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Der Konfuzianismus

AutorVolker Zotz
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843804936
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Vor 2500 Jahren eröffnete Konfuzius in China eine kleine Schule. Er wollte Anwärter auf den Staatsdienst nicht nur fachlich bilden, sondern auch charakterlich. Dazu griff er auf traditionelle Werte Chinas wie überlieferte Riten, Orakel und den Ahnenkult zurück. Seine Ansichten und Methoden hatten zu Lebzeiten kaum Erfolg und wurden im 3. Jh. v. Chr. sogar verboten. Dennoch trat der Konfuzianismus, der als Philosophie, Soziallehre oder Religion erscheinen kann, einen beispiellosen Siegeszug an. Er prägte nicht nur China, sondern ist bis in die Gegenwart hinein eine treibende Kraft für Politik, Wirtschaft und Kultur in Korea, Vietnam und Singapur. In Japan stieß der Konfuzianismus bei den Samurai auf Interesse, beeinflusste nachhaltig die Gesellschaft und verwandelte den Buddhismus nach seinen Ideen. Bis heute bieten die konfuzianischen Weisheiten nicht nur Orientierung für das Individuum im Alltag, sondern liefern auch einen Schlüssel zum Verständnis der Geschichte und aktueller Entwicklungen in Asien.

Volker Zotz, Prof. Dr., geb. 1956, ist Philosoph und Religionswissenschaftler. Er verbringt einen Großteil seines Lebens in Süd- und Ostasien. Ab 1989 lebte er ein Jahrzehnt in Japan, wo er an den Universitäten Ry?koku und ?tani in Ky?to sowie an der Rissh?-Universität in Tokio tätig war. Seit 2009 lebt Zotz überwiegend in Indien. Er vertritt eine interkulturelle Philosophie, die auf Traditionen des Denkens aus Europa, Süd- und Ostasiens aufbaut und besonders Buddhismus und Konfuzianismus berücksichtigt. Volker Zotz veröffentlichte u. a. Der Konfuzianismus (Wiesbaden 2015), Konfuzius für den Westen (Frankfurt am Main 2007), Konfuzius (Reinbek 2000), Auf den glückseligen Inseln. Buddhismus in der deutschen Kultur (Berlin 2000), Geschichte der buddhistischen Philosophie (Reinbek 1996).

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Leseprobe

1. Früh verkannt und spät vergöttlicht


GESTALT UND WIRKEN DES KONFUZIUS


Unsichere Quellen


Die Geschichte des Konfuzianismus beginnt im 6. Jahrhundert v. Chr. mit einem Mann, der zu Lebzeiten kaum ahnte, dass seine Ideen später große Teile der Menschheit prägen würden. »Konfuzius lebte in einer wirren Epoche. Keiner konnte ihn anerkennen.« So heißt es im Garten der Geschichten (shuoyuan), einem Buch des kaiserlichen Bibliothekars Liu Xiang aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Der Autor nennt jene Zeit wirr, weil mit dem Verfall der Stärke des Hauses Zhou, das vom 11. bis ins 3. Jahrhundert v. Chr. Chinas Herrscher stellte, die einst geregelten Verhältnisse niedergingen. Teilstaaten des Reichs stritten um Vorrang und mächtige Clans nutzten die ungeordnete Situation für den eigenen Vorteil.

Dieser Entwicklung wollte Konfuzius entgegensteuern, wobei ihn, wie Liu Xiang schreibt, keiner billigen konnte. Tatsächlich spielt der Fehlschlag im Werdegang des Konfuzius eine Hauptrolle. Dies könnte für einen wahren Kern in den überlieferten Berichten sprechen, denn hätte man seine Biografie erfunden, träte Konfuzius dann nicht erfolgreich statt missverstanden auf? Doch sogar einem erdichteten Konfuzius stünde die Rolle des Unterschätzten gut, um die konfuzianische Grundhaltung zu verkörpern, sogar im Scheitern und als Verkannter seinem Weg in Würde treu zu bleiben: »Mich macht nicht traurig, kennen mich die Menschen nicht. Mich macht traurig, wenn ich die Menschen nicht kenne.« (L I,16)

In den Überlieferungen, die von Konfuzius berichten, lassen sich Legenden, die Lehren illustrieren sollen, nicht von möglichen historischen Ereignissen trennen. Jahrtausende feilten an der Gestalt, damit sie ausdrückte, was als Ideal galt – oder als Irrweg, denn Gegner trugen erheblich zum Bild des Konfuzius bei. Zum Ausformen bot sich weiter Spielraum, denn authentische Erinnerungen wurden während eines Verbots konfuzianischer Schriften unter der Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.) vernichtet. Bis man erhaltene Bruchstücke im Buch Lunyu sammelte, vergingen seit Konfuzius mehr als zweieinhalb Jahrhunderte.

Lunyu hält man weithin für die Quelle über Konfuzius. Der Text umfasst in etwa zwölftausend Schriftzeichen kurze Sprüche und kleine Episoden von jeweils wenigen Sätzen. Abweichungen zwischen verschiedenen Abschnitten deuten auf mehrere Autoren in unterschiedlichen Epochen hin. Der fragmentarische Charakter der inhaltlich nicht verketteten Teile animierte im Lauf der Epochen zu vielen erklärenden Ausschmückungen. Die Lesart vieler unklarer Stellen des Büchleins blieb umstritten, bis He Yan (ca. 195–249 n. Chr.) eine Auslegung vorschlug, die über Jahrhunderte als verbindlich galt.

Weitere alte Texte berichten von Konfuzius. So zitiert Menzius (370–290 v. Chr.) Aussagen, die sich nicht in Lunyu finden. Manches erfuhr Menzius von Zisi (ca. 481–402 v. Chr.), einem Enkel des Konfuzius, was dieser von Zeitgenossen über seinen Großvater und dessen Ideen wusste. Doch warf der bedeutende Interpret Xunzi (um 312–230 v. Chr.) dem Enkel Verfälschungen der Lehren des Konfuzius vor.

Nicht weniger problematisch wie frühe Zitate in Lunyu, bei Menzius und anderen sind geschlossene literarische Kompositionen, die ausführlich vom Wirken des Konfuzius berichten. Lange galt in China Kongzi Shijia als autoritative Quelle für das Leben des Konfuzius. Es handelt sich um eine Arbeit des Hofastrologen Sima Qian (145–86 v. Chr.), dem für diese erste Biografie des Konfuzius neben schriftlichen Quellen noch eine reiche mündliche Tradition zur Verfügung gestanden haben dürfte.19 Hohes Ansehen genossen zudem Bücher wie Kongzi jiayu, die so genannten Schulgespräche, und Kongcongzi, das man für das Werk eines Nachfahren des Konfuzius aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. hielt.

Erst in jüngeren Epochen kam es in China zu massiven Bedenken gegen die vertraute Überlieferung, etwa durch Cui Shu (1740–1816), dessen Studie Zhusi Kaoxinlu am klassischen Bild rüttelte. Er beurteilte Sima Qian als unverlässlich, Kongzi jiayu lehnte er als späte Fälschung ab. Sogar Teile von Lunyu hielt er für zweifelhaft. Cui Shu ging weniger von historischen und sprachlichen Erwägungen aus, sondern stieß sich an inhaltlichen Unstimmigkeiten. Nach seiner Überzeugung war Konfuzius ein echter Weiser, eine glaubhafte ethische Autorität und ein klarer Denker. Was dieser Bewertung aus seiner Sicht abträglich sein konnte, verdächtigte Cui Shu als unauthentisch.20 Seine Selektion schuf das konsistente Bild eines Menschen ohne Widersprüche und Schwächen.

So sicher Cui Shu Unschlüssigkeiten der Tradition vorwies, so wenig erlaubt seine Methode, nach dem Kriterium der vorausgesetzten Größe eines Menschen die Echtheit von Zeugnissen über ihn zu beurteilen, eine historische Annäherung. Cui Shu leistete, was Generationen von Gelehrten vor ihm taten: Er konstruierte eine neue Variante des Konfuzius, die den veränderten Erfordernissen seiner Epoche entsprach. Auf dieselbe Weise arbeitete man in den Jahrhunderten zuvor an der Gestalt des Konfuzius, die stets im Wandel war.21 Viele Werke, die über Konfuzius berichten, sind interessegeleitete Dichtungen. So scheint der Gelehrte Wang Su (195–256 n. Chr.) Kongzi jiayu, Kongcongzi und andere Texte verfasst und zurückdatiert zu haben, um seine Auffassungen über Konfuzius durch vorgeblich altes Material zu stützen.22

Wegen dieser in jeder Hinsicht bedenklichen Quellenlage bietet die folgende Skizze vom Werdegang des Konfuzius weder gesicherte geschichtliche Fakten noch Wahrscheinlichkeiten. Auch keine andere Darstellung könnte dies leisten. Es handelt sich um Ausschnitte aus einem über Jahrhunderte entwickelten und tradierten Lebensbild, das bestimmte Auffassungen vom rechten Menschsein und Handeln als Biografie eines Mannes präsentiert. Es geht darum stets um einen überlieferten und keinen historischen Konfuzius.

Ist es ein Mangel, nicht zu wissen, was sich im 6. Jahrhundert v. Chr. faktisch um den heute unzugänglichen Mann ereignete, aus dessen Leben in langen Prozessen der überlieferte Konfuzius wuchs? Um Entwicklungen des Konfuzianismus zu verstehen, wären Kenntnisse darüber kaum von Belang. Hier zählt, wie man sich an Konfuzius als Verkörperung ihm zugeschriebener Lehren erinnerte. Nimmt man sein Wirken auf, als ob es sich wie beschrieben ereignete, wird man gerade durch dieses als ob dem konfuzianischen Denken gerecht, wie im dritten Kapitel gezeigt wird.

Ein Beamter wird Lehrer


Die Familie des Konfuzius gehörte dem niederen Adel an, soll aber ihren Stammbaum auf das Herrscherhaus der etwa ein halbes Jahrtausend zuvor untergegangenen Shang-Dynastie zurückgeführt haben.23 Seit Generationen in blutige Fehden verwickelt, die mit einem Frauenraub begannen, war sie verarmt. Um dem Streit zu entkommen, war der Großvater aus dem Teilstaat Song des damals zerfallenen chinesischen Reichs in den Staat Lu geflüchtet. Dort wurde Konfuzius 551 geboren.

Sein 70-jähriger Vater hatte neun Töchter und einen kranken oder behinderten Sohn. Weil er auf einen gesunden männlichen Erben hoffte, der den Fortbestand der Familie sichern und für die Zukunft die notwenigen Opfer an die Ahnen gewährleisten sollte, zeugte er mit einer Zwanzigjährigen ein Kind, was im alten China in solchen Fällen nicht ungewöhnlich war. Die werdende Mutter bat den Geist des Berges Ni Qiu um einen gesunden Jungen. Darum verband Qui Zhongni, der Eigenname des Konfuzius, den Berg mit der Stellung »zweiter Sohn« (zhong). Prosaischer und doch zugleich als Ergebnis eines besonderen Omens deutet Sima Qian den Namen: Das Kind hatte nach der Geburt einen eingedrückten Kopf, wodurch dessen Seiten sich wie eine Krone erhoben. Dieser Auswuchs hätte die Assoziation mit dem Berg nahe gelegt.

Als Konfuzius drei Jahre alt war, starb der Vater. In Kongzi Shijia heißt es, die Mutter habe den Toten nie erwähnt und dem Kind den Ort des Grabes verschwiegen. Darum habe Konfuzius im Spiel Riten für den Vater und andere Vorfahren erfunden. Cui Shu zweifelte wohl berechtigt an diesem Bericht, der den späteren Experten für den Ahnenkult schon sehr früh einschlägig interessiert zeigt.

Als Halbwaise und mit 16 Jahren auch ohne Mutter stand Konfuzius in einer um ihre materielle Existenz kämpfenden Familie früh in der Pflicht: »Ich hatte eine schwere Jugend, die mich vielerlei Fertigkeiten erwerben ließ.« (L IX, 6) Vielleicht trug dies zu seiner späteren Haltung bei, nicht die Abkunft und sein Eigentum sagten etwas über einen Menschen aus, sondern allein die Bildung und Praxis. (L XV, 38) Als junger Mann arbeitete Konfuzius wie zuvor der Vater für die Regierung von Lu. Er wirkte als Schreiber, dann als Aufseher der...

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