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Der Krieg

Geschichte und Gegenwart. Eine Einführung

AutorAndreas Herberg-Rothe
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl262 Seiten
ISBN9783593437750
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Neue Kriege, 'kleine Kriege', 'hybride Kriege', 'asymmetrische Kriege' - in den vergangenen Jahren hat sich die Sicht von Historikern und Politikwissenschaftlern auf das Phänomen Krieg, das die Menschheit seit ihren Anfängen begleitet, erheblich gewandelt. Andreas Herberg-Rothe zeichnet in dieser grundlegenden, nun in 2., erheblich erweiterter Auflage erschienenen Einführung ein umfassendes Bild des Krieges: Er stellt Ursachen und Formen des Krieges ebenso vor wie dessen Akteure oder den Aspekt des Tötens im Krieg. Immer wieder nimmt er dabei ausführlich Bezug auf die neuen Kriege, die uns im 21. Jahrhundert drohen. 'Ich wüsste aktuell keine deutschsprachige Darstellung, die ähnlich vielfältig und gedankenreich das Thema Krieg in so knapper Form bewältigt.' Süddeutsche Zeitung 'Eine hervorragende Einführung in die Thematik.' Die ZeitAndreas Herberg-Rothe, Dr. phil. habil., ist Dozent am Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Fulda.Inhalt 1Einleitung9 2Staatenkrieg, Bürgerkrieg, nicht-staatliche Kriege28 Historische Entwicklung des Staatenkrieges32 Bürgerkriege39 Nicht-staatliche Kriege41 Dialektik des staatlichen Krieges44 Thomas Hobbes oder Carl Schmitt45 3Moderne, Krieg und Gewalt50 Enttäuschte Hoffnungen50 Unvollständige Moderne?52 Dialektik der Moderne54 Entfesselung der Gewalt56 Abschied und Neuanfang62 4Waffenträger: Soldaten, Söldner, Krieger/Kämpfer - Warlords, Kindersoldaten, Partisanen/Terroristen67 Soldaten67 Exkurs: Der demokratische Krieger als Leitbild des Soldaten in demokratischen Gesellschaften im 21.?Jahrhundert72 Söldner76 Krieger79 Kämpfer/'Internationale'82 Warlords83 Kindersoldaten86 Partisanen88 Terroristen91 5Vielfalt der Kriegsursachen99 Über den Zufall103 Verdichtung struktureller Konflikte104 'Mehr-Haben-Wollen' und Furcht106 Aggressivität und kulturelle Disposition109 Feindbilder111 Krieg, Gewalt und Heilsversprechen113 Staatszerfall und nachholende Gründung von Staaten114 Krieg und kapitalistische Vergesellschaftung117 Das 'zivilisatorische Hexagon' und seine Gegensätze118 6Töten im Krieg - Eskalation der Gewalt123 Warum überhaupt Krieg und Gewalt innerhalb ein und derselben Gattung?124 Aufhebung der Nähe und Schaffung von Distanz130 Töten und Nähe134 Massaker135 Opfer137 Eskalation der Gewalt im Krieg138 Die Wechselwirkungen zum Äußersten als 'Überbieten' des Gegners138 Erste Wechselwirkung - 'Äußerste Anwendung der Gewalt'144 Zweite Wechselwirkung - 'Das Ziel ist, den Feind wehrlos zu machen'145 Dritte Wechselwirkung - 'Äußerste Anstrengung der Kräfte'147 7Clausewitz' wunderliche Dreifaltigkeit - eine allgemeine Theorie der Kriegführung149 Die wunderliche Dreifaltigkeit und der trinitarische Krieg150 Die wunderliche Dreifaltigkeit als Clausewitz' 'Testament' (Aron)154 Das Rätsel des ersten Kapitels158 Kampf160 Der Politikbegriff bei Clausewitz161 Clausewitz' wunderliche Dreifaltigkeit als ausdifferenziertes Koordinatensystem164 Gewalt164 Kampf166 Kriegführende Gemeinschaft167 Strategien170 Vielfalt der Ziele172 Grenzen und Anpassung der Strategien180 8Kontinuitäten und Brüche184 Technologische Entwicklung185 Zur Bedeutung der Medien in modernen Kriegen190 Staatliche und nicht-staatliche Kriege194 Legitimierung und Limitierung von Krieg196 'Sieg' oder 'Begrenzung von Krieg und Gewalt'199 9'Order wars' und Ordnungskonflikte - Kämpfe um Anerkennung208 Krieg als Hybrid bei Clausewitz209 Die Kategorie der Ehre bei Clausewitz211 Existentielle Kriegsauffassung211 Selbsterhaltung und Selbstentgrenzung im Kampf auf Leben und Tod213 Fehlende Anerkennung führt zu Radikalisierung217 Subnationale Konflikte und das Politische219 Globalisierung und Weltordnung220 Neue Begriffe221 Re-Ideologisierung und Re-Politisierung des Krieges224 Ordnung, Gewalt, Anerkennung und Identität228 Die Entwurzelten, Überflüssigen und Ausgeschlossenen der Globalisierung - das Scheitern von Patriarchat und Konsumismus230 Schlussfolgerungen235 Anmerkungen238 Literatur245 Glossar259 Danksagung262

Andreas Herberg-Rothe, Dr. phil. habil., ist Dozent am Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Fulda.

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Leseprobe
1 Einleitung 'Krieg ist der gewaltsame Kampf von Gemeinschaften.' (Andreas Herberg-Rothe) Mit dieser von Clausewitz abgeleiteten Definition können alle Kriege erfasst werden. Sämtliche Kriege in Geschichte und Gegenwart weisen diese drei Tendenzen auf. Alle Kriege unterscheiden sich hinsichtlich der Form der angewandten Gewalt, der Art des Kampfes und der jeweiligen Gemeinschaft, die diesen Krieg bzw. einen solchen in deren 'Namen' führt. Hierbei verwende ich bewusst die Konzeption der Gemeinschaft und nicht die der Gesellschaft, weil Gesellschaften im Krieg die Tendenz entwickeln, zu Gemeinschaften zu werden. 'Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Fall seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach, in Bezug auf die in ihm herrschenden Tendenzen, eine wunderliche Dreifaltigkeit.' Mit diesen Worten leitet Carl von Clausewitz, der bis heute bedeutendste Theoretiker des Krieges und der Kriegführung, seine abschließenden Überlegungen zur 'wunderlichen Dreifaltigkeit' als Theorie des Krieges ein. Sie bilden die Grundlage der hier entwickelten Definition. Diese drei Tendenzen der 'wunderlichen Dreifaltigkeit' sind die ursprüngliche Gewaltsamkeit des Krieges, der Kampf zwischen zwei oder mehreren Gegnern sowie die untergeordnete Natur des Krieges als eines politischen Werkzeuges. Im Gegensatz zu gängig­en Interpretationen erschöpft sich Clausewitz' politische Theorie des Krieges daher keineswegs in seiner berühmten Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Vielmehr betont er mit seiner dialektischen Konzeption der wunderlichen Dreifaltigkeit1 die Wandelbarkeit des Krieges, seinen chamäleonhaften Charakter (Clausewitz 1991, 212f.). 'Dies ist kein Krieg mehr': Diese Aussage Lord Kitcheners wiederum, getätigt als Oberbefehlshaber der englischen Streitkräfte mitten im Ersten Weltkrieg, verdeutlicht grundlegende Probleme mit dem leidvollen Phänomen Krieg (zit. nach Stephan 1998, 133). Im Grunde wird damit der unaufhebbare Widerstreit (Jean-François Lyotard), aber auch das Zusammenspiel von Rationalität und dem Irrationalen des Krieges zum Ausdruck gebracht, da Gewalt sich in einem bestimmten Maße der Vernunft entzieht, sie aber im Krieg zugleich zweckrational eingesetzt werden soll. Ihre drastischste Verkörperung fand diese paradoxe Konstruktion wohl im atomaren Wettrüsten des Kalten Krieges in der Rationalität der irrationalen Drohung mit dem kollektiven Selbstmord und der Selbstvernichtung der Menschheit. Im Regelfall müssen wir jedoch zwischen der Rationalität und der Irrationalität ein drittes Moment bezüglich des Krieges einführen, das arationale Handeln, das weder rein rational noch rein irrational ist, sondern einer 'anderen Rationalität' folgt. Die Rationalität des Krieges wird von Clausewitz in einer Hierarchie von Zweck, Ziel und Mitteln bestimmt, während für seine wunderliche Dreifaltigkeit eine fließende Balance dieser drei Aspekte kennzeichnend ist (Herberg-Rothe/Son 2018). Diese ist nicht rein zweckrational bestimmt, sondern folgt einer solchen anderen Rationalität. Eine Kriegführung, die einen der drei Aspekte verabsolutiert und sie voneinander trennt, ist für Clausewitz irrational (Herberg-Rothe 2007). Besonders Kategorien wie der Kampf auf der Basis von Ehre und der Wettstreit um Anerkennung folgen solchen arationalen Mustern (Herberg-Rothe 2007). In der historischen Entwicklung hat es immer wieder Zäsuren in der Kriegführung gegeben, die den Zeitgenossen als umwälzend und revolutionär galten, während sie den Nachkommen als bloße Fortentwicklungen des Krieges erschienen. Nach dem Interventionskrieg gegen den Irak von 1991 plädierte man sogar für die 'Abschaffung des Krieges'. Gemeint war jedoch, dass solche 'Polizeiaktionen' nicht mehr mit dem Begriff des Krieges belastet werden sollten (Osiander 1995). Auch in der Gegenwart gehen einige Politikwissenschaftler (Münkler 2002; Kaldor 2000) von einem grundlegenden Bruch in der Kriegsgeschichte aus, dem zwischen alten und neuen Kriegen nach den Epochenjahren um 1989 und dem Ende des Wettrüstens zwischen Ost und West. Noch nicht absehbar ist jedoch, ob es sich hierbei um eine wirkliche Zäsur in der Kriegsgeschichte handelt oder ob das 'Chamäleon Krieg' sich den neuen weltgesellschaftlichen und technologischen Bedingungen anpasst. Wir wollen in dieser Einleitung auch nicht in die Diskussion eintreten, wie neu oder 'uralt' die sogenannten neuen Kriege tatsächlich sind, sondern uns auf den Wandel des Krieges beschränken (Geiß 2006). Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Begriff der 'Neuen Kriege' lediglich eine besondere Form des Krieges zum Ausdruck bringt. Nicht alle neuen, im Sinne von gegenwärtigen und zukünftigen Kriegen gehören zu dieser Kategorie. Durch die geschickte Verwendung des Begriffs 'neu' wird suggeriert, dass alle gegenwärtigen Kriege unter diese Kategorie fallen, während sie lediglich einen eng begrenzten Teil des gegenwärtigen Kriegsgeschehens ausmachen.2 Genau genommen sind die 'Neuen Kriege' ausschließlich neue Bürgerkriege. In der Konzeption der 'Neuen Kriege' sind diese gekennzeichnet durch den Verfall von Staatlichkeit und das Überhandnehmen privatisierter Gewalt, das Auftreten scheinbar längst untergegangener Waffenträger wie Söldner, Kindersoldaten und Warlords sowie durch Kämpfe um Identität, Bodenschätze und grundlegende existentielle Ressourcen wie etwa Wasser. Ihr äußeres Signum ist das vermehrte Auftreten irrational scheinender und exzessiver Gewalt (Selbstmordanschläge, Formen von Mega-Terror wie bei den Anschlägen vom 11. September 2001) und von Massakern linker wie rechter, islamistischer oder sonstiger religiöser Bewegungen. Sichtbar werden sie auch im Umschlagen von nachbarschaftlichen Beziehungen in den 'Kampf aller gegen alle' in ethnisch überformten Konflikten. Die 'Neuen Kriege' und das Auftreten massenhafter innerstaatlicher Gewalt sind jedoch nur die eine Seite. Die andere ist charakterisiert durch eine technologische Revolution, die nur mit der Einführung der Motorkraft in der Kriegführung, vor allem von Panzern und Flugzeugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vergleichbar ist. Symbole dieser megatechnologischen Kriegführung sind die Cruise missiles, die 'an der Ampel rechts abbiegen', um zielgenau den Lüftungsschacht eines gegnerischen Bunkers anzufliegen, sowie die militärische Nutzung des Weltraums. In Verbindung mit der Computertechnologie ermöglicht sie es, dass die sich unmittelbar im Kampf befindenden Soldaten sich nahezu zeitverlustfrei mit ihrer militärischen Führung vernetzen können. Die durch die Einpflanzung von Chips noch zu steigernde direkte Vernetzung von Mensch und Maschine führt vom Soldaten der industrialisierten Massenheere des 20. Jahrhunderts über Berufsarmeen zum technologischen Krieger des 21. Jahrhunderts - und möglicherweise zu robotischer Kriegführung durch automatische Systeme oder solche künstlicher Intelligenz. Ursprünglich als Reaktion auf die Weigerung der westlichen Gesellschaften gedacht, Opfer auf der eigenen Seite oder der gegnerischen Zivilbevölkerung zuzulassen, verändert diese 'Revolution in Military Affairs' (RMA) die bisherige Kriegführung fundamental. Besonders die neueste Entwicklung miniaturisierter Atombomben, die gegen gegnerische Bunkersysteme eingesetzt werden sollen, kann die bisherige Grenze zwischen konventioneller und atomarer Kriegführung durchlässig machen. Verstärkt wird diese Problematik durch die Versuche einer Reihe von Staaten und zum Teil von terroristischen Organisationen, in den Besitz von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungswaffen zu gelangen. Hierzu zählen auch die Drohnenkriege, die Nutzung des Cyberspace sowie zunehmend automatisierte Systeme der Kriegführung. Der gegenwärtige waffentechnologische Wandel begründet zum Teil den Übergang von Wehrpflicht- zu Berufsarmeen, weil in einer relativ kurzen Ausbildungszeit nicht mehr die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden können. Umgekehrt sind die neuen Formen von Massakern und Verwüstungskriegen wesentlich dadurch bedingt, dass sich automatisierte Handfeuerwaffen einfacher bedienen lassen und sie eine massenhafte Verbreitung erleben. Die momentane Entwicklung in Kriegführung und gewaltsamen Konflikten ist damit durch wesentliche Gegensätze gekennzeichnet: Auf der einen Seite gibt es Kriege mit 'Messern und Macheten', auf der anderen futuristisch anmutende Hightech-Kriege. Zwischen diesen Kriegsformen existieren zahlreiche Übergänge und Mischformen, in denen etwa ethnisch überformte oder 'vormoderne' Konflikte mit modernsten Waffensystemen ausgetragen werden. Zudem ist es zwar richtig, dass viele gewaltsame Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zwischen Staaten ausgetragen wurden, sondern vor allem bürgerkriegsähnliche Kämpfe waren, bei denen sich auf mindestens einer Seite nicht-staatliche Organisationen beteiligten. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Tendenz zur Entstaatlichung des Krieges unumkehrbar ist. Ganz im Gegenteil können Konflikte zwischen etablierten und aufstrebenden Staaten völlig neue Dimensionen annehmen, wenn beide Seiten über Atomwaffen oder andere Massenvernichtungswaffen verfügen. Schon vor Jahren formulierte ein pakistanischer Generalstabschef: 'Never fight the US without having atomic-bombs.' Über Massenvernichtungswaffen und insbesondere über Atombomben zu verfügen, scheint für eine Reihe von Staaten das geeignete Mittel zu sein, der konventionellen technologischen Übermacht der USA etwas entgegensetzen zu können. Inwieweit dieses Ziel jedoch der Abschreckung sowie der Aufhebung der konventionellen Überlegenheit der USA gilt oder doch dazu, eigene Interessen zu verfolgen und den jeweiligen regionalen Gegner zu bekämpfen, ist derzeit schwer absehbar. Die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Trägerraketen durch eine Vielzahl von Staaten, die hierüber bislang nicht verfügten, stellt aber in jedem Fall eine ebenso große Gefahr dar wie der diagnostizierte Niedergang des Staates (van Creveld 1999). Seit den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center im September 2001 ist allerdings eine Renaissance des Staates zu beobachten. Schienen diese Anschläge zunächst die Überlegenheit von Konzepten gemeinschaftlicher Organisation in Form von 'Netzwerken' zu belegen, so feiern Staatskonzepte seitdem eine überraschende Wiederauferstehung. 'Kurz zuvor noch als obsoletes, Ressourcen verschlingendes [...] Relikt auf dem Altar der Globalisierung geopfert' oder in den Bürgerkriegen und Gewaltmärkten der Dritten Welt beerdigt, setzt sich seither die Einsicht durch, dass 'Sicherheit nicht allein nach marktwirtschaftlichen Kostenkalkülen zu organisieren ist' (Spanger 2002, 1) und privatisierte Gewalt kein anzustrebendes Ziel sein kann. Der drohende und scheinbar unaufhaltsame allgemeine Niedergang der großen Staaten scheint bis auf weiteres vertagt - allerdings nicht derjenige der islamisch-arabischen und afrikanischen Staaten. Diese befinden sich in einem allgemeinen Auflösungsprozess, der zu Flüchtlingsbewegungen und der Destabilisierung angrenzender Staaten und Regionen führt, wie sich besonders am 'Ring of fire around Europe' zeigt. Während für diese Gebiete die Konzeption der 'Neuen Kriege' von Münkler und Kaldor weitgehend ihre Berechtigung behält, beobachten wir auf der Ebene der Groß- (USA, Russland, China) und Mittelmächte (Indien, Iran, Südkorea, Japan, die EU, Brasilien, Deutschland, England, Frankreich, Australien) eine Renationalisierung der Weltpolitik. Nach den euphorischen Erwartungen an global governance ist nüchtern festzustellen, dass diese zwar weiterhin auf der Ebene der kleinen Staaten sinnvoll anzuwenden ist, auf der Ebene der Groß- und Mittelmächte aber die Staatsapparate wieder das Zepter übernommen haben. Dem widerspricht nicht die Entstehung sogenannter hybrider Kriege, in denen eine Kombination aus staatlicher­­­­ und nicht-staatlicher Kriegführung zu konstatieren ist. Kennzeichnend hierfür ist die Besetzung der Halbinsel Krim durch 'russische Soldaten auf Urlaub' (Ehrhart 2014), aber auch Barack Obamas Strategie 'leading from behind' (in Syrien und Libyen). In beiden Fällen werden nicht-staatliche Gewaltorganisationen von Staaten angeleitet, ausgerüstet und eingesetzt, ohne dass diese Staaten unmittelbar in Erscheinung treten. Auch der Iran hat es inzwischen wieder geschafft, die Hisbollah unter seine Fittiche zu nehmen, die im Libanon-Krieg 2006 kurzfristig die Staaten im Nahen Osten an den Rand der Revolution zu bringen schien. Fast noch problematischer ist die Vermischung von staatlicher und nicht-staatlicher Kriegführung in dem Punkt, dass in ihnen der Unterschied von ziviler Gesellschaft und Militär immer weiter außer Kraft gesetzt wird (Dengg/Schurian 2015). Hybride Kriegführung zielt in ihrem nicht-militärischen Teil auf die Kohärenz und politische Handlungsfähigkeit eines Gemeinwesens mit allen Mitteln der Subversion, vor allem der gezielten Desinformation oder der Überschwemmung des jeweiligen gegnerischen Staates mit so vielen falschen Informationen, dass niemand mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden kann. Hybride Kriegführung umfasst somit die gezielte Aufhebung der Unterscheidung von staatlicher und nicht-staatlicher Kriegführung sowie derjenigen von zivilen und militärischen Formen der politischen Auseinandersetzung (Schmid 2016). Um diesen Wandlungen des vergangenen wie gegenwärtigen Kriegsgeschehens gerecht zu werden, geht meine Darstellung zwar von einem einheitlichen Kriegsbegriff aus, der im Anschluss an die von Clausewitz so genannte 'wunderliche Dreifaltigkeit' aber die dynamische Relation von drei Tendenzen im Krieg betont - Gewalt, Kampf und die Zugehörigkeit der Kämpfenden zu einer umfassenderen Gemeinschaft.3 Den Zusammenhang zwischen Krieg und der sozialen Ordnung der Gemeinschaft machte schon Hans Delbrück zum Dreh- und Angelpunkt seiner monumentalen Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte (Neuauflage Delbrück 2000). Krieg ist auf den ersten Blick durch die massenhafte Anwendung von Gewalt gekennzeichnet. Gewalt ist ein asymmetrisches Verhältnis von Handlungsmacht und Erleiden. Bei der Anwendung von Gewalt besteht grundsätzlich die Problematik ihrer Verselbständigung, worauf Wolfgang Sofsky besonders eindringlich hingewiesen hat. Seinen Ausführungen ist wenig hinzufügen, wenn er schreibt, Gewalt steigere sich selbst (Sofsky 1996, 62). Immanuel Kant hatte einen ähnlichen Gedanken in der Formulierung ausgedrückt, dass der Krieg mehr schlechte Menschen mache, als er deren wegnehme (zit. nach Münkler 1992, 56f.). Clausewitz beschreibt diese Verselbständigung der Gewalt so: Krieg sei ein Akt der Gewalt, und es gebe in der Anwendung derselben keine Grenzen (Clausewitz 1991, 194). Im Anschluss an die Konzeption von Gewaltmärkten und gewaltoffenen Räumen sowie seiner Analysen der Gewalt im Stalinismus geht Jörg Baberowski davon aus, dass der Mensch Gewalt anwendet, wenn sich ihm die Möglichkeit hierzu bietet. Er folgt damit Positionen einer negativen Anthropologie des Menschen, die im Anschluss an Hobbes davon bestimmt ist, dass der Mensch als solcher gewaltsam handelt und nur durch Rituale, Normen und Institutionen daran gehindert wird (Baberowski 2015). Ohne die Problematik der Verselbständigung der Gewalt zu relativieren, ist Gewalt im Krieg jedoch kein Selbstzweck, sondern Mittel. Eine verselbständigte, entfesselte Gewalt, ein Primat der Gewalt über die Politik, ist für Clausewitz grundsätzlich dysfunktional, wie ihn seine Analyse des Scheiterns Napoleons bei Waterloo gelehrt hat (Herberg-Rothe 2001, 44ff.). Zwar kann in Ausnahmefällen die Entgrenzung und Entfesselung der Gewalt im Krieg ein 'rationales' Mittel sein, um politische Ziele zu erreichen - etwa im Bombenkrieg der Alliierten gegen die deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg, den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki sowie die Verbreitung von Angst und Schrecken in mongolischer Kriegführung, Terrorismus und 'shock and awe' im zweiten Irak-Krieg. Im Regelfall entzieht sich jedoch die Instrumentalisierung der Entgrenzung der Gewalt eben hierdurch ihrer Instrumentalisierung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede entgrenzte Kriegführung nur irrational ist. Besonders die über ein Jahrtausend alten Kriege der islamisch-arabischen Reiche zur Beschaffung von Sklaven waren an keinerlei Regeln gebunden außer an der Zweckrationalität der Eroberung. Diese Kriege waren 'zerstörend, massakrierend, versklavend und verwüstend' (Flaig 2009, 85). Zugleich schufen sie das möglicherweise erste organisierte Welthandelssystem mit transkontinentalen und -ozeanischen Handelsrouten von den Quellen der Wolga bis zum Hindukusch und dem Atlantik (Zeuske 2013). So wird die Herkunft des Namens Hindukusch ('Hindu-Mörder') von dem Forschungsreisenden Ibn Battuta (1304-1377) auf die zahlreichen Hindu-Sklaven zurückgeführt, die bei ihrem Weg von Indien nach Turkestan in diesen Bergen ums Leben kamen. Im Gefolge dieses weltumspannenden Sklavensystems entstanden in Afrika reine Militärstaaten entlang der Sahel-Zone, zu deren Hauptaufgaben der Sklavenfang und der Handel gehörten. Obwohl der islamisch-arabischen Sklaverei von der Geschichtsschreibung weniger Beachtung geschenkt wurde als der europäisch-transatlantischen, zählt diese 'zu dem größten und langlebigsten System der Weltgeschichte' (Flaig 2009, 83). Dagegen hat die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) mit ihrer entgrenzenden und versklavenden Kriegführung nur kurzfristig Erfolg gehabt: Er beruhte zwar gerade auf der bis dahin unvorstellbaren Brutalität und ihrer medialen Inszenierung, hat aber mittelfristig mehr Gegner hervorgerufen, als er verkraften konnte. Zudem wäre der IS für keine moderne Armee ein ernsthafter Gegner gewesen. In Anbetracht der Frauen und Kinder, hauptsächlich der Yezidi, die unvorstellbares Leid als Sexsklavinnen erleiden mussten, ist die Zurückhaltung der Nachbarstaaten und der internationalen Gemeinschaft bei der Bekämpfung des IS schwer zu verstehen (Reuter 2015). Neben der jeweiligen Form des Kampfes ist für die Gewalt im Krieg vor allem der Charakter der angewandten Mittel von Bedeutung. Ein unmittelbarer Nahkampf mit Fäusten, Schwertern und Schilden verlangt andere kämpferische Eigenschaften als einer mit Pfeil und Bogen, Präzisionswaffen oder von Computern gestützter Technologie. Während im einen Fall körperliche Stärke, Aggressivität und sogar Hass vonnöten sind, können sie im zweiten Fall kontraproduktiv sein. Hier werden geistige Fähigkeiten, Selbstbeherrschung und eine relative Gleichgültigkeit gegenüber dem Gegner benötigt. Jemand, der aufgeregt vor lauter Hass mit einem Bogen auf den Gegner schießt, wird vielleicht alles treffen, nur nicht den Gegner. Wie unterscheidet sich aber Krieg von anderen Formen massenhaft angewandter Gewalt? Zwar sind Völkermorde sehr häufig mit Krieg einhergegangen - etwa der Genozid an den Armeniern im Ersten, der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg -, aber selbst in diesen Fällen werden sie als das bezeichnet, was sie sind: Völkermord und nicht Völkerkrieg. Neben dem Aspekt massenhafter Gewalt gehört zum Krieg somit ein Minimum an realem Kampf - ansonsten handelt es sich um Massaker, Massenvernichtung oder Massenmord (Waldmann 1998 a, 16f.). Die Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht war kein Krieg, sondern ein Überfall, eine Okkupation. Carl von Clausewitz hat diese Problematik in der Formulierung auf den Punkt gebracht, dass Krieg eigentlich erst mit der Verteidigung anfange. Erst wenn sich jemand gegen eine massive Gewaltanwendung wehrt, entstehen ein realer Kampf und damit ein Krieg. Wie unterscheiden sich Gewalt und Kampf? Gewalt ist gebunden an das erwähnte asymmetrische Verhältnis von Handeln und Erleiden, Kampf dagegen an ein Minimum von Symmetrie der Kämpfenden - Clausewitz' Begriff hierfür ist der Zweikampf (Clausewitz 1991, 644 und 191). Jeder Krieg ist also eine Kombination aus Symmetrie und Asymmetrie der Gegner, der Kampfweise und der verwandten Mittel. Neuere Darstellungen, die ausschließlich die Asymmetrie in den gegenwärtigen Kriegen hervorheben, betonen im Grunde die Ordnung in der Asymmetrie (Wassermann 2015). Symmetrie und Asymmetrie von Kampf und Gewalt können im Krieg paradoxe Formen annehmen. Im Kosovokrieg bekämpfte die NATO die militärische und zivile Infrastruktur der Serben mit modernster Waffentechnologie, der die serbische Armee machtlos gegenüberstand, da sie kein Potential besaß, sich gegen die hochfliegenden Flugzeuge zu wehren. Kriegsziele der serbischen Armee wurden aber die albanische Zivilbevölkerung des Kosovo und deren Vertreibung sowie die Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit. Und doch war es trotz dieser Asymmetrie der Kriegführung ein Kampf zweier Gegner - wer von beiden würde zuerst die Gewaltanwendung aufgeben? Bereits im Ersten Weltkrieg handelte es sich für die unmittelbar an der Front Kämpfenden nicht mehr um einen Kampf zweier Gegner - was auf die Soldaten in den Schützengräben zukam, war kein Gegner mit menschlichem Gesicht, sondern das Trommelfeuer von Maschinengewehren und Artilleriegeschossen. Genau deshalb konstatierte Lord Kitchener, dies sei kein Krieg mehr. Dennoch gab es auch hier einen Kampf, allerdings häufig nicht mehr auf der Ebene individueller Kämpfer, sondern zwischen ganzen Armeen und Nationen. Aufgrund dieses Minimums an Symmetrie zwischen den Kämpfenden etablierten sich in der historischen Entwicklung Kriegskonventionen. Krieg ist an Regeln gebunden, wer wen zu welchem Zweck und auf welche Art und Weise bekämpfen und letztlich töten darf. Ohne solche wie auch immer begrenzten Konventionen würde jede kriegführende Gemeinschaft oder Gesellschaft innerlich zerfallen und sich selbst auflösen. Die nach außen ausgeübte Gewalt hätte keine Grenze mehr, die vor dem Inneren der Gemeinschaft halt machen würde. Thomas Hobbes' berühmte Konstruktion eines 'Krieges aller gegen alle' ist im eigentlichen Sinne kein Krieg mehr, sondern die Herrschaft nackter, reiner Gewalt. Die Bestimmung dessen, was Krieg ist, hat unmittelbar Auswirkungen auf die Beantwortung der Frage, ob und wie, mit welchen Zielen und Zwecken er geführt werden kann, soll, darf oder muss - und wie er begrenzt, wenn nicht verhindert werden kann. Aus dem Diktum Kurt Tucholskys, alle Soldaten seien Mörder, folgen andere politische Handlungen als aus der Vorstellung, dass sich Soldaten für ihre jeweilige Gemeinschaft oder für ideelle Ziele opfern. In der Epoche des atomaren Wettrüstens zwischen den damaligen Supermächten war das Denken über den Krieg durch das Ziel seiner unbedingten Vermeidung bestimmt, weil im Kriegsfall die Selbstvernichtung bis hin zur Zerstörung des gesamten Planeten drohte. Hingegen reflektiert die öffentliche Wahrnehmung seitdem eher das Auftreten massenhafter und besonders exzessiver Gewalt, angesichts derer sie bereit ist, Kriege aus berechtigten Gründen nicht nur zu akzeptieren, sondern auch zu fordern. Hieraus ist das alte Theorem vom gerechten Krieg wiederbelebt worden, wie es inzwischen auch in der UN-Norm der 'Responsibility to protect' seinen sichtbarsten Ausdruck fand. Kriegskonventionen können aus der wechselseitigen Anerkennung der Kämpfenden als Gleiche oder Gleichrangige entspringen, aus dem Bemühen um eine kriegerische Ehre. Der mittelalterliche Ehrenkodex der Ritter ist ein Beispiel für solche Kriegskonventionen, indem nur der als Ritter anerkannt wurde, der sich an diesen Kodex hielt. Analoges findet sich vor allem im höfisch geprägten 18. Jahrhundert. Nach verlorener Schlacht wurde den Unterlegenen freier Abzug gewährt, manchmal mit dem Ehrenwort verbunden, nicht mehr gegen den Sieger zu kämpfen (Stephan 1998). Kriegskonventionen können jedoch auch von der internationalen Gemeinschaft durchgesetzt werden: so die Haager Landkriegsordnung, welche die Grundsätze der Kriegführung festlegt, die sich 'aus den unter gesitteten Staaten geltenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens herausgebildet haben' (Präambel der Haager Landkriegsordnung). Kriegskonventionen wurden und werden immer wieder gebrochen; deshalb sind sie jedoch nicht nutzlos und es besteht kein Grund, die bestehenden Bestimmungen aufzukündigen, wie dies Martin van Creveld postuliert (van Creveld 1998, 328f.). Erst wenn sich ein Soldat darauf verlassen kann, im Falle einer Gefangennahme nicht Schlimmeres als den Tod zu erleiden, kann es sinnvoll sein, den Kampf aufzugeben. Gleiches gilt für den Schutz der Zivilbevölkerung: Ist dieser nicht gewährleistet, ist es für die potentiellen Opfer sinnvoll, bis zum Äußersten zu kämpfen. Kriegskonventionen erscheinen oft paradox. Den Soldaten der westlichen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg waren Plünderungen und die Vergewaltigung von Frauen streng verboten, Übertretungen wurden geahndet (nach neueren Forschungen war die Zahl der von den westlichen Alliierten vergewaltigten deutschen Frauen allerdings immerhin halb so groß wie die viel bekannteren Gewalttaten durch sowjetische Soldaten, also nahezu 400.000 Fälle; Gebhardt 2015). Zugleich machte man keinerlei Unterschied zwischen Zivilbevölkerung und kämpfender Truppe bei der Flächenbombardierung oder gar den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Um jedoch überhaupt Verletzungen von Kriegskonventionen feststellen und ahnden zu können, müssen sie aufgestellt und kodifiziert werden. Ein prominentes Beispiel für die Aufkündigung von Kriegskonventionen ist der Sieg von David über Goliath. Denn der letztere war nicht nur ein wahrer Goliath von Gestalt, sondern vor allem ausgerüstet mit der modernsten Waffentechnologie seiner Zeit: Schild, Schwert und Rüstung. Davids Kampfweise, die Verwendung der Schleuder, war in höchstem Maße unfair und nicht-konventionell, was gerade ihren Erfolg ausmachte. Goliath unterschätzte den Hirtenjungen und seine neue Kampfweise nicht nur, sondern konnte ihn auch als Gegner einfach nicht wahrnehmen - er hatte keine Chance gegen diese neue Form des Kampfes. Ähnlich erging es den mittelalterlichen Rittern im Kampf gegen die eidgenössischen (schweizerischen) Bauernaufgebote und den an feste Regeln gebundenen europäischen Söldnerheeren gegen die französischen Revolutionsarmeen oder die Heere Napoleons. In all diesen Fällen gewannen diejenigen den Krieg und erzielten einen unerwarteten Erfolg, die als erste die bisher festgelegten Kampfregeln gebrochen hatten. Andererseits blieben diejenigen, die als erste die Kriegskonventionen verletzten, keineswegs immer die Sieger. Ganz im Gegenteil gab es eine Reihe von Fällen, in denen zum Schluss diejenigen als absolute Verlierer dastanden, die als erste die Kriegskonventionen verletzt oder eine ganz neue Kampfweise eingeführt hatten - weil der Gegner nachrüsten und in der neuen Form der Kriegführung nachziehen konnte. So erging es dem von seinen Zeitgenossen als 'Kriegsgott' wahrgenommenen Napoleon, der mit Massenheeren und der Konzentration auf die Entscheidungsschlacht in kürzester Zeit alle Heere und Staaten Europas besiegen konnte. Am Ende wurde er jedoch bei Waterloo vernichtend geschlagen, weil seine Gegner, vor allem Preußen, die Grundlagen seiner Erfolge kopiert hatten. Auch die revolutionäre 'Blitzkriegsstrategie' Hitlers und der deutschen Wehrmacht begründete mit schnellen Panzervorstößen ihren anfänglichen Erfolg, bis die Sowjetunion im Laufe des Krieges wesentlich mehr Panzer als das Deutsche Reich aufbieten konnte. Im Kampf zweier oder mehrerer Gegner gibt es zwei gegensätzliche Pole. Geht es den Parteien darum, Güter und Machtvorteile zu erlangen, oder aber um den Erhalt der eigenen Existenz und Identität? Sicherlich gibt es Mischformen dieser Gegensätze und Fälle, in denen nicht eindeutig zwischen beiden unterschieden werden kann. Das Ziel, die eigene Identität und Existenz von ethnischen Gruppen, Nationen oder Stämmen zu erhalten, kann gerade zur Eroberung von gegnerischen Gebieten und zur Vernichtung des jeweiligen Gegners führen. Der gewaltsame Ausschluss von Minderheiten, ein wesentliches Kennzeichen des 20. Jahrhunderts, beruhte auf dieser Perspektive der Verteidigung und Wahrung einer eigenen ethnischen oder nationalen Identität. Zum Teil sollte auch eine als in sich zerrissen wahrgenommene Gemeinschaft durch den gewaltsamen Kampf gezwungen werden, sich zu einer politischen Einheit zu entwickeln. Hans Freyer, einer der Nationalrevolutionäre des Ersten Weltkriegs, betonte, dass 'die Einheit des politischen Volkes aus Gewalt und Krieg geboren wurde und nicht billiger zu haben ist' (Freyer 1925, 20 und 140-143). Diese 'Einheit des politischen Volkes' kann beliebig ersetzt werden durch die des palästinensischen, irakischen, kurdischen oder tschetschenischen Volkes. Die Annahme der Verteidigung einer eigenen Identität sowie einer politischen, kulturellen oder ethnischen Existenz begründet auch, warum diese Konflikte so erbarmungslos und unlösbar erscheinen. Auf die gewaltsame Durchsetzung von Interessen und das Erlangen von Machtvorteilen kann notfalls verzichtet werden, nicht aber auf Identität und die eigene Existenz, wenn diese im Kampf aufs Spiel gesetzt werden.4 Im Krieg stehen sich Gemeinschaften gegenüber; es handelt sich keineswegs um einen Kampf von Individuen, wie groß ihre Zahl auch sein mag. Diese kämpfende Gemeinschaft kann in vielfältiger Form existieren - als religiöse, ethnische oder kulturelle Einheit. Sie kann ein Stamm, eine heterogene Gemeinschaft unter einem Warlord oder ein Staat sein. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Gemeinschaften entscheidet sowohl über Ziel und Zweck des Kampfes als auch über die Art und Weise der Kriegführung. In vielen Fällen soll einem Gegner der eigene Wille mit Gewalt aufgezwungen werden, wie dies Clausewitz in seiner Definition des Krieges betonte (Clausewitz 1991, 179). Dies kann jedoch auf zweierlei Art und Weise geschehen: einerseits dadurch, dass dem Gegner ein größtmöglicher Schaden zugefügt wird. In den vormodernen Formen der Kriegführung haben oft nicht Schlachten zwischen sich gegenüberstehenden Armeen stattgefunden; vielmehr wurde der Krieg eher in Gestalt der Verwüstung des gegnerischen Territoriums geführt. Ziel solcher Verwüstungsmaßnahmen war in vielen Fällen zwar auch, den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen, wie Clausewitz das nennt. Das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, war aber eben nicht eine Entscheidungsschlacht, sondern die Zufügung eines möglichst großen Schadens wie in den Indianer-, Kosaken- und Völkerwanderungskriegen. Über die längste Zeit der Geschichte wurden Kriege an den Rändern der großen Zivilisationen in dieser Form geführt. Die Einfälle plündernder Völkerschaften waren Verheerungskriege, deren die großen Reiche nur dadurch Herr wurden, dass sie den 'barbarischen Völkern' Subsidien zahlten, mit denen diese sich von solchen Verwüstungen abhalten ließen (Münkler 1992). Demgegenüber war die Kriegführung in Europa vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ersten Weltkrieg weitgehend durch die Vermeidung von flächendeckenden Verwüstungen gekennzeichnet. Die leidvollen Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, in dem etwa ein Drittel der gesamten europäischen Bevölkerung direkt oder mittelbar durch den Krieg oder an den Kriegsfolgen zugrunde ging, führte zu einer historisch einmaligen Einhegung des Krieges. Anders als im Fall der großen Reiche (Rom, Byzanz, China) konnten die Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg nicht mehr auf die Ränder und 'Hilfsvölker' begrenzt werden, sondern die grauenhaftesten Verwüstungen tobten im Herzen Europas selbst. Die entscheidende Neuerung nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges war jene, dass mit einer militärischen Niederlage nicht mehr die eigene Existenz auf dem Spiel stand und großflächige Verheerungen von Territorien und die Drangsalierung der Bevölkerung nicht automatische Folgen waren. Selbst Napoleon, dessen Armeen fast ganz Europa eroberten, setzte zwar nach Gutdünken politische Herrscher ein und wieder ab, führte jedoch keine Kriege gegen die jeweilige Bevölkerung, sondern suchte die Entscheidung in der Schlacht herbeizuführen. Der 'europäische Sonderweg' in der Kriegführung ist eine unmittelbare Reaktion auf die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges im Herzen Europas. Die Geschichte des Krieges ist aber auch durch Paradoxien gekennzeichnet. Denn die Suche nach der Entscheidung in der Schlacht zwischen regulären Armeen ermöglichte zwar lange Zeit die weitgehende Schonung der europäischen Zivilbevölkerung. In Zeiten industrialisierter Kriegführung mit Maschinengewehren, gepanzerten Fahrzeugen, Flugzeugen, der scheinbar unbegrenzten Produktion von Kanonen und der Verkürzun
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