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Der Orient-Komplex

Das Nahost-Bild in Geschichte und Gegenwart

AutorThomas Kramer
VerlagThorbecke
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783799501989
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Autoren wie Karl May, Thomas Mann oder T. E. Lawrence, der legendäre »Lawrence von Arabien«, Komponisten wie Wolfgang Amadeus Mozart, Regisseure wie Ridley Scott oder Pop-Gruppen wie Boney M. haben alle etwas gemeinsam - sie beeinflussten und beeinflussen unser Orient-Bild mehr, als dies wissenschaftliche Berichte oder Dokumentationen je könnten. Thomas Kramer entwirft ein Panorama medialer Wahrnehmung des Nahen Ostens in der abendländischen Kultur zwischen Antike und Gegenwart. Er beschränkt sich dabei nicht auf den akademischen Bereich und die Produkte des 'literarischen Höhenkamms', sondern erweitert den Blickwinkel um das breite Spektrum der Populärkultur. Der Leser wird überrascht sein, wie sehr Unterhaltungsmedien wie Abenteuerromane, Filme oder Computerspiele landläufige Orientbilder auch heute noch im Zeitalter der aktuellen Berichterstattung prägen.

Dr. Thomas Kramer, geboren 1959, lebt als Dozent und Autor in Berlin. In seinen Lehrveranstaltungen, Publikationen, Vorträgen, Rundfunk- und Fernsehbeiträgen setzt er sich mit Phänomenen populärer Medien sowie kulturellen Wurzeln und Reflexionen des Nahostkonfliktes auseinander.

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Leseprobe

Orientbilder der Antike – Perser, Griechen und der Beginn der Angst …


Rassismus in der Antike?


Die Antike kannte keinen Rassismus. Man war Grieche oder Römer, gleich ob schwarzer, gelber oder sonstiger Hautfarbe, ob über dem verlängerten Rücken ein Pigmentpunkt prangte oder eine Lidfalte tiefer saß. Die Idee der Polis bzw. des Imperiums konnte sich ethnische Diskriminierung um den Preis der Existenz nicht leisten. »Araber« war in Rom ein Sammelbegriff für nomadisierende Stammeskrieger, der nicht negativ besetzt war. Mit der Verabschiedung der »Constitutio Antoniniana« im Juli 212 n. Chr. durch Kaiser Caracalla war es jedem möglich, römischer Bürger zu werden. So findet sich 244 n. Chr. mit Philip sogar ein Herrscher arabischer Abstammung auf dem Cäsarenthron. Nicht umsonst berufen sich Demokratien der Moderne wie das britische Empire oder die USA auf diese Ideale.

Phantasien vom antiken Rassismus entspringen europäischem Wunschdenken des 19. und 20. Jahrhunderts. So erfand der polnische Schriftsteller Ferdinand Ossendowski (1876–1945), ein Abenteurer, Geheimagent und Okkultist, 1926 die folgende Rede eines römischen Befehlshabers an nordafrikanische Siedler, die eine Bittschrift zur Gleichstellung ihrer »barbarischen«, also arabischen Frauen und der aus den Verbindungen mit diesen entsprungenen Kinder an den Kaiser verabschiedet hatten: Bürger! Soldaten! […] Imperator und Senat wissen nur allzuwohl, dass diese Barbaren jetzt zwar gezähmt scheinen und sich willig unter den Fittichen des Römeraars niederlassen, dass sie uns aber in tiefster Seele fremd und feind sind. Lasst nur unsere Legionen einmal einen militärischen Misserfolg erleiden! Bezweifelt ihr etwa, dass dann sofort wieder Aufwiegler unter ihnen auftreten würden, dass sie Roms großes und bewunderungswürdiges Werk […] würden vernichten wollen? Und selbst, wenn dies nicht der Fall wäre, würde barbarisches Blut das Blut der Nachkommen römischer Bürger bereits derart verfälscht und eine Bevölkerung erzeugt haben, der gleiche Rechte wie echtbürtigen Römern nicht zugebilligt werden können.4 Solcherart Texte des glühenden Bolschewistenhassers und Antisemiten Ossendowski fielen bei breiten Leserkreisen der Weimarer Republik auf fruchtbaren Boden. Mit der historischen Realität der Antike haben sie allerdings nichts zu tun.

Wie aber war das Verhältnis der Griechen und Perser zu Zeiten von Aischylos und Herodot? Die Perser sind ein nach der Landschaft Persis im Südwesten des Iran benanntes indoeuropäisches Volk. Wiewohl damit ethnisch von den semitischen Stämmen wie den Arabern unterschieden, sind sie besonders seit der Revolution von 1979 den gleichen Vorurteilen wie diese unterworfen. Nach der bereits erwähnten Eroberung Babylons sowie ganz Kleinasiens und Ägyptens unter den Herrschern Kyros II. und Kambyses II. wurde Persien ein Großreich, das sich nach Norden und Westen auszudehnen suchte. König Dareios I. setzte in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. die persische Expansionspolitik fort, wodurch es unweigerlich zu macht- und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen mit den griechischen Stadtstaaten kommen musste. Diese hatten auf dem Wasser neue, billigere Handelswege von der Ostküste Spaniens bis in die Häfen des Schwarzen Meeres erschlossen. Eine solch kostengünstige Variante trat in erfolgreiche Konkurrenz zum langwierigeren und damit teureren indisch-persisch-phönizischen Land-Wasser-Handel. Durants »Kulturgeschichte der Menschheit« aus den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts zieht noch in einer Neuauflage von 1976 folgendes Resümee der Perserkriege: Das europäische System setzte sich gegen das orientalische durch […], weil es fast ein Naturgesetz ist, dass der raue kriegerische Norden den leichtlebigen, kunstschöpferischen Süden überwältigt.

Ohne erkennbare Skrupel feiert diese – in Europa und den USA weit verbreitete – Kulturgeschichte unter der Überschrift »Der Kampf um die Freiheit« die Perserkriege als Aufstand frühdemokratischer Europäer wider orientalische Despotie: Der griechisch-persische Krieg war der bedeutsamste Kampf der europäischen Geschichte, denn er ermöglichte erst die Bildung Europas. Er erkämpfte dem Abendland die Möglichkeit, sein eigenes Wirtschaftsleben unbelastet von einer Tribut- oder Steuerpflicht an Fremdherren und seine eigenen politischen Einrichtungen frei von der Diktatur orientalischer Herrscher zu entwickeln. Er ebnete Griechenland den Weg zu Versuchen mit der Freiheit; er bewahrte die griechische Seele dreihundert Jahre vor dem entkräftigenden Mystizismus des Ostens5 etc.

Die Bemühungen der Perser, das griechische Festland zu unterwerfen, scheiterten. Ihre zahlenmäßig weit größeren Söldnertruppen erlitten gegenüber den taktisch wie strategisch überlegenen, zudem besonders hoch motivierten Kontingenten der griechischen Stadtstaaten vernichtende Niederlagen. Der tatsächlich dabei bewiesene Opferwille und Kampfgeist der Hellenen sichert ihnen den Einzug in das Pantheon der Kriegsgeschichte. Doch damit nicht genug: Schlachten wie die von Marathon 490 v. Chr. oder zehn Jahre später bei den Thermophylen zählen seither als Meilensteine europäischer Triumphe über den Ansturm asiatischer Scharen. Diese Kriege bedeuten nicht zuletzt eine Wende im Kräfteverhältnis zwischen Orient und Okzident: Mit den Rachefeldzügen Philipps II. 337 v. Chr. und seines Sohnes Alexander kündigten sich die europäischen Überlegenheitsphantasien kommender Jahrhunderte an und kreierten gleichzeitig einen Heros medialer Kultur des Abendlandes, dessen Glanz über mittelalterliche Heldenbücher und Renaissanceschauspiele bis hin zum modernen Hollywoodkino kaum zu überbieten ist.

Die Barbaren kommen!


Vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen entstand der Topos des »Barbaren«. Für die sich hochkultiviert dünkenden Hellenen waren dies im wörtlichen Sinne »Stotterer« – also jene, die des Griechischen nicht mächtig waren und in vermeintlich unverständlichen Zungen lallten. Die Bezeichnung des Anderen als einen unverständliches Kauderwelsch Sprechenden ist in verschiedenen Kulturkreisen zunächst nicht stigmatisierend. Für Griechen und Römer war ein Barbar einfach ein Nicht-Grieche bzw. Nicht-Römer.

1932 erfand der texanische Fantasy-Autor Robert E. Howard für ein Pulp-Magazin, also ein »Groschenheft«, den Barbaren der westlichen Vorstellungswelt: »Conan, den Cimmerer«. Howards Kurzgeschichten orientieren sich, ohne historische Authentizität zu beanspruchen, an antiken Vorbildern und Motiven. Bereits Homer erwähnt die Cimmerer als mythisches Volk, das an den Ufern des die Welt begrenzenden Meeres, dem Okeanos, in permanenter Dunkelheit hause. Tatsächlich waren sie ein den Persern verwandter indoeuropäischer Stamm, der über den Kaukasus nach Vorderasien eindrang und im Kampf mit den Lydiern um 600 v. Chr. aufgerieben wurde. 1982 verfilmt, fand man in dem blauäugigen Bodybuilder Arnold Schwarzenegger als Conan die perfekte Inkarnation der Sehnsüchte nach Erlösung vom Übel eines wulstlippig-negriden Phantasieorients durch einen unüberwindlichen Kämpfer.6

Das griechische bárbaros war nur ein Leihwort. Es wurde aus dem altindischen, indogermanischen barbara-h entlehnt. Damit bezeichnete man auch dort den Brabbelnden, Stotternden, sich außerhalb der eigenen sozialen Kreise Bewegenden. Barbaren sind – seit jeher und für alle – die Anderen: Kein Volk, keine Ethnie erweist sich als dagegen gefeit. Für den Einwohner des Fernen Ostens sind Europäer und Amerikaner langnasige »Barbaren« – selten wurde das im Kino besser thematisiert als in dem Hollywoodfilm »Der Barbar und die Geisha« mit John Wayne.

Die unschöne Kulturgeschichte der Bezichtigung des Anderen als Barbar würde eine Enzyklopädie der Verleumdung füllen. Der Barbar ist seit jeher fester Bestandteil jeglicher Selbstdefinition: Man definiert sich über den Anderen als Spiegelbild eigener Verfehlungen und Schwächen. So waren es nicht einmal die Perser, die von den Griechen allzu häufig als Barbaren beschimpft wurden, sondern die Bürger des jeweils verfeindeten Stadtstaates: Zum diskriminierenden Modewort wurde der »Barbar« also schon in der Antike im Konflikt zweier Mächte der westlichen Hemisphäre. Nachdem ein geeintes Griechenland die von Aischylos und Herodot so anschaulich beschriebenen Siege bei Salamis und Marathon errungen hatte, gerieten sich Sparta und Athen in die Haare. Der fast dreißigjährige Peloponnesische Krieg um die Vorherrschaft in Griechenland übertraf an Härte und Grausamkeit alle vorangegangenen Auseinandersetzungen mit den asiatischen Angreifern. Lachender Dritter des Kampfes zwischen dem Attischen Seebund um Athen und dem Peloponnesischen Bund um Sparta war Persien. Während sich die Griechen im Bruderkonflikt zerfleischten, erholte es sich von den erlittenen Niederlagen. Gestützt auf ein riesiges Heer, vermochte Großkönig Artaxerxes nach einigen schnell errungenen Siegen den ausgebluteten Gegnern 387 v. Chr. seinen »Königsfrieden« zu diktieren.

Für die Griechen war die Begegnung mit den ursprünglich persischen »Barbaren« prägend: Die triumphalen Siege stärkten das Selbstbewusstsein; durch die Abgrenzung von der persischen Monarchie gewann die athenische Demokratie ihre Identität, und mit ihrem verschwenderischen Luxus verkörperten die ungeliebten Nachbarn sowohl eine wunderbare Verlockung als auch den Inbegriff lasterhafter Verdorbenheit, die schnell prägend für westliche...

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