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Der Genie-Gedanke in der Literatur des Sturm und Drang und der Romantik. Zu Robert Schneiders 'Schlafes Bruder' und Christa Wolfs 'Der Schatten eines Traumes'

AutorCaroline Veeser
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783638025461
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universität Konstanz, 158 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: 'Seit wohl 10 000 Jahren weiß der Mensch um das 'cogito, ergo sum', das heißt, er ist sich seiner Stellung sowohl zur Umwelt bewußt wie zum Gestern und zum Morgen, er hat ein Bewußtsein von sich selbst und wird damit zur Persönlichkeit. Und wenn in einem Exemplar dieser Gattung Mensch höchste Persönlichkeitswerte im Sinne von Ethos und Scientia gekoppelt sind, so spricht die Menschheit seit etwa 2500 Jahren von einem Genie.' Unabhängig von Zeitalter, Disziplinen, Einzelmenschen als auch ganzen Nationen und Völkern spielt der Genie-Begriff als Persönlichkeitsideal und Vorbild zur Nachahmung eine bedeutende Rolle. Weiter dient die Genie-Verehrung für den rational denkenden Kulturmenschen als Ersatz für die verloren gegangene Religion und damit als eine Art Rechtfertigung für das menschliche Dasein, seinen Zweck und das Ziel seiner Entwicklung. Wilhelm Lange-Eichbaum und Wolfram Kurth bezeichnen den Genie-Begriff als einen 'ausgesprochen europäischen Begriff', da zu seiner Entwicklung eine ganz bestimmte kultur- und geistesgeschichtliche Grundhaltung erforderlich ist. Seinen Ursprung hat der Genie-Begriff in der Mythologie und Religion der Antike. Das Wort 'Genie' leitet sich her aus 'ingenium', dem natürlichen und angeborenen Talent, und aus 'genius', dem Schutzgeist. Als beste deutsche Übersetzung von 'Genie' gilt der Begriff 'Geist'. Auch die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, setzen in ihrem 'Deutschen Wörterbuch' den Geist gleich spiritus, anima, mens und genius.

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Leseprobe

2 Der Genie-Gedanke im Sturm und Drang


 

2.1 Ausgangssituation - Der Genie-Gedanke vor dem Sturm und Drang


 

2.1.1 Johann Christoph Gottsched


 

Der 1700 in Ostpreußen geborene Professor der Philosophie und Dichtkunst wird oft aus der Perspektive Lessings als Pedant und trockener Schulmeister gesehen. Doch kann seine extreme Haltung nur richtig verstanden werden, wenn man sie als Gegenreaktion auf die ebenfalls extreme Stilrichtung des Barock begreift. Als Repräsentant der frühen Aufklärung wendet sich Gottsched im Namen rationaler Klarheit gegen das barocke Formideal. Er markiert die scharfe Grenze zwischen dem Literaturbarock und der beginnenden Aufklärung. Mit seinem 1730 erschienen Hauptwerk „Versuch einer kritischen Dichtkunst für die Deutschen“ kämpft er für strikte rationale Kontrolle, Vernunft, Verstand und Urteil und stellt damit ein eindrucksvolles Beispiel für den unbegrenzten Glauben der Frühaufklärer an die Vernunft dar.[14] Sein Ausgangspunkt ist vor allem, dass Dichtung in erster Linie nützen und gefallen sollte. Die ideale Form, die dieses verbindet ist für ihn die Fabel. Ganz im Sinne des Rationalismus will Gottsched auf Grund der Vernunft Regeln aufstellen. Dabei fordert er eine literarische Zucht nach dem Vorbild des französischen Rationalismus. Er empfiehlt das strenge, sich mit zweifelhaftem Recht auf Aristoteles berufende Regelsystem, wie es in der französischen Literatur des 17. Jahrhunderts kultiviert worden war. [15] Damit richtet sich Gottsched natürlich gleichzeitig gegen alles, wofür später im Sturm und Drang gekämpft wird, vor allem die Phantasie, damit die schöpferische Freiheit und alles Individuelle. Seine Methoden sind zwar geeignet, den „poetologisch angewandten Wildwuchs“[16] und den „Schwulst“[17] des Barock zu beseitigen, gleichzeitig bedeuteten sie aber eine Verarmung.

 

Gottsched ist für die Genie-Bewegung der Repräsentant der Gegenwelt.[18] Im Gegensatz zum Dichter der späteren Genie-Konzeption, der naturhaft und emotional arbeitet, konzipiert er den „poeta doctus“, den Dichter als gelehrten Vielwisser, der sein Wissen gekonnt kombiniert. Für ihn steht der rational kombinierte „Witz“ als produktives Vermögen im Vordergrund.[19] Anstoß daran nehmen bereits „die Schweizer“ Bodmer und Breitinger, Lessing und schließlich, ganz radikal, die Stürmer und Dränger. Nach und nach wird der Spielraum der schöpferischen Phantasie, die Darstellung der Empfindungen und das individuelle Leben Stück für Stück erweitert.

 

2.1.2 „Die Schweizer“: Johann Jakob Bodmer undJohann Jakob Breitinger


 

Bodmer und Breitinger, sowie ihre Anhänger, zu denen auch Klopstock zählt, sind absolute Gegner Gottscheds und dessen starren Regelsystems. Sie leiten die ersten Schritte auf dem Weg vom rigorosen Regelkonzept und dem von Vernunft, Moral und Geschmack bestimmten Bild des Dichters hin zum autonom und frei schaffenden Genie.

 

Dabei entwickeln Bodmer und Breitinger kaum mehr als Ansätze, doch wirken diese bis hin zu Klopstock und dem Beginn der eigentlichen Geniezeit. Die Schweizer sehen in der Natur im Gegensatz zu Gottsched weniger ein logisch strukturiertes Ordnungsgefüge, als einen psychologisch wirksamen Bereich lebendiger Erfahrungen.[20] Sie relativieren die von Gottsched so stark vertretene Rationalität und räumen dem „Wunderbaren“ und der „Einbildungskraft“ einen hohen Stellenwert ein. Damit bereiten sie bereits den Weg für die „Phantasie“ und das irrational-subjektive Schaffen, welches später im Sturm und Drang im Zentrum der Genie-Konzeption steht. Statt der rationalen steht nun die emotionale Wirkung im Mittelpunkt der Poesie. Dichtung soll nicht nur Verwundern und Erstaunen, sondern vor allem Gefühle erregen. Die „Einbildungskraft“ wird in der Nachfolge Bodmers und Breitingers für Jahre zu einem Zentralbegriff der ästhetischen Diskussion. Sie bildet das Grundvermögen des autonom aus sich heraus schaffenden Genies. Dem „Wunderbaren“ schreiben Bodmer und Breitinger etwas Göttliches, Großes, Außerordentliches und Leidenschaftliches zu.

 

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Schweizer einen Poesiebegriff schaffen, bei dem Dichtung nicht mehr nur nach feststehenden Regeln und Mustern von einem rational und nach gutem Geschmack arbeitenden Poeten gemacht wird, sondern bei dem Dichtung aus der Subjektivität bzw. dem bewegten Inneren des genialen Dichters entsteht. Des Weiteren spricht sich Breitinger ausdrücklich gegen die schulmäßig mechanische Rhetorik aus. Er empfiehlt, die „schläfrige Schreibart durch kunstreiche Rhetorik“[21] anzufeuern. Dies ist der Beginn der Entstehung einer neuen Rhetorik, welche später im Stil des Sturm und Drang gipfelt.

 

2.1.3 Gotthold Ephraim Lessing


 

Lessings Genie-Begriff ist nicht so stark rationalisiert wie der Gottscheds. Bei ihm ist das Genie nicht mehr bloß gelehrt und verfährt nicht mehr nur rational kombinierend wie der „witzige Kopf“[22], sondern es orientiert sich an der Natur - allerdings der vernunftmäßigen Natur. Wie Jochen Schmidt betont, besteht der Unterschied zwischen Gottsched und Lessing einzig darin, dass Gottsched sich äußerer Regeln bedienen will, um rationale Klarheit in die Dichtung zu bringen, während Lessing dem Genie die intuitive Verwirklichung dessen zutraut, was das Regelsystem bloß äußerlich arrangieren will.[23] Lessing grenzt das Genie von Gottscheds „poeta doctus“ ab. Für ihn ist derjenige ein Genie, der logisch und mit moralischer Absicht verfährt. Dabei ist es dem Genie „vergönnt, tausend Dinge nicht zu wissen, die jeder Schulknabe weiß; nicht der erworbene Vorrat seines Gedächtnisses, sondern das, was es aus sich selbst, aus seinem eigenen Gefühl, hervorzubringen vermag, macht seinen Reichtum aus“[24].

 

Mit dieser Ablösung des „poeta doctus“ durch das Genie geht auch zumindest eine Vorform der Ablösung des rein auf Gelehrsamkeit und Regelkompetenz vertrauenden Kunstrichters einher. An dessen Stelle tritt ein mit einem besonderen Sensorium ausgestatteter Kunst- und Literaturkritiker oder ein entsprechend erlebnisfähiger Laie.[25]

 

In der Folge werden nun nicht mehr nur gelehrte Abhandlungen zu literarischen Werken verfasst, sondern auch lockere, feuilletonistische Artikel, welche z.B. als Literaturbriefe bezeichnet werden. Die Geniezeit lehnt sich später im Namen schöpferischer Individualität ebenfalls gegen die auf die Einhaltung der Regeln fixierte Kunstkritik und die entsprechend arbeitenden Kunstkritiker auf.

 

2.2 Der Sturm und Drang in Deutschland


 

2.2.1 Charakter der neuen literarischen Bewegung


 

2.2.1.1 Zeitlicher Hintergrund

 

Das 18. Jahrhundert ist politisch vor allem durch immer weiter fortschreitende Aufklärung geprägt. Trotzdem herrschen auch im letzten Drittel des Jahrhunderts, der Zeit des Sturm und Drang, in Deutschland aufgeklärter Absolutismus und Ständegesellschaft. Das Bürgertum steht weiterhin in Verwaltung und Erziehung im Dienste der Fürsten und ist in Handel und Wirtschaft größtenteils erfolgreich. Der Emanzipationsprozess der Aufklärung ist bereits fortgeschritten und hat u.a. eine literarische Öffentlichkeit geschaffen, aufklärerisches Gedankengut verbreitet und ein kritisches Bewusstsein entwickelt. Durch erbrachte Leistungen auf allen Gebieten steigert sich das Selbstbewusstsein der Bürger, sie dürfen dichten und denken, selbständiges politisches Handeln allerdings gestattet man ihnen nicht. Nach wie vor ist das Bürgertum von der Teilnahme an der politischen Macht ausgeschlossen. Während Lessing in Hamburg um das Deutsche Nationaltheater kämpft, Wieland in Erfurt den „Goldenen Spiegel“ schreibt und Lichtenberg in Göttingen seine „Sudelhefte“ führt, meldet sich nun die junge Generation zu Wort. Als Vorkämpfer der neuen Literaturbewegung wendet sie sich scharf gegen das aufklärerische Glücksstreben, das Nützlichkeitsdenken, den Rationalismus und somit gegen die etablierte Dichtergeneration und ihre klassizistische Poetik. Sie fühlt sich eingeengt durch die bestehenden gesellschaftlichen Konventionen und geistig-literarischen Zustände. Die jungen Literaten drängen zum Aufbruch. Dabei fühlen sie sich durch das Drama von Friedrich Maximilian Klinger mit dem Titel „Sturm und Drang“ treffend selbst charakterisiert und finden so den passenden Namen für ihre Bewegung.

 

2.2.1.2 Die Stürmer und Dränger

 

Die meisten Stürmer und Dränger stammen ihrer Herkunft nach aus dem Kleinbürgertum und den noch darunterliegenden Schichten. Für viele ist es nur sehr schwer möglich, sich aus dem Milieu ihrer Herkunft zu lösen. Der angestrebte soziale Aufstieg ist nicht selten mit vielen Entbehrungen und entwürdigender finanzieller Abhängigkeit verbunden. Manche geraten in Konflikt mit ihrem Elternhaus und verdienen ihren kärglichen Lebensunterhalt als Hauslehrer, wo ihnen die...

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