In diesem Kapitel werden die verwendeten Studien im Hinblick auf die Fragestellung ausgewertet. Dabei wird in den folgenden Unterkapiteln danach unterschieden, ob die vorliegenden Untersuchungen Coping-Dispositionen, situatives Coping oder Interventionen im Sinne psychologischer Operationsvorbereitung erfasst. Eine kritische Diskussion derselben soll dann in Kapitel 5 erfolgen.
Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, werden ausschließlich diejenigen Variablen und Ergebnisse berichtet, die zur Beantwortung der Fragestellung dienlich sind. Eine detaillierte Übersicht aller verwendeten Studien findet sich in Tabelle A-2 im Anhang dieser Arbeit.
Insgesamt wurden 20 Studien aus dem Zeitraum 2004-2014 ausgewertet. Die Untersuchungen wiesen nicht nur bezüglich der theoretischen Hintergründe und der verwendeten Variablen bzw. Indikatoren, sondern auch bezüglich der Stichproben eine starke Heterogenität auf. So lagen die Stichprobengrößen zwischen N = 9 und N = 335 und das Alter der Probanden rangierte zwischen 19 und 85 Jahren. Es wurden ungefähr zu gleichen Teilen Studien aus Europa, Nordamerika sowie Asien verwendet, zudem je eine Untersuchung aus Neuseeland bzw. Australien. Am häufigsten ließen sich Querschnittdesigns finden, doch auch acht Längsschnittstudien gingen in dieses Review mit ein. Unter den verwendeten Untersuchungen wies eine ein rein exploratives Design auf.
Gemein ist den vorliegenden Studien, dass die Probanden Adoleszenten oder Erwachsene waren, denen ein elektiver chirurgischer Eingriff bevorstand, d.h. es handelte sich nicht um eine Notoperation—allerdings variierten die Art der chirurgischen Eingriffe bzw. die Anlässe der Operationen stark zwischen den Untersuchungen.
Im Folgenden werden zunächst Studien vorgestellt, die situative Bewältigungsstrategien vor einer Operation und ihren Einfluss auf die Genesung erfassen, im Anschluss daran folgen die Untersuchungen, deren Fokus auf behavioralem/dispositionellem Coping lag. Dieser Abschnitt endet mit einer Darstellung der Studien, in denen der Einfluss sowohl von dispositioneller als auch von situativer Bewältigung erforscht wurde.
Im Rahmen einer qualitativen explorativen Studie führten Bergvik, Sørlie und Wynn (2010) halbstrukturierte Interviews mit neun Patienten, die sich im University Hospital of Northern Norway einer Bypass-Operation unterzogen hatten, um rückblickend ihre Sorgen und Gedanken bezüglich des bevorstehenden Eingriffs zu erfahren. Hierfür wurde ein interpretativ-phänomenologischer Ansatz (Smith & Osborn, 2008) gewählt, in welchem es darum geht, Aspekte eines Erlebnisses aus Sicht des Individuums zu begreifen.
Die Probanden berichteten übereinstimmend, dass die Operation für sie ein stressreiches Ereignis war, in den eingesetzten Bewältigungsstrategien unterschieden sie sich allerdings. Die Interviewten berichteten zum einen von vermeidenden Bewältigungsstrategien, wie bspw. das Verschieben der Arztbesuche, das Unterdrücken der mit der Operation verbundenen Gedanken, Ablenkung durch Aktivitäten sowie das Verfallen in einen schläfrigen Zustand beim Warten auf die OP. Zum anderen wurden auch annähernde Strategien berichtet: aktives Hilfesuchen, Informationssammlung, mentale Vorbereitung sowie Selbstinstruktion im Sinne von positivem Denken. Dabei zeigten die meisten eine hohe Tendenz, sowohl aktives als auch passives Coping einzusetzen. Insgesamt berichteten die Autoren, dass sich die vorgefundenen Strategien gut anhand des Schemas vermeidend/annähernd kategorisieren ließen.
In einer hypothesengeleiteten US-amerikanischen Studie erforschten LaMontagne, Hepworth, Cohen und Salisbury (2004) Zusammenhänge zwischen prä- und postoperativem vermeidendem bzw. vigilantem Coping und langfristigen Aktivitätsergebnissen (long-term activity outcomes) von 118 Adoleszenten, die sich einer Operation zur Korrektur einer Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) unterzogen. Im Folgenden werden nur die Ergebnisse berichtet, die im Zusammenhang mit präoperativem Coping gefunden wurden.
Die Autoren erhoben die situativen Bewältigungsstrategien der Patienten im Vorfeld der Operation mithilfe des Preoperative Mode of Coping Interview (F. Cohen & Lazarus, 1973), dabei handelt es sich um ein strukturiertes Interview mit dem Ziel, das Coping der Befragten auf der Dimension vermeidend – vigilant einzustufen. Dabei stehen niedrige Werte für vermeidendes Coping (bspw. Vermeidung von Informationen) und hohe Werte für vigilantes Coping (bspw. aktive Suche nach Information, Auseinandersetzen mit möglichen Komplikationen.
Um postoperative Aktivitäten zu erfassen, wurde die Kompetenz-Skala des Youth Self-Report and Profile-Inventars (YSR) verwendet. Diese umfasst die Subskalen „übliche Aktivitäten“, „soziale Aktivitäten“ und „schulische Leistungen“. Zusätzlich wurde ein neues, dichotomes Item kreiert, in welchem die Probanden angeben sollten, ob sie an neuen Aktivitäten teilnahmen. Die Patienten wurden gebeten, den so entstandenen Fragebogen sowohl einen, drei, sechs und neun Monate nach ihrem Eingriff auszufüllen. Es handelt sich somit um einen subjektiven Genesungsindikator.
Die Autoren berichteten, dass präoperatives Coping signifikant die gewöhnlichen Aktivitäten einen Monat nach der Operation (β = .24, p < .05), schulische Leistung nach sechs bzw. neun Monaten (β = .27, p < .01 bzw. β = .25, p < .05) sowie neue Aktivitäten nach einem bzw. sechs Monaten (b = .34, OR = 1.41, p < .05 bzw. b = .50, OR = 1.65, p < .05) vorhersagte. Dabei galt, je vigilanter das präoperative Coping, desto aktiver waren die Patienten zu den postoperativen Erhebungszeitpunkten. Moderiert wurde der Einfluss präoperativen Copings auf neue Aktivitäten nach einem Monat (p = .04) sowie auf gewöhnliche Aktivitäten nach 3 Monaten (p = .03) durch das Alter. Je älter die Befragten waren, desto stärker war der Zusammenhang zwischen Coping und postoperativen Aktivitäten. Dieser Zusammenhang ist auch aus Abbildung 2 ersichtlich, beispielhaft illustriert für gewöhnliche Aktivitäten nach drei Monaten. Dort wurden die Ergebnisse für die Gruppe der jüngsten sowie der ältesten Probanden der Untersuchung dargestellt, dabei handelt es sich um Adoleszenten, deren Alter eine Standardabweichung über dem Durchschnittsalter lag (15.7 Jahre oder älter, n = 16) sowie Adoleszenten, deren Alter mindestens eine Standardabweichung unter dem Durchschnittsalter lag (12.1 Jahre oder jünger, n = 30). Die „Vigilanteren“ in der Gruppe der älteren Adoleszenten nahmen an mehr gewöhnlichen Aktivitäten und die eher „Vermeidenden“ nahmen weniger an gewöhnlichen Aktivitäten teil. Für die Gruppe der jüngeren Adoleszenten konnte hingegen kein Zusammenhang zwischen präoperativem Coping und postoperativen Aktivitäten gefunden werden.
Abb. 2: Alter moderiert den Einfluss präoperativen Copings auf gewöhnliche Aktivitäten (3 Monate nach der OP; LaMontagne et al., 2004, S. 247)
In einer 2009 in Sidney durchgeführten Studie untersuchten Vollmer-Conna et al. Zusammenhänge zwischen psychologischen Faktoren, Immunstatus und postoperativen Komplikationen mithilfe eines rekursiven Strukturmodells. Dabei wurden Daten von 29 Patientinnen erhoben, denen die Gallenblase entfernt wurde (Cholezystektomie).
Die situativen Bewältigungsreaktionen der Probandinnen wurde erhoben, indem ihnen zwei Wochen vor der Operation im Rahmen eines strukturierten Interviews die folgende Frage gestellt wurde: „Is there anything that you can actively do to maximise the success of this operation?“ (Vollmer-Conna et al., 2009, S. 171). Die Antworten wurden durch die Interviewer auf einer 3-stufigen Skala kategorisiert: 0 = kein aktives Coping, 1 = eine aktive Coping-Strategie, 2 = mehr als eine aktive Coping-Strategie. Die Patientinnen gaben zudem die von ihnen eingeschätzte Bedeutung und Wirksamkeit aktiven Copings in diesem Kontext an.
Die Chirurgen wurden gebeten, die Schwere der postoperativen Komplikationen einer jeden Patientin auf einer Likert-Skala (0 bis 5) einzuschätzen. Bei dem so zustande-gekommenen Komplikations-Index handelt es sich somit um ein subjektives Maß. Zusätzlich erhobene Indikatoren werden im Rahmen dieser Arbeit aufgrund der Fragestellung nicht ausführlich berichtet.
In Abbildung 3 ist das finale Modell der Autoren zwecks besserer Verständlichkeit dargestellt. Darin werden nur direkte Effekte dargestellt, die einen Wert größer als 0.25 Standardabweichungen annehmen oder die mindestens ein Signifikanzniveau von 5% erreichen. Treffen beide Kriterien zu, werden die Pfade in Fettdruck dargestellt.
Abb. 3: Pfaddiagramm—Zusammenhänge zwischen psychologischen Faktoren, Immunstatus und postoperativen Komplikationen (Vollmer-Conna et al., 2009)
Mit Blick auf den Einfluss präoperativer Bewältigungs-Strategien lässt sich als Ergebnis der Studie festhalten, dass aktives Coping einen direkten Einfluss auf das Risiko...