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Der kurze Traum der Freiheit

Preußen nach Napoleon

AutorJürgen Luh
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641158354
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Napoleons Erbe. Preußen am Beginn der Moderne
Als Napoleons Armee 1806 die Schlacht bei Auerstedt gewann, war Preußen am Boden, ein hartes Besatzungsregime prägte die »Franzosenzeit«. Doch mit den Ideen der Französischen Revolution kam zugleich die Hoffnung auf Reformen, Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit. Jürgen Luh entwickelt aus einem Gemälde Schinkels ein überraschendes Porträt dieser Schlüsselepoche preußischer Geschichte - in der ein kurzer Traum der Freiheit am Ende jäh zerbrach.

Jürgen Luh, geboren 1963, ist promovierter Historiker und in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg zuständig für Wissenschaft und Forschung. Er hat zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, Preußens und zur Militärgeschichte publiziert. Luh organisierte für 2012 das Großprojekt »Friedrich 300« in Potsdam mit zahlreichen Veranstaltungen, Ausstellungen und Konferenzen. Zuletzt erschien bei Siedler seine vielgelobte Biographie »Der Große. Friedrich II. von Preußen« (2012).

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Leseprobe

SPIEGELBILD

Die Besucher der Berliner Akademie-Ausstellung 1818 waren ratlos. Das Gemälde, das sie vor sich an der Wand sahen, konnten sie nicht deuten. Selbst der fachkundige Berichterstatter der Originalien aus dem Gebiet der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie wusste nicht, was er denken sollte: »Diese letzten Tage wurde ein neu vollendetes allegorisches Bild von Schinkel aufgestellt, das ich nicht verstehe und das Sie sich aus der Beschreibung erklären mögen«, forderte er seine Leser in der Januar-Ausgabe 1819 auf. »Im Vorgrunde ein das Bild begränzender antiker Triumphbogen, unter dem zwei eherne Bildsäulen zu Pferde, [die] des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und [die] Friedrich[s] des Großen [zu sehen sind]; hinter dem Bogen links der Rücktheil einer reichen gothischen Kirche, und im Prospekt die Stadt Berlin hinter einem Flusse. Aus einem Hohlwege an besagter Kirche in Begleitung einer zahllosen Menschenmenge sieht man die Victoria des Brandenburger Thores von acht Zeltern gezogen sich herbewegen, der eine unermeßliche Menge von Truppen zur Bedeckung dient, und an deren Spitze man die Fürsten und Führer mit zahlreicher Suite unterscheidet. Der Zug scheint herwärts zu dem Triumphbogen seine Richtung zu nehmen, wo auf der Ballus­trade ein Lorbeerkranz auf einem rothen Kissen liegt und eine Mischung verschiedener Zeitalter und Himmelsstriche in den zum Empfang bereiten Figuren angedeutet ist. … Schade«, so der anonyme Autor am Ende seiner Besprechung, »daß sich der Künstler nicht die Mühe gab, durch eine kleine schriftliche Erklärung die volle Bedeutung [des Bildes] dem Beschauer zu erklären.«

Das in der Ausstellung gezeigte Werk war ein Geschenk Karl Friedrich Schinkels an den preußischen Thronfolger Friedrich Wilhelm (IV.), die Botschaft des Bildes delikat, denn sie war politisch und – kritisch. Öffentlich erläutern wollte Schinkel sie deshalb nicht. Um sie zu entschlüsseln und zu verstehen, muss man das Gemälde, anders als der Berliner Korrespondent der Originalien dies wohl getan hat, sehr genau und lange betrachten und sich in die ereignis­reichen, bewegten Jahre zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückversetzen, als Preußen im Schatten Napoleons stand.

Es war die Zeit zwischen Anpassung und Widerstand, zwischen alten Denkmustern und neuen Ideen. »Krieg und Eroberung, Ausbeutung und Unterdrückung, Imperium und Neuordnung« bestimmten das Schicksal der Bevölkerung, schreibt Thomas Nipperdey. Napoleons Armee hatte Preußen vernichtend geschlagen; der Staat war zusammengebrochen. »Neue Ideen einer bürgerlichen Gesellschaft, die auf bürger­licher Freiheit und rechtlicher Gleichheit sich aufbaute, hatten dem feudal-ständischen System seine Legitimität genommen.« Jetzt sollten Staat und Gesellschaft modernisiert, ja europäisiert werden. An die Stelle der verkommenen Ständegesellschaft sollte eine Gesellschaft rechtsgleicher Bürger treten und »die Kräfte des Einzelnen im Interesse gerade der Gesamtheit von feudal-korporativen Bindungen und staatlicher Bevormundung emanzipieren«, so die Gedanken der Reformer und Patrioten. Aus Untertanen sollten Bürger werden, und die Trennung von Staat und Gesellschaft, von Regierung und Volk sollte aufgehoben werden. »Freilich Teilhabe der Nation, des Volkes am Staat konnte es erst geben, wenn die Ständegesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaft geworden war – insofern bestand zwischen den gesellschaftlich-politischen Zielen und Möglichkeiten eine deutliche Spannung.«

Schinkel zählte damals zu den preußischen Patrioten, zu den Männern und Frauen, die eine »innere Teilhabe am Gemeinwesen auf der Basis eigener Überzeugungen und eigenen Wollens« für sich in Anspruch nahmen. Er war gut bekannt mit den Ideen und Köpfen der Reformbewegung, mit August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau, mit Wilhelm von Humboldt, mit Barthold Georg Niebuhr, Friedrich Schleiermacher und auch mit Johann Gottlieb Fichte. Gerhard von Scharnhorsts Handeln hat er verfolgt. Seine Begeisterung für die gute, patriotische Sache war »durch die berühmten Vorlesungen von Fichte, welche er eifrig besuchte, auf das stärkste angefacht worden«. Er hatte die Reden an die deutsche Nation gehört, die der Philosoph im Winter 1807/08 in Berlin gehalten hatte. Das überliefert uns Gustav Friedrich Waagen, der seit einer gemeinsamen Ita­lienreise 1824 mit Schinkel eng befreundet war, sich mit ihm austauschte, ihn sehr gut kannte. Überhaupt, lässt Waagen uns wissen, sei der Einfluss, »welchen die hohe moralische Kraft, die Tüchtigkeit der Gesinnung dieses Philosophen auf Schinkel ausübte, auf die Ausbildung seines Charakters für das ganze Leben von der entschiedensten Bedeutung« gewesen, »wie er denn auch mit den populairen Schriften desselben sehr vertraut war«. Viele Vorstellungen, die Fichte in seinen Reden entwickelte, hat Schinkel aufgenommen und auf seine Weise verarbeitet. Von Fichtes Denkmodell, die Ideen der Französischen Revolution aufzugreifen, die französische Vorherrschaft aber abzuschütteln und eine »neue Welt« mit neuer Staats- und Gesellschaftsordnung zu schaffen, hat er sich anstecken lassen.

»Das Gefühl der Fremdherrschaft in Deutschland … lastete besonders empfindlich auf der Brust eines so tief fühlenden Mannes«, berichtet Waagen. »Als endlich im Jahre 1813 die Stunde der Befreiung von der langen Schmach geschlagen hatte, wurde Schinkel von diesem großen Moment auf das lebhafteste ergriffen, und seine stets arbeitende Phantasie suchte diesem Gefühl in den verschiedensten Formen den großartigsten, würdigsten Ausdruck zu geben, um so auch von seiner Seite, für die Gegenwart begeisternd, für die Zukunft die Eindrücke festhaltend, thätig einzugreifen.«

In seiner Euphorie für die patriotische »gute Sache« ließ Schinkel sich mit Fichte und Schleiermacher in Berlin zum Landsturm einexerzieren und rüstete, obwohl »keineswegs in einer glänzenden Lage«, seinen Schwager Wilhelm Berger als Freiwilligen Jäger aus. »Ich habe ihn so mit Gelde und allem nöthigen versehn, dass er sich nicht allein ganz vollständig equipiren und armiren kann …, sondern auch auf mehrere Monate eine Zulage hat«, schrieb er im Januar 1813 an seinen Schwiegervater.

Der Brief an Georg Friedrich Berger offenbart mehr als jedes andere Zeugnis Schinkels politische Denkart und Überzeugung. »So sehr diese Ereignisse« – die Niederlage gegen Frankreich, die fremde Besatzung, der gesellschaftliche Aufbruch, der Freiheitskampf – »einen jeden … im ersten Augenblick erschüttern«, heißt es darin, »so müssen wir doch, wenn wir nur einen kleinen Rückblick machen auf unsere verlebten Tage, mit wahrer Herzenserhebung dieselben in unsere Empfindung aufnehmen.« Die Aussichten für jeden Menschen in Preußen und Deutschland seien ohne Hoffnung, nur trübe und düster gewesen. »Denn wo war die Aussicht, dass auch nur der geringste Theil billiger Wünsche für ihr künftiges Glück rea­lisirt werden konnte. … Ein Entscheidendes musste unternommen werden, und der Himmel scheint für die gute Sache mitwirken zu wollen.« Seit langer Zeit sei es »beinahe das erste Mal«, dass »sich die Stimme des Fürsten« – Friedrich Wilhelms III. – »mit der des Volks ganz« begegne. »Diese Zeit, lieber Vater«, schrieb Schinkel voller Hoffnung, »müssen wir noch standhaft … überstehn, und wir sehn das Aufblühn eines glücklichern Zeitalters.« In der neuen Zeit, war er sich sicher, werde »alles leichter werden«, was man unternimmt, und man werde alle Dinge mit »einer andern Lebensfreude« anpacken. Wie die vielen in den Krieg ziehenden, opferbereiten jungen Menschen an dieser vielversprechenden Zukunft mitgewirkt zu haben, wünschte er sich in jener Zeit der Hoffnung.

1817, zwei Jahre nachdem Napoleon bei Waterloo endgültig besiegt worden war, malte der zu dieser Zeit 36-jährige, zwischen einstiger Erwartung und gegenwärtiger Enttäuschung schwankende Schinkel das »Bild mit dem Triumphbogen«. So wurde es ein Jahr später in der Ausstellung bezeichnet, denn einen Titel besaß es damals noch nicht. Darauf lassen sich, wenn man genau hinschaut, die Hoffnungen und Sehnsüchte der preußischen Patrioten, ja des größten Teils der Bevölkerung auf eine bessere, freiere Zukunft finden. Die Anliegen und Erfahrungen vieler Preußen waren auch die vieler Deutscher, ja vieler Europäer. Diese Wünsche der »Weltbürger«, wie die Hoffnungsvollen abwertend von jenen genannt wurden, die die Ständehierarchie erhalten wollten, zielten dank Aufklärung und Französischer Revolution auf den Aufbruch des Individuums und des Denkens. Es waren übernationale, allgemeine, menschliche ­Erwartungen, die formuliert und an die Herrschenden herangetragen wurden: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Menschenrechte, die europäischsten aller Werte. An erster Stelle wollten die Unter­tanen Friedrich Wilhelms III. staatsbürgerliche Freiheiten, verbürgt von einer Verfassung. Jahrelang hofften sie, aber alle ihre Rufe verhallten. Während Schinkel malte, forderte die akademische Jugend diese Freiheiten am 18. Oktober 1817 lautstark auf der Wartburg. Studenten von wenigstens elf Universitäten hatten sich dort versammelt, um den hundertsten Jahrestag der Reformation und den vierten der Völkerschlacht bei Leipzig zu feiern – bedeutende geschichtliche Ereignisse für die sich nach Freiheit sehnende Jugend. Während sie die Freiheit forderten, verbrannten die Studenten Publikationen königstreuer, reaktionärer Autoren wie die des Direktors der Berliner Universität Theodor Anton Heinrich Schmalz, der behauptete, die Ideen der Patrioten hätten rechtschaffene...

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