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Der Mann, der Weltmeisterin wurde

Meine zwei Leben. Aufgezeichnet von Claudio Honsal

AutorClaudio Honsal, Erik Schinegger
VerlagAmalthea Signum Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783903217126
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Vom Sieg auf der Ski-Piste - und im wahren Leben 1966 gewinnt Erika Schinegger bei der Ski-WM in Portillo die Goldmedaille in der Abfahrt. Ein Jahr später erfährt sie das Unglaubliche: Sie ist von Geburt an ein Mann. Heute blickt Erik Schinegger auf zwei ereignisreiche Leben zurück. Authentisch und ohne Angst vor Tabus erzählt er von seinen Erfolgsjahren als Skiläuferin, von seiner Identitätskrise und der schwierigen Zeit der Richtigstellung zum Mann, den Reaktionen von Freunden, Familie und Öffentlichkeit, von seiner Entwicklung vom Super-Macho zum liebevollen Familienvater, und davon, wie er es schaffte, als erfolgreicher Skischulbesitzer einen neuen Lebensweg zu beschreiten. Mit einem Vorwort von Ski-Legende Karl Schranz und zahlreichen Abbildungen

Erik Schinegger, geboren 1948 in St. Urban, Kärnten. 19 Jahre als Mädchen erzogen, Ski-Weltmeisterin 1966. Nach einem Chromosomentest 1967 medizinische Richtigstellung zum Mann und Beginn des zweiten Lebens als Erik. Kurze Ski-Karriere im ÖSV-Herren-Team, Skischule auf der Simonhöhe seit 1974 sowie 50 Jahre Tätigkeit in der Gastronomie. 1988 erschien sein erstes Buch 'Mein Sieg über mich', 2006 der Doku-Film 'Erik(a)'. Teilnahme bei 'Dancing Stars' 2014. Claudio Honsal, geboren 1958, begann als Journalist bei Ö3, später bei 'Kurier', 'News', u. a. Autor mehrerer Bestseller, u. a. der Biografien von Hermann Gmeiner, Thomas Klein und Klaus Heidegger. Freier Autor im TV- und Printbereich. Zuletzt bei Amalthea erschienen: 'Peter Alexander. Das Leben ist lebenswert' (2007), Uwe Kröger: 'Ich bin, was ich bin. Mein Leben' (2014)

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Leseprobe

Portillo


Prinzessin Erika in der Hofburg


Wie anders hatten die Dinge noch vor rund einem Jahr ausgesehen: Im Juli 1966 stand ich noch siegessicher in der Bundeshauptstadt. Erst vor ein paar Wochen war ich achtzehn Jahre alt geworden. Ich fühlte mich fast schon erwachsen, durfte den Führerschein von der Bezirkshauptmannschaft in Feldkirchen abholen, endlich mit meinem neuen Auto, dem silbergrauen VW Käfer, durch Kärnten düsen und war somit nicht mehr abhängig von Bus, Bahn und diversen Mitfahrgelegenheiten. Das größte Glück meines Lebens sollte mir nun aber erst bevorstehen. Ich hatte es geschafft, mich von der wilden, kleinen Erika, dem hässlichen Bauernmädel aus dem Bergdorf St. Urban, nicht nur an die Spitze des ÖSV-Kaders, sondern auch in die Herzen einer ganzen Skination zu fahren – mit viel Fleiß, vielen Rückschlägen, aber meinem kontinuierlichen Ehrgeiz, der mir bislang über jede Lebenshürde hinweggeholfen hatte.

Im Zeitraffer schossen Einzelbilder meiner sportlichen Laufbahn wie Blitze durch meinen Kopf: mein erstes primitives Paar Skier, das ich zu Weihnachten 1958 von meiner Mutter bekommen hatte, mein erster Sieg am Schulskikurs 1961, der zweite Platz bei den Kärntner Schülermeisterschaften 1962, ein Jahr später dann mehrere Siege im Kärntner Jugendkader und die Empfehlung von Trainer Charly Kahr für das ÖSV-Team, die Aufnahme in den ÖSV-Jugendkader im Jahr 1964, die unzähligen Erfolge dort und schließlich die Aufnahme in das Damenteam des Österreichischen Nationalkaders. Die Rennsaison 1966 hatte ich mit dem einzigen Sieg für das österreichische Damenteam bei den Überseerennen in Colorado abgeschlossen. Ich schien den Erfolg geradezu gepachtet zu haben. Mag sein, dass sich dieser Erfolgsfilm in meiner Gedankenwelt ganz unbewusst nur aus positiven sportlichen Ereignissen zusammengesetzt hatte. Ich war eben bester Laune, voll motiviert und glücklich. Mit meiner sportlichen Ambition konnte ich all meine privaten Probleme fabelhaft kompensieren. Wie es in mir wirklich aussah, bekam ja niemand mit.

Jetzt hatte ich einen Grund zum Jubeln: An diesem heißen Julivormittag durfte ich Wien von einer ganz anderen und neuen Seite kennenlernen. Nicht das urige Heurigenlokal unserer Gastfamilie im 18. Bezirk diente diesmal als Location, nein, ich befand mich mitten im imperialen Ambiente der Wiener Hofburg. Wie eine Prinzessin fühlte ich mich in den prunkvollen Sälen und ellenlangen Gangschluchten, die einst von Kaiserin Maria Theresia und Kaiserin Sisi durchschritten worden waren. Den Titel »Kronprinzessin« trug ich damals ja auch selbst. Die Journalisten hatten mich dazu gekürt, weil ich schon seit einiger Zeit als härteste Konkurrentin von Altstar und »Skikönigin« Christl Haas sehr gute Platzierungen für das Damenteam holte.

Nun also wurde »Prinzessin Erika« verabschiedet, in Wien, in der Hofburg, hochoffiziell und mit viel Tamtam vom Herrn Bundespräsidenten und vom Herrn Bundeskanzler höchstpersönlich. Die Österreichische Weltmeisterschafts-Mannschaft war auf dem Weg nach Portillo, und ich war dabei. Ich konnte es immer noch nicht so richtig glauben, als ich dastand unter den 16 aktiven Teilnehmern und schon bald die lange Reise nach Chile antreten sollte. Insgesamt waren es etwa vierzig Personen, die dem rot-weiß-roten Team angehörten und in der stickigen Atmosphäre der ehrwürdigen Räumlichkeiten vor sich hin schwitzten. Es war drückend schwül. Ein Getränk nach dem anderen kippte ich förmlich in mich hinein. Fruchtsäfte und Mineralwasser halfen mir, die Schwüle und die Aufregung bis zum alles entscheidenden Moment des Händeschüttelns mit den obersten Würdenträgern der Republik etwas zu unterdrücken.

Wie alle Mädchen des Teams trug ich ein einfaches blaues Kostüm. Auf der linken Brusttasche des Jacketts war das Bundeswappen mit dem Adler auf silbernem Grund gestickt. Es passte mir zu meiner Verwunderung ausgezeichnet, und selbst meine Haare wirkten diesmal fraulicher, nicht so wild wie meistens. Ich fühlte mich wohl, als mir Bundespräsident Franz Jonas zum Abschied die Hand drückte. Wie allen anderen Athleten hat er auch mir Wünsche mit auf den Weg gegeben. Erhebend, denn ich kannte den Mann bislang nur von dem gerahmten Foto, das neben dem Lehrertisch in jedem Klassenzimmer hing. Die Fotoapparate der Reporter klickten ohne Unterbrechung.

Unser Bundeskanzler Josef Klaus verwickelte mich danach in ein längeres Gespräch. Ich hatte nicht gewusst, dass er ein Landsmann war. Wenn zwei Kärntner in Wien ins Reden kommen, kann das schon dauern. Meine Teamkolleginnen warteten in der Schlange auf ihren Händedruck, der Bundeskanzler plauderte jedoch weiter mit mir. Im Laufe der Unterhaltung erzählte er mir, dass sein jüngerer Bruder einen gastwirtschaftlichen Betrieb in Kötschach-Mauthen führte. Ausgerechnet in diesem Gasthof hatte man unser Team während der Landesmeisterschaften immer untergebracht. Ich musste dem Präsidenten gegenüber erwähnen, dass ich bei den letzten Meisterschaften alle Bewerbe für mich entscheiden hatte können und dass ich seinen Bruder gut kannte. Niemand aus dem Team unterhielt sich wohl so ausführlich mit dem Bundeskanzler. Es vergingen sicherlich fünfzehn Minuten und meine Angst vor den obersten Herren des Staates und die Ehrfurcht vor der beeindruckenden historischen Kulisse waren wie weggeblasen. Selbst meine Werte waren wieder annähernd im normalen Bereich. Mein Herz schlug wieder ruhig und das unerträgliche Hitzegefühl war zur Gänze verschwunden, als sich der Bundeskanzler mit den berührenden Worten »Erika, ich wünsche Ihnen alles Gute! Obwohl Sie noch so jung sind, haben Sie für Kärnten unerhört viel geleistet. Sie haben unsere schöne Heimat mit einem Schlag auch für den Winterfremdenverkehr bekannt gemacht. Danke dafür und viel Glück bei den kommenden Rennen!« ganz herzlich von mir verabschiedete. Stolz und glücklich konnte es nun für mich und den Rest der rot-weiß-roten Equipe zum Flughafen Wien-Schwechat gehen.

Meine lange Anreise zum Sieg in den Anden


Endlich in der Luft auf dem Weg nach Portillo, dachte ich mir beim Abheben in Schwechat mit einem zufriedenen Lächeln übers ganze Gesicht. Ich hatte in meiner Glückseligkeit völlig vergessen, dass sich unsere Anreise zur 19. Alpinen Weltmeisterschaft noch über mehrere Tage ziehen würde. Den ersten Zwischenstopp legte das Team in Paris ein.

Zwei Tage machte man uns in der Seine-Metropole zum Geschenk. In der »Stadt der Liebe« wurde uns ein reichhaltiges Programm geboten: der Eiffelturm, Museen und jede Menge Zeit zum Entspannen und Abschalten – Regeneration der angenehmen Art, bevor die Weltkämpfe beginnen sollten. Es war heiß während dieser Julitage in Paris. An Liebe dachte ich im Gegensatz zu anderen Mädchen vom Team sehr wenig, denn meine einzige Liebe galt doch dem Skisport. Dennoch genoss ich meinen ersten Aufenthalt in Frankreichs Hauptstadt sehr.

Dakar, Buenos Aires und endlich Santiago de Chile lautete die weitere Flugroute des gecharterten WM-Fliegers, der ausschließlich Sportler und Funktionäre transportierte. Fast einen ganzen Tag verbrachten wir in der Luft. Die Strapazen waren uns allen anzusehen. Immer noch hatten wir keinen Schnee gesehen im südamerikanischen Winter.

Am nächsten Tag ging es weiter nach San Carlos de Bariloche, einem Wintersportort im benachbarten Argentinien. Es gab erste Testfahrten und ein Kennenlernen der Beschaffenheit des Anden-Schnees. Es hatte kurz zuvor heftig geschneit. Dieser südamerikanische Schnee in gut 2800 Metern Höhe war einfach anders. Wir alle mussten uns auf die unterschiedliche Qualität des Schnees einstellen, die Service-Crew, die Funktionäre und natürlich wir Sportler. Während andere Teamkolleginnen mit den neuen Verhältnissen ihre liebe Not hatten, war es für mich einfach nur Schnee – das weiße Gold, auf dem ich unbedingt Gold holen wollte. Meine Euphorie war groß, mein Selbstbewusstsein schien durch gute Trainingsergebnisse ins Unendliche zu wachsen.

Nach einer Woche der Akklimatisierung ging es wieder zurück in die chilenische Hauptstadt, eine sehr fremde Welt für ein Kärntner Mädchen aus der tiefsten Provinz. Ein paar Tage später fand in Santiago die – meiner Meinung nach – völlig überdimensionierte, pompöse Eröffnungsfeier der ersten Ski-Weltmeisterschaft in der südlichen Hemisphäre statt. Es sollte übrigens auch die einzige WM in diesen Breiten bleiben, bis heute. Vor dem Staatspräsidenten defilierten die nationalen Teams mit ihren bunten Fahnen und in ihren einheitlichen Outfits. Ich mitten drin. Es war ein erhebender Moment, ein internationales Spektakel, ein pompöser Auftakt.

Abgelenkt wurde ich nur von dem unangenehmen Ziehen in meinem Kiefer. »Erika, die müssen raus, sonst kannst du nicht fahren«, hatte nur zwei Tage zuvor die Diagnose eines aus Wien stammenden und in Santiago ansässigen Zahnarztes gelautet. Mein Trainer Hermann Gamon hatte ihn ausfindig gemacht, nachdem...

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