Einführung
Überzeugung und Charisma
Mi historia comienza con un desfile.
Meine Geschichte beginnt mit einer Parade.
Doch im Grunde könnten wir ohne Probleme auch an jedem anderen Punkt meines Lebens anfangen. Es ist wie bei einer Setlist für ein Santana-Konzert. Man könnte sie zerreißen, in die Luft werfen und beliebig wieder zusammensetzen. Egal womit man beginnt oder aufhört, es passt immer – garantiert. Es ist alles derselbe Kreis, und alles ist miteinander verbunden.
Meine Geschichte hat eine Menge Kapitel, so wie die Geschichte jedes Menschen. Aber mein Leben hat drei Teile. Einer davon ist meine musikalische Reise. Außerdem bin ich Sohn, Bruder, Ehemann und Vater – ich nenne das den »familiären Rhythmus«. Und es gibt die spirituelle Dimension, die unsichtbare Ebene. Sie alle sind eng miteinander verwoben: das Physische und das Spirituelle, der Ernst und der Humor, das Heilige und das Irdische. Auch in diesem Buch.
Ich weiß, Sie wollen vom Fillmore und von Woodstock hören, und das werden Sie. Und von den Sechziger- und Siebzigerjahren und natürlich von Supernatural, von den Preisverleihungen und von allem, was seither passiert ist. Das alles werde ich korrekt und ausführlich behandeln: meine ehemaligen Lehrer, meine Scheidung, meine neue Ehe, dass ich als Kind missbraucht wurde – alles.
Dann wäre da zum Beispiel meine Kindheit in Mexiko und die Reise von Autlán nach Tijuana mit meiner Mutter, meinen Schwestern und meinen Brüdern. Die Geschichte, wie mein Dad mir das Geigenspiel beibrachte und mir aus San Francisco meine erste E-Gitarre schickte; wie meine Schwestern auf mir saßen und mich zwangen, Elvis zu hören; wie die Familie von Tijuana nach San Francisco zog, wo ich Englisch lernte und mein Leben in einem neuen Land als Tellerwäscher begann.
Dieses Buch ist keine Diskografie und keine Jahreschronik aller Konzerte der Rockband Santana. Das alles gehört in eine andere Zeit und in ein anderes Buch. Wenn ich meine Geschichte erzähle, weiß ich, dass ich mir meine Erinnerungen aussuchen kann. Es gibt so etwas wie eine göttliche Vernunft: Ich nenne es »himmlisches Gedächtnis«. Jeder kann zurückblicken und die Vergangenheit als schön und glücklich wachrufen. Ich glaube, Eiscreme schmeckt süßer, wenn ich daran zurückdenke, wie ich sie geleckt habe, und sogar die Luft in den Lungen kann sich im Rückblick besser anfühlen. Außerdem lege ich Wert auf Ehrlichkeit und auf die Details, die die Geschichten meines Lebens erzählen.
Ich wollte ein multisensorisches Buch schreiben, das sich liest, wie das Essen meiner Mutter schmeckte. Interessant, aber auch köstlich. Nicht derb und nicht langweilig.
Das mexikanische Essen, das ich mag, die Kleider und die Farben und die Musik – all das ist für mich noch lebendig. Ich kann mich bis heute noch genau an den Geruch der Stripclubs in Tijuana und den der Garderobe des Fillmore in San Francisco in den Sechzigerjahren erinnern. Ich sehe die Leute, ich rieche das Gras. Ich spüre die Gitarren, auf denen ich spielte, in den Händen und höre den Sound, den jede von ihnen erzeugte. Ich bin dankbar für all diese Erinnerungen.
Was es nun mit der anfangs erwähnten Parade auf sich hat, fragen Sie? Nun, sie gehört nicht zu meinen Erinnerungen, weil ich nicht dabei war. Damals begegneten sich mein Vater und meine Mutter zum zweiten Mal, dieses Mal als Erwachsene. Damals fing alles für mich an.
Meine Mom erzählte mir, es sei fünf Uhr nachmittags gewesen. Die Sonne stand schon tief, und alles war in goldenes Licht getaucht, wie es zu dieser Zeit des Tages eben ist. Plötzlich hörte sie Lärm auf der Straße in ihrer Heimatstadt Cihuatlán in der mexikanischen Provinz Jalisco an der Pazifikküste. Es war um 1938, als meine Mom noch bei ihrer Familie lebte. Sie hieß Josefina Barragán.
Mein Großvater – ihr Dad – beklagte sich: »Oh, das ist dieser diablo Farol.« Sie nannten meinen Dad »El Farol«. Das bedeutet wörtlich Laterne, aber es war ein Spitzname, den sie ihm wegen eines Songs verpasst hatten, den er oft sang und spielte.
»Was meinst du damit?«, fragte sie. »Das ist er – José Santana.« Meine Mom war ihm einmal zufällig begegnet, als sie ein kleines Kind und er ein Teenager gewesen waren. Ihr Ball landete zwischen seinen Füßen, und sie lief hinüber, um ihn zu holen. »Buh!«, sagte er. »He, kleines blondes Mädchen, dein Haar ist glatt wie Mais.« Da rannte sie weg.
Mehr als zehn Jahre später schob meine Mom die Vorhänge beiseite und sah eine Gruppe von Leuten, die mitten auf der Straße spazierten, angeführt von José – und sämtliche Prostituierten der Stadt folgten ihm. Alle lachten, musizierten und sangen. Der Mann, der mein Vater werden sollte, hielt seinen Geigenbogen wie eine Fahnenstange hoch, mit Schlüpfer und BH daran. Der Bürgermeister ging neben ihm her – und der Priester, der stocksauer war, folgte ihnen und versuchte, alle mit Weihwasser zu bespritzen. Sie veranstalteten eine unglaubliche barulla, eine Menge Lärm. So wie meine Mom es mir erzählte, mussten diese Leute die ganze Nacht und den ganzen Tag gefeiert haben, und sie waren dermaßen von sich überzeugt, betrunken und hackedicht, dass sie kurzerhand beschlossen, die Party in die Stadt zu verlegen. Es war ohnehin eine kleine Stadt. Alle schauten ihnen zu und schüttelten nur den Kopf.
Der Bürgermeister bewunderte meinen Dad. Er liebte Musiker und ihre Lebensweise und dachte nicht im Traum daran, ihnen das Singen und Spielen auf der Straße zu verbieten. Die meisten Leute mochten meinen Dad – er war charismatisch. Er stammte ursprünglich aus Cuautla, einer Kleinstadt etwa drei Stunden landeinwärts, und war wie sein Vater Musiker geworden. Aus beruflichen Gründen war er nach Cihuatlán gezogen und hatte in Sinfonieorchestern gespielt und in Bands, die mexikanische Popsongs zum Besten gaben. Man nannte ihn »Don José«.
Im Jahr 1983, nach der Geburt meines Sohnes Salvador, besuchte ich diesen Teil Mexikos mit meinem Vater. Dort traf ich eine Dame, die zu mir sagte: »Carlos, ich bin mit Don José aufgewachsen. Wir gehören zur selben Generation. Mag sein, dass man dich auf der ganzen Welt kennt. Aber hier ist Don José der Santana, der zählt. Das solltest du wissen.« Mein Dad sah mich einfach nur an. Ich grinste und sagte: »He, das stört mich überhaupt nicht.«
Nicht alle in Cihuatlán dachten so – nicht der Priester und bestimmt nicht der Vater meiner Mom. Er mochte José nicht, weil er Musiker war und vor allem weil mein Dad ein echter Mexikaner war, ein mexikanischer Mestize. Man konnte das indianische Blut in ihm sehen. Er hatte einen dunklen Teint, und er war stolz darauf. Aber sein Name kam aus Europa: Santana – Santa Anna. Die heilige Anna war Marias Mutter, Josefs Schwiegermutter, Jesu Oma. Katholischer geht es wohl kaum.
Die Familie meiner Mutter war heller und europäisch. Einmal sah ich meinen Familienstammbaum, der auf dieser Seite der Familie einen kleinen hebräischen Einschlag hat – nach 1492 wanderten viele spanische Juden in die neue Welt aus. Wir Santanas aßen Schweinefleisch, aber was das Essen betraf, hatte meine Mom ein paar seltsame Regeln – was wir essen durften und was nicht, wann wir essen durften und welche Nahrungsmittel wir nicht gleichzeitig essen durften. Einige dieser Regeln waren vielleicht überlieferte Gebote der koscheren Küche.
Die Barragáns lebten auf einer Hacienda. Sie hatten Pferde und Ställe und Angestellte. Mein Dad hatte nur seine Geige.
Doch meine Mutter ließ sich davon nicht beirren. Sie sagte oft zu mir: »Als ich deinen Vater an der Spitze dieser verrückten Parade sah, wusste ich, dass er der Mann war, den ich heiraten und mit dem ich diese kleine Stadt verlassen würde. Ich musste gehen. Ich mochte den Geruch der Ranch nicht, ich mochte die Männer nicht, die nach Pferden und Leder rochen. Dein Vater roch nicht so.«
José und Josefina trafen und verliebten sich. Doch den Segen ihres Vaters bekamen sie nicht. Die beiden brannten einfach durch, auf einem Pferd. Mein Dad hat Josefina einfach gestohlen. Ihre Familie suchte nach ihr, aber ein Freund half ihnen, sich in Cihuatlán zu verstecken. Dann flüchteten sie nach Autlán, wo sie unsere Familie gründeten. Mom war damals achtzehn, Dad war sechsundzwanzig. Ich wurde ein paar Jahre später geboren, als mittleres von sieben Kindern.
Ich habe nie herausgefunden, worum es bei dieser Parade genau ging, welches unheilige Ereignis dort gefeiert worden war. Mein Vater sprach nie über seine Jugendzeit. Er war generell ein Mann der wenigen Worte. Egal, ich liebe alle Teile ihrer Geschichte: den Sex und die Religion und den Humor. Sie zeigt Dads außergewöhnliches Charisma und Moms außergewöhnliche Entschlossenheit. Sie zeigt, wie sie sich gefunden und was sie mir mitgegeben haben.
Von meiner Mom habe ich die Begeisterung geerbt, die wilde Entschlossenheit, alles richtig zu machen. Auf allen Bildern, die meine Mutter als kleines Mädchen zeigen, sieht sie hochkonzentriert aus, fast als wäre sie zornig – zwischen zornig und hingebungsvoll.
In einem sehr frühen Alter stellte sie alles infrage, sogar die Bibel. »Ich muss es wissen, ich kann Dinge nicht einfach akzeptieren«, sagte sie. Sie hatte eindeutig eine Persönlichkeit aus Stahl.
Mein Dad war ebenfalls stark, aber er war romantisch. Er musizierte gerne. Ich erinnere mich...