Vorwort
Und ist nicht die Zeit wie die Liebe,
ungeteilt und ungezügelt?
Doch wenn ihr in eurem Denken die
Zeit in Jahreszeiten messen müsst,
lasst jede Jahreszeit all die anderen
umfassen.
Und lasst das Heute die Vergangenheit
mit Erinnerung umschlingen
und die Zukunft mit Sehnsucht.
Aus: Khalil Gibran, „Der Prophet“
Auf- und Abstieg, Annehmen und Hergeben, Gewinnen und Verlieren, Leben und Sterben: Zwischen diesen Polen vollzieht sich unser tägliches Leben in immer wiederkehrenden Kreisläufen. Geht es einmal bergauf, wir sind guten Mutes und alles gelingt uns mühelos, dann folgen sicher darauf Zeiten des Rückschlags, der Einschränkung oder gar des Verlustes, in denen Traurigkeit oder Mutlosigkeit das Leben bestimmen. Doch nicht nur unsere eigene Existenz wird von diesen Zyklen bestimmt, sondern das Leben auf unserem Planeten überhaupt.
Viele Menschen erleben sich im Zeitalter des Hightech und der globalen Vernetzung als fern von der Natur. Unser alltägliches Leben richtet sich selten nach natürlichen Rhythmen, sondern meist nach Vorgaben, die von außen an uns herangetragen werden: Frei- und Arbeitszeiten, Öffnungszeiten, Abfahrtspläne und Termine bestimmen die Gestaltung unserer Tage und Jahre, und oft beschleicht uns das Gefühl, als verstriche die Zeit fast unbemerkt und als fehle etwas Wesentliches in der pausenlosen Geschäftigkeit. Viele Menschen fühlen eine große Sehnsucht danach, wieder mit der Natur in Kontakt zu treten und sich rückzubinden an ihre Kreisläufe von Wachstum, Sterben und Erneuerung, um im alltäglichen Auf und Ab wieder einen Sinn und ein Ziel zu erkennen.
Wollen wir den ständigen Veränderungen in unserem Leben auf positive Weise begegnen, können wir von der Natur einiges lernen. Dieses Buch wurde geschrieben, um Anregungen zu vermitteln, wie Sie sich wieder bewusst einbinden können in das, was wir „Natur“ nennen. Der Grundgedanke des Buches ist geprägt von der Anschauung, dass „Natur“ nichts ist, was außerhalb von uns stattfindet. Wir selbst sind die Natur. Im Auf- und Abstieg der Sonne im Verlauf eines Jahres und den daraus entstehenden Jahreszeiten erleben wir ein kosmisches Spiegelbild unseres persönlichen Daseins mit all seinen Chancen, Herausforderungen und Notwendigkeiten. Wenn im Frühjahr das Leben erwacht und in freudiger Erwartung Neues keimt und wurzelt, dann erkennen wir darin die Aufbruchszeiten, wenn wir uns auf neue Projekte, Ideen und Beziehungen einlassen. Die Energie des Ausprobierens und Entdeckens entspricht der stürmischen und unbedarften Zeit von Kindheit und Jugend, die noch viele gute – und auch schwierige – Erfahrungen vor sich hat. Im Sommer erblüht und entfaltet sich das Leben in all seiner Schaffenskraft. Die Energie von Wachstum und Geschäftigkeit entspricht dem Lebensgefühl des Erwachsenen, der das Erlernte erprobt und umsetzt. Alle Aktivitäten münden in den Herbst, in jene Lebensphase, in der wir die Früchte unserer Mühen ernten können und dafür die Verantwortung übernehmen. Den Rückzug der Kräfte und die Fähigkeit zur Reflexion entwickeln wir später, wenn das Alter herannaht. In den Winterzeiten unseres Lebens wenden sich alle Energien nach innen, es herrscht Ruhe, die uns nicht nur auf die Zeit des Abschieds vom eigenen Leben vorbereitet. Sie erinnert uns auch daran, dass jedem Auf- ein Abstieg folgen muss, jeder Fülle eine Leere und jedem Leben eine Zeit danach. Nur aus der Leere heraus kann im Frühling wieder Neues entstehen.
Vollziehen wir die Rhythmen der Natur gezielt nach, dann wird uns bewusst, dass lichte und dunkle Seiten einander immer abwechseln, weil sie die zwei Seiten der einen Sache sind, die wir Leben nennen. Im Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit machen wir alle Erfahrungen, die wir brauchen, um unsere Ziele zu erreichen. Denn in der Natur ist das Ziel Wachstum, die Entfaltung all dessen, was als Keim in jedem einzelnen Wesen angelegt ist.
Jedes Kapitel dieses Buches beginnt mit einer Beschreibung der Vorgänge in der Natur, um ein Gefühl dafür zu vermitteln, welche Energie gerade die äußere Natur bewegt. In Anlehnung daran werden Themen erörtert, die Anregungen liefern, wie wir die Qualität der Monate für uns selbst nutzbar machen können. Natürlich hält sich die Natur nicht an die Aufteilung der Monate, die ja relativ willkürlich ist. Die zwölf Sonnenmonate könnten ebenso durch 13 Mondmonate ersetzt werden, doch der besseren Lesbarkeit und Abgrenzbarkeit wegen wurde Ersteres gewählt. Unsere zwölfmonatige Jahresaufteilung geht auf eine römische Kalendereinteilung unter Julius Cäsar zurück, die schon vor Christi Geburt erfolgte. Manche ursprünglichen Daten verschoben sich allerdings, als 1582 unter Papst Gregor XIII. der Kalender reformiert wurde. Doch dies ist nur am Rande von Bedeutung. Das Leben in der Natur bewegt sich jedes Jahr nach seinen eigenen Rhythmen, so dass auch die Naturbeschreibungen des Buches gelegentlich von der Wirklichkeit abweichen. Man sollte sich daher nicht an die Worte klammern, sondern einen Blick aus dem Fenster werfen und selbst feststellen, welche Kräfte in der Natur gerade wirksam sind.
Um die Qualität der Monate noch zu vertiefen, wird in jedem Kapitel einiges über frühere Bräuche erzählt, in denen häufig die Nähe der Menschen zur Natur in alter Zeit einen sehr anschaulichen Ausdruck findet. Da sich die christlichen Bräuche nur sehr eingeschränkt auf das Leben in der Natur beziehen, wurde verstärkt auf vorchristlich-heidnische Vorstellungen und Anschauungen zurückgegriffen. Die vorchristlichen Völker Europas, die Kelten, Germanen, Slawen und anderen Kulturen, lebten nicht nur in engem Kontakt zur Natur (das war auch später noch der Fall). Darüber hinaus begegneten sie ihrer Umwelt mit dem Respekt und der Ehrfurcht, die das Göttliche in allem verkörpert sah, was sie umgab. Wenn die Germanen die Frühlingsgöttin als liebevolle, strahlend weiße junge Frau feierten, dann ehrten sie in ihr nicht nur die erwachende Lebenskraft in den Pflanzen und Tieren, sondern auch die Freude aneinander und die Liebe zueinander. Und wenn im Winter die dunkle keltische Göttin Cerridwen ihren Kessel der Verwandlung rührte, dann verlor der Tod an Schrecken, weil der Kessel des Todes auch zugleich Erneuerung und Wiedergeburt versprach. Da die christlichen Feste im Jahreskreis mehr am Leben und Wirken von Jesus Christus und den Heiligen ausgerichtet sind und weniger an den Energien in der Natur, fanden sie nur Berücksichtigung als Fortsetzung vorchristlicher Bräuche. Dies soll jedoch in keiner Weise den christlichen Glauben herabsetzen. Jeder Mensch sucht sich eigene Bilder dessen, was er oder sie als göttlich erlebt, und auch die christlichen Bilder sind willkommen. Mit den Gottesvorstellungen aus den Naturreligionen möchte das Buch lediglich die Möglichkeit anbieten, die individuellen Bilder zu erweitern. Die riesige Vielfalt Hunderter von Göttinnen und Göttern, die vor der Christianisierung die Herzen der Menschen bewegten, kann hier jedoch ebenfalls nur zu einem kleinen Teil Berücksichtigung finden.
Im Praxisteil jeden Monats finden sich Anleitungen, mithilfe von Meditationen, Ritualen und Festen die besondere Energie eines Monats spürbar zu erleben und mit den eigenen Anliegen zu verbinden. Rituale sind eine sehr alte Methode, um Übergänge zu gestalten und Veränderungen zu bewirken. Auch sie haben ihre Wurzeln in Kulturen, die in enger Nähe zur Natur lebten, und gehen bis in die Steinzeit zurück. Rituale sind ein Weg, um innere und äußere Welt, Körper und Geist, Alltag und göttliche Kräfte miteinander in Verbindung zu bringen. In einer symbolischen Handlung wird eine Veränderung vollzogen – eine schädliche Gewohnheit wird symbolisch verbrannt, zwei Menschen mit Bändern aneinander geknüpft oder ein neues Projekt als Blumenzwiebel symbolisch gepflanzt. Im rituellen Rahmen gewinnt die symbolische Handlung eine besondere Dynamik und bewirkt auf mehreren Ebenen gleichzeitig eine Wandlung, körperlich, seelisch und geistig. In Ritualen sprechen wir unser inneres Kind an, dessen Kreativität und Kraft sich mit unserem denkenden, erwachsenen Ich verbindet. Ein Sammelbecken für Energien entsteht, wenn wir bereit sind, auch unsere verspielte, irrationale Seite stärker zum Ausdruck zu bringen. Da in unserer Kultur lebendige und kreative Rituale weitgehend verloren gegangen sind, haben wir die Chance, Rituale als Mittel zur Rückbindung an die Natur und als Methode der Lebensgestaltung wieder neu zu entdecken. Wie die Pioniere in früheren Zeiten erobern wir uns damit ein vergessenes, unbekanntes Land. Die vorgeschlagenen Ritualideen sollen Ihnen eine Vorstellung davon vermitteln, wie Rituale ablaufen und wirken können. Sind Sie ein Neuling im Ritualleben, dann halten Sie sich anfangs auf jeden Fall an die vorgegebenen Anleitungen. Mit etwas Übung werden Sie Ihre eigenen Ideen und Vorstellungen in kreative Rituale umsetzen und können so diese äußerst wirksame Methode für...