II. Wenn Moses Ägypter war...
In einem früheren Beitrag zu dieser Zeitschrift habe ich die Vermutung, daß der Mann Moses, der Befreier und Gesetzgeber des jüdischen Volkes, kein Jude, sondern ein Ägypter war, durch ein neues Argument zu bekräftigen versucht. Daß sein Name aus dem ägyptischen Sprachschatz stammt, war längst bemerkt, wenn auch nicht entsprechend gewürdigt worden; ich habe hinzugefügt, daß die Deutung des an Moses geknüpften Aussetzungsmythus zum Schluß nötige, er sei ein Ägypter gewesen, den das Bedürfnis eines Volkes zum Juden machen wollte. Am Ende meines Aufsatzes habe ich gesagt, daß sich wichtige und weittragende Folgerungen aus der Annahme ableiten, daß Moses ein Ägypter gewesen sei; ich sei aber nicht bereit, öffentlich für diese einzutreten, denn sie ruhen nur auf psychologischen Wahrscheinlichkeiten und entbehren eines objektiven Beweises. Je bedeutsamer die so gewonnenen Einsichten sind, desto stärker verspüre man die Warnung, sie nicht ohne sichere Begründung dem kritischen Angriff der Umwelt auszusetzen, gleichsam wie ein ehernes Bild auf tönernen Füßen. Keine noch so verführerische Wahrscheinlichkeit schütze vor Irrtum; selbst wenn alle Teile eines Problems sich einzuordnen scheinen wie die Stücke eines Zusammenlegspieles, müßte man daran denken, daß das Wahrscheinliche nicht notwendig das Wahre sei und die Wahrheit nicht immer wahrscheinlich. Und endlich sei es nicht verlockend, den Scholastikern und Talmudisten angereiht zu werden, die es befriedigt, ihren Scharfsinn spielen zu lassen, gleichgültig dagegen, wie fremd der Wirklichkeit ihre Behauptung sein mag.
Ungeachtet dieser Bedenken, die heute so schwer wiegen wie damals, ist aus dem Widerstreit meiner Motive der Entschluß hervorgegangen, auf jene erste Mitteilung diese Fortsetzung folgen zu lassen. Aber es ist wiederum nicht das Ganze und nicht das wichtigste Stück des Ganzen.
(1)
Wenn also Moses ein Ägypter war – so ist der erste Gewinn aus dieser Annahme eine neue, schwer zu beantwortende Rätselfrage. Wenn ein Volk oder ein Stamm sich zu einer großen Unternehmung anschickt, so ist nichts anderes zu erwarten, als daß einer von den Volksgenossen sich zum Führer aufwirft oder zu dieser Rolle durch Wahl bestimmt wird. Aber was einen vornehmen Ägypter – vielleicht Prinz, Priester, hoher Beamter – bewegen sollte, sich an die Spitze eines Haufens von eingewanderten, kulturell rückständigen Fremdlingen zu stellen und mit ihnen das Land zu verlassen, das ist nicht leicht zu erraten. Die bekannte Verachtung des Ägypters für ein ihm fremdes Volkstum macht einen solchen Vorgang besonders unwahrscheinlich. Ja, ich möchte glauben, gerade darum haben selbst Historiker, die den Namen als ägyptisch erkannten und dem Mann alle Weisheit Ägyptens zuschrieben, die naheliegende Möglichkeit nicht aufnehmen wollen, daß Moses ein Ägypter war.
Zu dieser ersten Schwierigkeit kommt bald eine zweite hinzu. Wir dürfen nicht vergessen, daß Moses nicht nur der politische Führer der in Ägypten ansässigen Juden war, er war auch ihr Gesetzgeber, Erzieher und zwang sie in den Dienst einer neuen Religion, die noch heute nach ihm die mosaische genannt wird. Aber kommt ein einzelner Mensch so leicht dazu, eine neue Religion zu schaffen? Und wenn jemand die Religion eines anderen beeinflussen will, ist es nicht das natürlichste, daß er ihn zu seiner eigenen Religion bekehrt? Das Judenvolk in Ägypten war sicherlich nicht ohne irgendeine Form von Religion, und wenn Moses, der ihm eine neue gegeben, ein Ägypter war, so ist die Vermutung nicht abzuweisen, daß die andere, neue Religion die ägyptische war.
Dieser Möglichkeit steht etwas im Wege: die Tatsache des schärfsten Gegensatzes zwischen der auf Moses zurückgeführten jüdischen Religion und der ägyptischen. Die erstere ein großartig starrer Monotheismus; es gibt nur einen Gott, er ist einzig, allmächtig, unnahbar; man verträgt seinen Anblick nicht, darf sich kein Bild von ihm machen, nicht einmal seinen Namen aussprechen. In der ägyptischen Religion eine kaum übersehbare Schar von Gottheiten verschiedener Würdigkeit und Herkunft, einige Personifikationen von großen Naturmächten wie Himmel und Erde, Sonne und Mond, auch einmal eine Abstraktion wie die Maat (Wahrheit, Gerechtigkeit) oder eine Fratze wie der zwerghafte Bes, die meisten aber Lokalgötter aus der Zeit, da das Land in zahlreiche Gaue zerfallen war, tiergestaltig, als hätten sie die Entwicklung aus den alten Totemtieren noch nicht überwunden, unscharf voneinander unterschieden, kaum daß einzelnen besondere Funktionen zugewiesen sind. Die Hymnen zu Ehren dieser Götter sagen ungefähr von jedem das nämliche aus, identifizieren sie miteinander ohne Bedenken in einer Weise, die uns hoffnungslos verwirren würde. Götternamen werden miteinander kombiniert, so daß der eine fast zum Beiwort des anderen herabsinkt; so heißt in der Blütezeit des »Neuen Reiches« der Hauptgott der Stadt Theben Amon-Re, in welcher Zusammensetzung der erste Teil den widderköpfigen Stadtgott bedeutet, während Re der Name des sperberköpfigen Sonnengottes von On ist. Magische und Zeremoniellhandlungen, Zaubersprüche und Amulette beherrschten den Dienst dieser Götter wie das tägliche Leben des Ägypters.
Manche dieser Verschiedenheiten mögen sich leicht aus dem prinzipiellen Gegensatz eines strengen Monotheismus zu einem uneingeschränkten Polytheismus ableiten. Andere sind offenbar Folgen des Unterschieds im geistigen Niveau, da die eine Religion primitiven Phasen sehr nahesteht, die andere sich zu den Höhen sublimer Abstraktion aufgeschwungen hat. Auf diese beiden Momente mag es zurückgehen, wenn man gelegentlich den Eindruck empfängt, der Gegensatz zwischen der mosaischen und der ägyptischen Religion sei ein gewollter und absichtlich verschärfter; z. B. wenn die eine jede Art von Magie und Zauberwesen aufs strengste verdammt, die doch in der anderen aufs üppigste wuchern. Oder wenn der unersättlichen Lust der Ägypter, ihre Götter in Ton, Stein und Erz zu verkörpern, der heute unsere Museen so viel verdanken, das rauhe Verbot entgegengestellt wird, irgendein lebendes oder gedachtes Wesen in einem Bildnis darzustellen. Aber es gibt noch einen anderen Gegensatz zwischen beiden Religionen, der durch die von uns versuchten Erklärungen nicht getroffen wird. Kein anderes Volk des Altertums hat soviel getan, um den Tod zu verleugnen, hat so peinlich vorgesorgt, eine Existenz im Jenseits zu ermöglichen, und dementsprechend war der Totengott Osiris, der Beherrscher dieser anderen Welt, der populärste und unbestrittenste aller ägyptischen Götter. Die altjüdische Religion hingegen hat auf die Unsterblichkeit voll verzichtet; der Möglichkeit einer Fortsetzung der Existenz nach dem Tode wird nirgends und niemals Erwähnung getan. Und dies ist um so merkwürdiger, als ja spätere Erfahrungen gezeigt haben, daß der Glaube an ein jenseitiges Dasein mit einer monotheistischen Religion sehr gut vereinbart werden kann.
Wir hatten gehofft, die Annahme, Moses sei ein Ägypter gewesen, werde sich nach verschiedenen Richtungen als fruchtbar und aufklärend erweisen. Aber unsere erste Folgerung aus dieser Annahme, die neue Religion, die er den Juden gegeben, sei seine eigene, die ägyptische gewesen, ist an der Einsicht in die Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit der beiden Religionen gescheitert.
(2)
Eine merkwürdige Tatsache der ägyptischen Religionsgeschichte, die erst spät erkannt und gewürdigt worden ist, eröffnet uns noch eine Aussicht. Es bleibt möglich, daß die Religion, die Moses seinem Judenvolke gab, doch seine eigene war, eine ägyptische Religion, wenn auch nicht die ägyptische.
In der glorreichen 18ten Dynastie, unter der Ägypten zuerst ein Weltreich wurde, kam um das Jahr 1375 v. Chr. ein junger Pharao auf den Thron, der zuerst Amenhotep (IV.) hieß wie sein Vater, später aber seinen Namen änderte, und nicht bloß seinen Namen. Dieser König unternahm es, seinen Ägyptern eine neue Religion aufzudrängen, die ihren jahrtausendealten Traditionen und all ihren vertrauten Lebensgewohnheiten zuwiderlief. Es war ein strenger Monotheismus, der erste Versuch dieser Art in der Weltgeschichte, soweit unsere Kenntnis reicht, und mit dem Glauben an einen einzigen Gott wurde wie unvermeidlich die religiöse Intoleranz geboren, die dem Altertum vorher – und noch lange nachher – fremd geblieben. Aber die Regierung Amenhoteps dauerte nur 17 Jahre; sehr bald nach seinem 1358 erfolgten Tode war die neue Religion hinweggefegt, das Andenken des ketzerischen Königs geächtet worden. Aus dem Trümmerfeld der neuen Residenz, die er erbaut und seinem Gott geweiht hatte, und aus den Inschriften in den zu ihr gehörigen Felsgräbern rührt das wenige her, was wir über ihn wissen. Alles, was wir über diese merkwürdige, ja einzigartige Persönlichkeit erfahren können, ist des höchsten Interesses würdig .
Alles Neue muß seine Vorbereitungen und Vorbedingungen in Früherem haben. Die Ursprünge des ägyptischen Monotheismus lassen sich mit einiger Sicherheit ein Stück weit zurückverfolgen . In der Priesterschule des Sonnentempels zu On (Heliopolis) waren seit längerer Zeit Tendenzen tätig, um die Vorstellung eines universellen Gottes zu entwickeln und die ethische Seite seines Wesens zu betonen. Maat, die Göttin der Wahrheit, Ordnung, Gerechtigkeit war eine Tochter des Sonnengottes Re. Schon unter Amenhotep III., dem Vater und Vorgänger des Reformators, nahm die Verehrung des Sonnengottes einen neuen Aufschwung, wahrscheinlich in Gegnerschaft zum übermächtig gewordenen Amon von Theben. Ein uralter Name des Sonnengottes Aton oder Atum wurde neu hervorgeholt, und in dieser Atonreligion fand der junge König eine...