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Der Daltonplan in Theorie und Praxis

Ein aktuelles reformpädagogisches Modell zur Förderung selbstständigen Lernens in der Sekundarstufe

AutorSusanne Popp
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783706557900
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Dieses Buch stellt die historischen, theoretischen und praktischen Grundlagen des Daltonplans und seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten dar. Dabei bezieht die völlig überarbeitete und aktualisierte Fassung Berichte aus der gegenwärtigen Praxis in den Niederlanden, Österreich und Deutschland ein. So erschließt der Band allen reformpädagogisch Interessierten - Wissenschaftlern, Studierenden, Lehrkräften - einen ebenso theoretisch fundierten wie praktisch hilfreichen Zugang zum innovativen Potential der Daltonpraxis.

Susanne POPP Professorin für Geschichte und deren Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (BRD); ab 1983 mehrjährige Unterrichtstätigkeit an Gymnasien, wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Passau (Pädagogik/Reformpädagogik; Schwerpunkt Daltonplan) und Erlangen-Nürnberg (Didaktik der Geschichte), dazwischen Referentin am Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (München) mit der Aufgabe empirischer Begleitforschung zur inneren Schulentwicklung, seit 2000 in Weingarten. Forschungsschwerpunkte: Daltonplan, Geschichtsunterricht in reformpädagogischen Modellen, Curriculum 'Weltgeschichte', 'Curriculum stories' von GeschichtslehrerInnen, historisches Lernen in der Grundschule.

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Leseprobe

1. Zu Gegenstand und Fragestellung


Helen PARKHURSTs Daltonplan wurde nach der Stadt Dalton in Massachusetts benannt, wo ihn die britische Fachwelt im Jahre 1920 entdeckte, und englische (Reform-)Pädagogen waren es vor allem, die dieses Reformkonzept für die Sekundarschule international bekannt machten, so daß in den zwanziger und dreißiger Jahren eine weltweite Rezeption mit eindrucksvollen Experimenten und Ergebnissen einsetzte. Die größte Kontinuität erreichte der Daltonplan in den Niederlanden, wo er von den zwanziger Jahren an bis in die Gegenwart praktiziert wird, und dies seit den achtziger Jahren mit stark und stetig wachsendem Zuspruch.

Die Reformpädagogin Helen PARKHURST (1886-1973) entwickelte den Plan zunächst,1 um die Arbeitsorganisation der Sekundarschule den psychologisch gegebenen Lernvoraussetzungen der Schüler flexibler anzupassen und jene Unterrichtsstrukturen abzubauen, die ihrer Meinung nach das wirksame Lernen und Arbeiten verhinderten. Für einige Stunden des Schultages wird der direkte Unterricht durch das Selbststudium der Schüler ersetzt. Dann unterstützen schriftliche Studieranleitungen (“assignments”), fachspezifisch ausgestattete Räume (“laboratories”) sowie die dort anwesenden Fachlehrer die Arbeit der Lernenden, und selbstverständlich sind dabei die freie Kommunikation und Kooperation zwischen den Schülern erlaubt oder vielmehr ausdrücklich erwünscht. Soll dieses Arrangement in erzieherischer Hinsicht der Anbahnung von Selbständigkeit, Selbstverantwortung und kooperativen Verhaltensweisen dienen, so begründet PARKHURST ihre Maßnahmen im besonderen damit, daß der “Gleichschritt” des sog. “Frontalunterrichts” eine strukturelle Gefahr für den Erfolg schulischen Lernens darstelle. Dieser hängt nämlich, so ihre Auffassung, wesentlich davon ab, daß dem einzelnen Schüler die jeweils benötigte Lernzeit zugestanden wird und er die verfügbare Arbeitszeit seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen gemäß nutzen kann. Wer schneller zu arbeiten vermag, kann den Gegenstand vertiefen, erweitern oder im Curriculum fortfahren, die anderen aber beschäftigen sich so lange mit einem gegebenen Lernschritt, bis sie ihn zuverlässig bewältigt haben. So soll es möglich werden, die Klassengemeinschaft heterogener Schüler zu erhalten und doch jedem einzelnen gerecht zu werden.

Selbst wenn die Reformqualität des Daltonplans oft umstritten war, so führt ihn die Historiographie der ersten internationalen reformpädagogischen Bewegung2 doch regelmäßig als prominentes und repräsentatives Modell der Epoche auf und rechnet ihn im allgemeinen der Arbeitsschulpädagogik und/oder der individualisierenden Richtung zu. Im Gegensatz zu der geschichtlichen Bedeutung, die man dem Daltonplan traditionellerweise zubilligt, ist das internationale Forschungsinteresse bislang sehr gering gewesen. Seit den dreißiger Jahren fand keine nennenswerte Auseinandersetzung mehr statt, wobei allerdings Hermann RÖHRS, dem man grundlegende Werke zur internationalen Reformpädagogik verdankt, eine sehr wichtige Ausnahme bildet.3 Wenn dieser 1966 anmerkte, daß man allenfalls über die theoretische Stimmigkeit des Daltonplans diskutiere, an dessen “praktische Brauchbarkeit und Lebensfähigkeit in unseren Schulen niemand so recht zu glauben” (RÖHRS 1966, 45)4 vermöge, so hätte dieser Befund auch heute uneingeschränkte Gültigkeit, wenn nur die “theoretische Stimmigkeit” noch erörtert würde. Neben RÖHRS’ Studien sind eine deutsche und eine amerikanische Dissertationsschrift zu nennen: Im Jahre 1955 begründete Hermann BESUDEN - ohne Rücksicht auf die erfolgreiche niederländische Praxis - die Notwendigkeit des historischen Scheiterns des Daltonplans aus dessen vorgeblichen theoretischen und praktischen Unzulänglichkeiten, und 1983 unternahm es Diane LAGER, der in den USA nahezu völlig vergessenen Reformpädagogin ein Denkmal zu setzen, sparte dabei aber das Spätwerk aus. Susan SEMEL untersucht die Geschichte der „Dalton Schools, New York“, ohne den Daltonplan als pädagogisches Konzept in den Mittelpunkt zu rücken.5 So ist es nicht erstaunlich, daß die verfügbaren Informationen zu PARKHURSTs Leben und Werk von überaus unvollständig und oft auch irreführend sind;6 bei den Fragen nach den konkreten Gestaltungsmöglichkeiten sieht man sich auf Berichte aus den zwanziger und dreißiger Jahren verwiesen, und was die gegenwärtige niederländische Praxis anbelangt, bedarf es der eigenen Anschauung.

Hier gilt das Interesse am Daltonplan einerseits einem Konzept der ersten reformpädagogischen Bewegung, deren Einfluß auf das schulpädagogische und didaktische Denken auch heute noch eminent wirksam ist. Die Auseinandersetzung mit dieser pädagogischen Epoche kann keineswegs als abgeschlossen gelten, und dabei kommt derzeit sowohl den internationalen Zusammenhängen als auch der differenzierten Dokumentation der verschiedenen historischen Ansätze besondere Aufmerksamkeit zu. Andererseits wird eine vertiefende Betrachtung durch die aktuelle Bedeutung nahegelegt, die sowohl mit den gegenwärtigen Erfolgen des Daltonplans in den Niederlanden als auch mit den grundsätzlichen Anforderungen an ein modernes Schulwesen am Ende dieses Jahrhunderts gegeben ist. Cees JANSSEN, der langjährige Geschäftsführer der “Nederlandse Daltonvereniging” (NDV), berichtet nicht nur von immer neuen Schulen, die sich derzeit um Begleitung bei der Umstellung auf den Daltonplan bemühen, sondern auch von Kontakten nach Osteuropa (Russland, Tschechien) und in die USA, wo sich nach vielen Jahrzehnten neues Interesse regt. Auf die österreichische Initiative im Bereich der Lehrerbildung wurde bereits im Vorwort hingewiesen.

Weitere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, daß es sich bei diesem reformpädagogischen Vorschlag um einen jener “blueprint[s] für die staatliche Regelschule” (OELKERS 1989, 117) handelt, die innerhalb des reformpädagogischen Spektrums relativ rar sind. Noch seltener findet man zudem praktikable Vorschläge für die Sekundarstufe, welche die quantitativ bedeutendste und pädagogisch mitunter schwierigste Schulstufe in den modernen Industrieländern darstellt. Außerdem richten sich PARKHURSTs Reformintentionen gezielt auf jenen Bereich der fachbezogenen und systematischen Aneignung von Kenntnissen, Wissen und Fähigkeiten, der von der Reformpädagogik im allgemeinen weniger beleuchtet wurde.

Im Unterschied etwa zum Jenaplan muß man bei einer aktuellen Betrachtung des Daltonplans nicht zwischen dem pädagogisch-didaktischen Gehalt und den argumentativen Denkfiguren unterscheiden.7 Selbst wenn PARKHURST auf eine systematische Begründung ihres Vorschlags verzichtet, sind die Prämissen des Konzepts unzweideutig in einer liberalen, demokratischen und rationalistischen Orientierung verankert, derzufolge Bildung und Erziehung nicht teleologisch konzipiert sind, sondern als interaktive Prozesse verstanden werden. Umgekehrt zeigt die Rezeptionsgeschichte, daß der Plan auch mit konfessionell oder weltanschaulich gebundenen Bildungs- und Erziehungszielen durchaus kompatibel ist,8 so lange die pädagogischen Grundprinzipien der Selbsttätigkeit, der individualisierenden Differenzierung und der Kooperation zwischen Lehrern und Schülern nicht in Frage gestellt werden. Es handelt sich also um eine sehr modifikationsfähige Konzeption, die sich in vieler Hinsicht mit den Strukturen der traditionellen Sekundarschule verbinden lät. Hermann RÖHRS sieht darin geradezu ein Musterbeispiel “für eine gute und zukunftsträchtige Schule [...] der Gegenwart”, die “mit ihren Grundzügen der Individualisierung (individual work) und dem damit geforderten hohen Maß an Selbstverantwortung (education for responsibility and self-confidency) eine angemessene Antwort auf die in der dynamischen Berufsgesellschaft und die von ihr geforderten Tugenden der Flexibilität, Initiative und Urteilsfähigkeit zu vermitteln vermag.” (RÖHRS o. J. [1990], 132)

Die Annäherung an die Frage, inwieweit dieses Konzept einen zeitgemäßen Vorschlag für die Gestaltung der Sekundarschule anbieten könne, führt zunächst zur Rekonstruktion von PARKHURSTs Biographie und Gesamtwerk im historisch-kulturellen Kontext (2. Kapitel), die noch nicht in umfassender und zuverlässiger Weise dokumentiert sind. Dieses Kapitel mag zugleich als Beitrag zur historischen Erforschung der ersten reformpädagogischen Bewegung verstanden werden. Die systematische Darstellung und Analyse des Daltonplans (3. Kapitel) bezieht zahlreiche historische Praxisberichte ein, weil PARKHURSTs Ausführungen in “Education on the Dalton Plan”9 und anderen Schriften die Fragen der konkreten Anwendung kaum präzisieren und akzidentelle Elemente der amerikanischen Sekundarschule nicht immer deutlich genug von konstanten Merkmalen des Entwurfs trennen. Bei diesem Konzept, das freie Adaptionen sehr begünstigt, scheint es nicht zu genügen, eine (angeblich) idealtypische Arbeitsweise zu abstrahieren. Deshalb wird ein doppelläufiges Verfahren gewählt: Von PARKHURSTs...

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