Berijas Gedankengang war eigentlich simpel: Wenn der Sozialismus in der DDR tatsächlich nicht durchzusetzen war, man also das halbe Deutschland nicht ganz bekommen konnte, war es dann nicht besser, das ganze Deutschland halb zu haben? Nicht, dass dieser Gedanke gänzlich neu gewesen wäre. Selbst der »weise Vater der Völker« hatte ihn schließlich ein Jahr zuvor mehr oder minder ernsthaft vorgetragen. Während Stalins »Angebot« aber noch mit einer Kette von Bedingungen verknüpft gewesen war, schien Berija den Trabanten jetzt einfach fallen lassen zu wollen. »Die DDR?«, fragte er in die Runde, wie sich der spätere Außenminister Gromyko erinnerte. »Die ist nicht einmal ein richtiger Staat. Sie wird nur durch sowjetische Truppen aufrecht erhalten, auch wenn wir sie Deutsche Demokratische Republik nennen.« Wie recht er damit hatte, würde sich wenige Wochen später zeigen.

Mit dem Frühjahr 1953 hatte das Eis in Moskau zu schmelzen begonnen. Die Fesseln, mit denen der Diktator das Land fast drei Jahrzehnte kujoniert hatte, lockerten sich. So öffneten sich für Häftlinge, die zu weniger als fünf Jahren verurteilt waren, unerwartet die Lagertore. Auch diejenigen, die in den letzten Tagen vor Stalins Tod verhaftet worden waren, kamen frei, dazu Zehntausende politischer Häftlinge. Die Kremlärzte, die Stalin unter dem Vorwurf, sie seien für den Tod führender Politiker verantwortlich, hatte einkerkern lassen, wurden rehabilitiert. Das alles waren deutliche Zeichen, dass die neuen Herren im Kreml Schluss machen wollten mit stalinistischer »Säuberung« und willkürlicher Verfolgung im eigenen Land.

Und auch nach außen hin wurde eine andere Gangart eingeschlagen. Trotz aller Querelen wussten Stalins Diadochen, dass der Tod des Diktators sie in eine höchst prekäre Situation manövriert hatte. Sosehr man ihn auch gehasst hatte: Josef Stalins eiserne Hand hatte das riesige Reich zusammengehalten. Auf internationalem Parkett jedoch hatte der Diktator das Land isoliert. Es war an der Zeit, versöhnlichere Töne anzuschlagen, wollte man nicht im Eiskeller des Kalten Krieges erstarren. Und die zarten Versöhnungsfühler, die die Kremlherren nach Westen ausstreckten, wurden von der internationalen Diplomatie sofort registriert.

Als nur wenige Tage nach Stalins Tod, am 12. März 1953, ein britisches Flugzeug in den Luftkorridor über der DDR eindrang und von den Sowjets abgeschossen wurde, hielt der Westen bereits die Luft an. Solche Vorfälle hatten in der Vergangenheit immer wieder zu prekären Situationen geführt. Zu blank lagen die Nerven im Kalten Krieg – ein winziger Funke konnte das Pulverfass hochgehen lassen. Umso überraschender war die Reaktion der Sowjets. In freundlicher Wortwahl wurde angeregt, eine Dreimächtekonferenz über die Fragen der Luftraumsicherheit in Deutschland abzuhalten. War da tatsächlich Tauwetter angesagt? Es sah ganz danach aus.

In den russischen Medien verstummte die gewohnte Propagandafanfare gegen die USA. Georgij Malenkow erinnerte gar an die guten alten Zeiten der »Anti-Hitler-Koalition«. Man solle, so appellierte der sowjetische Regierungschef, die internationalen Querelen auf diplomatischem Wege lösen. Die lang eingeforderten Gebietsansprüche an die Türkei wurden fallen gelassen, und die völlig zum Stillstand gelangten Waffenstillstandsverhandlungen in Korea kamen endlich wieder ins Rollen. Nun war es an den führenden Staatsoberhäuptern des Westens zu antworten.

Doch die Signale, die Moskau aus Washington erhielt, waren zunächst widersprüchlich. Winston Churchill schien durchaus zugänglich. Der letzte noch regierende Vertreter der Kriegsalliierten regte am 20. April sowie noch einmal am 11. Mai im britischen Unterhaus an, eine west-östliche Gipfelkonferenz über alle strittigen Fragen abzuhalten. Der amerikanische Präsident Eisenhower allerdings war gerade erst wenige Wochen im Amt. Sein Außenminister John Foster Dulles hatte sich lautstark das Schlagwort »Rollback«, also die Zurückdrängung des Kommunismus, auf die Fahnen geschrieben. Am 16. April rief der amerikanische Präsident in einer Rede vor der amerikanischen Gesellschaft der Zeitungsverleger den Kreml auf, »handfeste Beweise« vorzulegen, dass man mit Stalins Vermächtnis gebrochen habe. Dulles griff zu härteren Tönen: »Wir tanzen nach keiner russischen Pfeife«, tönte er vollmundig vor der gleichen Versammlung. Amerika – so scheint es – traute den Kremlherren nicht. Zunächst einmal sollten die Geheimdienste ausloten, was denn hinter dem Eisernen Vorhang eigentlich los sei.

Tatsächlich schien alles möglich zu sein in diesen Frühlingswochen des Jahres 1953. Selbst dass die Sowjetunion ihren Schützling DDR würde fallen lassen. Was hinter Berijas erstaunlichem Vorstoß gesteckt hat, darüber lässt sich – vor allem, da substanzielle Dokumente, so sie denn überhaupt vorhanden sind, noch nicht freigegeben wurden – trefflich spekulieren. Fakt ist, dass Lawrentij Berija weit weniger ideologisch festgefahren war als viele seiner Parteigenossen – nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus purem Pragmatismus. Stalins Scharfrichter, wie er hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, war ein Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging. »Menschen zu opfern, machte ihm nichts aus«, erinnert sich Vitalij Tschernjawskij, »er war perfekt im Spinnen von Intrigen und im Ausnutzen von Seilschaften«. Tschernjawskij weiß aber auch, wo die Stärken Berijas lagen. »Im Gegensatz zu vielen anderen Ministern verstand Berija sein Handwerk.«

„Berija war ein grausamer Mann. Wenn ihm beispielweise Stalin befahl, Uranvorkommen ausfindig zu machen, so hat Berija die besten Geologen verhaftet und sie auf die Suche geschickt mit den Worten: ›Wenn Sie Uran finden, werden Sie die reichsten Männer der Sowjetunion. Wenn Sie aber versagen und nichts finden, schicke ich Sie in den Staub der Lager.‹“
Valentin Falin, sowjetisches Außenministerium

Sein Handwerk – das waren in erste Linie Informationen, die ihm von seinen Spitzeln laufend zugetragen wurden. Er dürfte 1953 wohl zu denjenigen gehört haben, die am besten wussten, wie kritisch die Situation in Ostdeutschland tatsächlich war. Die DDR, das propagandistische Aushängeschild, das sichtbarste Zeichen des Sieges im »Großen vaterländischen Krieg«, hatte sich als schwerer Klotz am Bein entpuppt. »Schon Ende April hatte Berija von ihm besonders geschätzte Agenten aktiviert«, berichtet Valentin Falin. »Sie sollten klären, was die Westmächte und die Bundesrepublik zu zahlen bereit waren, wenn wir ökonomische Abstriche in der DDR machten.« Berija wollte wissen, so Falin, wie lange es noch möglich sein würde, einen Preis für die DDR zu kassieren. »Denn später, das wusste er, würden wir vielleicht gar nichts mehr dafür bekommen.« Vitalij Tschernjawskij, der zu dieser Zeit eine Spezialabteilung im sowjetischen Geheimdienst leitete, gibt Falin Recht: »Wir hatten errechnet, dass wir in den kommenden Jahren 20 Milliarden Dollar würden hinblättern müssen, um die DDR am Laufen zu halten. Das waren ungeheuerliche Summen.« Tschernjawskij war nach eigener Aussage selbst dabei, als Berija die Frage in den Raum stellte, was man den Deutschen bieten müsse, damit sie den Weg in die Neutralität gehen würden.

Lawrentij Berija war sicher kein früher Gorbatschow. Ob hinter seinem Vorstoß tatsächlich ein bis ins Letzte durchdachter Plan steckte, darf nach allem, was wir heute wissen, bezweifelt werden. Aber Berija hatte, im Gegensatz zu vielen seiner Parteigenossen im sowjetischen ZK, erkannt, dass die Entwicklung in der DDR in eine Richtung lief, die für die anderen Satellitenstaaten und vielleicht sogar für die Sowjetunion selbst fatal sein konnte. Wie weit seine Aktivitäten tatsächlich gingen, ist aus der Rückschau kaum noch zu beurteilen, denn seine Rivalen, die den Geheimdienstchef kurz nach dem 17. Juni stürzten, haben das Bild nach Kräften verwischt.

„Berija handelte wie ein Agent des Imperialismus. Nichts hätte dem westlichen Imperialismus einen größeren Dienst erwiesen, als wenn Berijas ablehnende Haltung gegenüber dem Sozialismus in der DDR erfolgreich gewesen wäre.“
Aus den Erinnerungen des damaligen sowjetischen Außenministers Wjatscheslaw Molotow

In ihrem Bestreben, Berija »konterrevolutionäres Verhalten« nachzuweisen, wurden auch seine deutschlandpolitischen Initiativen von der Sowjetführung kräftig aufgebauscht, da sie hervorragendes Beweismaterial für Berijas vermeintliche »Schuld« darstellten. Der wahre Kern ist dahinter fast zur Unkenntlichkeit verschwunden, aber Tatsache bleibt: Die Stimmung in Moskau war eine andere geworden nach Stalins Tod....

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