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Der Ohrwurm. Versuch einer kognitionspsychologischen Einordnung

AutorLaura Leuchs
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783656672357
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Psychologie - Kognitive Psychologie, Note: 1,0, Ludwig-Maximilians-Universität München (Fakultät 11, Department Allgemeine Psychologie 1), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Bachelorarbeit aus dem Bereich der Psychologie beschäftigt sich mit dem musikalischen Ohrwurm. Der Ohrwurm ist ein weit verbreitetes Phänomen, bei dem sich zumeist eine Melodie ohne willentliches Zutun in der Vorstellung wiederholt. Diese Art der musikalischen Kognition ist aufgrund ihrer unwillkürlichen Natur nur schwer zu erforschen. Dennoch lassen sich die Eigenschaften des Phänomens auf der Basis von Erkenntnissen aus der Gedächtnis-Psychologie und der Forschung zu musikalischer Kognition und Lernen erklären. Diese Arbeit bietet eine wissenschaftliche Interpretation des Auftretens von Ohrwürmern. Es wird zunächst eine Zusammenfassung der bis 2011 veröffentlichte Forschung zu diesem Thema geboten. Des weiteren wird ein Einblick auf Befunde aus Gedächtnispsychologie, Lernmechanismen und musikalischer Kognition gegeben, der zur Erklärung des Ohrwurms herangezogen wird. Der Ohrwurm wird letztendlich als Prozess der Gedächtniskonsolidierung musikalischer Inhalte interpretiert.

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Leseprobe

3. Die Ergebnisse der „Ohrwurm“-Forschung


 

Auch wenn die optimale Forschungsmethode zur Erhebung des „Ohrwurm“-Phänomens noch nicht gefunden wurde, soll dennoch im Folgenden versucht werden, replizierte und plausible Ergebnisse zur Phänomenologie des „Ohrwurms“ darzustellen. Hierbei handelt es sich um einen Überblick über den aktuellen, leider nicht besonders fortgeschrittenen Forschungsstand. Zunächst sollen die wissenschaftlichen Befunde über die Eigenschaften von „Ohrwürmern“ zusammengefasst werden. Diese beziehen sich vor allem auf dessen Verbreitung und Erscheinungsbild.

 

Danach werden einige Faktoren vorgestellt, die das Auftreten und die Qualität von „Ohrwürmern“ möglicherweise beeinflussen.

 

Eine Interpretation dieser Darstellung soll in Kapitel 5 stattfinden, auf Basis der kognitionspsychologischen Hintergründe, die in Kapitel 4 vorgestellt werden.

 

3.1 Die Forschungsergebnisse zu den Eigenschaften des „Ohrwurms“


 

3.1.1 Verbreitung und Häufigkeit des „Ohrwurm“-Phänomens


 

Die eindeutigsten Befunde liegen bezüglich der Verbreitung des „Ohrwurm“-Phänomens vor. Die allgemeine Bekanntheit des Phänomens spiegelt sich nicht nur in Sprache und Literatur wieder, sie zeigt sich auch in den ersten Forschungsergebnissen. Sowohl in der Studie von Halpern und Bartlett (2011) als auch in der Arbeit von Beaman und Williams (2010) gaben alle Teilnehmer an, das Phänomen zu kennen. In der Forschung von Kellaris (2001, 2003) sowie in Bennetts Internet-Befragung (2002) gaben etwa 98 Prozent der Teilnehmer an, das Phänomen zu kennen und von Zeit zu Zeit zu erleben. Dies spricht für dessen hohe Bekanntheit, zumindest in westlichen Kulturkreisen.

 

Bezüglich der Auftretenshäufigkeit des Phänomens besteht etwas weniger Einigkeit. Dennoch zeichnet sich ab, dass es sich bei musikalischen „Ohrwürmern“ um ein gängiges Alltagsphänomen handelt, das etwa wöchentlich auftritt.

 

In Liikkanens Studie (2008, 2011) gaben etwa 90 Prozent der Teilnehmer an, mindestens einmal wöchentlich von einem „Ohrwurm“ betroffen zu sein. Auch in Beaman und Williams Studie (2010) ergab sich ein Stichproben-Durchschnitt von etwas über einem „Ohrwurm“ pro Woche und in Hemmings Arbeit (2009) gab der Großteil der Befragten an, mehrmals wöchentlich einen „Ohrwurm“ zu erleben. Auch in der Studie von Bennett (2002) gaben nur 13 Prozent an, seltener als ein paar Mal monatlich von dem Phänomen betroffen zu sein.

 

Allerdings berichtete in der retrospektiven Befragung von Halpern und Bartlett (2011) ein Großteil der Teilnehmer (13 von 18), das Phänomen mehrmals wöchentlich oder beinahe täglich zu erleben. Auch in beiden Tagebuchstudien ergab sich ein Schnitt von fünf bzw. sieben „Ohrwurm“-Episoden wöchentlich, was ein beinahe tägliches Erleben des Phänomens bedeuten würde. Diese Ergebnisse übersteigen die Angaben aus anderen Studien. In der Forschung von Liikkanen (2008, 2011) gaben nur etwa ein Drittel der Teilnehmer an, mindestens einmal täglich einen „Ohrwurm“ zu erfahren, in Bennetts Umfrage (2002) waren es nur etwa 23 Prozent.

 

In Bailes Ergebnissen (2007) fand hingegen sogar in 32 Prozent der erhobenen Zeitausschnitte eine musikalische Vorstellung statt. Allerdings ist hier zu bedenken, dass es sich um Musikstudenten, also eine spezielle Population handelte und dass nicht zwischen absichtlichen und unwillentlichen musikalischen Vorstellungen unterschieden wurde. Nur in Ausnahmefällen sind Personen von nahezu permanenten musikalischen Vorstellungen betroffen, wie Brown (2006) in seiner Selbstanalyse „The Perpetual Music Track“ beschreibt.

 

In einer westlichen Bevölkerung mit durchschnittlicher musikalischer Bildung scheint der „Ohrwurm“ also ein hoch bekanntes Phänomen zu sein und ein- bis mehrmals wöchentlich aufzutreten.

 

3.1.2 Dauer eines „Ohrwurms“


 

Bezüglich der durchschnittlichen Dauer eines „Ohrwurms“ bestehen teilweise unklare Definitionen, die zu den stark divergierenden Ergebnissen geführt haben könnten.

 

Zunächst kann die Länge des vorgestellten musikalischen Ausschnitts selber betrachtet werden. Ein solcher Ausschnitt soll hier mit dem Begriff „Ohrwurm“-Fragment bezeichnet werden. Des Weiteren kann es sich um den Zeitabschnitt handeln, währenddessen sich die Musik ohne größere Unterbrechung in der Vorstellung wiederholt. Hier handelt es sich um eine „Ohrwurm“-Episode. Diese kann von der Dauer unterschieden werden, während derer dieselbe Musik üblicher Weise als „Ohrwurm“ zurückkehren kann. Dies ist gewissermaßen die „Lebenserwartung eines „Ohrwurms“.

 

3.1.2.1 Das „Ohrwurm“-Fragment

 

Zunächst soll die typische Länge eines sich wiederholenden „Ohrwurm“-Fragments betrachtet werden: In der Regel wiederholen sich nur kurze Ausschnitte eines Musikstückes in der Vorstellung (Bailes, 2007; Beaman & Williams 2010; Bennett, 2002; Hemming, 2009; Liikkanen 2011).

 

Häufig bildet der Chorus eines Musikstückes die wiederholte Passage (Bailes, 2007; Beaman & Williams 2010; Bennett, 2002; Hemming, 2009). In der Arbeit von Beaman und Williams (2010) ist dies in etwa einem Drittel der Fall, in Bennetts Studie (2002) handelt es sich bei beinahe zwei Dritteln der „Ohrwurm“-Fragmente um den Chorus eines Musikstückes.

 

Wie viele Sekunden oder Minuten solch ein durchschnittliches „Ohrwurm“-Fragment dauert, wurde bisher kaum erhoben. Hemming (2009) bat die Probanden, sich an die von ihm induzierten „Ohrwürmer“ zu erinnern. Er stellte fest, die Länge der wiedergegebenen Fragmente liege „weit unter einer Minute“ (Hemming, 2009, S. 13). Aufgrund der typischen Dauer eines populären Musikstückes kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass der Chorus meist nicht länger als einige Sekunden dauert.

 

Ein „Ohrwurm“ liegt um einiges seltener in Form eines vollständigen Musikstückes vor. Liikkanen (2011) berichtet, dies sei nur in ca. 7 Prozent seiner Umfrageergebnisse der Fall. In Bennetts Studie (2002) gab ein Fünftel der Befragten an, das ganze Stück wahrzunehmen, Beaman und Williams (2010) hingegen sprechen von über einem Viertel der Fälle. Liikkanen (2011) berichtet, eine solche Vorstellung eines vollständigen Stückes trete bei Musikern signifikant häufiger auf als bei musikalischen Laien. Dies spricht für die Vermutung, dass „Ohrwürmer“, in Abhängigkeit von der musikalischen Kompetenz des Betroffenen, unterschiedliche Qualitäten annehmen können. Genauere Ergebnisse zu diesem Faktor werden unter 3.2.1.3 dargestellt und in Kapitel 4 sowie Kapitel 5 begründet.

 

Da der vorgestellte Musikausschnitt in der Regel weniger lang dauert als der „Ohrwurm“ mental repräsentiert ist, kann davon ausgegangen werden, dass sich das Stück oder einzelne Fragmente mehrfach in der Vorstellung wiederholen. Diese mentale Wiederholung eines kurzen musikalischen Ausschnitts ist eine besondere Eigenschaft des Phänomens und unterscheidet es von einer willentlichen musikalischen Vorstellung.

 

3.1.2.2 Die „Ohrwurm“-Episode

 

Die Dauer, während derer sich eine Melodie in der Vorstellung wiederholt, wurde in den Forschungsarbeiten offensichtlich teilweise mit der Zeitspanne vermischt, nach welcher ein „Ohrwurm“ erstmalig oder erneut auftritt, ohne durchgehend mental präsent gewesen zu sein. So ergeben sich bei der Frage nach der Dauer eines „Ohrwurms“ Antworten in einer Spanne zwischen Sekunden (Halpern & Bartlett, 2011) und Jahren (Bennett, 2002).

 

Bennet (2002) erhielt auf seine retrospektive Frage nach der Dauer einer „Ohrwurm“-Episode ein Ergebnismuster, das für eine mehrdeutige Auslegung der Frage spricht. Während ein Fünftel der Befragten äußerte, eine „Ohrwurm“-Episode dauere nicht länger als eine Stunde, gaben ganze 13 Prozent eine Dauer von Wochen bis hin zu Jahren an. Dies lässt vermuten, dass die Definition der Dauer einer „durchschnittlichen MIR-Episode“ von den Befragten sehr unterschiedlich aufgefasst wurde.

 

Ebenso ergeben sich offenbar unterschiedliche Bewertungen aus retrospektiven Befragungen und Tagebuchstudien. So erfragten Beaman und Williams (2010) in ihrer retrospektiven Studie, wie lange eine „Ohrwurm“-Episode anhalten könne und erhielten von einem Großteil (über 80 Prozent) der Teilnehmer die Antwort, das Phänomen könne über Stunden oder auch länger bleiben. In ihrer Tagebuchstudie ergaben die Antworten lediglich eine Durchschnittsdauer von 27 Minuten. In einer retrospektiven Befragung könnte die Dauer einer „Ohrwurm“-Episode möglicherweise überschätzt werden.

 

In der Arbeit von Halpern und Bartlett (2011) kam es zu einer Diskrepanz zwischen ihrer ersten und ihrer zweiten Tagebuchstudie: In der ersten Befragung ergab sich ein Median von 36 Minuten für die Dauer einer durchschnittlichen „Ohrwurm“-Episode, in der zweiten Tagebuchstudie ergab sich...

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