Ab wann gelten ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als „älter“? Die Alterung von Erwerbspersonen unterliegt, einem ständigen individuellen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufendem, Veränderungsprozess.[29] Für die Beurteilung spielt neben dem kalendarischen auch biologische und psychologische Alter eine Rolle. Während das kalendarische Alter leicht berechnet werden kann, ist das biologische (physische Verfassung) und psychologische (psychische Verfassung) Alter bei jedem Menschen individuell unterschiedlich. Grund sind die unterschiedlichen Arbeitsanforderungen in den einzelnen Berufen. Arbeitnehmer der Montanindustrie, welche über lange Zeiträume schwere körperliche Arbeit geleistet haben, werden in der Regel biologisch älter sein als Angestellte, welche überwiegend geistige Leistungen erbracht haben. Ausnahmen sind bei beiden möglich. Zu den älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden aktuell männliche Arbeitnehmer ab einem Alter von ca. 45 und Frauen sogar schon ab einem Alter von 40 Jahren gezählt, „wer über 50 ist, praktisch überall.“[30] „In bestimmten Branchen werden Menschen bereits ab 38 zu den Älteren gezählt.“[31] Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden landläufig als leistungsschwächer als die Gruppe der bis 39 Jährigen eingestuft, ja sogar vielfach als „Problemgruppe“[32] stigmatisiert. „Die Zuordnung zur Gruppe der älteren Mitarbeiter hängt zum Teil auch von der Höhe des Personalvermögens ab.“[33] Das bedeutet, Mitarbeiter mit geringem Personalvermögen werden früher der Gruppe der Älteren zugeordnet als Mitarbeiter mit hohem Personalvermögen.[34] Bei einem Renteneintrittsalter von bald 67, ergibt sich theoretisch eine Lebensarbeitszeit von ca. 50 Jahren. Das heißt, dass man „mehr als die Hälfte seines Erwerbslebens zur Gruppe der Älteren“[35] zählen wird. Anders als die Wirtschaft definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ältere Menschen.[36]
45-59 Jahre – alternde Menschen
60-75 Jahre – ältere Menschen
Ab 76 Jahre – alte Menschen
Insgesamt ist die Bezeichnung „älterer“ kritisch zu bewerten. Die Verwendung der Bezeichnung „ältere Mitarbeiter“ oder 50plus hinterlässt den Eindruck, dass es sich um eine Problemgruppe handelt. Für die Betroffenen kann dies zu einer Motivationsminderung führen. Die Lufthansa AG verwendet für Mitarbeiter ab 50 den wertschätzenden Begriff „Senior Professionals“, denkbar wären auch Formulierungen wie „reife“ oder „erfahrene“ Mitarbeiter.[37] Unabhängig, welche Bezeichnung oder Formulierung ein Unternehmen oder die Politik wählt, sollte sie immer eine Wertschätzung der reiferen Arbeitnehmer beinhalten. Man muss sich darüber klar werden, dass wir uns sowohl mit der Definition „ältere Menschen“ als auch bei einer Diskussion über Weiterbildungsmaßnahmen auf eine Gratwanderung zwischen Entwicklung, Förderung und Diskriminierung begeben.[38] Ins Blickfeld, bei der Debatte um ältere Mitarbeiter gerät zuallererst deren Leistungsfähigkeit, die oft als eingeschränkt beschrieben wird, und damit verbunden ein möglicherweise stattfindender altersbedingter Wandel von Leistungsfähigkeit.
In der Diskussion stehen die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Tatsache ist „[n]och nie waren die Alten so leistungsfähig wie heute“.[39] In den letzten Jahrzehnten war die arbeitswissenschaftliche Forschung darauf ausgerichtet, Erkenntnisse zu erhalten, welche die bessere Gestaltung der Arbeitsbedingungen (altersgerechte Arbeitsplätze) für Ältere betraf. Hier wurde „älter“ mit Leistungswandel und Leistungsminderung gleichgesetzt. Diese inzwischen widerlegte Sichtweite beruhte im Wesentlichen auf dem Defizitmodell des Älterwerdens.[40] Passender ist es, das Altern als einen Prozess anzusehen, welcher individuell sehr unterschiedlich abläuft. Die Abnahme, der insbesondere physischen Leistungsvoraussetzungen, wird durch Persönlichkeitsfaktoren ersetzt. Diese neuen Gesichtspunkte führen zu messbaren Verbesserungen der Arbeitsfähigkeit ältere Arbeitnehmer. Zu nennen sind zum Beispiel Expertenwissen, Erfahrungswissen und soziale Kompetenz.[41] Betrachtet man ältere Mitarbeiter aus ökonomischer Sicht, so steht ihr Beitrag an der Wertschöpfung im Unternehmen im Blickpunkt. Dieser produktive Beitrag setzt sich aus der individuellen Arbeitsleistung und jenem Beitrag, welcher sich in der Gruppenleistung auswirkt, zusammen. „Beispielsweise ist hier an das Erfahrungswissen zu denken, das von jüngeren Mitarbeitenden “angezapft“ werden kann.“[42]
Quelle: ähnl. Bruggmann, 2000, Tabelle 2, S. 25
Abb. 4: Leistungsveränderung im Altersverlauf
Bei der Betrachtung der Leistungsfähigkeit der Älteren ist das Augenmerk auf die Lernfähigkeit, die Lernbereitschaft, die Leistungsbereitschaft, das Arbeitsverhalten, die Unfallhäufigkeit und das Absentismusverhalten zu legen. Diese Faktoren sind unbestritten wichtige Voraussetzungen für deren gegenwärtige und zukünftige Leistungsfähigkeit.
Lernfähigkeit und Lernbereitschaft
Eine der verbreiteten negativen Altersstereotype (verfestigte Meinung) ist, dass älteren Beschäftigten von vielen Arbeitgebern eine geringere Lernbereitschaft zugeschrieben wird. Diese Vorurteile zeigen eine versteckte Altersdiskriminierung auf, welche in Europa und Nordamerika gleichermaßen weit verbreitet ist. Der Zusammenhang zwischen Alter und negativem Lernerfolg ist indes unbewiesen. Diese Arbeit folgt der Annahme, „dass die Lernfähigkeit trotz altersbezogenem Abbaus in manchen kognitiven Funktionen über das gesamte Berufsleben erhalten bleibt.“[43] Die Forschung unterscheidet zwei Quellen altersbezogener Veränderungen, die Neuropathologie und den Nicht-Gebrauch kognitiver Funktionen. Neuropathologisches Altern geht auf eine nicht umkehrbare Veränderung (Abbau) des Nervengewebes zurück, die Verluste durch Nicht-Gebrauch dagegen sind durch kognitives Training reversibel. Einige Mitarbeiter, insbesondere Ältere, vermeiden gezielt Tätigkeiten, welche neu erlernte Fertigkeiten voraussetzen, denn Neues macht unsicher.[44] Verstärkt wird die Tendenz, jüngere Mitarbeiter fortzubilden durch Vorgesetzte, welche sie bei Qualifizierungsmaßnahmen bevorzugen. Es hilft natürlich, dass Jüngere durch Neugier und Ehrgeiz eher an Fortschritt interessiert sind als Ältere, welche zuerst den Sinn und Nutzen hinterfragen. Altersabhängige Intelligenz wird unterschieden zwischen fluider (flüssiger) und kristalliner (verfestigter) Intelligenz. „Fluide Intelligenz umfasst die Leistungsressourcen, die Menschen zur Bearbeitung kognitiver Anforderungen befähigt, bei denen nicht auf frühere Lernerfahrungen zurückgegriffen werden kann.“[45] Dagegen basiert kristalline Intelligenz auf Wissen und Erfahrung. Sie wird über lange Zeiträume aufgebaut und ist dann eine individuelle Leistungsressource älterer Mitarbeiter. Mittels der kristallinen Intelligenz gleichen Ältere die nachlassenden Funktionen der fluiden Intelligenz, wie z. B. das Nachlassen der Wahrnehmungsgeschwindigkeit, zahlengebundenes Denken, Abnahme der Verarbeitungsgeschwindigkeit oder Verringerung der Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses aus (Kompensationsstrategie). Damit wird das düstere Szenario von Lernbereitschaft und Lernfähigkeit bei Älteren korrigiert. Zwar baut die intellektuelle Leistungsfähigkeit tatsächlich ab, jedoch erst sehr spät, jenseits der 60. Diese kognitiven Einbußen der fluiden Intelligenz werden durch die Stabilität der kristallinen Intelligenz ausgeglichen. Damit entsteht bei Älteren vergleichbare Lernfähigkeit.[46] Gleiches gilt für die Lernbereitschaft oder Lernkompetenz, welche sich im Alter, insbesondere auf der Ebene der Lernorientierung, wandelt. Veränderungen sind bei Schwerpunktsetzungen in der Arbeitsmotivation, den Prioritäten arbeitsbezogener Ziele und nachlassender Ehrgeiz möglich. Daraus lässt sich jedoch keine Benachteiligung gegenüber Jüngeren Mitarbeitern für ältere herleiten.[47] Leistungsunterschiede Älterer gegenüber Jüngeren im beruflichen Bereich sind gering und treten vor allem bei geschwindigkeitsbezogenen und in kognitiv besonders stark belasteten Berufsgruppen auf. Die meisten Defizite bei Älteren sind durch einseitige Arbeitsbelastungen wie zum Beispiel körperlich einseitige anstrengende Arbeit, Zwangshaltungen, Zeitdruck, Hitze, Lärm, Beleuchtung, Taktarbeit Schichtarbeit, Daueraufmerksamkeit und soziale Isolation im früheren Berufsleben entstanden. Sie sind aber durch Training ausgleichbar. Den Abbau der körperlichen Leistungsfähigkeit könnte man durch regelmäßigen Sport, den Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit durch Training des Gehirns (Forderung) ausgeglichen, aber es ist ethisch fraglich, ob man das von Arbeitern verlangen kann.[48] Die Leistungsfähigkeit ist sogar so weit steigerbar, dass ein Anstieg der Leistungen mit steigendem Alter möglich ist.[49] Wenn jedoch die Leistungsfähigkeit Älterer gegeben ist und diese Annahme wird an dieser Stelle vertreten, dann sollte es Ziel und Aufgabe der Personalpolitik...