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E-Book

Der hungrige Migrant

AutorErdinç Ayd?n
VerlagBookRix
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl289 Seiten
ISBN9783743896079
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes, der sich Cem nennt und eigentlich Erdinç Ayd?n ist. Cem liebt zwei Dinge in seinem Leben ganz besonders: Das sind Bücher und Frauen.   Er selber, oder der Leser, wird nicht wissen, was wichtiger und interessanter ist.   Ist es die Bildung und die Begegnung mit Weltmännern?   Ist es eine Frau oder alle Frauen, oder ist Sex wichtig, egal wo und wie?   Wer ist Cem eigentlich?   Cem ist ein Türke, der eigentlich nur ein Türke ist, weil er Cem heißt. Er hat eine große Verbundenheit zu Istanbul, liebt aber Siegburg als seine Heimatstadt, die er niemals verlassen wird.   Berlin ist cool.

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Leseprobe

Kapitel II - Die Fahrt


 

Die Tage vergingen wie in einem 100 Meter-Lauf. Die Schritte folgten einander rasend und hetzend. Und so rückte der Tag, an dem wir nach Berlin fahren wollten, immer näher und näher und meine Aufregung steigerte sich mit jedem Schritt des Laufes. Die letzten Tage verbrachte ich eher zu Hause. Ich las viel und hörte ununterbrochen einen bestimmten Musiksender. Ömer rief ein paar Mal an, wollte wissen, warum ich nicht mehr in das „Jump" kam. Ich hatte in den letzten Tagen einen ganzen Roman von Hermann Hesse gelesen. Ich war begeistert von seiner Sprache und Erzählweise. In dem Roman tauchte öfters der Name Nietzsche auf, was mich neugierig machte. Ich wollte sobald wie möglich noch einen Roman von Hesse lesen und zugleich mich auf die literarische Suche nach Nietzsche machen. Denn Hesse schwärmte allzu sehr von diesem Mann. Und da ich nun für Hesse schwärmte, musste ich auch Nietzsche kennen lernen. In der Zeit, die ich zu Hause verbrachte, sprach ich öfters mit meinem Bruder über seine Bilder. Ich lernte Englisch-Vokabeln und konzentrierte mich nur noch auf das Lesen und das Musikhören, die Schule und auf den Islam, was ich wirklich näher kennen lernen und auch praktizieren wollte. Doch stellte ich auch fest, dass ich immer öfter an die Monika dachte und dabei masturbierte. Mir war all zu klar, als ein gläubiger Muslim, dass man sich nach jedem Beischlaf waschen musste, um sich rein zu halten. Doch das konnte ich nicht machen, da mich sonst meine Mutter gefragt hätte, warum ich so oft dusche. Ich geriet in ein Dilemma. Auf der einen Seite spürte ich ein unermessliches Verlangen nach Masturbation und auf der anderen Seite fühlte ich mich nach jeder Masturbation so unrein und so schuldig.

 

In der Schule schien alles gut zu laufen. Ich schrieb nur in Deutsch Vierer. Meine Klassenlehrerin war der Meinung, dass ich mir keine großen Sorgen um die Versetzung machen brauchte, wenn ich mein Tempo beibehalten würde. In den Pausen sah ich Hamdi und Ömer. Wir plauderten über die Berlin-Fahrt. Meine Mutter wollte mir circa 250,- DM Taschengeld für die Fahrt geben. Ich rechnete fest damit, dass ich einen Teil des Geldes wieder zurückbringen würde. Während ich eines Abends in den Büchern meines Vaters herumstöberte, fand ich ein Buch. Das Buch hatte den Titel „Denken ist Pflicht" und behandelte das Denkverhalten und die daraus ergebenden Pflichten eines Muslims. Es erschien mir sehr interessant und ich beschloss, es zu lesen. Ich nahm mir vor, immer abwechselnd türkisch und deutsch zu lesen. Nun wollte ich so schnell wie möglich das Buch lesen und begann schon am selben Abend damit, an dem ich den „Steppenwolf' zu Ende gelesen hatte. Ich spürte auch, dass ich, seit dem ich angefangen hatte, intensiv und durchgehend zu lesen, kein Verlangen empfand auszugehen. Doch morgen wollte ich wieder ins „Jump", um David und Monika zu treffen, damit wir die letzten Besprechungen für die Berlin-Fahrt machen konnten. Nach der Schule ging ich mit meinem Bruder nach Hause und wir aßen gefüllte Weinblätter mit Joghurt. Nach dem Essen fragte meine Mutter, wann wir Zeugnisse bekommen würden. Ich sagte: „In sechs Wochen."

„Und die Versetzung?"

„Geht klar, Mutter."

Ich zog mich mit meinem Bruder in unser Zimmer zurück und wir erledigten unsere Hausaufgaben. Währenddessen empfand ich einen unbeschreiblich starken Drang, das Buch zu lesen. Ich beeilte mich richtig mit meinen Hausaufgaben, um endlich mit dem Buch anfangen zu können. Das Radio lief im Hintergrund und parallel zu den Hausaufgaben versuchte ich, mir die Musiktitel, die meinem Geschmack entsprachen, zu merken. So lief zum Beispiel ab und zu ein Stück von Sezen Aksu, der ich aufmerksam zuhörte, da ich sie schon hier und da mal gehört hatte. Unter anderem hörte ich die Rolling Stones, George Michael, Tina Turner und aus der deutschen Musik Herbert Grönemeyer, Westernhagen, Nena und einige andere. Ich fühlte wie meine Musikrichtung sich immer mehr konkretisierte. Keinen Hardrock, bis auf AC/DC, Rock und fetzige Popmusik. Während mein Vater abends das türkische Programm des Kölner Senders einschaltete, hörte ich auch der Musik dort zu, um meine Musikrichtung auch im Türkischen zu finden. Am meisten gefielen mir die Titeln, die mit Saz gespielt wurden. So stellte ich nach kurzer Zeit fest, dass ich Aşık Veysel, Arif Sağ und Musa Eroğlu sehr gern hörte. Immer wenn in diesem Programm ein Titel gespielt wurde, drehte ich die Lautstärke auf.

Mein Vater sagte immer: „Du bist nun schon fünfzehn. Du musst auch wissen, was in der Welt geschieht. Also musst Du dafür auch die Nachrichten hören und nicht nur Musik. Höre Dir, ob deutsch oder türkisch, auch die Nachrichten an."

Nachdem ich meine Hausaufgaben erledigt hatte, begann ich sofort mit dem Buch „Denken ist Pflicht". Schon auf den ersten Seiten dachte ich an das Ende des Buches, um mit Nietzsche beginnen zu können. Mein Bruder malte und zeichnete immer noch seine Science-Fiction Bilder. Ich bevorzugte zwar eher realistische Bilder, doch auch die meines Bruders hatten eine Botschaft und waren aussagekräftig. Er war erst dreizehn und hatte doch sehr viel Fantasie, die er in seine Bilder projizierte. Ich verbrachte den ganzen Tag und den ganzen Abend mit Radio hören und mit lesen. Gegen Mitternacht hatte ich schon fast die Hälfte des Buches gelesen und war auch von seinen Erklärungen und seiner Erzählweise beeindruckt. Doch kritisierte das Buch massiv Ghasalis Einfluss auf die Menschen, trotz der vergangenen siebenhundert Jahre. Überhaupt kritisierte das Buch die islamischen Gelehrten, die nach siebenhundert Jahren immer noch einen sehr starken Einfluss auf die Muslime ausübten und deren Gedankengut als unantastbar galt. Alle sollten sich von den Klischees frei machen und selber über den Islam und die Ausübung der religiösen Pflichten nachdenken. Für den Autor gab es nur ein einziges Buch im Islam, das nicht angetastet werden durfte, und das war der Koran. Alle anderen Bücher, die als Inhalt den Islam umfassten, durften und mussten sogar kritisch behandelt werden. Er war der Meinung, dass viele dieser Gelehrten uns das Denken verbieten und nur noch den Gehorsam lehren würden. Und genau das würde dem Islam nicht nutzen, sondern ihm sogar schaden. Ich schlief sehr spät ein. Mein Bruder hingegen ging schon sehr früh ins Bett.

 

Am nächsten Tag ging ich nach der Schule ins „Jump". Es war wie leer gefegt. Kein Mensch bis auf Michael war in dem Jugendcafe. Ich setzte mich an das Fenster und bestellte ein Glas Orangensaft. Michael brachte mir das Getränk und fragte mich, was ich gerne hören würde.

„Leg doch mal Westernhagen auf."

Michael sah mich überrascht an und fragte: „Du kennst Westernhagen?"

„Ja" , sagte ich, „inzwischen schon."

Michael ging hinter die Theke und legte Westernhagen auf. Ich sah mir aus dem Fenster die Passanten und die grünen Bäume im Garten des Gymnasiums an. Kinder spielten auf dem Schulhof zwischen den Bäumen. Das Wetter war typisch für den Monat Juli. Es war warm und eine leichte Brise bog die Äste der Bäume gegen Süden. Das „Jump" befand sich unmittelbar unterhalb des Marktplatzes und so sah ich Menschen vorbeigehen, die mit Obst und Gemüse beladen waren. Ich trank meinen Orangensaft und hörte Westernhagen und freute mich dabei auf ein Wiedersehen mit Monika. Nur circa eine Stunde später kam David zur Tür herein. Er setzte sich zu mir an den Tisch, nachdem er mir die Hand gegeben hatte.

„Und, bist Du bereit für die Fahrt?"

„Ja", sagte ich, „und aufgeregt bin ich auch."

„Ich auch", sagte er.

„Wie lange dauert denn die Fahrt?", fragte ich.

„Circa acht Stunden."

„Und um wie viel Uhr wollen wir losfahren?"

„Gegen 18.00 Uhr."

Er bestellte sich eine Cola und stellte fest, dass gerade in dem Augenblick Westernhagens „Dicke" lief.

„Hörst Du ihn gern?"

„Ja", sagte ich, „sehr gern."

„Ich auch. Übrigens Monika auch."

Kaum hatte David von Monika gesprochen, kam sie auch schon durch die Tür. Kam zu uns an den Tisch und bestellte sich eine Apfelschorle. Wir waren schon zu dritt und es fehlte nur noch die Freundin Davids, die Andrea, die ich übrigens bis jetzt nur ein Mal gesehen aber noch nie gesprochen hatte. Wir sprachen nur noch über die Berlin-Fahrt. Alle drei waren wir sehr aufgeregt. Vor allem ich, da ich bis jetzt außer Istanbul, Trabzon keinen einzigen Ort mir näher ansehen konnte. Ich erzählte den beiden, dass ich vor ein paar Tagen in der Bibliothek gewesen und mir ein Buch über Berlin ausgeliehen hätte. Beide waren hierüber sehr überrascht und sagten fast gleichzeitig: „Das war ja eine tolle Idee, Cem."

„Wir wissen über Berlin sehr wenig", sagte ich, „schließlich wollen wir ja dort nicht herum spazieren wie vier Windbeutel."

„Klar", sagte Monika, „da hast Du ja prima nach-gedacht."

„Dann wirst Du uns durch Berlin führen und uns Berlin zeigen" , fügte David hinzu.

„Kein Problem", gab ich zurück und fühlte mich bestätigt.

Während wir uns über die Fahrt...

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