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Von der Idee zum Mythos: Die Rezeption des Bauhaus in beiden Teilen Deutschlands

In Zeiten des Neuanfangs (1945 und 1989)

AutorMartin Bober
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl324 Seiten
ISBN9783640787357
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Doktorarbeit / Dissertation aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 1, Universität Kassel, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit legt die Bauhaus-Rezeption in Deutschland zu zwei verschiedenen Zeiten vergleichend dar. Im ersten Schritt wird die Ost- mit der Westrezeption verglichen. Dieser synchrone Vergleich wird zu zwei epochalen Umbruchsituationen durchgeführt; zum einen von 1945 bis Mitte der 50er Jahre, zum anderen von 1989 bis Mitte der 90er Jahre. Auf dieser Grundlage wird geprüft, wie sich die östliche als auch die westliche Wahrnehmung des Bauhaus von 1945-1955 gegenüber der Bauhausrezeption nach 1989 abhebt (diachroner Vergleich). Die Jahre 1945-1955 beschreiben die Entwicklung des Auseinanderbrechens der deutschen Nation in zwei autonome deutsche Staaten. Mit dem Jahr 1989 wird die Entwicklung umgekehrt: Deutschland wächst zu einer Kulturnation zusammen. Durch die Periodisierung (1945/1989) wird geklärt, wie das wiedervereinigte Deutschland auf kultureller Ebene mit der Vergangenheit des Kalten Krieges umgeht. Weil sich an der Bauhaus-Pädagogik am ehesten die reale Umsetzung der 'Bauhaus-Idee' ablesen lässt, analysiert die Arbeit die pädagogischen Konzeptionen an deutschen Kunstschulen. Dabei wird in den Institutionsgeschichten der politisch-gesellschaftliche Rahmen stets mitgedacht, der Restituierungsversuche ermöglicht oder scheitern lässt. Im Zentrum der Arbeit steht nicht die Analyse der Sache Bauhaus, sondern dessen Missdeutung und Umdeutung in politisch divergenten Zeiten. Für die Zeit 1945-1955 beschreibt sie auf westdeutscher Seite die Hochschule für Gestaltung in Ulm und die Werkakademie bzw. Werkkunstschule in Kassel. Im Osten konzentriert sich der Blick auf die historischen Bauhaus-Stätten: Weimar und Dessau. Nach der Wende vermischen sich die bis dahin getrennten Rezeptionsstränge von Ost und West. In der wiedervereinigten Bundesrepublik existieren neben dem Bauhaus-Archiv nunmehr zwei zusätzliche Institutionen: die Bauhaus-Universität in Weimar und die Stiftung Bauhaus Dessau. Wie wird in dieser historischen Situation das Bauhaus-Erbe aufgeteilt und verwaltet?

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Leseprobe

Die Hochschule für Gestaltung in Ulm oder : Ein Bauhaus für die Bundesrepublik Deutschland?


 

HfG: Hinter dem Kürzel verbirgt sich die Hochschule für Gestaltung in Ulm. Der Name verweist auf das Dessauer Bauhaus, denn als Hochschule für Gestaltung hatte sich dieses schon bezeichnet. Die Bezugnahme der Ulmer Hochschule, das vermutlich auch einen erheblichen Teil ihres Prestiges ausmacht, ist am Anfang der Gründungsgeschichte noch kaum ausgeprägt. Als Geschwister-Scholl-Schule konzipiert, ist es ursprünglich Inge Scholls Plan, eine Schule zur betont antifaschistischen, politischen Erziehung im Gedenken an ihre Geschwister, die von den Nazis hingerichteten Widerstandkämpfer Hans und Sophie Scholl, zu errichten: Die Schule soll „ein Kristallisationspunkt für das andere Deutschland werden."[57] Ein bundesdeutsches Comeback des Bauhaus lag noch in weiter Ferne. Dass in Ulm dennoch der bekannteste ,Bauhaus-Nachfolger der Nachkriegszeit' entstehen kann, ist vor allem dem Bauhäusler Max Bill zu verdanken: „Max Bills Bedeutung für die HfG- Gründung kann kaum hoch genug bewertet werden. Nach Meinung des Historikers Rene Spitz sei es „der Teilhabe Max Bills zu verdanken, daß aus dem Plan einer Hochschule für Politik mit gestalterischer Fundierung,[...] die Hochschule für Gestaltung mit politischer Fundierung hervorgegangen ist".[58]

 

Ob und inwiefern Ulm aber dem Anspruch einer Bauhaus-Nachfolge gerecht werden kann, gilt es im Folgenden genauer zu untersuchen. So vertritt Eva v. Seckendorf in ihrem Vortrag auf einem Symposium der Friedrich-Ebert-Stiftung die These, dass „die behauptete Bauhaus-Nachfolge" nur als „öffentlichkeitswirksame Schablone"[59] benutzt wird.

 

Es gilt zu untersuchen, inwieweit das Bauhaus als Schlagwort dient, um amerikanische und deutsche Behörden sowie private Sponsoren von der Bedeutsamkeit der

 

HfG-Gründung zu überzeugen: „Es ist eine Überlegung wert, nach der Bedeutung zu fragen, die Inge Scholl und Otl Aicher einerseits, und Max Bill andererseits der Gestaltung und der Politik für das geplante Projekt beimaßen. Das Bauhaus stand ja schon damals nicht nur international im Ruf, das dem Nationalsozialismus widerstehende andere Deutschland zu repräsentieren, sondern galt auch als Wegbereiter der Moderne - und beide Elemente, das politische und das fachliche, boten sich in der Person Max Bills greifbar nah an, um der Verwirklichung der Hochschulpläne zu dienen. Weil wir wissen, daß es bereits nach wenigen Jahren zwischen den Ulmern und Max Bill zum Bruch kam, ist die Frage erlaubt, ob sie sich Max Bills und seines Prestiges nur bedient haben oder ob das Ende ihrer Beziehungen andere Ursachen hatte."[60]. Falls diese These stimmt, so ist das Bauhaus und mit ihm Max Bill für die HfG ebenfalls eine Marke, mit der sich werben lässt. Gleichzeitig bedeutet es allerdings eine enorme Erblast, weil das Label ,Bauhaus' zu einer hohen Erwartungshaltung seitens der Öffentlichkeit führt.

 

Bei der Berufung der HfG auf das Bauhaus müssen prinzipiell zwei Formen unterschieden werden: das bloße Abbild auf der einen, die schöpferische Weiterentwicklung einer - wie auch immer verstandenen - ,Bauhaus-Idee' auf der anderen Seite. Für Ersteres bleibt dann noch zu prüfen, welches Bauhaus die Ulmer Kopiervorlage darstellt, denn die Entwicklung des Bauhaus ist ja ihrerseits äußerst disparat, wie gerade die verschiedenen kunstpädagogischen und politischen Ausprägungen der Schule während der Direktorate Gropius und Meyer zeigen. In beiden Fällen der Bezugnahme wird das ,Bauhaus-Labeling' maßgeblich durch den ersten Rektor und Bauhäusler Max Bill betrieben[61], schließlich ist er im Gründerteam neben Inge Scholl und Otl Aicher der Einzige, der neben einer oberflächlichen Außensicht auch über historische Innensichten der Kunstschule verfügt. Infolge dessen gilt seinen Plänen und Ideen für Ulm auch die besondere Aufmerksamkeit dieses Kapitels. Die wichtigste Quelle in dieser Frage ist der Briefwechsel, den Max Bill mit Walter Gropius, dem Bauhaus-Gründer und damit wichtigstem ,HfG-Sponsor', führt.[62] Am Beispiel der Korrespondenz lässt sich auch zeigen, mit welcher Dignität die in den drerißiger Jahren in die USA emigrierte Moderne in den fünfziger Jahren auf Deutschland zurückwirkt.

 

Die Konzepte Inge Scholls spielen in dieser Untersuchung nur eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl können sie nicht völlig vernachlässigt werden, schon gar nicht, wenn es um die Beantwortung der Frage geht, warum die Bauhaus-Idee in Ulm Wurzeln schlagen kann: Welche Ideen der frühen Ulmer Konzeption bilden den Nährboden dafür, ohne dass der Name ,Bauhaus' explizit auftaucht. Hier soll nicht die Geschichte der Hochschule für Gestaltung neu erzählt werden, sondern ausschließlich die Frage, welche Kontinuität zum Bauhaus hergestellt wird und welche Intention die Agierenden dabei haben. Aus Sicht der BauhausForschung ist damit eine absurde Situation entstanden: Das seinem Selbstverständnis nach traditionslose Bauhaus - was es selbstverständlich nicht gewesen ist

 

- wird selbst zur Tradition erklärt. Es geht daher auch um das Verhältnis von Innovation und Tradition, Geschichtsbezug und Utopie der Ulmer. Wie kann der gesellschaftsutopische Anspruch für die HfG erfüllt werden bei gleichzeitiger Bezugnahme auf eine Kunstschule, die bereits zwanzig Jahre geschlossen ist? Wie viel Tradition verträgt die Ulmer Utopie, ohne davon überwuchert zu werden?

 

So zentrale Themen wie die Darstellung und Bewertung der umstrittenen HfG- Schließung spielen für meine Arbeit keine Rolle, weil sie sowohl thematisch als auch zeitlich außerhalb der Fragestellung meiner Arbeit liegen. Auch die Finanzlage, die untrennbar mit den politischen Zielsetzungen der HfG verwoben ist, interessiert nur am Rande, und zwar immer dann, wenn im Werben um Sponsoren und öffentliche Gelder der Name Bauhaus fällt. Von Fall zu Fall ist zu prüfen, wie ernst die Ulmer Protagonisten ihre Selbstbehauptung nehmen.

 

Stand der Forschung

 

Die Forschungslage zur HfG ist vergleichsweise gut, was nicht zuletzt daran liegt, dass die HfG selbst Publizisten ausbildete, die sich in einer Rückschau ihrer ,Ulmer Jahre' erinnern. In Claude Schnaidts[63] Beitrag - der schon ein Jahr nach der Schließung erscheint - sieht er die HfG als Opfer, die von denselben reaktionären Charakteren zu Fall gebracht wurde, wie ein vierteljahrhundert zuvor die Geschwister Scholl. Solche eine Argumentation begünstigt die Mythenbildung der HfG, denn tatsächlich ist man sich heute in der Forschung einig, dass vor allem interne Zersetzungserscheinungen zur Selbstauflösung der HfG geführt haben. Vielleicht liegt in einer derartigen Mystifizierung die größte Gemeinsamkeit zwischen HfG und Bauhaus: jeweils kurz nach der Schließung setzt eine Verklärung ein, die sich in der Öffentlichkeit hartnäckig hält und nur mit beträchtlichem historischem Aufwand zu widerlegen ist.

 

Nachfolgend sollen nur die wichtigsten Arbeiten zur HfG erwähnt werden: zwei Dissertationen, die beide 1985 entstanden sind: der westdeutsche Historiker Hartmut Seeling versucht in erster Linie, „die Frage zu klären, welche Veränderungen das Gründungskonzept, das auf den Vorstellungen von einer möglichen und wünschbaren gesellschaftlichen Entwicklung in der gerade erst gegründeten Bundesrepublik beruhte, im Laufe der Jahre 1950 bis zum Ende der Hochschule 1968 erfahren hat."[64] Fast zeitgleich stellt Norbert Korrek seine ostdeutsche Perspektive der HfG- Geschichte vor: diese „marxistisch-leninistische Untersuchung zur Entwicklung der HfG Ulm und die notwendige historisch-materialistische Einordnung ihrer Geschichte"[65] ist heute nicht nur wegen ihrer fragwürdigen Zielsetzung obsolet geworden, auch die Quellenlage der Studie war aus verständlichen Gründen äußerst dürftig.

 

Nur ein Jahr später stellt Eva v. Seckendorff ihre Dissertation fertig,[66] wobei insbesondere der erste Teil für diese Arbeit von Bedeutung ist. Sie untersucht „anhand von Programmentwürfen und von Briefen der Gründungszeit und an Programmen der ersten Phase der HfG [...] die Stellung der Gründer und Mitglieder der Schule zu Gestaltung, Wissenschaft, Gesellschaft, Ausbildung, Tradition [hervorgehoben durch den Verfasser] und technischem Fortschritt."

 

Im folgenden Jahr erscheint der bis heute viel zitierte Ausstellungskatalog von Herbert Lindinger mit dem Untertitel ,die Moral der Gegenstände.'[67] Hans Frei schreibt 1991 „Über Max Bill als Architekt"[68], wobei ein Schwerpunkt auf Bills Ulmer Jahren und Bauten liegt.

 

1997 wird eine Dissertation fertig gestellt, die ein weiteres Mal die HfG zum Thema hat. Es ist eine überaus detaillierte und kenntnisreiche Darstellung der politischen Geschichte von Ulm. Der Historiker Rene Spitz nutzt darin die Hochschule als Exempel für die Bildungs- und Kulturpolitik[69]; aus diesem Grunde ist auch der Vorgeschichte ein beträchtlicher Teil der Arbeit gewidmet. Keine der vorherigen Arbeiten haben annähernd so ausführlich die Konzepte Ulms analysiert. Für die HfG-Forschung ist Spitz' Studie der vorerst letzte große Markstein, obgleich zahlreiche kleinere Zeitschriften und Zeitungsartikel das Bild kontinuierlich erweitern[70].

 

Auch wenn Bauhaus- und HfG-Forschung eng miteinander zusammenhängen, die angeführten Dissertationen sind eher der HfG...

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