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E-Book

Der Einfall und die Freiheit

Lebensweltliche Evidenz für die natürlichen Grundlagen des Geistes

AutorAndreas Eisenrauch
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl316 Seiten
ISBN9783844830569
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wenn die Hirnforscher mit ihren Thesen Recht hätten, wie müsste dann unfreies Denken und Entscheiden aussehen, in welchen lebensweltlichen Phänomenen könnte die Unfreiheit sichtbar werden? Sollte es dann nicht so sein, dass alle Gedanken uns ungerufen und ohne vorige Erwägung bewusst werden müssten, dass wir sie als Einfälle erleiden sollten? Einfälle sind aber genau das, was wir im Leben an uns beobachten; es gibt sie, wir haben sie und wir haben deshalb auch diesen Begriff in unseren Sprachen. Es ergeben sich überraschende Konsequenzen, wenn man diese und noch mehr Tatsachen genauer analysiert. Wir erleben einzig einen unwillkürlich und unbewusst generierten Strom unserer Gedanken, dessen Urheber nur das Gehirn sein kann. Es wird hier dafür argumentiert, dass die Geist-Gehirn-Problematik aus einer unangemessenen Trennung beider Entitäten entsteht, die nicht einmal eine lebensweltliche Rechtfertigung hat, und somit auch keine philosophische haben kann. Entgegen aller Vorhersagen kann man dann zeigen, dass wir zentrale Eigenschaften wie Persönlichkeit, Urheberschaft und Verantwortung auch dann behalten, wenn man davon ausgeht, dass Denken und Entscheiden das Resultat unbewusster Gehirnaktivität sind. Die Bestimmung durch das Gehirn, welches der eigene Verwalter der eigenen Lebenserfahrung und Gründe eines Menschen ist, ist gerade keine Fremdbestimmung. Das Gehirn ist nichts Fremdes, es ist die von uns nicht abtrennbare Manifestation unserer Persönlichkeit. Stichworte: Philosophie Philosophie des Geistes Willensfreiheit Entscheidungsfreiheit Hirnforschung Gehirn Geist Bewusstsein Psychologie Einfall Mentale Verursachung Epiphänomen Urheberschaft Neuronenensembles Moral Menschenwürde

Dr. phil. nat. Andreas Eisenrauch (*1960) ist promovierter Biochemiker. Nach seinem Studium der Biologie an der Joh.-Wolfg.-Goethe Universität in Frankfurt am Main, war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPI für Biophysik in Frankfurt am Main, wo er über Ionen-Transportproteine in Zellmembranen arbeitete. Seit 2001 ist er in der IT-Industrie als Qualitätsmanager und Leiter von technologischen Projekten tätig. Kontakt: eisenrauch@gmx.de

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Leseprobe

I. Teil: Beobachtungen


1. “Willensfreiheit“ - Zumutungen und Verteidigungen

Damnant, quod non intellegunt.

(Sie verurteilen, was sie nicht verstehen. Quintilian, Institutio oratoria 10, 1, 26)

Ungefähr seit der Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wird in deutschen Gelehrtenkreisen eine kontroverse Debatte über die (Nicht-)Existenz menschlicher Willensfreiheit geführt. Einige Hirnforscher, wie sie etwas pauschal gemeinhin genannt werden, interpretieren die experimentellen Ergebnisse der neurobiologischen Forschung der letzten Jahrzehnte dahingehend, dass alles, was ein Mensch denkt und handelt, durch physische Vorgänge im Gehirn vorbereitet und entschieden wird, bevor es diesem Menschen bewusst wird und er danach handeln oder sich dazu äußern kann1. Davon betroffen wären demnach auch die Vorgänge in jedem Menschen, die zur Ausbildung seines Willens führen.

Allerdings ist die übliche Redewendung eines freien oder unfreien Willens etwas unpräzise. Wie das gemeint ist, soll die folgende Überlegung klären.

Die menschliche Lebenswelt fordert von jedem Individuum, dass es unablässig Entscheidungen fällen muss. Einmal gefasste Entscheidungen führen in einen Zustand des „einen Willen habens“, das heißt ein Mensch kann zu sich und zu anderen Menschen sagen: „Ich will X“ (und nicht Y oder Z, was auch möglich gewesen sein sollte). Betrachten wir also einen Menschen M1, der an einem beliebigen Tag für einen wichtigen Termin von seinem/ihrem2 Wohnort A in die benachbarte Stadt B reisen muss. Alle verfügbaren Gründe (die hier nicht detailliert ausgeführt werden müssen) am Vortag bedenkend, kommt M1 zu der Ansicht, dass es am vorteilhaftesten sei, in diesem Fall ein Taxi zu nehmen. Von dem Augenblick an, in dem sich M1 entschieden hat, läuft er mit dem Willen durch die Welt: „Morgen fahre ich mit dem Taxi von A nach B.“

Ein Mensch kann seinen Willen hinsichtlich X wohl haben oder aber nicht. Für die Feststellung von Freiheit findet man hier keinen rechten Ansatzpunkt. Was dagegen frei oder unfrei sein könnte, sind die Vorgänge, die zur Entstehung eines Willens führen, wo vorher noch keiner war. Was allgemein unter der Überschrift „Willensfreiheit“ diskutiert wird, sollte eigentlich eher „Willensbildungsfreiheit“, oder noch besser „Entscheidungsfreiheit“ genannt werden.

Die Frage ist eben: Laufen solche Entscheidungsvorgänge, abhängig von bestimmten Anfangsgegebenheiten, streng regelmäßig auf ein durch die Regel determiniertes Ergebnis zu, oder ist der Vorgang „Ergebnis-offen“, insofern aus der Menge der möglichen Entscheidungen keine am Beginn des Entscheidungsvorgangs vorbestimmt wäre. Zur Entscheidungsfreiheit auf der Grundlage der Ergebnis-Offenheit soll nach der Überzeugung vieler Menschen, welche die Ansichten der Hirnforscher nicht teilen, insbesondere die freie Wahlmöglichkeit der selbstbewussten Person beitragen, die letztendlich das bestimmt, was hernach entschieden sein soll. Mit der Person ist die Entität des Beispiels vom Anfang gemeint, die „Ich“ sagen kann. Die Person hat ein Bewusstsein, das möglicherweise zwei Aspekte kennt. Es gibt sicherlich das Bewusstsein von dem, was die Person aktuell wahrnimmt und bewegt („Jetzt gerade drückt mich beim Gehen der linke Schuh“). Darüber hinaus wird oft noch ein grundlegendes Bewusstsein von sich selbst unterschieden, das aus der Summe gemachter Lebenserfahrungen entsteht („Ich bin M1, das Kind von M5 und M6. Ich bin Bankangestellter, habe blaue Augen, bin sportlich, cholerisch, liebe rote Weine, wähle die Partei XYZ,…“)3. Die Person blickt auf eine sie prägende Historie zurück, aus der ihr Selbstbewusstsein entsteht. Die prägende Historie beinhaltet auch die Erfahrungen, auf die ein Mensch zurückgreifen kann, wenn er vor den Entscheidungen steht, wie es in seinem Leben weitergehen soll. Damit sind keinesfalls nur „große“ Entscheidungen gemeint, wie etwa die Wahl eines Berufs, sondern gerade auch die unzähligen kleinen Entscheidungen des Alltags, deren eine oben schon beschrieben wurde. Die Erfahrung liefert die Fakten und Gründe, die bedacht und überlegt werden sollten, bevor eine Entscheidung gefällt wird.

Alle Konzepte, welche für die Freiheit der Willensbildung argumentieren, beharren für die Steuerung der Aktivitäten eines Menschen auf dem Primat der Person als Urheberin ihres Willens. Sie kann hierzu autonom und kontrolliert Gründe abwägen4, sowie anschließend begründet entscheiden. Sie sehen das Gehirn in der einen oder anderen Weise als ein lediglich den Körper antreibendes, ausführendes Organ. Gelenkt werden die Entscheidungen und die darauf folgenden körperlichen Handlungen jedoch letztendlich von einer geistigen Entität, die nicht durch körperliche Gegebenheiten eingeschränkt ist.

Die Freiheits-Skeptiker hingegen sehen die bewusste Person und alle ihre Gedanken und Entscheidungen als Folge der Gehirnaktivität und somit in völliger Abhängigkeit von den organischen Prozessen. Im Gehirn, welches die Ursache allen lebensweltlich-facettenreichen Bewusstseins ist, herrschen die Kausalgesetze der Natur, denen sich somit auch die Willensbildung des Menschen unterzuordnen habe. So lautet -in aller Kürzedie deterministische Kernthese der Hirnforscher pro Unfreiheit der Entscheidungsprozesse, die gemeinhin als die hauptsächliche Herausforderung für die Existenz eines freien Willens gesehen und von vielen Philosophen entsprechend bekämpft wird. Wegen des Rückgriffs auf die mit naturwissenschaftlichen Methoden beobachtete Natur und auf daraus abgeleitete Naturgesetze zur Erklärung geistiger Phänomene durch die Hirnforscher, wird deren Position als „Naturalismus“ bezeichnet (natürlich gibt es auch Philosophen, die naturalistische Positionen vertreten, die wenigsten davon bestreiten allerdings so konsequent die Entscheidungsfreiheit).

Die Antworten auf die gestellte Frage, ob die Willensbildung der Menschen persönlich-selbstbestimmt sei, oder nicht, hängen somit jeweils davon ab, ob der auf die Frage antwortende Mensch seiner subjektiven Selbsterfahrung als fühlende und denkende Person den ontologischen Primat einräumt oder ob er die auch nur subjektiv erlebbare Körperlichkeit als Grundlage für sein Menschenbild annimmt. Und in engem Zusammenhang damit steht eine andere Frage, nämlich die danach, ob denn das Bewusstsein, der Geist oder mentale Zustände eines Menschen die Macht zur aktiven Intervention im Körper dieses Menschen haben, danach also, ob eine mentale Verursachung von körperlichen Vorgängen aus geistigen Regungen heraus möglich ist. Denn wenn es nicht der Körper ist, der selbstorganisiert die Äußerungen eines Menschen generiert, dann muss der Geist die Möglichkeit und Fähigkeit haben, jederzeit in die körperlichen Prozesse einzugreifen.

Von den Verteidigern der bedrängten Entscheidungsfreiheit wird eine Vielzahl an Argumenten vorgebracht, welche die Haltlosigkeit der naturalistischen Thesen erhärten sollen. Die für die Thematik der lebensweltlichen Grundlagen der Willensbildung bedeutsamsten möchte ich hier kurz vorstellen, eine ausführlichere Diskussion derselben folgt im zweiten Teil dieser Schrift.

Schon auf einer grundsätzlichen Ebene wird die Anwendbarkeit physiologischer Messergebnisse auf die Erklärung der lebensweltlichen Phänomene geistiger und mentaler Zustände, wie Gefühle, Meinungen oder eben ein Wille, unter dem Vorwurf bestritten, das hiermit „Kategorienfehler“ begangen werden5. Wegen der kategorialen Verschiedenheit der biotischen Objekte, die allein Gegenstand der naturwissenschaftlichen Forschung sind, und der für die Wissenschaften unzugänglichen, mentalen Phänomene würden die Wissenschaften grundsätzlich nicht zu vollständigen Beschreibungen und Vorhersagen der geistigen Regungen der Menschen gelangen können. Ein mentaler Zustand, wie etwa ein „ich fühle“ oder „ich wünsche“ kann nur von dem, der fühlt und wünscht ermessen werden, nicht von einem außerhalb dieser Person agierenden Beobachter. Da Wissenschaften nie ein Gefühl oder einen Wunsch messen können, können sie auch keine Vorhersagen machen, wie diese Zustände entstehen.

Eine andere Art dieser Kategorienfehler wäre der „mereologische Fehlschluss“, der unterläuft, wenn Eigenschaften einer vollständigen Entität (der ganze Mensch) auf lediglich einen Teil derselben (beispielsweise das Gehirn) bezogen werden („Der Mensch denkt“ vs. „Das Gehirn denkt“)6. Das Fühlen und das Wünschen kann demnach nur dem ganzen Menschen zugeschrieben werden, niemals aber nur dem Gehirn, welches, als eine Ansammlung an sich „toter“ Materie, zur Erbringung mentaler Leistungen unfähig sein muss.

Hinsichtlich der Reichweite der Naturgesetze, welche die Hirnprozesse determinieren sollen, werden ebenfalls vielfach Zweifel geäußert, ob alle physischen Prozesse durch sie auch wirklich...

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