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Der Pflichtselbstbehalt in der D&O-Versicherung. Intention des Gesetzgebers und tatsächlicher Effekt des neuen § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG

AutorAndreas Schlegelmilch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl67 Seiten
ISBN9783668067790
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht, , Sprache: Deutsch, Abstract: Die Finanzmarktkrise 2008 wird u.a. auf unverantwortliches Verhalten von Managern zurückgeführt. Im Zuge der gesellschaftlichen, politischen und medialen Kritik sah sich der deutsche Gesetzgeber 2009 veranlasst, neue Regelungen hinsichtlich der Verantwortung von Vorständen aufzustellen. Durch den neu geschaffenen § 93 Absatz 2 Satz 3 AktG ist eine Regelung eingeführt worden, wonach in den D&O-Versicherungen zwingend ein Selbstbehalt zu vereinbaren ist, um die gerügte 'Vollkaskomentalität' der Manager zu bremsen. Ob der beabsichtigte Effekt einer verhaltenssteuernden Wirkung auf die betroffenen Organe dem Gesetzgeber gelungen ist steht neben den aufgetretenen Rechtsunsicherheiten und Auslegungsfragen im Vordergrund dieser Abhandlung.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in Köln

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Leseprobe

III. Zulässigkeit der D&O-Selbstbehalt-Versicherung


 

Seit der Markteinführung der D&O-Selbstbehalt-Versicherungen wird die Zulässigkeit der verschiedenen Modelle und Konstrukte kritisch diskutiert.

 

Wenn man sich stur an den Gesetzestext orientiert, könnte man auf den Gedanken kommen, dass hier eine Scheindiskussion geführt wird. Denn Adressat der Neuregelung ist die Gesellschaft, nicht also das Vorstandsmitglied. Hätte der Gesetzgeber auch das Vorstandsmitglied ansprechen wollen, so hätte ergänzt werden müssen, dass ein Vorstandsmitglied, dessen Haftungsrisiko versichert wird, den gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt nicht anders versichern darf. Der Gesetzgeber hat jedoch eine solche Ergänzung nicht aufgenommen, so dass auf den ersten Blick im Umkehrschluss die Zulässigkeit einer Eigenversicherung des Vorstandsmitgliedes zur Abdeckung des Selbstbehalts nicht ernsthaft diskutiert werden dürfte.

 

Dabei wird denn aber die Intention der Neuregelung, nämlich die beabsichtigte verhaltenssteuernde Wirkung auf das Vorstandsmitglied, verkannt. Mithin wird denn auch die Zulässigkeit der D&O-Selbstbehalt-Versicherung weiterhin heftig diskutiert.

 

1. Zulässigkeit aufgrund der Diskussion im Gesetzgebungsverfahren


 

Überwiegend wird die Zulässigkeit bejaht, wobei man sich darauf stützt, dass der Gesetzgeber sich angesichts der Diskussion über die Selbstbehalt-Versicherung im Gesetzgebungsverfahren bewusst gegen ein Verbot der Selbstbehalt-Versicherung ausgesprochen habe. Nach der Zielsetzung des Gesetzes, das eine Steuerungsfunktion des Haftungsrechts trotz der Versicherung aufrechterhalten will, sollte zwar eine solche Versicherung ausgeschlossen sein. Da diese Frage aber intensiv diskutiert wurde und weder Gesetzgeber noch die Codex-Kommission eine entsprechende Regelung aufgenommen hat, soll eine solche Versicherung nicht als unwirksam angesehen werden.[82] Allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber sich zur Zulässigkeit der Selbstbehalt-Versicherung schlicht gar nicht geäußert hat, lässt sich indes nicht der eindeutige Schluss ziehen, dass damit ein Verzicht auf ein Verbot der Selbstbehalt-Versicherung gewünscht war. Der Gesetzgeber scheint die Zulässigkeit der Selbstbehalt-Versicherung vielmehr bewusst offen gelassen zu haben. Untermauert wird dies durch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz, in welcher die Sprecherin wörtlich erklärte:

 

„Weil ein Verbot ein sehr weitgehender Eingriff in die Privatautonomie ist, hat der Gesetzgeber diesen Punkt nicht ausdrücklich geregelt, sondern offen gelassen.“[83]

 

Auch die damalige Bundesjustizministerin Zypries äußerte sich zu der Frage der Versicherbarkeit des Selbstbehalts dahingehend, dass dies möglich sein müsse. So erklärte sie in der ARD Sendung Kontraste wörtlich:

 

„Natürlich muss es jedem freistehen, sich für persönliche Risiken, die er trägt auch selbst zu versichern. Ich kann ihnen auch nicht verbieten eine private Haftpflichtversicherung abzuschließen. Also da müssen wir auch die Kirche im Dorf lassen. … Natürlich muss man sich versichern können. …“[84]

 

Letztlich ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber einerseits die präventive Verhaltenssteuerung aufgrund der potenziellen Haftung des Vorstandsmitgliedes mit seinem Privatvermögen als Ziel der Regelung vorgibt, andererseits aber bewusst und wortlos die Selbstbehalt-Versicherung hinnimmt und dadurch das mit der Neuregelung verbundene Ziel gleich von vornerein wieder insoweit entwertet, da die Zahlung der Prämien für die Selbstbehalt-Versicherung und das Risiko von Prämienerhöhung oder Kündigung der SB-Police im Versicherungsfall keine vergleichbare Steuerungswirkung entfalten dürfte.

 

2. Implizites Verbot der Selbstbehalt-Versicherung


 

Nach Sinn und Zweck des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG könnte die Vorschrift aber ein implizites, ungeschriebenes, Verbot von Selbstbehalt-Versicherungen enthalten. Denn Basis des Gesetzgebers für die Einführung eines Pflichtselbstbehaltes war die Problematik, dass die Vorstandsmitglieder bei Bestehen einer D&O-Versicherung in der Regel auf die Deckung des von ihr aufgrund einer Pflichtverletzung hervorgetretenen Schadens vertrauen konnten. Damit aber wird das Gleichgewicht zwischen der Machtstellung des Vorstands und der Haftungsandrohung gestört. Denn die in § 93 AktG geregelte Organhaftung des Vorstands soll ein Gegengewicht zu der starken Machtstellung des Vorstandes nach § 76 Abs. 1 AktG bilden.[85] Ferner soll § 93 AktG einen Ausgleich dafür herbeiführen, dass die Gesellschaft durch das Handeln der Organmitglieder Nachteile erleiden kann. Schließlich soll das Haftungsrisiko bewirken, dass die Organmitglieder auch schon vor Eintritt eines Schadens die Ihnen gegenüber der Gesellschaft obliegenden Pflichten erfüllen.[86] Um dieses Gleichgewicht wiederherzustellen, hat der Gesetzgeber die Pflicht zur Vereinbarung eines Selbstbehalts geschaffen. Wie bereits ausgeführt soll damit eine verhaltenssteuernde Wirkung erzielt werden. Unabhängig von der Frage, ob ein Selbstbehalt eine solche Wirkung überhaupt erzielen kann, geht diese aber jedenfalls dann wieder verloren, wenn der Selbstbehalt wiederum versichert werden kann, da die anstelle des Selbstbehalt tretende Prämienzahlung für eine Selbstbehalts-Versicherung wirtschaftlich nicht vergleichbar ist.[87] Die Selbstbehalt-Versicherung könnte also als Umgehung der gesetzlichen Regelung angesehen werden, da im Ergebnis das Vorstandsmitglied nicht mit seinem Privatvermögen haftet und die beabsichtigte Steuerungsfunktion des Pflicht-Selbstbehalts unterlaufen wird.[88] Ein solches implizites Verbots könnte sich aufgrund einer teleologischen Auslegung oder einer analogen Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ergeben, wobei es sich bei diesen beiden Ansätzen lediglich um unterschiedliche Begründungen für die Einordnung der Versicherung des Selbstbehalts als Umgehungsgeschäft handelt.[89] Insofern könnte eine planwidrige Regelungslücke vorliegen, so dass eine Analogie in Betracht kommt.[90] Da weder in den Entwürfen zum VorstAG noch in den Sachverständigenanhörungen im Rechtsausschuss eine Tendenz zur Frage der Zulässigkeit von Selbstbehalt-Versicherungen erkennbar war, kann nur davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG nur als einen ersten Schritt aufgefasst und die Frage der Zulässigkeit einer Selbstbehalt-Versicherung bewusst offen gelassen hat, um die Entscheidung der Zulässigkeitsfrage der aktien- und versicherungsrechtlichen Praxis zu überlassen.[91] Mithin konnte vertreten werden, dass eine Analogie zu § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG zu bejahen ist, so dass in Form eines impliziten Verbotes die Selbstbehalt-Versicherung nicht zulässig sei.

 

Das aber dürfte „dünnes Eis“ sein. Zu beachten ist nämlich, dass § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG in relativ kuzer Zeit und aufgrund der bevorstehenden Bundestagswahl unter Zeitdruck geschaffen wurde. Trotz Kenntnis mancher Probleme hat hier der Gesetzgeber hinsichtlich der Neuregelung auf eine umfassendere und damit klarere Vorschrift verzichtet, damit das VorstAG noch vor Ablauf der Legislaturperiode verabschiedet werden konnte. Soweit dem Gesetzgeber eine Anpassung des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG erforderlich erschien, wie beispielhaft hinsichtlich der Bezugsgröße der jährlichen Festvergütung, hat er eine solche nach der Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss noch vorgenommen. Dass eine solche Anpassung hinsichtlich der Versicherung des Selbstbehalts nicht erfolgte, lässt nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber gegen eine solche Möglichkeit der Versicherung nichts einzuwenden hat. Damit ist davon auszugehen, dass die diesbezügliche Regelungslücke nicht planwidrig, sondern bewusst war, da der Gesetzgeber davon ausgehen konnte, dass eine Selbstbehalts-Versicherung, die er nicht verbietet, auch zulässig ist.[92]

 

3. Zulässigkeit aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken eines Verbotes


 

Viel diskutiert wurde zurecht, ob ein Verbot von Selbstbehalt-Versicherungen einen Verstoß gegen Verfassungsrecht darstellt. Hier könnte zum einen die Vertragsfreiheit durch ein Verbot der Selbstbehalt-Versicherung beeinträchtigt sein. Zum anderen könnte aber auch der Gleichbehandlungsgrundsatz betroffen sein aufgrund der unterschiedlichen Behandlung von D&O-Versicherungen hinsichtlich AG-Vorstandsmitgliedern im Gegensatz zu anderen Versicherungen und anderen Berufsgruppen.

 

a) Vertragsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)


 

Grundsätzlich könnte man hier einen Eingriff in die aus Artikel 2 Abs. 1 GG folgende Privatautonomie erkennen, wie es beispielsweise von Franz vertreten wird.[93] Verkannt wird indes die Subsidiarität des Artikel 2 Abs. 1 GG.[94] Denn man muss hier eine berufsregelnde Tendenz erkennen, so dass ein Verbot der Versicherbarkeit des Selbstbehaltes eine Einschränkung der Vertragsfreiheit in den Schutzbereich von Artikel 12 Abs. 1 GG zuzuordnen ist. Das Grundrecht des Artikel 12 GG entfaltet seine Schutzwirkung jedoch nur...

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