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Der Ausbruch des Warschauer Aufstandes. Ursachen und Motive

AutorLukasz Galkowski
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl167 Seiten
ISBN9783668417670
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Der Warschauer Aufstand vom 1. August 1944 gehört zu den tragischsten Ereignissen der neuesten Geschichte Polens. Statt der erhofften Befreiung nach fast fünf Jahren deutschen Besatzungsterrors folgte für die Stadt und ihre Bewohner ein neues Martyrium. Der Aufstand endete nach 63 Tagen erbitterter Kämpfe mit einer verheerenden Niederlage der Aufständischen um die polnische Untergrundarmee 'Armia Krajowa', einer fast völligen Zerstörung der einstigen Metropole und dem Tod von circa 200.000 Menschen. In diesem Buch werden Motive und Ursachen, die zum Ausbruch des Warschauer Aufstandes geführt haben, herausgearbeitet. Dies ist deswegen erklärungsbedürftig, weil die Entscheidung, unter den gegebenen Umständen zur Waffe zu greifen, aus objektiver Sicht irrational erscheint: Das Ende der deutschen Besatzung in Warschau stand angesichts der Entwicklungen an der Ostfront unmittelbar bevor, die Aufständischen waren den deutschen Einheiten deutlich an Waffenmaterial unterlegen und die Einflusssphären in Europa waren bereits im Dezember 1943 auf der Konferenz in Teheran abgesteckt worden. Die Frage, warum dennoch die Entscheidung zum Kampf um die Stadt gefallen ist, steht im Mittelpunkt dieses Buches. Diesem liegt ein handlungstheoretischer Ansatz zugrunde, der die methodologischen Schwächen früherer Arbeiten beheben soll. Aus dem Inhalt: -Polnische Unabhängigkeitskämpfe; -Die 'Polnische Frage'; -Widerstandsbewegung; -Aktion 'Gewitter'; -Warschau als Kulminationspunkt

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Leseprobe

3 Die „polnische Frage“ im Zweiten Weltkrieg


 

3.1 Die Exilregierung


 

3.1.1 Entstehung und Struktur


 

Die Bündnispolitik der „Zweiten Republik“ hat Polen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 nicht vor dem erneuten Verlust seiner Unabhängigkeit bewahrt. Die Kriegserklärungen der Verbündeten Großbritannien und Frankreich an Deutschland am 3. September haben keine reale militärische Unterstützung für das Land in seinem einsamen Kampf gegen die den polnischen Streitkräften deutlich überlegene Wehrmacht im Westen und die Rote Armee im Osten nach sich gezogen. So konnten die beiden Aggressoren nach der Kapitulation Warschaus am 28. September 1939 gemäß dem Geheimprotokoll im deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag vom 23. August 1939 die vierte Teilung Polens vollziehen.[75] Doch haben Polens Bündnispartner die Fortexistenz des geschlagenen Staates im Exil ermöglicht. Ein solches Manöver war sogar durch die Aprilverfassung von 1935 vorgesehen, die das Vorgehen im Kriegsfall regelte.[76] Allerdings waren die höchsten staatlichen Würdenträger nach ihrer Flucht aus Polen nicht in der Lage, ihre Ämter wahrzunehmen: Nachdem Oberbefehlshaber Edward Śmigły-Rydz, Staatspräsident Ignacy Mościcki und die Regierung in der Nacht vom 17. auf den 18. September die Grenze zum verbündeten Rumänien überschritten hatten, wurden sie dort auf Druck der Deutschen interniert und waren somit nicht handlungsfähig.[77] Auf Grundlage der Artikel 13 und 24 der Verfassung übertrug Mościcki deshalb sein Amt am 30. September 1939 an einen seiner Vertrauten, Władysław Raczkiewicz.[78] Dieser ernannte am 1. Oktober in Paris General Władysław Sikorski zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Bildung des Kabinetts.[79] Damit war die institutionelle Kontinuität der „Zweiten Republik“ auch nach dem militärischen Untergang Polens völkerrechtlich gesichert. Die Regierung wurde sofort sowohl von Frankreich als auch von Großbritannien und den Verbündeten dieser beiden Mächte als legale Vertretung des polnischen Staates anerkannt.

 

Diese Kontinuität ging aber mit einem fast vollständigen Elitenwechsel einher. Sikorski distanzierte sich nach seiner Amtsübernahme als Premierminister gleich von seinen Vorgängern, die er als „system of irresponsible Governments“[80] bezeichnete. Die ehemaligen Vertreter des Sanacja-Regimes waren demzufolge in Frankreich stark marginalisiert. Ihr einziger starker Mann in der Exilregierung war der in der Armee hochangesehene General Kazimierz Sosnkowski, der zudem von dem Leukämiekranken Raczkiewicz zu seinem Nachfolger designiert wurde. Raczkiewicz hatte sich zwar nach 1926 ebenfalls dem Sanacja-Regime gefügt, doch verzichtete er im Rahmen der sogenannten „Pariser Vereinbarungen“ zugunsten der Regierung auf seine starken exekutiven Rechte, die sich aus der Aprilverfassung ergaben, und hatte dadurch nur geringen Einfluss auf die laufende Politik. Somit waren die Vertreter der ab 1926 oppositionellen Sozialisten (Polnische Sozialistische Partei, polnisch: Polska Partia Socjalistyczna, PPS), Christdemokraten (Partei der Arbeit, polnisch: Stronnictwo Pracy, SP), Nationaldemokraten (Nationalpartei, polnisch: Stronnictwo Narodowe, SN) und der Bauernpartei (polnisch: Stronnictwo Ludowe, SL) in der Sikorski-Regierung tonangebend, die „eine Bevorzugung der Zentrums- und Rechtsparteien [aufwies], durch die die politische Linke majorisiert wurde“[81]. In dem als Ersatzparlament gedachten 19-köpfigen Nationalrat (polnisch: Rada Narodowa) tagten ausschließlich Vertreter dieser vier Parteien. Damit bleibt festzuhalten, dass die Exilregierung über die Verfassung zwar rechtlich eine Erbin der „Zweiten Republik“ war, jedoch ihre Zusammensetzung einen Bruch mit dem autoritären Regime der Jahre 1926 bis 1939 darstellte.

 

Kurz vor der Kapitulation Frankreichs im Sommer 1940 siedelte die Exilregierung vom französischen Angers, wo sie seit Mitte November 1939 tätig war, nach London über. Nach dem Tod Sikorskis bei einem Flugzeugabsturz am 4. Juli 1943 übernahm der Führer der Bauernpartei, Stanisław Mikołajczyk, bis zu seinem Rücktritt am 10. Oktober 1944 das Amt des Premierministers.

 

3.1.2 Ziele


 

Am 28. November 1939 definierte die polnische Regierung ihre Ziele.[82] Als ihre Hauptaufgabe im Krieg bezeichnete sie:

 

„[...] die Befreiung der Gebiete der Republik [Rzeczpospolita] von der feindlichen Okkupation durch eine größtmögliche Beteiligung am Krieg und, neben einem freien und breiten Zugang zum Meer, solche Grenzen für Polen herzustellen, die Sicherheit gewährleisten.“[83]

 

Dieser Kampf sollte als Verbündeter der Westmächte geführt werden, „auf Basis voller staatlicher Gleichberechtigung [...] sowie enger Zusammenarbeit und Verständigung, sowohl bei der Kriegsführung und bei der Festlegung der Ziele des Krieges als auch beim Friedensschluss“[84]. Für die Staatenordnung im ostmitteleuropäischen Raum strebte Polen eine Konföderation slawischer Länder an, die „auch baltischen Staaten einen Rückhalt gibt sowie den Drang Deutschlands nach Osten abwehrt und Deutschland von Russland abtrennt.“[85] Der künftige polnische Staat soll auf demokratisch-liberalen Grundlagen und nicht mehr auf dem Kult des Individuums aufgebaut sein.[86] Der Ministerrat hatte bereits am 6. Oktober in einem Aufruf versichert, dass es sein Ziel für die Kriegszeit sein wird, „ein großes und starkes Polen wiederaufzubauen, das für alle seine Bürger auch gerecht sein wird“[87]. Hinsichtlich der Grenzen fällt hier auf, dass die polnische Regierung von Anfang an den Standpunkt vertrat, dass Polen auf Kosten Deutschlands für dessen Aggression entschädigt werden sollte – nur dadurch war der geforderte breite Zugang zum Meer möglich – und die Verschiebung der Grenzen im Westen nicht, wie es später praktiziert worden ist, als Ausgleich für die Gebietsverluste im Osten an die Sowjetunion gedacht war. Die polnische Exilregierung ging ohnehin von der Unantastbarkeit der Ostgrenze Polens aus.[88] Von den regierungsbildenden Parteien bekräftigte unter anderem die PPS, dass „die polnisch-sowjetische Vorkriegsgrenze [...] keinerlei Verschiebungen nach Osten bedarf und keinerlei Verschiebungen nach Westen erlaubt“[89]. Diese Betonung resultierte aus der Annektierung polnischer Ostgebiete durch die Sowjetunion nach deren Aggression im September 1939, womit sie die Bestimmungen des Friedensvertrags von Riga verletzte.[90] Dort war am 18. März 1921 die polnisch-sowjetische Grenze festgelegt worden.[91] Sie verlief zwar deutlich weiter westlich als die Grenze des Königreichs Polen-Litauen vor der ersten Teilung im Jahr 1772, aber 150 Kilometer weiter östlich im Vergleich zu der von den Entente-Mächten ausgearbeiteten und insbesondere von den Briten bevorzugten „Curzon-Linie“, die noch während des polnisch-sowjetischen Krieges als Kompromisslösung ausgearbeitet worden war und nur überwiegend ethnisch polnische Gebiete auf polnischer Seite beließ.[92] Das ging mit einer hohen Anzahl an nationalen Minderheiten in der „Zweiten Polnischen Republik“ (1918-1939) einher: Laut Volkszählung von 1931 waren 13,9 Prozent der Gesamtbevölkerung im polnischen Staat ethnische Ukrainer und 3,1 Prozent Weißrussen.[93] Auf polnischer Seite verblieben damit auch zwei große, von anderen Nationen, die innerhalb der UdSSR lebten, beanspruchte Zentren: Wilna (Litauen) und Lemberg (Ukrainer). Die Sowjetunion begründete ihre Ansprüche auf diese Gebiete im Zweiten Weltkrieg mit dem Argument, dass es die Westmächte waren, die die „Curzon-Linie“ ausgearbeitet haben und diese auch von Polen in der kritischen Phase des Krieges Zustimmung fand. Die Sowjets haben deshalb nach dem Einmarsch der Roten Armee im September 1939 vollendete Tatsachen geschaffen und annektierten durch einen Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR vom 1./2. November 1939 ein rund 200.000 Quadratkilometer großes Gebiet, auf dem etwa 5,1 Millionen Polen, 4,7 Millionen Ukrainer und 2 Millionen Weißrussen lebten.[94] Die Grenze zu den von den Deutschen besetzten Gebieten verlief auf Grundlage des deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrags vom 28. September sogar noch etwas weiter westlich der „Curzon-Linie“.[95] Die Entpolonisierung dieser Gebiete betrieben die Sowjets auf Grundlage des Dekrets „Über den Erwerb der Staatsbürgerschaft der UdSSR durch die Bewohner der westlichen Bezirke der Ukrainischen und Weißrussischen Sowjetrepubliken“ vom 29. Oktober 1939. Dieser zwang die dort lebenden Polen zur Annahme der Staatsbürgerschaft der UdSSR.[96] In den Jahren 1940/41 wurden zudem mehr als 300.000 Polen, meist Frauen und Kinder, aus ihrer Heimat in Ostpolen vertrieben und in Sonderlager in Mittelasien, im hohen Norden oder in Sibirien gebracht.[97]

 

Die 1939 genannten Ziele hat Sikorski in seiner Grundaussage vor dem Nationalrat am 24. Februar 1942 bestätigt, wobei er das 1941 geschlossene Abkommen mit der Sowjetunion nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 als Realpolitik...

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