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E-Book

Der kleine Philosoph

Wie Kinder denken

AutorFrédéric Lenoir
VerlagTropen
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783608110456
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Philosophieren ermöglicht kreatives Denken und eigenständiges Urteilen. In zahllosen Workshops hat Frédéric Lenoir Kinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren angeleitet, sich über existentielle Themen wie Glück, Liebe oder den Sinn des Lebens auszutauschen - mit überwältigendem Erfolg! Dem Geist der Antike nach dient Philosophieren dazu, Freiräume für das Denken zu schaffen. Damit geht es nicht in erster Linie um den Erwerb von Wissen, sondern vielmehr um die Entwicklung von eigenen Ideen und die persönliche Reflexion. Frédéric Lenoir verdeutlicht, dass schon Kinder im Alter von sechs Jahren erstaunliche Fähigkeiten besitzen, ihr geistiges Potential zu entfalten und selbstständig zu einer Einschätzung zu gelangen. Doch es bedarf der Anregung des kindlichen Denkens. Unter Lenoirs Anleitung philosophierten Hunderte von Kindern mit großer Freude und erstaunlichem Gewinn. In diesem Buch zeigt er, weshalb schon im frühen Kindesalter mit dem Philosophieren begonnen werden sollte und wie mit Feingefühl und Geschick Kinder zu kleinen Philosophen werden. Ein außergewöhnliches Abenteuer, auf das es sich einzulassen lohnt! »Mama, wenn ich mir vorstelle, dass ich siebeneinhalb Jahre warten musste, bevor ich philosophieren konnte!« Julien, 7 Jahre »Wenn du philosophierst, vergisst du alles.« Texane, 9 Jahre »Wenn man nicht unsterblich ist, nutzt man alle Dinge und das Leben viel mehr.« Alice, 12 Jahre »Freude ist etwas, was ich gern habe. Glück ist etwas, was ich mit anderen teile.« Marie, 9 Jahre »Sobald wir jemanden sehen, den wir mögen, macht es piep piep in unserem Herzen.« Christophe, 10 Jahre »Die Terroristen lieben es, zu töten. Aber vielleicht, weil sie das Leben nicht lieben und deshalb unglücklich sind.« Anton, 7 Jahre

Frédéric Lenoir, geboren 1962 auf Madagaskar, ist ein französischer Religionswissenschaftler, Soziologe und Philosoph. Er ist Autor von über vierzig Büchern, die in zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Seit 2004 ist er Chefredakteur der Zeitschrift »Le Monde des Religions «. Zusammen mit Martine Roussel- Adam gründete er die Stiftung SEVE (Savoir Être et Vivre Ensemble), die sich für eine Ausweitung von Philosophiekursen in französischen Schulen einsetzt.

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Leseprobe

In welchem Alter sollte man mit dem Philosophieren beginnen?


Ab welchem Alter kann man Philosophie praktizieren? Die Mehrheit der Philosophen und Philosophielehrer, denen ich diese Frage gestellt habe, ist der Ansicht, dass hierzu eine gewisse intellektuelle Reife erforderlich sei und man sich bestimmte Begriffe angeeignet haben müsse. Aristoteles war der Meinung, dass es schwer sei, Philosoph zu werden, bevor man nicht das fünfundvierzigste Lebensjahr erreicht habe. Letztlich hängt alles davon ab, was man unter einer »Praxis der Philosophie« versteht. Wenn es darum geht, eine begriffliche Reflexion anzustellen, die die Lektüre der großen Autoren voraussetzt, dann ist es freilich schwierig zu philosophieren, bevor man in der Lage ist, die zum Teil nicht eben leicht verständlichen Texte zu lesen. Das wiederum spräche für einen Philosophieunterricht in der Schlussphase der Schullaufbahn. Doch könnte man dieses Fach nicht ebenso sokratisch verstehen, das heißt, im Sinne einer anspruchsvollen Befragung, mit der man seinen Verstand schärft und seine Gedankengänge verfeinert? Dabei geht es weniger darum, sich Wissen anzueignen, als vielmehr darum, denken zu lernen. So gesehen gäbe es keinerlei Altersbeschränkung für das Philosophieren. Dieser Überzeugung ist auch Montaigne, der in Kapitel XXVI des ersten Buchs seiner Essays bemerkt, ein Kind könne bereits mit der Amme das Philosophieren erlernen, weitaus schneller jedenfalls als das Lesen oder Schreiben. Diese Ansicht teilt auch Epikur, der seinen Brief an Menoikeus mit den Worten beginnt: »Wer jung ist, soll nicht zögern zu philosophieren, und wer alt ist, soll nicht müde werden im Philosophieren. Denn für keinen ist es zu früh und für keinen zu spät, sich um die Gesundheit der Seele zu kümmern.« Es geht also nicht darum, dass der Lehrer versucht, den Kindern Wissen zu vermitteln, wie dies in höheren Klassen der Fall ist, sondern ihnen zu helfen, eigene Gedanken und einen kritischen Geist zu entwickeln und sich die Fähigkeit anzueignen, jenseits von Glauben und Meinung eigenständig zu denken. Da es sich um Gruppenkurse handelt, lernt das Kind darüber hinaus, den anderen zuzuhören, in einen Dialog zu treten und zu argumentieren.

Als ich anfing, Philosophiekurse für Kinder anzubieten, beschloss ich, bei Kindern im Vorschulalter zwischen vier und fünf Jahren anzufangen und bei Kindern der letzten Grundschulklassen im Alter von neun bis elf Jahren aufzuhören. Ich war völlig überrascht von dem Qualitätssprung, der sich in der Reflexionsfähigkeit der Kinder zwischen dem sechsten und siebten Lebensjahr vollzieht. Jean Piaget, der Schweizer Psychologe und Begründer der genetischen Epistemologie, der in der Zwischenkriegszeit zahlreiche Bücher über die Entwicklung der Denkfähigkeit von Kindern publiziert hat, bezeichnete diesen entscheidenden Abschnitt als das »Alter der Vernunft«. Und auch wenn Piagets Theorie, die einen linearen Fortschritt der kindlichen Intelligenz postuliert, der sich Schritt für Schritt von der Geburt zum Erwachsenenalter vollzieht, in mancherlei Hinsicht kritikwürdig sein mag, kann ich nur bestätigen, dass es weitaus leichter ist, Philosophiekurse mit Kindern abzuhalten, die älter als sechs beziehungsweise sieben Jahre sind. Ich stellte fest, dass Kinder in diesem Alter eher in der Lage sind, ihre Empfindungen in Worte zu fassen und abstrakte Gedankengänge zu formulieren. Bei der Frage nach dem Glück etwa können Kinder im Vorschulalter spontan nur konkrete Beispiele dafür nennen, was sie glücklich macht: die Eltern zu lieben, mit Freunden zu spielen, ein Eis zu essen und so weiter. Ganz anders sieht dies bei den Kindern ab einem Alter von sechs oder sieben Jahren aus. Sie sind imstande, abstrakte Gedanken zu formulieren wie etwa: »Glück ist, wenn unsere Wünsche erfüllt werden.« Solche Gedanken eignen sich hervorragend, um eine tiefgreifende Diskussion über den unendlichen Charakter unseres Wünschens anzustellen – eines Wünschens, das uns am Ende sogar unglücklich machen kann (siehe dazu den Philosophiekurs über das Glück auf Seite 63).

Jüngste Studien über die Entwicklung des Gehirns zeigen, dass zwischen dem fünften und siebten Lebensjahr eine erhöhte Anzahl von Neuronen und neuronalen Verbindungen entsteht. Dies begünstigt die Entwicklung von Temporallappen und Frontlappen, die eine essentielle Bedeutung für die kognitiven Prozesse und die Regulierung von Emotionen haben. Aus diesem Grunde sind Kinder ab einem Alter von sechs, sieben Jahren besser in der Lage, ihre Gefühle zu kontrollieren und abstrakte Gedanken zu formulieren. Der Terminus »Alter der Vernunft« trifft hier also doppelt zu: Das Kind wird »vernünftiger« in seinem emotionalen Verhalten und zugleich reifer in seinem Denkvermögen.

Einige Erzieher, die zum Teil seit Jahren Philosophiekurse in Vorschulklassen durchführen, haben mir berichtet, dass auch Kinder zwischen vier und fünf Jahren gelegentlich zu tiefergehenden Gedankengängen fähig seien – und das lässt sich in der Tat nicht leugnen. Zum einen, weil Kinder zwischen drei und fünf Jahren eine wahrhaft metaphysische Phase durchlaufen, in der sie sich über Gott und die Welt, den Sinn des Lebens, den Tod und vieles andere Gedanken machen. Dieses Fragen, diese Verwunderung, führt allerdings noch nicht notwendigerweise dazu, dass sie ihre Gedanken klar formulieren und nach Antworten suchen. Außerdem ist bekannt, dass das emotionale und soziale Umfeld des Kindes die Entwicklung des Gehirns entweder fördert oder eben hemmt. Entsprechend findet man in jeder Klasse Schüler, die intellektuell reifer sind als andere. Es kann vorkommen, dass die Kleinen einen ganz außergewöhnlichen Satz sagen, der von einer Tiefe ist, die wir einem Seneca oder Konfuzius zuschreiben würden. Allerdings haben die Kinder Schwierigkeiten, ihren Gedanken näher zu erläutern oder in der nächsten Sitzung zu wiederholen. Die Schlussfolgerung, die ich aus meiner Erfahrung ziehe, ist, dass ältere Kinder im Allgemeinen eher in der Lage sind, ihre Gedanken zu begründen und auch später neu zu formulieren, oft sogar noch auszufeilen.

Heißt dies nun, dass wir darauf verzichten sollten, Philosophiekurse im Vorschulalter anzubieten? Keineswegs! Man sollte nur nicht erwarten, dass die Kinder von der ersten Stunde an in der Lage sind, eine wirklich stichhaltige Argumentation zu entwickeln. Hier ist die Zeit ein wichtiger Trumpf.

Ein anderer Vorteil der Philosophiekurse im Grundschulalter liegt darin, dass die Kinder lernen, sich gegenseitig zuzuhören und ihre Ansichten auf konstruktive Weise auszutauschen. Als ich meinen ersten Kurs in der Schule La Découverte in Genf gab, stellte ich fest, dass die Vorschulkinder, die bereits Philosophieunterricht hatten, die Regeln inzwischen gut kannten: Jeder äußert frei seine Meinung, hört den anderen zu und teilt seine Zustimmung oder Ablehnung mit, wie dieser kleine Gedankenaustausch zu Beginn der Stunde zeigt:

FRÉDÉRIC: Habt ihr mit eurer Lehrerin schon ein bisschen philosophiert?

KINDER: Ja.

FRÉDÉRIC: Ihr wisst also, was Philosophie ist?

KINDER: Ja.

FRÉDÉRIC: Wer möchte mir erklären, was das ist?

WILFRED: Das ist, wenn man spricht.

LUCIE: Wenn man über ein Thema spricht.

EMMA: Wenn man diskutiert.

FRÉDÉRIC: Diskutiert man über alles?

EMMA: Über eine Sache.

FRÉDÉRIC: Philosophie bedeutet, dass man über eine Sache diskutiert, ja?

MEHRERE STIMMEN: Ja, über ein Thema, wenn man über Wut redet oder etwas anderes.

FRÉDÉRIC: Reden alle gleichzeitig?

KINDER: Nein, man hebt die Hand und dann sagt uns die Lehrerin, wer sprechen darf. Dann spricht man.

FRÉDÉRIC: Hört ihr zu, wenn die anderen etwas sagen?

KINDER: Ja. Ja, wir schauen sie dabei an.

EINE STIMME: Wenn man einverstanden ist, schaut man dem andern in die Augen.

FRÉDÉRIC: Und wenn man nicht einverstanden ist?

EINE STIMME: Dann schaut man ihn nicht an.

EINE ANDERE STIMME: Man schaut ihn nicht an.

FRÉDÉRIC: Ihr hört also zu, was die anderen zu sagen haben und je nachdem, was sie sagen, tauscht ihr eure Meinung aus?

KINDER: Jaaa.

FRÉDÉRIC: Oder denkt ihr alle das Gleiche?

EINE STIMME: Nein.

STIMMEN: Manchmal.

SAMI: Ja, manchmal. ...

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