Sie sind hier
E-Book

Der Blindenführhund als erweiterndes Wahrnehmungsorgan

AutorKathrin Müller
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl58 Seiten
ISBN9783638508407
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Psychologie - Sonstiges, Note: 1, Fachhochschule für Kunsttherapie Nürtingen, Veranstaltung: Wahrnehmungspsychologie, 25 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit dem Zusammenspiel des Blindenführhundes und seinem blinden Halter, wobei der Schwerpunkt auf die wahrnehmungspsychologischen Aspekte gelegt wird. Zunächst wird auf die Entwicklung der Mensch-Hund-Beziehung eingegangen. Anschließend wird die Wahrnehmung des Blindenführhundes und deren Unterschied zu der des Menschen näher betrachtet. Um die Situation und Probleme des Erblindeten nachvollziehbarer zu machen, beschäftigt sich das zweite Kapitel mit der Definition des Ausdrucks 'blind' sowie mit dem Thema Orientierung und Mobilität blinder Menschen. Bevor das vierte Kapitel die Zusammenarbeit von Hund und Mensch darstellt, veranschaulicht das dritte Kapitel kurz die Ausbildung des Blindenführhundes. Zur Berücksichtigung und Verdeutlichung des sozialen und therapeutischen Aspekts werden im Anhang zwei umfangreiche Interviews mit einer Blindenführhundhalterin und einem Blindenführhundhalter angeführt.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

6.  Anhang


 

6.1.  Interview mit Ulrike Krüger


 

am 21.02.06 im Landesbildungszentrum für Blinde in Hannover

 

Zu deiner Person: Wie alt bist du?

 

Ich bin geboren 1961, also 44 Jahre alt.

 

Was bist du von Beruf?

 

Diplom-Pädagogin.

 

Unterrichtest du in dieser Einrichtung?

 

Ja, ich bin in unterrichtender Tätigkeit im Berufsvorbereitungsjahr und Berufsförderkurs für Mehrfachbehinderte.

 

Lebst du allein?

 

Ja.

 

Wann bist du erblindet?

 

Das war ein schleichender Prozess, der begann etwa mit dem 10. Lebensjahr und die Diagnose „blind“, also so medizinisch „blind“, ich habe ja noch einen Sehrest, folgte etwa so mit 17 Jahren.

 

Und zu deinem Hund (Name: Teddy): Welche Rasse ist er?

 

Das ist ein Bordercolli-Labrador-Mischling.

 

Und wie alt ist er?

 

Der ist sieben.

 

Und wie alt war er als du ihn bekommen hast?

 

Knapp zwei. Also ich habe ihn im November bekommen und im Januar wurde er zwei.

 

Und von welcher Blindenführhundschule hast du ihn?

 

Österreichische Schule für Blindenführhunde.

 

Die folgenden Fragen beziehen sich auf die Zeit bevor du einen Blindenführhund hattest.

 

Wie hast du dich orientiert?

 

Also ich hatte Mobilitätstraining, d.h. Langstocktraining, und habe dann gelernt mit dem Stock mir die Welt zu erarbeiten, was natürlich sehr mühselig ist und was auch mit großen Einschränkungen verbunden ist. Der Stock zeigt dir nur an, wenn du gegen ein Hindernis kommst, zum Beispiel gegen eine Treppenkante kommst oder gegen eine Stufe, aber der Stock findet ja den Weg für dich nicht. Und ich kann das immer rückwirkend im Vergleich sehen, vielleicht vermischt sich das dann in meinen Antworten.

 

Hattest du noch andere Hilfsmittel benutzt?

 

Als Mobilitätshilfe nicht. Als Mobilitätshilfe war das der Stock.

 

Welche Probleme und Einschränkungen ergaben sich aufgrund deiner Blindheit?

 

Also, wenn du z.B. mit dem Stock unterwegs bist und du kommst an eine Tür, beispielsweise, dann ist es mit dem Stock so, dass der Stock sie dir zwar anzeigt, Geräusche macht und du kannst es ja auch erfühlen, dass da der Türrahmen ist und das die Tür ist. Aber dann bist du auch immer gezwungen nach dem Türgriff zu suchen. Das ist beim Hund anders. Oder wenn du z.B. einen Gehweg langgehst, den du sehr gut kennst, dass ist nämlich das was du mit einem Stock ohnehin tust – du bist beschränkt, sehr darauf bedacht die Wege zu gehen, die dir bekannt sind. Das ist normal, denn das ist das was du beim Mobilitätstraining so lernst…

 

Man lernt beim Mobilitätstraining überwiegend die Wege zu gehen, die man kennt?

 

Ja, die Wege zur Arbeit…Du kriegst richtig Training am Ort, denn das sind ja die Wege die du…Du kannst dir die Welt nicht selbstständig erschließen! Unbekannte Gegend ist unbekannte Gegend. So ist es üblich, dass du bestimmte Stocktechniken erlangst und wenn du noch einen Sehrest hast, kannst du auch viele Sachen dazu erschließen, aber es gibt auch viele blinde Menschen, bei denen ist es so, dass die mit dem Stock lernen, den Weg zur Arbeit zu bewältigen. Oder den Weg zum Bahnhof – für sie wichtige Strecken. Alles andere musst du dir organisieren, indem du dich abholen lässt, bringen lässt, ein Taxi holst, dich mit jemandem verabredest, oder so.

 

Also immer den Kontakt zu anderen Personen brauchst…

 

Weil alles andere sehr schwierig ist! Es ist nicht unmöglich, aber es ist sehr schwierig. Du musst es dir dann mithilfe Anderer organisieren. Wenn dich dann Einer im Wald raus lässt, du warst nie vorher da, du hast null Ahnung, wo du hin musst. Und da nützt es dir dann auch nix mehr, wenn du fühlst dass da ein Waldweg ist und links ist Gras. Es sagt dir nichts, es gibt dir keinen Hinweis über die Richtung, in die du gehen musst. Und wenn du keine Ortskenntnisse hast und du nicht weißt, wo du bist und wo du hinwillst – wie sollst du dich dann orientieren? Der Stock zeigt dir da ja nur die Hindernisse an. Oder Treppen, oder ob der Weg fest ist, oder Gras, oder so. Das fühlst du ja auch wenn du da lang gehst. Also ohne Richtungshinweis ist das fast unmöglich. Es ist unmöglich, würde ich sagen. Ein Abenteuer wird’s dann! Je nach dem wie groß der Abenteuergeist ist – ich wüsste nicht unbedingt jemanden der das braucht…

 

Ja und es ist z.B. so, wenn du bekannte Wege gehst und auf diesem Weg treten plötzlich Veränderungen auf, beispielsweise eine Baustelle, dann gehst du mit dem Stock und merkst auf einmal „oh, hier ist eine Absperrung“. Und wenn dann niemand in der Nähe ist, dann bist du gezwungen, dich da selbst irgendwie dran vorbei zu manövrieren. Was manchmal auch gefährlich sein kann. Denn erst wenn solche Sachen sind, weiß man erst, wie schlecht gesichert oft Baustellen sind. Also ich kann dir ja mal ein Beispiel sagen: Als in Hannover im Hauptbahnhof, in der Bahnhofsstraße Richtung Kröpcke, die Pflasterung neu gemacht wurde und die ganzen U-Bahn-Zugänge - da haben die Bauarbeiter oft - es war ja alles abgesperrt mit hohen Bauzäunen, aber um dort rein zu kommen, müssen die die ja manchmal öffnen - aber dann haben sie die oft nicht mehr hinter sich geschlossen. Und es ist mir ein paar Mal passiert, dass ich da lang gegangen bin, wusste auch, dass da eine Baustelle ist, habe aber gedacht, wenn da der Bauzaun ist, dann komme ich da ja gegen und dann muss ich sehen, wo ich lang komme. Und da sind ja meistens Passanten, die dann sagen „Kommen Sie nach links/rechts“. Da war es aber mal so, dass der Stock immer noch nichts angezeigt hat – da war ich aber schon mitten in der Baustelle. Das zeigt dir der Stock ja nicht an! Dann mussten die schon mal laufen, die Jungs, sodass es dann nicht irgendwann abwärts ging. Oder bei der Bahn, als am Kleefelder Bahnhof Umbaumaßnahmen waren. Es ist so, dass ich auch immer im ersten Wagen gesessen habe, und dann wollte ich aussteigen, mache die Tür auf und dann brüllt jemand hinter mir „Retour!“ und ich fühle mich irgendwie auch gleich angesprochen, bin stehen geblieben und vor mir ging es ein paar Meter ab, weil der über die Bahnsteige hinaus gefahren war. Das zeigt dir der Stock nicht an. Du gehst und denkst „Gleich kommt die Bahnsteigkante“ und dann kann es auch schon zu spät sein, weil du ja auch im Fluss bist. Du wiegst dich auch in Sicherheit. Das sind solche Gefahren, wenn du dich in Sicherheit wiegst, dass du raus gehen kannst und dass der Bahnsteig kommt, aber er dann nicht kommt – da hast du ein Problem! Das würde mit dem Hund nie passieren, der Hund würde sperren. Wenn du mit dem Stock gehst, muss eigentlich immer alles klappen. Die Anderen müssen mitdenken, d.h. Baustellen müssen gut gesichert sein, Züge dürfen nicht über Bahnsteigkanten hinausfahren, usw. Und das bringt dich mit dem Stock dann durcheinander, weil du nicht weißt, was das Problem ist. Also wenn du da in der Luft rumfuchtelst mit dem Stock, reimst du dir nicht gleich eins und eins zusammen, weil du dann ja auch nervös wirst.

 

Inwieweit hast du die Lücke, die durch das fehlende Augenlicht entsteht, ausgeglichen? Inwieweit hast du dich z.B. auf andere Sinne konzentriert?

 

Also du konzentrierst dich nicht auf andere Sinne. Das ist eine Entwicklung, die findet einfach statt. Oder sie findet nicht statt. Würde ich jetzt mal so sagen - so war es bei mir zumindest. Man sagt ja oft: blinde Menschen hören besser. Das ist Quatsch! Besser hören sie nicht, sie hören anders, differenzierter. Jeder Gegenstand macht ja auch in irgendeiner Form ein Geräusch. Wenn ich eine Tasche auf- und zuklappe mit einer Schnalle, oder ein Rucksack, wenn ich mit dem Stock irgendwo langgehe – das ist ein sehr signifikantes Geräusch „tack, tack, tack“. Das würdest du, nehmen wir mal das Geräusch eines Stockes, das Geräusch würdest du genauso hören wie ich, aber du nimmst es nicht unbedingt wahr, weil dieses Geräusch für dich gar keine Bedeutung hat. Du siehst die Straße entlang, du siehst den blinden Menschen. Und ich gehe da lang, ich sehe ihn nicht, aber ich höre, dass da jemand kommt, weil ich das Geräusch, was ich höre, sofort einordnen kann. Wenn ich jetzt sagen würde „Mensch, hör doch mal den Stock!“ dann würdest du ihn in dem Moment genauso hören, aber du brauchst es ja nicht. Also blendest du es aus. Du kannst dich natürlich auf das was für dich wichtiger ist, konzentrieren. Und das ist eben eindeutig das Sehen. Und so ist es auch bei vielen anderen Alltagssituationen. Ich kann dir mal ein Beispiel nennen: Ich bin mal mit einer Freundin im Urlaub gewesen, in Australien, und in Australien gibt es so Einkaufszentren, die...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Allgemeine Psychologie - Organismus und Umwelt

Implizite Motive

E-Book Implizite Motive
Format: PDF

Motive sind eine wichtige Antriebsquelle menschlichen Handelns. Sie sind komplexe Wissensnetzwerke über Bedürfnisse sowie Pläne und Ziele, mit denen sich Motive realisieren lassen. Das…

Implizite Motive

E-Book Implizite Motive
Format: PDF

Motive sind eine wichtige Antriebsquelle menschlichen Handelns. Sie sind komplexe Wissensnetzwerke über Bedürfnisse sowie Pläne und Ziele, mit denen sich Motive realisieren lassen. Das…

Philosophie der Psychologie

E-Book Philosophie der Psychologie
Format: PDF

Der Autor führt in die Philosophie von Geist, Gehirn und Verhalten ein, präsentiert neue Erkenntnisse aus diesem Gebiet und wendet sie auf die Psychologie an. Die Philosophie des Geistes und die…

Erfolgsprinzip Persönlichkeit

E-Book Erfolgsprinzip Persönlichkeit
Format: PDF

Ah - Sie lassen sich von etwas dickeren Büchern nicht abschrecken. Offenbar fühlen Sie sich nicht ganz so gehetzt wie viele andere Zeitgenossen - auf der Jagd nach Erfolg, Glück, Lust, Reichtum oder…

Erfolgsprinzip Persönlichkeit

E-Book Erfolgsprinzip Persönlichkeit
Format: PDF

Ah - Sie lassen sich von etwas dickeren Büchern nicht abschrecken. Offenbar fühlen Sie sich nicht ganz so gehetzt wie viele andere Zeitgenossen - auf der Jagd nach Erfolg, Glück, Lust, Reichtum oder…

Erfolgsprinzip Persönlichkeit

E-Book Erfolgsprinzip Persönlichkeit
Format: PDF

Ah - Sie lassen sich von etwas dickeren Büchern nicht abschrecken. Offenbar fühlen Sie sich nicht ganz so gehetzt wie viele andere Zeitgenossen - auf der Jagd nach Erfolg, Glück, Lust, Reichtum oder…

Erfolgsprinzip Persönlichkeit

E-Book Erfolgsprinzip Persönlichkeit
Format: PDF

Ah - Sie lassen sich von etwas dickeren Büchern nicht abschrecken. Offenbar fühlen Sie sich nicht ganz so gehetzt wie viele andere Zeitgenossen - auf der Jagd nach Erfolg, Glück, Lust, Reichtum oder…

Erfolgsprinzip Persönlichkeit

E-Book Erfolgsprinzip Persönlichkeit
Format: PDF

Ah - Sie lassen sich von etwas dickeren Büchern nicht abschrecken. Offenbar fühlen Sie sich nicht ganz so gehetzt wie viele andere Zeitgenossen - auf der Jagd nach Erfolg, Glück, Lust, Reichtum oder…

Weitere Zeitschriften

BIELEFELD GEHT AUS

BIELEFELD GEHT AUS

Freizeit- und Gastronomieführer mit umfangreichem Serviceteil, mehr als 700 Tipps und Adressen für Tag- und Nachtschwärmer Bielefeld genießen Westfälisch und weltoffen – das zeichnet nicht ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

Burgen und Schlösser

Burgen und Schlösser

aktuelle Berichte zum Thema Burgen, Schlösser, Wehrbauten, Forschungsergebnisse zur Bau- und Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Denkmalschutz Seit ihrer Gründung 1899 gibt die Deutsche ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler ist die Fachzeitschrift für die CE- und Hausgeräte-Branche. Wichtige Themen sind: Aktuelle Entwicklungen in beiden Branchen, Waren- und Verkaufskunde, Reportagen über ...

IT-BUSINESS

IT-BUSINESS

IT-BUSINESS ist seit mehr als 25 Jahren die Fachzeitschrift für den IT-Markt Sie liefert 2-wöchentlich fundiert recherchierte Themen, praxisbezogene Fallstudien, aktuelle Hintergrundberichte aus ...