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Der Bang-Bang Club

Schnappschüsse aus einem verborgenen Krieg

AutorGreg Marinovich, Joao Silva
VerlagVerlag Das Wunderhorn
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl322 Seiten
ISBN9783884234884
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
»Bang-Bang Paparazzi« nannte das südafrikanische Lifestyle-Magazin Living 1992 die Johannesburger Fotografengruppe um Kevin Carter, Greg Marinovich, Ken Oosterbroek und João Silva. Bang-Bang, weil die vier mit ihren Kameras immer vor Ort waren, als in den Jahren 1990 bis 1994, den Jahren zwischen der Abschaffung der Apartheid und den ersten freien Wahlen in Südafrika, die Auseinandersetzungen zwischen ANC und Inkatha Freedom Party gewaltsam eskalierten. Von den vier Gründern leben heute nur noch zwei. Oosterbroek starb 1994 in einem Kugelhagel, Marinovich wurde dabei schwer verletzt. Carter, der zu der Zeit den Pulitzer-Preis erhielt, setzte ein Vierteljahr später seinem Leben selbst ein Ende. Nun berichten Marinovich und Silva von sich und über einen »verborgenenKrieg«, wie ihr inzwischen verfilmtes Buch Der Bang-Bang Club im Untertitel heißt. Denn die Brutalität der Jahre 1990 bis 1994 blieb wegen der Euphorie über Nelson Mandelas Freilassung und die endlich erreichte Demokratie kaum im Gedächtnis der Öffentlichkeit haften. Marinovich und Silva schreiben aber auch über ihre Rolle als Kriegsfotografen und über Facetten der Demokratisierung, die im Stillen bis in die Gegenwart Südafrikas nachwirken.

Greg Marinovich, wurde 1962 in Südafrika als Sohn kroatischer Einwanderer geboren. Er arbeitet weltweit als Photojournalist und Dokumentarfilmer. Seine Fotos wurden in allen Internationalen Zeitungen wie Time Magazin, Newsweek und Paris Match veröffentlicht. Im Jahr 1990 gewann er den Leica Ward und 1991 den Pulitzer-Preis für Fotografie. Greg Marinovich lebt mit seiner Familie in Johannesburg. Jo?o Silva, geboren 1966 in Portugal, arbeitet als Fotograf in Krisengebieten wie Afrika, dem Balkan, Asien, Russland und dem Nahen Osten. Für seine Fotografien erhielt er zweimal den World Foto Award. João Silva lebt mit seiner Familie in Johannesburg.

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Leseprobe

2


»ACH, EIN PONDO – ER VERDIENTE ES ZU STERBEN«


Tod hat den Glücklichsten getötet

Tod hat den Glücklichsten getötet

Tod hat den Großartigen getötet, dem ich vertraute

Traditionelles Acholi-Beerdigungslied

17. August 1990

An einem sonnigen Frühlingsnachmittag 1990 mache ich im Alter von 27 Jahren die 25-Minuten-Fahrt nach Soweto, wo politisch motivierte Kämpfe ausgebrochen sind, und ich fühle, wie sich meine Kehle sachte zusammenzieht und ein Spannungsschauer von meinem Magen ausgeht und über meine Arme läuft, während ich das Lenkrad fester halte. Die Aufregung bereitet mir leichte Übelkeit; es ist wie von einem Albtraum aufzuwachen, dessen Einzelheiten man nicht mehr kennt, aber dessen Eindrücke noch nachwirken. Es ist eine unbestimmte Furcht: Ich bin irgendwie verängstigt, dass ich getötet werden könnte, erschrocken davor, was ich sehen könnte in dem Aufstand, der in den schwarzen Wohngettos explodiert ist, aber ich verstehe die Angst nicht recht. Ich habe auch keine Vorstellung davon, dass dies der Beginn eines neuen Lebens für mich ist.

Ich war – wie immer – in einem grünen, gut gepflegten Vorort des weißen Südafrika aufgewacht, hatte mich in einem weiß gefliesten Badezimmer gewaschen und mit heißem Wasser rasiert. Mein Haus wurde von einer schwarzen Frau saubergemacht, und an der Tankstelle war es ein schwarzer Mann, der mein Benzin nachfüllte und in der Hoffnung auf ein paar Cent Trinkgeld die Windschutzscheibe putzte. So war es schon mein ganzes Leben lang gewesen, trotz meiner intellektuellen Opposition zur Apartheid und meiner vorübergehenden Beteiligung an der Politik des Freiheitskampfs. Während ich aufwuchs, war mein Leben in den meisten Belangen typisch verlaufen für einen Englisch sprechenden weißen südafrikanischen Jungen.

Es gab in den 70ern eine sehr bekannte Werbemelodie, die gewissermaßen den Titelsong meiner Oberstufenjahre gab: »Wir lieben Grillpartys, Rugby, sonnige Himmel und Chevrolet / Sie gehören zusammen in der guten alten Republik Südafrika: Grillpartys, Rugby, sonnige Himmel und Chevrolet!« Dieses Liedchen brachte das Vertrauen der Weißen Südafrikas perfekt zum Ausdruck, geborgen in dem Paradies, das sie für sich selbst geschaffen hatten, trotz der internationalen Sanktionskampagnen, die unser Land isolieren und unsere Minderheitenregierung zwingen sollten, den Kurs der Apartheid zu widerrufen. Weiße Südafrikaner hatten sich zur Verteidigung in ein Laager zurückgezogen, gaben hohe Summen für die Symbole der Selbstgenügsamkeit aus und genossen außergewöhnliche materielle Vergütungen dafür, willfährige Wähler zu sein.

Ich kann nicht sagen, dass mich die Werbemelodie jemals beleidigt hätte, während ich aufwuchs. Ich spielte gern Rugby und mochte den Reiz der kontrollierten Aggression. Ich hielt auch die sonnigen Himmel und mein privilegiertes Leben für selbstverständlich, wenn ich auf den dampfenden Kacheln rund um das öffentliche Schwimmbad nahe unserem Zuhause in dem Johannesburger Vorort lag. Ich dachte nicht an schwarze Teenager in überfüllten Slums ohne Zugang zu Schwimmbecken. Und es gab immer reichlich Grillfleisch, das von den üblichen Wochenend-Grillpartys übriggeblieben war, oder frisches Barbecue.

Die Eltern meiner Mutter waren katholische Kroaten, die in den 20ern aus Jugoslawien emigriert waren, und mein Vater tauchte in den 50ern in Südafrika auf. Ich wurde in einer ausschließlich weißen, Englisch sprechenden Gemeinde aufgezogen und besuchte durchschnittliche englische Schulen. Unser einziger Kontakt zu Schwarzen war der zum Dienstpersonal – Hausarbeiter, »Gartenjungen« und »Mülljungen«. Ich benutzte niemals das Wort »Kaffir« – den muslimischen Ausdruck für »Ungläubiger«, der über Jahrhunderte entstellender Verwendung zu Südafrikas verletzendstem rassischen Schimpfwort geworden war. Ich dachte nie daran, freitagnachts zum Kaffirprügeln zu gehen – ein Brauch, bei dem Gruppen betrunkener weißer Jugendlicher nach einzelnen Schwarzen Ausschau hielten, um sie niederzuschlagen. Ich wusste, dass in unserer Gesellschaft eine Krankheit wucherte, aber damals war mir ihr Ausmaß nicht klar. Ich hielt die Annehmlichkeiten der Apartheid für selbstverständlich. Wie die meisten meiner Zeitgenossen hatte ich darin versagt, die Situation der schwarzen Südafrikaner wahrzunehmen, den Unterschied zu sehen zwischen einer Township-Schule und meinem Anwesen mit grünem Rasen, und ich hatte keine Ahnung von dem Hunger in den Homelands – den ethnisch begründeten Reservaten, in die schwarze Menschen aus dem »weißen« Südafrika hinaus zwangsumgesiedelt wurden. Meine Mutter hatte mir Sinn für Gerechtigkeit und Fairness beigebracht, der vermutlich sicherstellte, dass ich zu einem »netten« Weißen heranwuchs: einem, der seinen Militärdienst leistete, Steuern zahlte und Verteidigungsanleihen kaufte und eine weniger rassistische, verhältnismäßig liberale Partei wählte, um sein Gewissen zu beruhigen. Ich war einer dieser blinden Taubstummen, die dafür sorgten, dass Südafrika genug Geld machte, um die Apartheid zu bezahlen, ohne dass ich mir jemals die Hände schmutzig machte, indem ich jemanden direkt unterdrückte.

Ich war gerade 16, als ich meine ersten Ferien ohne meine Eltern genoss und Rum und Mampoer Moonshine, selbstgebrannten Obstschnaps, am schönen Küstenstreifen im Süden von Natal ausprobierte, der für Weiße reserviert war. Es war während dieser Sommerferien, dass ich ein afrikaanses Bauern-Mädchen kennenlernte, dessen stumpfe Zehen meine Erziehung bezüglich der rassischen Widerwärtigkeit einleiteten, die unsere Gesellschaft untermauerte.

Meine Kumpel und ich spielten Fußball am Strand, und ein dünnes, langbeiniges Mädchen mit nussbraunen Augen und wehenden Haaren spielte mit. Sie hieß Michelle und spielte wie ein Junge. Als das Spiel so langsam zu Ende kam, blieben nur wir zwei noch übrig, die den Ball kickten. Michelle erzählte mir, sie habe mit den Kindern der schwarzen Arbeiter, die auf der Farm ihres Vaters arbeiteten, Fußballspielen gelernt. Sie zeigte mir ihre Zehen, verkrümmt und verbogen vom Barfußspielen auf unebenen Feldern des Farmlands. Mit Ironie sprach sie von ihren schwarzen Spielgenossen als Kaffirs. Ich war schockiert, aber dann verstand ich, dass ihr Wortgebrauch vergleichbar war mit der Art, wie sich schwarze Amerikaner das Wort »Nigger« angeeignet hatten, um ihm den Stachel zu nehmen. Sie war in einem der rassistischsten Bereiche der weißen Gesellschaft mit schwarzen Kindern aufgewachsen. Als Kind war es ihr erlaubt gewesen, mit den schwarzen Kindern zu spielen, aber jetzt, da sie älter wurde, wurde von ihr erwartet, ihre schwarzen Freunde aufzugeben. Die größte Furcht von Weißen war es, dass eines ihrer Mädchen mit einem schwarzen Mann schläft. Michelle war ein Teenager, der gegen seine Umgebung und eine Gesellschaft rebellierte, die in Rassismus festgefahren war.

Ich war verschreckt und fasziniert von ihrer Wut, gefangen von dem Gespür für soziale Ungerechtigkeit, die irgendwie außerhalb meiner Vorstadtwelt herumwaberte. Aber mein Leben war erfüllt von Schule, Sport, Alkoholexperimenten und Lernversuchen bezüglich dieser mysteriösen Wesen, die Mädchen genannt wurden.

Als ich an die Universität nach Pietermaritzburg ging, weit weg von zu Hause, in die Ostprovinz von KwaZulu-Natal, wurde ich mit sozialistischer Politik bekannt und betreute schwarze Schulkinder aus nahegelegenen Township-Schulen, die sich für ihre Schulabschlussprüfungen vorbereiteten. Von ihnen lernte ich die damals gebannte Hymne, das Freiheitslied »Nkosi Sikelel’ iAfrika«. Die ausschließlich weiße Universität war überflutet mit giftigen Studenten vom rechten Flügel, wovon viele vor der schwarzen Herrschaft im neuerdings unabhängigen Simbabwe geflohen waren, dem früheren Rhodesien nördlich von uns. Südafrikaner nannten sie »Als Wirs«, weil sie gewöhnlich darüber jammerten, wie gut alles gewesen war, »Als wir in Rhodesien waren …«. Man konnte sie im Allgemeinen an ihren Kleidern erkennen: kurzärmlige Hemden, Rugby-Hosen, lange Socken und Wanderschuhe. Von ihnen hörte ich zum ersten Mal den Ausdruck »Sauerstoffverschwender« als Bezeichnung für schwarze Menschen, und das schockierte mich. Bald war ich in einige Schlägereien und andere hässliche Auseinandersetzungen verwickelt. Nach der Osterpause im April hörte ich, dass ich nominiert worden war, Rugby in der U-20-Provinzauswahl zu spielen. Obwohl ich sehr gern in diesem Team spielen wollte, hatte ich mich doch schon dafür entschieden, den Sport aufzugeben – der im Rugby um sich greifende Rassismus deprimierte und ärgerte mich...

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