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Der Multikulti-Diskurs. Mit einem Blick auf den Islam und Grassens Griechenland-Gedicht

AutorErwin Leibfried
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl48 Seiten
ISBN9783656316077
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Forschungsarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: sehr gut, Justus-Liebig-Universität Gießen, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Gutmenschenmilieu gelten Rücksicht und Respekt vor anderen Lebensformen als prinzipiell unverzichtbare Haltung. Besonders Europäer wissen sich durch den Kolonialismus und seine barbarischen Taten in der Schuld. Dabei lassen sie unbeachtet, dass der Kolonialismus mutiert ist zur Korruption einheimischer Eliten und zur Kollaboration mit dem marktwirtschaftlichen - manche Leute sagen noch: kapitalistischen - Imperialismus des Westens. Hier ist ein moralinfreier Blick gefragt, der die komplexen Sachverhalte ausleuchtet, das Ganze ganz ausleuchtet.

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Leseprobe

2. Der Multikulti-Diskurs


 

Man muss vorwegschicken: auf diesem thematischen Feld gibt es, wie wohl immer, zwei Fraktionen: solche, für die „Integration eine Erfolgsgeschichte“ ist [vgl. Necla Kelek, FAZ vom 09.05.2011] und solche, die doch eher Probleme sehen[2]. Beide Fraktionen wollen sich mit einer glänzenden Formulierung Hegels „wechselseitig zum Nichtsein bestimmen“.

 

[Anmerkung, soviel Zeit muss sein: man sieht hier ein Kasperle, das aus der Bildungskiste springt: das Kasperle heißt: Zwei Lager. Es gibt immer, ontologisch, das ist eine metaphysische Figur – die Metaphysik ist totgesagt, beerdigt, lebt aber trotzdem weiter! – es gibt immer zwei Lager, oder auch mehr, ausdifferenziert. Das zeigt eben wieder glänzend, am 06. 05. 2012 die Präsidentenwahl in Frankreich: zwei Lager, die fast gleich stark sind. Ein anderes Kapitel ist die Ausdifferenzierung; auch eine ontologisch-metaphysische Figur: die zwei Lager spalten sich auf, z.B. in verschiedene Flügel – aber das ist ein weites Feld.]

 

Veränderbarkeit tradierter Mentalitäten

 

Greifen wir wie die Pietisten in die Bibel in den Band, den wir kaum in allen Beiträgen besprechen können. Die Herausgeberin schreibt, bei den Integrationsskeptikern würden „kulturelle Eigenschaften als verankerte Normen und Werte gedacht, die sich in Mentalitäten verdichten und nicht leicht ändern lassen. Dabei ist ein zeitgemäßer Kulturbegriff genau das Gegenteil.“ [S. 19] Der letzte Satz wird richtig, wenn vor „Kulturbegriff“ das Epitheton „utopistisch“ eingefügt wird. Frau Stemmler velwechsert [ein Zitat!] hier das, was ist, mit dem, was sie gern hätte. Das Wort „zeitgemäß“ – für wen? – kann keine Begründung sein. Denn selbstredend sind „Mentalitäten“ - nicht bei allen Menschen, aber bei sehr sehr vielen, zu vielen – tief verankert und mit Gottes Hilfe nur in the long run [ein philosophischer Terminus von Ch.S.Peirce] vielleicht leicht, eher aber sehr sehr schwer zu ändern. Nicht jeder, der Messdiener war, wendet sich von der katholischen Kirche ab. Er bleibt gläubig bis ins Grab. Anthropologisch ist zwar die Saulus-Paulus-Wende vielfach belegt und bekannt; sie ist aber immer die Bewegung Einzelner. Ein eklatantes Beispiel für die Nicht- oder Sehrschwerveränderbarkeit tradierter Mentalitäten sind christianisierte Menschen. In Afrika halten sie munter und weiter an ihren nativistischen Voodoo-Kulten fest. Da passt die katholische Kommunion wie die Faust aufs Auge: Leib und Blut Jesu Christi.

 

Hier gilt es Ruhe zu bewahren und Richtigkeit und Wahrheit nicht in einer multikulti-Folklore untergehen zu lassen. Wer die These von der leichten Änderbarkeit kultureller Einstellungen vertritt, muss, das sollte rhetorisch so klar formuliert werden, Tomaten auf den Augen haben. So etwas gehört zur wissenschaftstheoretischen Kategorie des Unfugs [diese Kategorie habe ich schon 1985 in einer umfangreichen Schiller-Arbeit eingeführt und einigen lebenden Koryphäen der Schiller-Forschung ans Revers geklebt. Meine Analyse wurde nur wenig rezipiert].

 

Es gebe, meint die Leiterin des Bereichs Literatur des „Hauses der Kulturen der Welt“ in Berlin ex officio „eine statische Sicht auf ‚Identität’ – auch ein gern benutztes Schlagwort in der Integrationsdebatte. Dass jedoch die Neuankömmlinge und ihre Nachfahren die vorherigen Gesellschaften insgesamt ändern, dass also in diesem Prozess etwas Neues entsteht, von dem man vorher noch nicht weiß, was es sein wird, spielt keine Rolle“ [S.19]. Keine Rolle für die Skeptiker gelingender Integration. Weißgott, der Satz bündelt Vorurteile der Optimisten: dass die Migranten die Gesellschaft ändern, überschätzt wohl z.Zt. noch deren Einfluss, denn auch Döner und Kebab wird nur am Rande probiert und hat sich gegen MacDonalds und Burger King zu behaupten. Genau der letzte Teil des Satzes [etwas Neues entstehe, aber keiner wisse was] enthält doch genau besehen die Probleme. Die Skeptiker schlafen nicht, weil für sie das Neue genau die Scharia sein könnte.

 

Diese vorformatierten Phalangen [die Migration erforschenden Optimisten] brauchen eine Schießbudenfigur, einen Fuchs, den sie jagen können. Den Sündenbock haben sie in Sarrazin gefunden. Es muss im Rückblick überraschen, wie dieses Buch von höchsten Stellen, quasi Cherubim und Seraphim, wenn man mal an die himmlische Ordnung erinnert, stigmatisiert wurde, was seinen tarantelhaften Lauf erst auslöste. Sarrazin wurde medial gemacht, weil man genau eine solche Figur brauchte.

 

Das behauptet doch keiner, dass Ärzte, Handwerker – ich kenne einige – Dienstleister – ich kenne integrierte Makler -, Lehrer – ich habe einige geprüft -, Facharbeiter, Polizisten, Ingenieure, Rechtsanwälte, Geistliche etc. mit ausländischen Wurzeln Probleme darstellen – es sei denn, sie schicken ihre Mädchen zur Beschneidung in die alte Heimat oder sie verheiraten sie mit Zwang.

 

Einwanderung in Sozialsysteme

 

Es geht doch um die Problemfälle und Problemzonen, etwa um die Einwanderung in Sozialsysteme, die ein Bremer Prof beschrieben hat. Es geht darum, dass die selbsternannten Migrationsforscher eine Reihe von Stimmen nicht wahrnehmen, die ruhig auf die Probleme eingehen: Klaus von Dohnanyi in einem glänzenden SPIEGEL-Essay [18, 2011, S.22ff.], in einem ebenso glänzenden von Monika Maron, Helmut Schmidt in seinem neuen Buch „Religion in der Verantwortung. Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung“, Berlin 2011 und viele andere.

 

Man wird den Migrationsforschungen nicht ein hohes Niveau absprechen wollen, man vgl. etwa den sehr soliden Beitrag von Ruud Koopmann S.122ff., aber, es bleiben Forschungen ideologie- und weltanschauungsbelastete Arbeiten auf zweiter Stufe. Niemand fragt, warum diese Leute hierher kamen und in ihrer Heimat nicht bleiben. Dabei darf man an die postkolonialen Sklaven nicht denken, die als hochqualifizierte Arbeitskräfte von einer citius-altius-fortius-Industrie hereingewunken und klugerweise gut versorgt werden [wer zufrieden ist, weil er gut verdient, arbeitet motivierter, als jemand, der mit der Peitsche angetrieben werden muss]. Niemand sagt, dass in den Heimatländer dieser armen Menschen hochschwierige wirtschaftlich-soziale Zustände vorliegen, dass einheimische Despoten Milliarden ins Ausland schaffen, statt ihren Landsleuten zu helfen. Soweit ich mich erinnere haben selbst hochdekorierte Personen Dreck am Stecken. Die deutsche sog. Migrationsforschung forscht über Probleme in Deutschland, statt über die Situation in den Herkunftsländern nachzudenken, die diese Probleme bei uns erst möglich machen[3].

 

Übrigens: wer über Integration heute redet, sollte die Deutschen Lektionen. Ein Lesebuch für Alle, die’s wissen wollen, tacheles getaktet! Lesen. Ein Vorabdruck:

 

Für die, die von Integration reden

 

Früher gab es in Deutschland Dörfer, in denen die eine Hälfte der Einwohner katholisch war, die andere Hälfte evangelisch.

 

Die Katholischen waren im Männergesangverein „Liederkranz“, die Evangelischen, Männer und Frauen gemischt, in der „Chorvereinigung“.

 

Wenn die Fronleichnamprozession durchs Dorf ging – alle hatten schul- und arbeitsfrei und so freuten sich wohl auch die Evangelischen – waren doch deren Fensterläden geschlossen, die Häuser der Katholischen aber geschmückt.

 

Heiraten zwischen beiden Bevölkerungsteilen des Dorfes gab es selten, kaum, nie. Das wären Mischehen gewesen, die Esra und Nehemina schon im Alten Testament verdammen[4]. Man lebte im Alltag nebeneinander her ohne Probleme. Es gab auch einen katholischen und einen evangelischen Metzger.

 

Es waren parallele Gesellschaften.

 

Das Minarett-Verbot in der Schweiz

 

Greifen wir einen Beitrag heraus. Buber-Rosenzweig-Preisträger Navid Kermani beschäftigt sich mit dem Minarett-Verbot in der Schweiz. Er sieht darin einen „Angriff auf Europa“. Er prognostiziert, dass der Europäische Gerichtshof die Schweizer Ohren lang ziehen wird.

 

Das dürfte die mainstream-Meinung sein.

 

Ein Philosoph, der kaum zum Stammtisch geht, das Ganze aber gern ganz ausleuchten will, hat Fragen: gibt es ein völker-, menschenrechtlich verbürgtes Recht auf Niederlassungsfreiheit? Darf jeder, wenn und wann er will, dahin ziehen, wohin er will? Hat eine Kommunität nicht das Recht zu sagen: wir möchten keine Jeans, wir tragen lieber Lederhosen?

 

Jedenfalls ist das, was Kermani schreibt und fordert eine Korrektur demokratischer, sogar basisdemokratischer Prinzipien: die Mehrheitsmeinung soll nicht gelten. Natürlich zieht Kermani einschlägig bekannte Argumente oder Behauptungen, die den Button Argument tragen, heran: die Mehrheit sei manipuliert, Hetzkampagnen hätten das recht urteilsschwache Alpenvölkchen in die falsche Position getrieben. Diese Leutchen wissen nicht, was sie wollen sollen.

 

Das kann man mit Fakten zweifellos belegen, dass Kampagne war. Allerdings bleibt die Vernutung stark, diese Schweizer hätten ihre Meinung schon vorher fix...

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