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E-Book

Der Deutsche Lausbub in Amerika

Erinnerungen, Reisen und Eindrücke

AutorErwin Rosen
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl1251 Seiten
ISBN9788026816478
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Der Deutsche Lausbub in Amerika' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Erwin Carlé, Pseudonym Erwin Rosen, (1876-1923) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist. Carlé besuchte das Gymnasium in München. Sein Studium musste wegen Jugendstreichen abgebrochen werden. Mit 19 wanderte er nach den USA aus. Dort schlug er sich hauptsächlich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Er wurde Landarbeiter in Texas, Gehilfe der deutschsprachigen Western Post in St. Louis, Journalist in San Francisco und machte in der US Army beim Kampf um Signal Hill in Kuba seine Reportagen. Diese Erlebnisse wurden in seinem Werk Der deutsche Lausbub in Amerika festgehalten. Im Jahre 1905 trat er der Fremdenlegion bei, konnte aber nach zwei Jahren aus Sidi bel Abbès desertieren.

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Leseprobe

Im Zwischendeck der Lahn



Im Bremer Ratskeller. – »So schmiede dir denn selbst dein Glück!« – An Bord. – Der Steward, der Zahlmeister und das Nebengeschäftchen. – Vom Itzig Silberberg aus Wodcziliska. – Atra cura ... – Das Mädel mit den hungrigen Augen. – Die beiden Däninnen. – Im New Yorker Hafen.

Den ganzen Tag waren wir in Bremen umhergerannt. Als wir bei der ärztlichen Untersuchung uns einer langen Reihe von Auswanderern anschließen und stundenlang warten mußten, sagte mein Vater auf einmal:

»Du solltest eigentlich doch die Ueberfahrt in der Kajüte machen und nicht im Zwischendeck!«

Aber sofort besann er sich. »Nein! Es bleibt dabei. Es ist besser, wenn du dich schon auf dem Schiff an neue Verhältnisse gewöhnst.«

Und dann kam der letzte Abend im deutschen Land.

Bis gegen Mitternacht saßen mein Vater und ich im Bremer Ratskeller, in einem stillen Winkel, verborgen zwischen bauchigen Apostelfässern. Edler Wein funkelte in den Gläsern. Von der großen Stube her klang Stimmengewirr, lustiges Lachen fröhlicher Menschen. Mir war erbärmlich zumute; ich starrte in den goldgelben Wein und kämpfte immer wieder mit Tränen und dachte an den Abschied von meiner Mutter und wagte es nicht, meinem Vater in das vergrämte Gesicht zu sehen.

Erst Jahre später habe ich das verstanden, was mir mein Vater an jenem Abend sagte. Er sprach wie ein Mann zum andern, wie ein Freund zum Freund; erklärte mir, daß es ihm bitter schwer würde, den einzigen Sohn in die Welt hinauszuschicken. Er wisse aber keinen andern Rat. Das Leben selbst mit all' seinen Härten müsse mich in die Kur nehmen ...

»Geh' zugrunde, wenn du zu schwach fürs Leben bist!«

Und ich lächelte unter Tränen, denn meine Art von Stolz hatte ich trotz allen Gedrücktseins und trotz aller Reue. Das gefiel ihm.

»Du wirst nicht zugrunde gehen, glaube ich. So gefährlich auch das Experiment ist, für so richtig halte ich es. Du mußt auf deine eigenen Füße gestellt werden. Du mußt dich austoben! Auf der Universität würdest du nichts als neue Streiche machen, dich vielleicht ins Unglück stürzen; Soldat, wie du es werden möchtest, kann ich dich nicht werden lassen, denn zum armen Offizier eignet sich kein Mensch so schlecht wie du – ins kaufmännische Leben paßt du erst recht nicht. So schmiede dir denn selber dein Glück ...«

Stundenlang sprach mein Vater mit mir. Meine Fahrkarte lautete nach Galveston in Texas. Mein Aufenthalt in New York würde nur wenige Stunden dauern; am nächsten Tag nach Ankunft der Lahn in New York sollte ich mit einem Dampfer der Mallorylinie nach Texas weiterfahren. Da draußen im jungen Land würde es mir weit leichter werden, mich durchzuschlagen, als in einer Riesenstadt mit ihren Tausenden von Arbeitslosen.

»Such' dir dein Brot! Halte den Kopf hoch, mein Junge; laß dir nichts schenken; gib Schlag um Schlag; hab' Respekt vor Frauen. Du wolltest ja immer Soldat werden – bist jetzt ein Glückssoldat.«

Und die Gläser klirrten zusammen.

Da bat ich schluchzend um Verzeihung – – –

Nie in meinem Leben werde ich jenen Abend vergessen; denn als ich sieben Jahre später wiederkam, da hatten sie meinen Vater begraben.

Am nächsten Morgen fuhren wir nach Bremerhaven zum Lloyddock. Dort lag wie ein riesiges schwarzes Ungetüm der Schnelldampfer Lahn. Auf dem kleinen Häuschen am Dock, das irgend ein Bureau enthalten mochte, flatterte die deutsche Flagge. Am Kai drängten sich die Menschen, und an der Schiffsreeling standen in dichten Reihen Kajütenpassagiere, die Abschiedsgrüße zu ihren Freunden hinunterriefen und Taschentücher flattern ließen. Wir stiegen die Gangplanke hinan. Ein Zahlmeister des Norddeutschen Lloyd verlangte meine Zwischendeckkarte, und ein Polizist prüfte meinen Paß. Auf dem Vorderschiff war ein unbeschreiblicher Wirrwarr. Männer und Frauen und Kinder standen und saßen herum, zwischen Köfferchen und Säcken und Bündeln. Irgend jemand spielte auf einer Ziehharmonika, und ein Mädel sang dazu: »Et hat ja immer, immer jut jejange' – jut jejange' ...« Die unbehilflichen Menschen, die sich gegenseitig im Wege standen, schnatterten und schimpften; die Ziehharmonika johlte einen Gassenhauer nach dem andern, bis die Walzerklänge der Schiffskapelle auf dem Promenadedeck sie übertönten. Mein Vater und ich standen an der Reeling zwischen einem russischen Juden in fettglänzendem Kaftan und einer Bauernfrau mit buntem Kopftuch. Ich schluchzte vor mich hin. Die Menschen und die Dinge schwammen mir vor den Augen; mir war, als müßte ich schreien in bitterer Reue. Mein Vater sagte ein über das andere Mal:

»Mein lieber Junge – mein lieber Junge!«

»Besucher von Bord!« riefen die Stewards. Die Glocke begann zu läuten.

Langsam setzte sich der Schiffskoloß in Bewegung. Und ich stand und starrte mit brennenden Augen nach dem Kai. Hochaufgerichtet stand mein Vater am äußersten Ende der Landungsbrücke, den Kopf in den Nacken geworfen, wie das seine Art war, und winkte mir zu. Einmal. Zweimal. Dann wandte er sich mit einem scharfen Ruck, und in wenigen Sekunden war er im Menschengewühl verschwunden – – –

Ein Steward klopfte mir auf die Schulter. »Haben Sie schon 'ne Koje?«

»Nein.«

»Na, hören Sie 'mal – dann ist's aber höchste Zeit. Machen Sie, daß Sie 'runterkommen. Die Treppe dort.«

Ich nahm meinen Handkoffer und stieg hinunter, in einen Riesenraum mit langen Reihen von Holzgestellen: nebeneinander und übereinander geschichteten Kojen. Viele Hunderte von Schlafplätzen waren es. Jedes Bett enthielt eine Strohmatraze, zwei hellbraune Wolldecken und ein Kopfkissen. Auf jedem Kopfkissen waren ein Blechbecher, ein zinnerner Teller, Messer, Gabel und Löffel hingelegt. Ueberall auf den Holzgestellen kletterten Männer herum, und da und dort stritt man sich um die Plätze. Ich muß recht hilflos dagestanden haben. Ein Steward sah mich prüfend an, dann ging er auf mich zu:

»Das wird Ihnen man nich' gefallen hier unten mit die Polacken un' die Juden un' die ganze Gesellschaft – das is nix nich' für junge Herren, sag' ich. Kommen Sie mit.«

Natürlich ging ich mit. Mir war alles furchtbar gleichgültig. Durch endlose Gänge und über unzählige Treppen führte er mich ins Bureau des vierten Zahlmeisters.

»Können wir nich' 'ne Koje fixen für diesen jungen Herrn?« fragte mein Begleiter den Zahlmeister.

Jawohl, es ging. Gegen eine Entschädigung von zwanzig Reichsmark wollte der Herr Zahlmeister eine Koje für mich im Vorratsraum aufstellen lassen. Ja, sie stand merkwürdigerweise schon fix und fertig da, in einem Winkel, durch eine aufgespannte amerikanische Flagge schamhaft verhüllt.

»Das is schandbar billig,« flüsterte mir der Steward zu. »Da haben Sie Glück gehabt. Nu wollen wir aber einen trinken. So 'ne kleine Flasche Hamburger Kümmel kost' nur 'ne Mark fufzig. Haben Sie zufällig eine da, Herr Zahlmeister?«

Jawohl; es war eine da.

»Prost!« (Einundzwanzig Mark und fünfzig Pfennige wechselten ihre Besitzer). Da starrte mich der Steward auf einmal entsetzt an. »'n Strohhut? Nee, is' nich' möglich – 'n Strohhut! Mensch, haben Sie keine Mütze?«

Nein, ich hatte keine Mütze.

»Mensch! So 'n feiner Strohhut – der geht über Bord, sag' ich Ihnen. Bei dem Wind! Ich hab' zufällig 'ne Mütze. Kost 'n Taler! 'ne feine Mütze!«

Natürlich kaufte ich die Mütze.

Dann komplimentierte mich der Zahlmeister höflich aber energisch hinaus. Ich kennte ja jetzt meinen Schlafplatz. Von 7 Uhr morgens aber bis 9 Uhr abends hätte ich in seinem Bureau nichts zu suchen.

Auch das war mir sehr gleichgültig – wie alles und jedes an Bord der Lahn an jenem ersten Tag. Ich aß fast nichts, interessierte mich für nichts, lief stumpfsinnig an Deck auf und ab, stand stundenlang in einem einsamen Winkel an der Reeling, schlich mich früh am Abend in des Zahlmeisters Bureau, ging ins Bett und weinte unter der Decke wie ein kleiner Junge ...

Fröhlicher Sonnenschein flutete durch die kleinen rundlichen Kajütenfenster, als ich am nächsten Morgen erwachte und schläfrig um mich blinzelte. Was war das für ein Tönen und Surren? Im ganzen Körper fühlte ich das Vibrieren des vorwärtspeitschenden Riesenschiffes – mir war, als läge ich in einer Schaukel, auf und ab schwingend; als würde ich der Decke zugeschleudert, bliebe dort einen Augenblick hängen und versänke dann in unendliche Tiefen. Ein Stückchen von mir selbst schien jedesmal zurückzubleiben; droben an der Decke und unten in der Tiefe. Einmal hatte ich das entsetzliche Gefühl, als hätte sich mein Magen von mir getrennt und schwebe irgendwo in der Kajüte. Ich sprang aus dem Bett, und sofort hörte das Rumoren in meinem Innern auf. Im Handumdrehen war ich angezogen, eilte an Deck und, machte mich mit wahrem Heißhunger über Kaffee und Brötchen her, die aus einem großen Kessel und einem Ungetüm von Korb durch zwei Stewards verteilt wurden. Wenig Menschen waren an Deck. Ich trat an die Reeling. Da draußen war majestätische Ruhe. Wie die Unendlichkeit selbst sahen sie aus, die immerzu vorwärtsrollenden Wasserberge, in ihrer gewölbten Mitte tief schwarz und doch glänzend wie ein Spiegel grünblau aufsteigend, schaumig weiß an den Rändern. Dann überholte der eine Wasserberg den andern, zusammenstürzend, und eine neue Welle wurde aus ihnen geboren, zu kurzem Spiel. Nimmer aufhörende Bewegung und doch verkörperte Ruhe. Ich trank die salzige Luft ein, die einem die Augen aufleuchten ließ und das Blut schneller durch die...

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