Sie sind hier
E-Book

Der Außenpolitiker Hermann Müller 1919-20

AutorPhilipp Robens
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl71 Seiten
ISBN9783640415960
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Gesch. Europa - Deutschland - I. Weltkrieg, Weimarer Republik, Note: 2,8, Universität zu Köln (Historisches Seminar I), Sprache: Deutsch, Abstract: Als der ehemalige Reichskanzler und -außenminister Hermann Müller 1931 starb, nahm das ganze Land daran regen Anteil. Politiker aller demokratischen Parteien würdigten den Sozialdemokraten und sprachen ihr Beileid aus, auf den Titelseiten der Zeitungen im In- wie Ausland wurde seiner gedacht und Hunderttausende begleiteten Müllers Trauerzug durch das Berliner Stadtzentrum. Heute hingegen scheint der Politiker weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein - selbst in Historikerkreisen. Keine wissenschaftliche Biographie beschäftigt sich mit dem Mann, der als erster parlamentarischer Außenminister in die deutsche Geschichte einging, der als letzter Reichskanzler eine parlamentarische Mehrheit hinter sich wusste und der in Versailles den Friedensvertrag mit den Alliierten unterschrieb, welcher in der kurzen Phase der Weimarer Republik immer mit seinem Namen verbunden bleiben sollte. So wenig sich bislang mit der Person Müllers auseinandergesetzt wurde, so wenig ist auch seine Außenpolitik gewürdigt worden. Gerade deshalb erscheint es lohnend, sich konkret mit Hermann Müllers Tätigkeit als Außenpolitiker auseinanderzusetzen.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

3 Herausforderungen der deutschen Außenpolitik  von 1919 bis 1920


 

Das vorangehend darzustellende umfangreiche Programm Hermann Müllers stellt sich als eine zukunftsweisende und dem Frieden und der internationalen Verständigung verpflichtete Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik dar. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass Müller als Außenminister eines im Weltkrieg vollkommen unterlegenen und unter den Folgen des Krieges massiv leidenden Deutschen Reiches nur wohlfeile Ankündigungen machte, um darüber bei den Alliierten erste Revisionserfolge zu erreichen. Es bedarf also der Prüfung, ob der Reichsminister des Auswärtigen sein Programm zur Ausführung bringen konnte beziehungsweise ob er wenigstens tatsächlich darum bemüht war. Hierzu soll in den nachfolgenden Kapiteln exemplarisch (insbesondere anhand der Bestimmungen des Versailler Vertrages und der Baltikumpolitik) der Versuch unternommen werden, um Rückschlüsse über die Aufrichtigkeit der Müller’schen Außenpolitik ziehen zu können.

 

3.1  Hermann Müllers außenpolitisches Programm


 

Das Kabinett Scheidemann mit seinem Außenminister Graf Brockdorff-Rantzau sah sich nicht in der Lage, den Vertrag von Versailles zu unterzeichnen,[61] der letztlich auch teilweise ein Produkt der eigenen gescheiterten Außenpolitik war. Nach der immerfort reflexartig vorgebrachten Forderung eines „Rechtsfriedens“ hätte sich die Regierung Philipp Scheidemanns damit vollkommen diskreditiert. Gleichwohl war den Mehrheitsparteien – zumindest SPD und Zentrum – klar, dass eine Annahme des Friedens unausweichlich war, wollte man nicht die gesamte Existenz des Reiches aufs Spiel setzen.[62] Müller war dabei eine der treibenden Kräfte innerhalb der Sozialdemokratischen Fraktion, die zur Unterzeichnung drängten. Es gelang ihm, die SPD – trotz einiger Abweichler[63] – auf seine Linie einzuschwören.

 

In dieser schwierigen Situation wurde die Regierung umgebildet und ein neues Kabinett unter Reichsministerpräsident Gustav Bauer übernahm die Geschäfte. Hermann Müller übernahm darin das undankbare Außenressort und brachte „das schwere Opfer“[64], als erste Amtshandlung den Vertrag gemeinsam mit dem Zentrumsminister Johannes Bell unterschreiben zu müssen.

 

Nach der Unterzeichnung sah sich Müller gezwungen, auf Grundlage der wenigen außenpolitischen Aussagen seiner Partei und der verfahrenen Lage Deutschlands ein Regierungsprogramm zu entwickeln, das der neuen Situation gerecht werden konnte. Bereits bei der Ratifizierung des Vertragswerkes in der Nationalversammlung am 9. Juli 1919 hatte der neue Reichsaußenminister die Devise dieser neuartigen Außenpolitik ausgegeben: Zwar erneuerte er in seiner Rede den parteiübergreifenden Protest gegen „diese vertraggewordene Vergewaltigung“, kündigte aber gleichzeitig eine „Vertragserfüllung bis zum Äußersten“[65] an. In seiner großen Programmrede am 23. Juli 1919 ließ Müller ebenfalls keinen Zweifel daran, dass er gewillt war, den Versuch zu unternehmen, den Versailler Vertrag „loyal zur Ausführung zu bringen.“[66] Gleichzeitig äußerte er die Hoffnung, dass durch diese entgegenkommende Politik Teile des Vertrages einer Revision zu unterziehen seien, „deren Erfüllbarkeit an der harten Macht der Tatsachen scheitert.“[67] Bereits unmittelbar nach der Unterzeichnung äußerte er in einer persönlichen Erklärung die Hoffnung, dass die Sieger des Krieges im eigenen Interesse eine solche Politik unterstützen würden.[68]

 

Müller nahm also in soweit keine Sonderstellung in der politischen Landschaft ein, als dass nicht auch er den Versailler Vertrag mittel- und langfristig zu überwinden trachtete. Er verknüpfte den Revisionsgedanken aber mit einer friedlichen Außenpolitik, die dafür Sorge tragen sollte, dass Deutschland seinen Platz in einer europäischen Friedensordnung einnehmen könnte, in der „Streitigkeiten unter den Völkern nicht mehr mit Pulver und Blei ausgefochten werden dürfen.“[69] Militärische Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen schloss Hermann Müller kategorisch für die Zukunft aus,[70] eine Maxime, die zum außenpolitischen Konsens der staatstragenden Parteien Weimars werden sollte.[71] Eine Verbesserung der deutschen Lage wollte der Minister mittels „moralischer Eroberungen in der Welt“[72] erreichen. Das Deutsche Reich müsse den Siegern beweisen, dass es zukünftig zu Frieden und Verständigung bereit sei und sich dem neuen demokratischen Staatswesen verpflichtet fühle.[73]

 

Müller gab sich dabei nicht der Illusion hin, dass die ehemaligen Kriegsgegner das Reich sehr bald als Partner und nicht als Feind betrachten würden.[74] Er verkannte nicht, dass die vergangene Kriegspolitik, für die die Republik nun in Haftung genommen wurde, ihr „die Sympathie der ganzen Welt geraubt“[75] habe. Als umso wichtiger stellte er daher die Wiedergutmachung und den Wiederaufbau in den zerstörten Gebieten Belgiens und Nordfrankreichs heraus, was ihm heftigen Protest der Rechtsparteien einbrachte.[76] Selbst die liberalen oder politisch links stehenden Zuhörer der Programmrede, wie den Diplomaten Harry Graf Kessler, mochte diese lange Passage der Müller-Rede erstaunen. Kessler wunderte sich über den „warmen Ton“, den Müller gebrauchte, „als er von Frankreich sprach.“[77] Als „merkwürdig“ empfand er diese versöhnlichen Worte in einer Zeit, „da uns Frankreich den Fuß auf den Nacken setzt.“[78] Der Außenminister hatte – als er zur Vertragsunterzeichnung nach Versailles fuhr – vom Zug aus die Zerstörungen mit eigenem Auge sehen können und war zutiefst erschüttert.[79] Dies mag erheblich dazu beigetragen haben, dass er dem Wiederaufbau eine so große Bedeutung beimaß und hoffte, dass dieser „dazu beitragen wird, die beiderseitigen Beziehungen auf einen anderen Fluss zu bringen.“[80]

 

Als vordringliches Ziel formulierte Müller deshalb auch die Aufnahme in den neugeschaffenen Völkerbund,[81] von dem er hoffte, er könne die deutsche Lage entscheidend zu verbessern helfen, indem über ihn der Versailler Vertrag korrigiert werden könne. Dennoch bzw. gerade deswegen kritisierte er sowohl die Ausgestaltung des Völkerbundes als „Bund der Kabinette“[82], wie auch die Tatsache, dass „ein Völkerbund ohne das deutsche Volk und ohne das russische Volk“[83] kein wahrer Völkerbund sein könne. Da der Reichsaußenminister fest davon ausging, dass ein „wahrer Völkerbund“[84], wie er in Zukunft „mit allen die guten Willens sind“[85] zu gestalten sei, das wesentliche Element einer künftigen Friedensordnung darstelle, wies er alle Methoden der Außenpolitik, die dem Bestreben nach deutscher Aufnahme in den Völkerbund und seiner weiteren entsprechenden Ausgestaltung im Wege ständen, zurück: Die „unselige Politik der Allianzen“ müsse ebenso ein Ende haben wie die „Geheimdiplomatie mit ihrem Intrigenspiel.“[86]

 

Keineswegs als Schande oder Unglück nahm Müller die grundsätzliche Verpflichtung Deutschlands zur Abrüstung wahr, hatte doch das Militär in seinen Vorstellungen ohnehin im Rahmen der Außenpolitik ausgedient. „Zu einem Segen für die ganze Welt“[87], könne die Abrüstung jedoch nur werden, wenn nicht nur Deutschland abrüste, sondern die anderen Staaten gleichermaßen sich daran beteiligen würden. Dies sei ein erklärtes Ziel der deutschen Außenpolitik.

 

Besonders hervorzuheben ist auch Hermann Müllers Wunsch nach „gute[n] Beziehunge[n]“ und „auskömmliche[n] Verhältnisse[n]“[88] mit den neu entstandenen Staatswesen an der Ostgrenze des Reiches. Diese Beziehungen waren augenblicklich stark strapaziert: Im Baltikum standen nach wie vor (mit Zustimmung der Alliierten und zum Missfallen der dortigen Bevölkerung) deutsche Besatzungstruppen. Die deutschen Abtretungen ehemaliger preußischer Ostgebiete und die bevorstehenden Abstimmungen sowie damit verbundene Unruhen hatten wiederum die Beziehungen zur polnischen Regierung vergiftet. Müller kündigte daher einen Rückzug der deutschen Truppen aus dem Baltikum an, der sich „so schnell als möglich zu vollziehen“[89] habe. In einem Verlauf dieses Kapitels wird diesem höchst komplizierten Feld deutscher Außenpolitik ein eigener Abschnitt gewidmet werden. Bei den Deutschen in den dem polnischen Staat zugeschlagenen Ostgebieten warb Müller dafür, „loyale Bürger des neuen Staatswesens“[90] zu werden. Die Grenze Polens stellte er dabei nicht in Frage[91] und hoffte so die angespannten Beziehungen zum neuen Nachbarn zu verbessern.

 

Konkreter ging Hermann Müller außerdem auf die zukünftige Gestaltung der Beziehungen zu Deutsch-Österreich und Russland ein. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die deutsche Regierung beabsichtige, über den Völkerbund einen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich herbeizuführen, wie ihn der Versailler...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Deutschland - Historie - Geschichte

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Kalte Heimat

E-Book Kalte Heimat
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Format: ePUB/PDF

Nicht willkommen. Die Vertriebenen nach 1945 in DeutschlandMit diesem Buch erschüttert Andreas Kossert den Mythos von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945. Erstmals erhalten…

Kalte Heimat

E-Book Kalte Heimat
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Format: ePUB/PDF

Nicht willkommen. Die Vertriebenen nach 1945 in DeutschlandMit diesem Buch erschüttert Andreas Kossert den Mythos von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945. Erstmals erhalten…

Informationskultur und Beziehungswissen

E-Book Informationskultur und Beziehungswissen
Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531-1598) - Studia AugustanaISSN 16 Format: PDF

Hans Fugger (1531-1598) wrote over 4,800 letters to correspondents in a Europe-wide network. These letters give an insight into domains of the life of the Fuggers and are at the same time valuable…

Weitere Zeitschriften

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

die horen

die horen

Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik."...weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste ...