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Der 'Graf von Togo' und des Deutschen Reiches 'Musterkolonie'

Julius Graf von Zech auf Neuhofen (1868-1914), Gouverneur der deutschen Kolonie Togo 1903/05-1910

AutorMarkus Seemann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl147 Seiten
ISBN9783656323297
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Neuere Geschichte, Note: 1,0, Universität Augsburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Unter dem Gouverneur Julius Zech festigte sich Togos Ruf einer deutschen 'Musterkolonie'. Doch wie gestalteten sich die Verhältnisse in dem kleinen westafrikanischen Land tatsächlich? Die Arbeit untersucht die 'Eingeborenenpolitik' der deutschen Kolonialherren zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ihre Maßnahmen in Bereichen wie Infrastruktur, Rechtspflege, Gesundheitswesen und Schulpolitik. Davon ausgehend erfährt der Mythos der 'Musterkolonie', der noch bis in die 1980er Jahre tradiert wurde, eine kritische Würdigung.

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Leseprobe

2. Deutschland als Kolonialmacht – ein zeitlicher Überblick[42]

 

2. 1 Die Anfänge der deutschen Kolonialpolitik unter Bismarck

 

Im Gegensatz zu den alten Seefahrermächten Portugal, Spanien und den Niederlanden, deren Kolonialbesitz im 19. Jahrhundert sich schon teilweise vom Mutterland gelöst hatte, oder den Weltmächten Frankreich und Großbritannien konnte das 1871 neugegründete Deutsche Reich keinerlei überseeischen Besitz aufweisen. Zwar gab es schon früher in einzelnen Fürstentümern koloniale Bestrebungen, wie etwa das brandenburgische „Groß-Friedrichsburg“ in Westafrika, auch waren seit dem 17. Jahrhundert Einzelpersonen und Vereine für den Erwerb von Kolonien eingetreten – keines jener Projekte konnte sich jedoch, sofern es überhaupt in die Tat umgesetzt wurde, langfristig behaupten. Eine deutsche Kolonialbewegung begann sich im 19. Jahrhundert nur sehr zögerlich zu formieren, zu bedeutenden Vereinsgründungen kam es erst gegen Ende der 1870er Jahre. Die wichtigsten waren dabei der „Deutsche Kolonialverein“ (seit 1882) und die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ (1884 von Carl Peters gegründet), die beide 1887 zur „Deutschen Kolonialgesellschaft“ fusionierten.

 

„Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik“,[43] verkündete Otto von Bismarck noch im Jahr 1881. Was letztlich den Ausschlag gab, dass der an und für sich „kolonialmüde“ Kanzler doch Schutzgebiete für das Reich erwarb, wird bis heute kontrovers diskutiert. Berühmt wie umstritten ist die „Sozialimperialismus-These“ von Hans-Ulrich Wehler,[44] der erstmals Bismarck weniger als Akteur denn als Getriebenen gesellschaftlicher Umstände darstellt. Laut Wehler lassen sich die sozialimperialistische Expansionspolitik und die sozialdefensive Innenpolitik als „Facetten ein und derselben konservativen Gesellschaftspolitik“[45] begreifen. Der Erwerb von Kolonien diente demnach als Überdruckventil, indem von sozialen Missständen abgelenkt wurde und gesteigertes Prestige nach außen dem Reich zur Einheit nach innen verhelfen sollte. Ganz konkret galt es auch die Konservativen und Nationalliberalen im Parlament zu stärken, die tendenziell Kolonialpolitik eher befürworteten als Zentrum, Linksliberale und Sozialdemokratie. Unverhohlen äußerte Bismarck 1884 gegenüber einem Mitarbeiter im Auswärtigen Amt: „Die ganze Kolonialgeschichte ist ja ein Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen.“[46]

 

Viele Historiker sehen im Gegensatz zu Wehler die Gründe für Bismarcks koloniale Initiative verstärkt in der Außenpolitik. Während Axel Riehl[47] die bereits in den vierziger Jahren aufgestellte These vertritt, dass Bismarck mit einer antibritischen Kolonialpolitik den britischen Einfluss auf den Kronprinzen Friedrich eindämmen und damit eine Liberalisierung und Parlamentarisierung in Deutschland verhindern wollte, sieht der Bismarck-Biograph Lothar Gall[48] den Hauptgrund in einer vorübergehenden außenpolitischen Annäherung an Frankreich mit dem Ziel, eine „Art kontinentaler Blockbildung“ gegenüber Großbritannien und Russland und damit eine Alternative zur Politik des Zweibunds und Dreikaiserbündnisses zu schaffen. Für letztgenannte Argumentation spräche auch die Tatsache, dass Bismarck nach 1884/85 sein Interesse an Kolonien schnell wieder verlor, als sich die außenpolitische Liaison mit Frankreich durch den Wahlsieg des national-revisionistisch gesinnten Generals Boulanger in Paris als wenig erfolgversprechend erwies.

 

Der afrikanische Kontinent war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein lediglich punktuell von Europäern beeinflusst worden; größere Kolonisationsgebiete bestanden lediglich in Südafrika und Algerien. Deutschland verharrte im „struggle for Africa“ zunächst als ungeduldiger Zuschauer. Mit der Besetzung von Tunis durch die Franzosen 1881 und Ägyptens durch die Briten 1882 trat die Aufteilung des Kontinents in ihre letzte, „heiße“ Phase ein. Auf der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85 wurden unter Vermittlung Bismarcks die verschiedenen Einflusssphären in Zentralafrika abgesteckt und auf dem Papier die politischen Grenzen gezogen, die die Landkarte Afrikas bis heute bestimmen sollten.[49] Ungeachtet der persönlichen Abneigung Bismarcks gegen koloniale Erwerbungen konnte das deutsche Kaiserreich nach der Kongo-Konferenz nicht unbedeutende Teile des Kontinents sein Eigen nennen. Dies waren im einzelnen die 1883 vom Bremer Tabakwarenhändler Adolf Lüderitz erworbene Bucht von Angra Pequena, die sich bald zum Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika ausweitete, die westafrikanischen Kolonien Kamerun und Togo, wo Gustav Nachtigal auf Drängen der dort ansässigen deutschen Handelsfirmen 1884 Schutzverträge im Namen des Kaisers abgeschlossen hatte und ab 1885 das vormals unter der Oberhoheit des Sultans von Sansibar stehende Deutsch-Ostafrika, dessen Begründung wiederum der Initiative eines Einzelnen, und zwar des fanatischen Afrikaforschers und Abenteurers Carl Peters, entsprang. Zu den vier afrikanischen Kolonien kamen 1885 Erwerbungen in der Südsee hinzu, und zwar der nordöstliche Teil Neu-Guineas („Kaiser-Wilhelmsland“) einschließlich des Bismarck-Archipels und der Salomon-Inseln sowie die pazifischen Marshall-Inseln.

 

Die Gebiete, die ganz bewusst offiziell als „Schutzgebiete“ und nicht als „Kolonien“ tituliert wurden, sollten zunächst keineswegs „kolonisiert“ werden im Sinne einer flächendeckenden Unterwerfung oder gar Besiedelung. Im Mittelpunkt des Interesses stand zunächst der Schutz der an den dortigen Küsten bereits ansässigen deutschen Handelsniederlassungen. Gemäß der Intention Bismarcks folgte die Flagge dem Handel, ohne aber allzu großen Einfluss auf die Verhältnisse vor Ort zu nehmen. Die Initiative ging dabei eindeutig von Kaufleuten und „Kolonialabenteurern“ aus; die Reichsregierung reagierte lediglich auf ihre Bitte nach staatlicher Absicherung. Weitere Kolonialerwerbungen lehnte Bismarck nach 1885 daher kategorisch ab; je nach außenpolitischer Lage wäre er von sich aus auch durchaus bereit gewesen, auf das ein oder andere Gebiet wieder zu verzichten. Die erste Phase deutscher Kolonialpolitik war also „eher durch mehr oder weniger planloses Konquistadoren- und Abenteurertum und eine unruhig experimentierende [...] Wirtschaft gekennzeichnet,“[50] als durch ein imperiales Konzept der Reichsregierung.

 

2. 2 Ausbau der Herrschaft – Unterwerfung und Widerstand

 

Mit dem „Neuen Kurs“, den Kaiser Wilhelm II. nach der Abdankung Bismarcks einschlug, änderte sich die Kolonialpolitik des Reiches zunächst nicht grundlegend. Zwar drängten nationalistische und handelspolitische Kreise verstärkt auf eine Ausweitung des verstreuten Besitzes. Ihnen gelang es schließlich 1897, mit einem Pachtvertrag über Kiautschou einschließlich der Hafenstadt Tsingtao die Errichtung eines deutschen Stützpunktes und handelspolitischen Einfallstors in China durchzusetzen. Wenig später kam es zu Zuerwerbungen im Pazifik: 1899 kaufte das Reich von Spanien die Karolinen, Marianen und Palauinseln; im Jahr 1900 wurde durch einen Teilungsvertrag mit den USA der westliche Teil Samoas offiziell deutsches Schutzgebiet, nachdem die Inselgruppe zehn Jahre lang von Deutschland, Großbritannien und den USA gemeinsam verwaltet worden war. Die „Deutsche Südsee“ hatte zwar weder wirtschaftlich noch strategisch große Bedeutung, aber „man konnte nunmehr ein großes Seegebiet mit den deutschen Reichsfarben auf dem Globus einkästeln und damit der Bevölkerung neue Weltgeltung demonstrieren.“[51] Nicht verwirklichen ließ sich allerdings die Vision eines zusammenhängenden deutschen Kolonialreichs in Zentralafrika, eine Vorstellung, die bis ins Dritte Reich hinein innerhalb der Kolonialbewegung propagiert wurde. Ebenso wenig ließ sich in Marokko eine deutsche Vorherrschaft begründen; auch die „Annexionspläne alldeutscher Heißsporne“[52] hinsichtlich Südbrasiliens oder anderer südamerikanischer Regionen stießen auf Seiten der Regierung auf kein allzu großes Echo.

 

Das Helgoland-Sansibar-Abkommen von 1890, das von Bismarck vorbereitet und von seinem Nachfolger Caprivi unterzeichnet wurde, macht die Kontinuität in der deutschen Kolonialpolitik trotz aller anderen Kursänderungen deutlich. Das Deutsche Reich verzichtete darin auf umfassende Gebietsansprüche in Ostafrika (nicht allein auf die Insel Sansibar!), um einen Ausgleich mit konkurrierenden britischen Interessen zu erlangen. Obgleich nationalistische Kreise im Reich dagegen opponierten und sich infolgedessen im „Alldeutschen Verband“ formierten, so wurden durch diese „koloniale Frontbegradigung“[53] doch bisher unklare Zugehörigkeiten definiert. Der Vertrag garantierte Deutschland nicht nur eine territoriale Erweiterung in Südwestafrika (der sogenannte „Caprivi-Zipfel“ sollte als Ausgangsbasis für eine mögliche Verbindung mit dem ostafrikanischen Besitz dienen), er bildete auch die Grundlage dafür, dass das Reich sich nun doch dauerhaft in seinen Schutzgebieten festsetzen konnte. Wo bisher die Kolonialgesellschaften auf sehr wackligen Füßen gestanden waren, wurden jetzt deutsche Gouverneure, Beamte und Militärs in großer Zahl nach Afrika...

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