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E-Book

Der auf die Pferde hört

Erfahrungen eines Horseman aus Colorado

AutorMark Rashid
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783440142295
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Der wahre Horseman flüstert nicht - er lauscht den Pferden, beobachtet ihre Reaktionen, spürt ihren Bedürfnissen nach und versetzt sich in ihre Lage. So münden das eigene Lernen und Lehren in gegenseitige Achtung und partnerschaftliche Zusammenarbeit. Sensibel, humorvoll und mit sympathischer Bescheidenheit schildert Mark Rashid seinen ganz persönlichen Weg und hält nach jedem Kapitel Rückschau auf viele Jahre Erfahrung mit Pferden und ihren Besitzern.

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Leseprobe

Probleme am Boden


Pferde, die sich nicht einfangen lassen


Ich schaute der Veranstaltung eines berühmten Trainers zu, wie man ein schwer einzufangendes Pferd einfing. Ich konnte mir nicht helfen, aber mir kam es so vor, als sei ich in eine Wunderheiler-Show geraten, als er die Wirkung seines speziell entwickelten Führstricks anpries, mit dem er das Pferd angeblich dazu brachte, den fünfzehn Meter großen Pen zu umrunden. Es war das gleiche Seil, das er nach der Veranstaltung verkaufen würde. Er hatte es zwar nicht so deutlich gesagt, aber angedeutet, dass seine spezielle Einfangmethode ohne die Magie dieses Führstricks nicht ganz, oder zumindest nicht so gut funktionieren würde. Dreißig Minuten lang hatte er das Tier mit voller Geschwindigkeit galoppieren lassen, bis er es schließlich durch Herumwirbeln des Seiles zum Stehen brachte. Das erschöpfte Pferd blieb sofort stehen. Langsam ging der Trainer auf das Pferd zu, das aussah, als wäre es viel zu entkräftet, um Angst zu empfinden und klopfte ihm sanft den schweißnassen Hals.

Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge angesichts der Leichtigkeit, mit der er sich dem vorher scheinbar unnahbaren Pferd genähert hatte. Das Raunen wurde noch lauter, als er sich umdrehte und zurückging zur Mitte des Pen. Kraftlos lief das Pferd hinter ihm her, als wäre es ein herrenloser Welpe, der einem kleinen Jungen in sein neues Heim folgte.

„Ist das nicht erstaunlich?“ hörte ich eine Frau, die neben mir saß, zu ihrer Freundin sagen.

„Erstaunlich“ ist eine Möglichkeit dies zu beschreiben, dachte ich, allerdings wäre „Taschenspieler-Trick“ eine treffendere Beschreibung gewesen. Die meisten Leute, die an diesem Tag als Zuschauer auf der Tribüne gesessen hatten, schienen durchschnittliche Hinterhof-Pferdebesitzer zu sein. Leute also, die nicht von Pferden lebten, sondern ausschließlich in ihrer Freizeit ritten. Ich bin sicher, dass das, was sie soeben erlebt hatten, in ihren Augen tatsächlich so etwas wie Zauberei war. Um so mehr, da sie mit eigenen Ohren die Versprechungen des Trainers gehört hatten, auch sie würden diese Zauberkraft besitzen, wenn sie nur das Seil kauften, in welchem allein die Zauberkraft lag.

Natürlich war in allem, was er vorgeführt hatte, überhaupt keine Magie und es bestand keine Notwendigkeit, einen speziell entwickelten Führstrick zu besitzen, um ein schwer einzufangendes Pferd zu fangen. Man braucht nicht mehr als ein wenig Verständnis, das nötige Wissen und das richtige Timing. Natürlich ist es geschäftsschädigend, wenn man so etwas sagt, aber das ist egal, denn ich habe nie versucht, magische Führstricke zu verkaufen.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich genau weiß, was die Zuschauer an diesem Seminar-Tag empfunden haben. Wird man Zeuge dieser Leichtigkeit, mit der es ein Trainer schafft, etwas zu erreichen, das für einen selbst extrem schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, dann erscheint einem dies wie eine Offenbarung. Ich erinnere mich, wie ich dem alten Mann das erste Mal dabei zugesehen habe, als er hinausging, um ein Pferd einzufangen, dem sich niemand sonst nähern konnte. Das war für mich wie eine Offenbarung. Er hatte es aber nicht nötig, es mir als solche zu verkaufen. Stattdessen hatte er sich die Zeit genommen, um mir zu erklären, dass er es dem Pferd erlaubte sich wohlzufühlen, sodass es das Einfangen nicht als unangenehm empfand.

Der Trainer hatte mit seiner Demonstration eine Variation genau dieser Idee vorgeführt. Mit dem Unterschied, dass er dem Pferd nicht soviel Zeit gegönnt hatte, die Vorstellung, eingefangen zu werden, als angenehm zu empfinden. Stattdessen hatte er das Pferd so müde gemacht, dass es gar keine andere Möglichkeit hatte. Er hatte den Zuschauern diese Tatsache als seine besondere Fähigkeit verkauft, mit dem Pferd kommunizieren zu können und behauptete nun, dass das Pferd ihn verstanden hätte.

Die Mehrzahl der Leute, die an diesem Tag das Seminar besucht hatten, glaubten jetzt bedauerlicherweise, dass nichts weiter notwendig war, um ein schwer einzufangendes Pferd in den Griff zu bekommen, als ein magischer Strick und ausreichend Platz, wo sie das Pferd bis zur totalen Erschöpfung laufen lassen konnten.

Das Pferd so lange herumrennen zu lassen, bis es müde ist, würde wahrscheinlich sogar die ersten beiden Male funktionieren. Danach hätte man allerdings ein Tier, das jede Annäherung als Aufforderung versteht, wegzurennen. Statt das Problem zu lösen, macht man es damit tatsächlich noch schlimmer.

Das kann ich mit Bestimmtheit sagen, da ich im Laufe der Jahre jeden vorstellbaren Pferdefang-Trick entweder gesehen oder angewandt habe: das hinter dem Rücken versteckte Halfter, das Klappern eines mit Getreide gefüllten Eimers und den Einsatz eines Lassos, um das Pferd zu fangen. Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, dass kein Trick der Welt besser ist als der, dem Pferd zuallererst beizubringen, sich gern einfangen zu lassen. Da aber die meisten Leute nicht wissen, wie man das macht, verlassen sie sich auf solche Praktiken, vor allem auf den mit Getreide gefüllten Eimer, oder sie treiben das Tier in eine kleine Umzäunung, wo sie es in eine Ecke drängen.

Ich will damit nicht sagen, dass es falsch ist, wenn Menschen ihre Pferde durch List dazu bringen, sich einfangen zu lassen. Normalerweise ist das für ein Pferd und seinen Besitzer sogar eine sehr gute Gelegenheit, eine kleine extra Übungseinheit zu bekommen. Wenn die Menschen nur die Hälfte der Energie aufbringen würden, die sie zur Entwicklung dieser Tricks benötigen und stattdessen ihren Pferden richtig beibringen würden, sich einfangen zu lassen, dann hätten sie ein Problem weniger.

Eines der ersten Pferde, das ich einzufangen hatte, war ein rundlicher, kleiner Paint Wallach. Jahrelang war er der Spielgefährte eines kleinen Mädchens gewesen, das jetzt ins Teenageralter gekommen war und die Welt der Jungen entdeckt hatte. Plötzlich hatte das Pferd nichts anderes mehr zu tun, als in einem 9 mal 15 Meter großen Pen im Garten hinter dem Haus der Familie herumzustehen.

Der Vater des Mädchens wollte das Tier verkaufen. Deshalb hatte er Kontakt mit mir aufgenommen und mich gebeten, das Pferd ein paar Wochen lang zu reiten, damit ihm einige seiner Macken ausgetrieben würden. Wenn sich der Wallach einigermaßen anständig reiten ließ, so dachte er wohl, könnte er einen besseren Preis erzielen, um die extrem hohen Futterkosten wieder reinzukriegen.

Bevor ich mit meiner Arbeit begann, fragte ich den Mann, ob das Pferd irgendwelche Eigenarten hätte, um die ich mich zuerst kümmern müsste.

„Nun“, sagte er und schaute dabei über den Zaun des Corrals auf das rundliche kleine Pferdchen, das ungeduldig an seinem Futtertrog stand. „Er ist ein bisschen verwöhnt und lässt sich schwer einfangen.“

„Lässt er sich mit Futter locken?“ fragte ich, weil mir klar war, dass ein Pferd von dieser Statur wahrscheinlich alles tun würde, wenn Futter im Spiel war.

„Ja, das funktioniert“, antwortete der Mann, „aber sobald er ein Halfter sieht, ist er auf und davon.“

Mit dieser aussichtsreichen Neuigkeit ging ich in den nahegelegenen Schuppen, in dem das Pferdefutter aufbewahrt wurde und schaufelte Getreide aus einem offenen Sack, der auf dem Boden stand, in eine Kaffeekanne. Von einem Haken, über dem eine beeindruckende Goldplakette hing, in die der Name „Prince“ eingraviert war, schnappte ich mir das Halfter.

Als ich den Corral betrat, hielt ich das Halfter in der rechten Hand hinter dem Rücken versteckt und schüttelte die Getreidekanne mit der linken. Prince, der in der Zwischenzeit an den Wassertrog gegangen war, hob den Kopf und legte die Ohren zurück. Er leckte sich die Lippen und gab ein leises Blubbern von sich, als ob er sagen wollte: Lunch ist fertig. Das Wasser schien er vollkommen vergessen zu haben, denn als er so vor sich hinschlabberte, lief es ihm aus dem Maul.

Er vergeudete keine Zeit und kam zielstrebig auf mich zu, wobei er wie eine ferngelenkte Rakete auf die Kaffeekanne zusteuerte. In seiner Hast an das Futter zu kommen, hatte er völlig vergessen, dass ich an der Kanne hing. Er presste seine Nase tief in das Futter und schubste mich mit seiner Schulter beiseite.

Gierig kaute er, ohne die Nase auch nur einmal aus der Kanne zu nehmen. Dann stieß er immer tiefer hinein, um das Maul noch voller zu bekommen.Er rammte seinen Kopf mit einer solchen Kraft in die Kanne, dass sie mir aus der Hand fiel und das Getreide auf dem Boden landete. Sein Kopf wurde sofort von dem Futter angezogen, wie Metall von einem Magneten.

Als ich ihn derart beschäftigt sah, schien mir die Gelegenheit günstig, ihm das Halfter anzulegen. Langsam zog ich es hinter meinem Rücken hervor. Kaum war das Halfter in seinen Blickwinkel gerückt, als er sich, den Kopf noch immer am Boden, auch schon langsam zurückzog. Als ich mit dem Führstrick in die Nähe seiner Schulter kam, um ihn über seinen Hals zu legen, quietschte Prince und galoppierte wiehernd davon. Sein Kopf und Schweif waren hoch erhoben.

Heute bin ich sicher, dass er dabei versuchte so auszusehen, wie das stolze und würdevolle Pferd, das er immer sein wollte. Bedauerlicherweise sah er aber nur so aus wie ein bergabrollender, rostiger Volkswagen. Er erreichte das Ende des Corrals und drehte sich um, als habe er etwas vergessen. Man konnte es deutlich an seinem Gesichtsausdruck erkennen: Oh je, ich brauche was zu trinken. Damit machte er sich langsam auf den Weg in Richtung Wassertrog.

Mir war sofort klar, dass ich dieses Pferd nicht mit Tricks überlisten konnte. Wenn ich ihn überhaupt einfangen wollte, musste er damit einverstanden sein.

...

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