3. Männer vs. Frauen – Wer hat hier die Hosen an?
Um zu erläutern, wieso der Beruf des Krankenpflegers als eine Frauendomäne gilt, soll zunächst die Entstehung des Berufes in der Moderne geklärt werden. Dabei lassen sich bereits erste Hinweise finden, wieso so wenige Männer in dieser Branche arbeiten. Um dies genauer darzulegen, sollen die Gründe für die Prekarität des Berufes genannt werden und im Anschluss eine genaue Betrachtung der männlichen und weiblichen Motive für die Berufswahl offen gelegt werden. Anschließend wird die Idee des Boy’s Day vorgestellt. Durch diese zukunftsweisende Vision sollen Jungen und Mädchen an reziproke geschlechtsspezifische Berufe herangeführt werden, um die Segregation der Berufsfelder aufzuheben.
3.1 Der geschichtliche Kontext
Die Entstehung der modernen Krankenpflege im 19. Jahrhundert ist eng an die Rationalisierung der modernen Medizin gekoppelt, da diese eine weitestgehend technisierte und standardisierte Pflege benötigte.[7] Durch verschiedene Kriege in Europa am Anfang des 19. Jahrhunderts ergab sich ein hoher Bedarf an weiblichen Pflegerinnen, um dafür zu sorgen, dass die Soldaten schnellstmöglich erneut für die Front verfügbar waren. Dadurch wurde eine Wandlung von der ehrenamtlichen und vor allem kirchlichen Institution „Krankenpflege“ zu einer anerkannten Tätigkeit vollzogen, die aktiv vom Staat gefördert wurde und den Frauen vorbehalten war.[8]
Demnach zeigten militärische Auseinandersetzungen, wie beispielsweise die napoleonischen Koalitionskriege, der patriarchalischen Gesellschaft auf, dass den Frauen neben Tätigkeiten als Hausfrau auch gesellschaftlich nützliche Betätigungsfelder zugewiesen werden können und müssen. Die große Anzahl an Kriegsverletzten- und invaliden führte zu einem hohen Bedarf an Pflegepersonal, welches in der Folge in der Heimat in betätigungsfreien Frauen gefunden wurde.
Küpper beschreibt diesen Vorgang detaillierter und erläutert, dass das Jahr 1836 als Beginn der neuzeitlichen Krankenpflege angesehen werden kann, als der evangelische Pfarrer Fliedler zusammen mit seiner Frau das erste Diakonissenmutterhaus in Düsseldorf-Kaiserswerth gründete.[9] Diese Häuser waren ausdrücklich für weibliches Pflegepersonal bestimmt und Fliedler soll eindringlich darauf hingewiesen haben, die „brachliegenden Kräfte der bürgerlichen Frauen sinnvoll in der christlichen Liebestätigkeit zu nutzen“, die er als Domäne der Frauen betrachtete.[10] Zwischen 1837 und 1876 wurden daraufhin in Deutschland 32 Mutterhäuser gegründet,[11] die neben der materiellen Sicherheit auch emotionale Geborgenheit bieten konnten und den jungen Frauen somit den Entschluss für die Berufstätigkeit erleichterten.[12] Zu diesen Entwicklungen ergaben sich keine nennenswerten Widerstände von den Männern, denn im Gegenteil wurde der Pflegeberuf als der ideale Frauenberuf angepriesen. Somit wurden Frauen bereits zu Beginn des Berufes für Tätigkeiten idealisiert aber gleichzeitig auch diskriminiert, da den Frauen gleichzeitig die Chance genommen wurde, sich auf eigene berufliche Füße zu stellen.[13] Die bisher nicht genutzten Fähigkeiten der Frauen sollten aktiviert werden und die Rolle der Frau und Mutter, über die Familie hinaus, auch für andere Menschen eingesetzt werden.[14] Durch die Reformerin Agnes Karll wurde die zwiespältige Entwicklung zwischen dem Festhalten an dem Frausein als Beruf und einer Professionalisierung mit der „ersten staatlichen Ordnung für die Prüfung in der Krankenpflege“ 1906/1907 verankert.[15] Karll schrieb:
„… man wird die Krankenpflegerinnen in Zukunft nicht einfach vergessen wie bislang. Artig Kind sagt nichts, kriegt aber auch nichts! – Das haben wir nun lange genug gespielt. Uns passiert es nie, was andere, besonders früher, so oft traf, daß man sie nicht ernst nahm. […] Wir wissen jedenfalls, daß wir nichts zu unserer Zukunftsversorgung aus eigener Kraft versäumen dürfen.“
(Oster/Krutwa-Schott 1981, S.37.)
Doch die Professionalisierung war nichts anderes als ein Kompromiss zwischen der weiblichen Seinserfüllung im Dienst für Andere und den neuen Erfordernissen beruflicher Arbeit.[16] Eng gekoppelt an die Neukonzipierung der Pflege setzte sich das duale Geschlechtermodell durch. So schreibt Heintz, dass die Frage nach dem richtigen Geschlecht zunächst offen war, doch rasch die bereits beschriebene Gleichsetzung der Pflege mit den weiblichen Wesenseigenschaften folgte.[17]
Zu den tugendhaften Eigenschaften einer Frau gehörte es, sich in der Aufopferung für andere zu verwirklichen, sodass dem Pflegeberuf Ende des 19. Jahrhunderts eine Doppelrolle zugeschrieben werden konnte: Er befriedigte den steigenden Bedarf an Pflegepersonal und antwortete zugleich auf das Bedürfnis unverheirateter Frauen eine entlohnte Tätigkeit auszuführen, die mit den weiblichen Tugenden im Einklang stand.[18] Die einjährige Berufsausbildung galt ausschließlich für Frauen und erst in den 1950er und 1960er Jahren versuchten die Krankenhäuser in Deutschland, aufgrund von Arbeitskräftemangel, vermehrt Männer einzusetzen, was allerdings wenig Erfolg hatte. Die Gleichstellung zwischen Pflegern und Schwestern, im Zuge des Krankenpflegegesetzes von 1957, wurde demnach erst 19 Jahre, nach der offiziellen Anerkennung der männlichen Krankenpfleger im Jahr 1938, vollzogen.[19]
Dies zeigt, dass bereits die Entwicklung in der Moderne diesen Beruf zu einer Frauendomäne gemacht hat, wodurch der Beruf durch die Reproduktion stereotyper Rollenbilder auch heute noch zu einem frauen-dominierten Arbeitsfeld zu zählen ist.
Von Frauen- bzw. Männerberufen wird gesprochen, wenn der Anteil des jeweiligen Geschlechts mehr als 80% der Gesamtbeschäftigten einnimmt.[20] Im Zuge der feministischen Forschung wurde Ende der Siebziger Jahre der Begriff des „weiblichen Arbeitsvermögens“ entwickelt, um die Tätigkeiten in den sozialen Berufen zu charakterisieren.[21] Diese Einführung gewährleistet zwar, dass darunter Gefühls- und Beziehungsarbeiten, sowie klassisch weibliche Bereiche der Erwerbstätigkeiten verstanden werden, verhindert aber gleichzeitig auch eine ausbalancierte Geschlechterverteilung im Krankenpflegeberuf, wenn mit dieser Tätigkeit feminine und unmännliche Fähigkeiten assoziiert werden.
3.2 Die Prekarität
Als Prekarität bezeichnet der Duden eine schwierige Lage beziehungsweise eine problematische soziale Situation.[22] Diese weite Definition zeigt, dass sich der Begriff weit ausdehnen lässt und Prekarität demnach für diese Arbeit geklärt werden muss, um im Weiteren damit arbeiten zu können. Der Terminus ist meines Erachtens im Bezug auf den Beruf des Gesundheits- und Krankenpflegers auf drei Ebenen anwendbar. Zum einen ist damit die Arbeitszeit gemeint, die von einigen PflegerInnen als zu umfangreich beschrieben wird, sodass Beruf und Privatleben miteinander verschmelzen müssen und kaum Aktivitäten außerhalb des Arbeitsplatz möglich sind. Geringe Aufstiegschancen und die fehlende soziale Sicherheit durch befristete Arbeitsverträge sollen die zwei weiteren Aspekte darstellen und im Folgenden erklärt werden.
„'Zeit' ist als Problem modern geworden“. (Schrems 1994, S.31.) Dieses Zitat von Rudolf Wenddorf trifft im Besonderen auf den Beruf des Krankenpflegers zu, da alle meine Gesprächspartner unzufrieden mit dem Umfang der Arbeit sind. Schichtdienste und teils unbezahlte Überstunden erlauben es den PflegerInnen kaum eine optimale Balance zwischen Freizeit und Arbeitszeit zu schaffen, sodass die Entlastung nicht stattfinden kann und KrankenpflegerInnen oft überproportionalem Stress ausgesetzt sind. Heintz entwickelte dazu drei Typen der Verbindung zwischen Beruf und Privatleben.[23] Typ A beschreibt dabei das Gleichsetzen von Beruf und Leben: Die Handlungslogiken werden nicht mehr getrennt und die Gefahr der Überidentifikation wächst in hohem Maße. Konfliktsituationen im Arbeitsleben werden dabei nicht mehr als Interessen-, Kompetenz- oder Rollenkonflikte erlebt, sondern als Zeichen mangelnder Menschlichkeit interpretiert. Der Arbeitsalltag wird zum Lebensmittelpunkt und die Nähe zu Freunden und Familie außerhalb der Arbeit mit Kollegen kompensiert. Heintz berichtet beispielsweise von einer Frau, die nach Feierabend noch in der Klinik war, weil sich bisher niemand von ihr verabschiedet hatte.[24] Diese Form ließ sich unter meinen...