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Der große Trend, der kleine Sachzwang und das handelnde Individuum

Caesars Entscheidungen

AutorMartin Jehne
Verlagdtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783423401340
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Über Roms berühmtesten Mann Der Aufstieg eines genialen Politikers zwischen Reformstau und Aktionismus Caesars Entschluss, den Rubicon zu überschreiten und mit Soldaten in das Stadtgebiet einzumarschieren, weil der römische Senat ihm keine Zugeständnisse machen wollte, ist sprichwörtlich. Die Macht der großen Imperatoren war mit dem Gebot der Gleichheit in der römischen Führungsriege nicht mehr vereinbar. Die Entscheidung sorgte für das Ende der Republik. Caesars Gegenspieler Pompeius hätte sie vermutlich nicht getroffen. Caesar wich mehrfach von etablierten Verhaltenstraditionen ab und verweigerte sich dem Sachzwang. Es gab damals einen Veränderungstrend hin zur Monarchie, die Diagnose des Verfalls der Republik und das Gefühl der Ohnmacht. Auch wenn die Umstände sich verändert haben, ist uns dieses Gefühl heute wieder sehr vertraut. In diesen Zusammenhang ordnet Martin Jehne seine Betrachtungen ein.  Mit Literaturhinweisen, Zeittafel und Personenregister.

Martin Jehne, Dr. phil., ist Professor für Alte Geschichte an der TU Dresden sowie unter anderem Mitglied der Kommission für Alte Geschichte und Epigrafik des Deutschen Archäologischen Instituts und des Kuratoriums des Historischen Kollegs in München. Diverse Veröffentlichungen, u.a.: >Der Staat des Dictators Caesar< (1987), >Caesar< (1997, 4. Aufl. 2008, in gekürzter Fassung auch als Hörbuch), >Die römische Republik. Von der Gründung bis Caesar< (2006, 2. Aufl. 2008).  

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Leseprobe

Zur Einführung

Vom Handlungsspielraum des Menschen im Strom der großen Entwicklungsprozesse


Politikverdrossenheit ist »in«. Viele Bürger haben das Gefühl, dass sich Engagement in Parteien oder Initiativen nicht lohnt, dass sie nichts bewegen können, dass ihre Aktivitäten keine Wirkung zeigen, sondern von einem Establishment souverän abgefedert werden, das sich eigenständig fernab vom Bürger organisiert, aber gleichzeitig die Probleme nicht löst. Doch scheint die Politikverdrossenheit partiell auf dieses politische Establishment überzugreifen, denn selbst diejenigen, die es in die höheren Etagen der Politik bringen, etwa als Abgeordnete, erleben die Politik als ein Aushandeln von Kompromissen ohne klare Verantwortung: Reformprogramme werden verwässert, ihre Umsetzung ruft Folgen hervor, die niemand vorausgesehen hat und die oft schlimmer sind als die Zustände, die man verbessern wollte, alles greift in einer so komplexen Weise ineinander, dass zielgenaue Ergebniskalkulationen nicht möglich sind. Zum Glück hat man wenigstens noch einen letzten Joker, die Globalisierung, die doch einleuchtend erklärt, warum man eben auf lokaler, regionaler, nationaler oder europäischer Ebene nichts erreichen kann.

Nun ist das, was ich eben grob vereinfacht und zugespitzt als deutsches Lebensgefühl der letzten Jahre beschrieben habe, in seiner Grundtendenz gar nicht so ungewöhnlich. Die Welt ist und war immer zu komplex, um durch einfache Abschätzungen von Ursache und Wirkung und daran ausgerichtetes Handeln verlässlich beeinflusst werden zu können. Schon der Jäger und Sammler konnte durch großen Erfolg in der Jagd den Wildbestand seines Waldes so dezimieren, dass die Ernährung der Gruppe auf Dauer gefährdet war, und selbst wenn er diesen Zusammenhang begriff und sich und die Seinen dazu anhielt, lieber jetzt nicht satt zu sein als später zu hungern, lockte er möglicherweise gerade dadurch Konkurrenzgruppen an, die, aus welchen Gründen auch immer, selbst in Versorgungsnöte geraten waren. »Wie man’s macht, macht man’s falsch«, ist das resignierte Resümee des Volksmunds, der wichtigsten Quelle für elementare Weisheiten. Wenn sogar Hari Seldon, der mit allen Erkenntnissen der Wissenschaft kommender Jahrtausende ausgerüstete Psychohistoriker in Isaac Asimovs Foundation-Trilogie, mit seinem Konzept, wie man die Agonie des intergalaktischen Imperiums mit ihren grausigen Kriegen und Zeiten der Rechtlosigkeit von 30 000 auf 1000 Jahre verkürzen könne, durch das unvorhersehbare Auftreten eines Mutanten, einer Laune der Natur, um ein Haar gescheitert wäre, wie sollten dann ein Sippenoberhaupt von Jägern und Sammlern oder ein Politiker im alten Rom oder ein Papst des Hochmittelalters oder ein absolutistischer Fürst oder ein Staatsoberhaupt des 20. Jahrhunderts oder selbst ein gottesfürchtiger amerikanischer Präsident des 21. Jahrhunderts in der Lage sein, durch eigene Entscheidungen und Regierungshandeln den Entwicklungsprozess verlässlich in die gewünschte Richtung zu steuern?

Die Zweifel, dass Wirkungen von Handlungen mit einer gewissen Erfolgschance vorausberechnet werden können, befördern auf der einen Seite Lethargie, stehen aber auf der anderen Seite dem blinden Aktionismus nicht im Wege. Der Normalbürger scheint zurzeit in Bezug auf die großen Probleme, die als solche unbestritten sind, wie Massenarbeitslosigkeit, Steuerflucht, Kranken- und Altersvorsorge, Bildungsdefizite gegenüber steigenden Anforderungen, Vergreisung der Gesellschaft u. ä., eher resignativ zu reagieren und sich auf seine Freizeitaktivitäten zu konzentrieren. Die Menschen in Führungspositionen können sich dies nicht leisten, da sie schließlich als Entscheidungsträger und Macher fungieren und die Notwendigkeit ihrer eigenen Positionen infrage stellen würden, wenn es tatsächlich nichts sinnvoll zu entscheiden gäbe, da die Wirkung sich der Kalkulation in den wichtigen Dimensionen entzieht. Sie müssen also entscheiden, und sie müssen ständig darauf hinweisen, dass sie es tun und wie bedeutsam es ist, dass sie es tun. In einer von Massenmedien dominierten Demokratie gehört also die ständige Präsenz des tätigen Entscheiders notwendig zum System, wobei sich die Entscheidung fast nur als Aktion inszenieren lässt, dagegen nur schwer als Nicht-Aktion. Doch so paradox es klingt: Jede Nicht-Entscheidung ist natürlich auch eine Entscheidung, da sie die weitere Entwicklung dadurch beeinflusst, dass nicht in sie eingegriffen wird. Wenn also Helmut Kohl als Bundeskanzler oft nachgesagt wurde, er sitze Probleme aus, so heißt das, dass er nicht reagiert hat, wodurch er dennoch den Gang der Ereignisse beeinflusst hat, während eine wie auch immer geartete Reaktion einen anderen Einfluss ausgeübt hätte. Dasselbe gilt für Gerhard Schröders Politik der ruhigen Hand. Welcher Einfluss der positivere ist, ob der durch Aktion oder der durch Nicht-Aktion ausgelöste, ist zumeist eine Frage des Standpunkts, zudem erst in einigem zeitlichen Abstand fundierter zu klären, wenn man die tatsächlichen Wirkungen erlebt hat und beurteilen kann. Jedenfalls gibt es überhaupt keinen systematischen Grund für die verbreitete Auffassung, die Aktion sei positiver als die Nicht-Aktion. Das lässt sich also nur im konkreten Einzelfall beurteilen, in dem einmal das eine, einmal das andere richtig sein kann und immer wieder neu und ergebnisoffen um das Richtige gerungen werden muss. Vor allem die Medienwirksamkeit von aktiven Entscheidungen und das Bedürfnis der Medien, ständig über Inszenierungen mit Neuigkeitswert zu verfügen, ziehen die Privilegierung der Aktion gegenüber der Nicht-Aktion nach sich, und so kommt es, dass uns unvermeidlich eine Reform nach der anderen serviert wird und manches Mal der Atem fehlt, die Auswirkungen von Reformen wenigstens so lange abzuwarten, bis ein klareres Urteil über ihre Vorzüge und Schwächen möglich ist. Man fühlt sich gelegentlich an den alten Vers erinnert: Der Aktivist – macht meistens Mist.

Wenn man sich über Berechenbarkeit und Tragweite von Entscheidungen Gedanken machen will, ist es notwendig, einige Differenzierungen vorzunehmen. Zunächst einmal sind die Haupt- und die Nebenwirkungen von Handeln auseinanderzuhalten. Als sich die führende Gruppe des römischen Senats nach der Rückkehr des großen Feldherrn Pompeius aus dem Osten des Reiches 62 v. Chr. entschloss, die zahlreichen, eigenmächtig vorgenommenen Verfügungen des Pompeius nicht insgesamt abzusegnen, sondern einzeln zu diskutieren und zu entscheiden, bewegte sich das Gremium in der Linie der Tradition. Man hatte das Ziel, Pompeius zu maßregeln und ihm deutlich zu zeigen, dass er trotz seiner Erfolge nicht mit einer Sonderrolle rechnen könne. Dieses Ziel zu erreichen war die bewusste Intention der handelnden Senatoren, und wir nennen die Wirkungen, die sich mit den Intentionen im Einklang befinden, die Hauptwirkungen. Doch Pompeius war natürlich über seine Niederlage nicht begeistert und suchte Wege, sein Ziel doch noch zu erreichen. So war er offen für die Allianz mit Caesar, der 59 v. Chr. tatsächlich als Consul die Forderung des Pompeius nach globaler Ratifizierung seiner Neuordnung des römischen Ostens regelwidrig und unter Rückgriff auf Gewalt durchsetzte. Dieses Ergebnis bedeutete eine schwere Niederlage für die zuvor eben nur kurzfristig erfolgreiche Senatsgruppierung, von der sie sich nie mehr ganz erholte. Caesars Rechtsbrüche und die sich daraus ergebenden Feindschaften und Absicherungsmaßnahmen waren wesentliche Ursachen für den Ausbruch des Bürgerkriegs 49 v. Chr., in dem die Senatoren, die ursprünglich Pompeius einen Dämpfer verpassen wollten, ihre Republik einbüßten. Wir können hier also erhebliche Wirkungen erkennen, die ganz und gar nicht den Intentionen der zunächst Handelnden entsprachen. Diese nicht intendierten Folgen des Handelns nennen wir Nebenwirkungen. Wie an dem Beispiel zu sehen ist, ist mit der Differenzierung der Handlungsfolgen nach der Intention keinerlei Abschätzung über die Stärke der Wirkungen verbunden, d. h. konkret: Es kann durchaus sein, dass die Nebenwirkungen erheblich stärker sind als die Hauptwirkungen.

Die Stärke von Wirkungen ist nicht einfach zu bestimmen. Sie hat eine zeitliche Dimension in der Weise, dass Handlungen langfristige oder auch nur kurzfristige Wirkungen hervorrufen können, und sie hat eine Dimension der Intensität in der Weise, dass Handlungen in den Entwicklungsprozess massiv verändernd oder auch nur schwach verschiebend eingreifen können. Beide Dimensionen müssen auch nicht zusammenfallen, d. h. eine Wirkung kann massiv, aber nur kurzfristig sein oder auch schwach, aber langfristig. All diese eher abstrakten Kategorien sind überhaupt nur anwendbar, wenn sie auf einen komplexen, länger andauernden...

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