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E-Book

Der Preis der Leichtigkeit

Eine Reise durch Thailand, Kambodscha und Vietnam

AutorAndreas Altmann
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783492959841
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Reisen, das Unterwegssein mit leichtem Gepäck, ist für Andreas Altmann eine Daseinsform. Sein Ziel dieses Mal: Südostasien. Thailand - mit einem Abstecher nach Myanmar-, Kambodscha, Vietnam. Ohne festen Plan, einzig seiner Intuition folgend. Er meidet die Touristenströme, begegnet Bettelmönchen und Schuhputzern, Zivilisationsmüden und Gestrandeten, einem alten Schriftsteller und einer exzentrischen Architektin. Sein Bericht strotzt vor Momenten praller Sinnlichkeit, ein wilder road movie und eine Reflexion über das Fremde und das eigene, reisende Selbst.

Andreas Altmann zählt zu den bekanntesten deutschen Reiseautoren und wurde u. a. mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis, dem Seume-Literaturpreis und dem Reisebuch-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm »Bloßes Leben« sowie die Bestseller »Verdammtes Land. Eine Reise durch Palästina«, »Gebrauchsanweisung für die Welt« und »Gebrauchsanweisung für das Leben«, »In Mexiko«, »Gebrauchsanweisung für Heimat« und »Leben in allen Himmelsrichtungen«. Andreas Altmann lebt in Paris.

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Leseprobe

KAMBODSCHA


Am nächsten Morgen kratzt ein Hund an meiner Hotelzimmertür. Früher hätte ich geglaubt, dass ich in einem meiner Vorleben ein (armer) Hund war, der sich damals ein paar Freunde gemacht hat. Ich öffne. Wenn man allein reist, ist man für alle Zeichen der Wärme dankbar.

Zehn Minuten braucht ein Tuk-Tuk von Aranya Prathet bis zur Grenze nach Kambodscha. Schon ab acht Uhr schuften sie hier, ziehen per Hand die voll gestapelten Karren von einem Land ins andere. Vom reichen Thailand zum armen Nachbarn. Und umgekehrt. Kinder, Kulis, Frauen, Alte, jeder zerrt, jeder schiebt, jeder muss leben. Zwischendrin die Geldbesitzer, meist Thais. Sie schleppen nichts anderes als ihre Kreditkarten und die pralle Börse. Ihr Ziel liegt noch zweihundert Meter entfernt. Drüben auf der kambodschanischen Seite stehen die Casinos. Deshalb hat die thailändische Regierung gekonnt scheinheilig ein großes Schild – noch vor dem Grenzübergang – aufstellen lassen: Leaving the kingdom for gambling purposes may not be safe for personal life and property. Scheinheilig, weil Thailand am Bau und Gewinn der Spielhöllen beteiligt ist. Der warnende Hinweis soll niemand abhalten, im Gegenteil, er soll den Ruch steigern.

Für zehn Euro bekommt man das Visum vor Ort, umgehend. Wer gerne als Krimineller in der Gegend unterwegs sein will, sollte vorher aufmerksam einen anderen Hinweis lesen: Wer Drogen einführt, ausführt, kauft oder verkauft, wird mit Lebenslänglich oder Exekutierung bestraft. Zwischen den beiden Grenzhäusern haben sich die Bettler positioniert, einer hinter dem anderen. Das neue Land stellt sich vor. Als ich meinen Pass zurückbekomme, liegt ein gelber Zettel bei, Hinweis auf SARS. Jeder soll seine hiesige Adresse eintragen. Für den Fall, dass ein SARS-Verdächtiger sich im selben Transportmittel befand. Damit alle umgehend kontaktiert und getestet werden können. Reisen wird nicht gesünder.

Ich ziehe auf der Hauptstraße durch das staubige Poipet und finde eine anständige Unterkunft. Anständig, weil sie nicht heucheln, sondern praktisch mit der Wirklichkeit umgehen. Auf jedem Stockwerk hängen Poster mit einem halbnackten Paar in eindeutiger Umarmung, Text darunter: Don’t forget the Number One Quality Condoms! Und unten an der Rezeption steht eine durchsichtige Dose, hier liegt die Nummer eins zum Verkauf aus. Eine Brise Heuchelei muss dennoch sein, irgendwo steht: No prostitutes in hotel! Als ich nachfrage, kichert das Personal verschämt, einer sagt rätselhaft: »Maybe.«

Im Zimmer liegt noch eine Nachricht aus: Looking in hotel room not allowed! Doch ein strenges Haus: Schauen verboten! Bis es mir dämmert. Ich nehme den Farbstift und mache aus dem L ein C: Kochen verboten! Das ist o.k., ich habe mir schon vor vielen Jahren untersagt, irgendwelche Küchengeräte in die Hand zu nehmen.

Poipet sieht verkommen aus, ein Nest an der Grenze. Das sind die besten Voraussetzungen, um Männer und Frauen mit einer Geschichte zu treffen. Ich verlasse mein Hotel, und keine drei Minuten später spricht mich ein Mann an, der sich als Chring Seng vorstellt. Nach 25 Worten sind wir bei der Geschichte seines Landes angekommen.

Wer Kambodscha bereist, sollte sich darauf gefasst machen, dass kein Tag, kein halber Tag vergehen wird, an dem ihn nichts an die Tragödie dieses Landes erinnert: an die Jahre ’75 bis ’79, in denen Pol Pot, ein mörderischer Psychopath, und seine Gefolgschaft, die mörderischen Khmer Rouge, über 1,5 Millionen ihrer Landsleute vernichteten. Mit dem festen Willen, auf dem Leichenhaufen den Neuen Menschen zu errichten. Der nie zur Welt kam. Am 7. Januar 1979 vertrieben vietnamesische Truppen das Terrorregime aus Phnom Penh, der Hauptstadt. Pol Pot und seine Soldateska flohen in die Dschungelwälder im Westen des Landes. Der Psychopath wurde nie gefasst, 1998 starb er, malariakrank, herzkrank, reuelos, monströs bis zuletzt. Auf einem Scheiterhaufen aus Gummireifen, Sperrholz und alten Matratzen verbrannte seine Leiche. Viele glauben noch heute nicht an seinen Tod, wie eine Wunde schwärt der Völkermord in den Herzen der Überlebenden.

Victor Hugo schrieb einmal, »dass nichts auf der Welt so mächtig sein kann wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist«. Der Satz gilt auch für Pol Pot. Er mag die Idee des gnadenlosen Maoismus in der Hölle ausgebrütet haben. Aber an diesem Apriltag 1975 kam sie über Kambodscha und war mächtig.

Genauer: Die Idee war reif, natürlich kam sie nicht über Nacht. Denn längst hatten westliche und nichtwestliche Kräfte das Land zum Schauplatz für einen Stellvertreterkrieg bestimmt. Die Krankengeschichte liest sich so: Die ersten fünfzehn Jahre nach der Unabhängigkeit von Frankreich (1953) dümpelt das Königreich vor sich hin. Ende der sechziger Jahre beschließen der amerikanische Präsident Nixon und sein Sicherheitsberater Kissinger – später Träger des Friedensnobelpreises –, acht Milliarden Dollar in das Land zu investieren. In Form von 540.000 Tonnen Bomben, die nachtschwarze B52-Bomber im Grenzgebiet zu Vietnam abladen. Um die Nachschubbasen des Vietcong wegzublasen. Die blieben, dafür pflasterten Hunderttausende toter Kambodschaner die Friedensmission. März 1970 stürzt General Lon Nol – mit Hilfe des CIA – König Sihanouk, der sich ins Exil nach Peking rettet. Es kommt zum flächendeckenden Bürgerkrieg: Die Bauern unter Führung der Khmer Rouge – trainiert, indoktriniert und bewaffnet von Rotchina – gegen die Armee der ultrarechten Marionette Lon Nol, bezahlt, gegängelt und ausgerüstet von den Amis. Lon Nol, beispiellos grausam und gierig, verliert trotzdem, er muss fliehen, Freund Kissinger heißt ihn in den USA willkommen. Am 17. April 1975 – man sagt, es war ein wolkenlos blauer Tag – marschieren die Khmer Rouge in der Hauptstadt ein. Drei Jahre, acht Monate und zwanzig Tage Hölle nehmen ihren Anfang.

Chring Seng hat dank seiner Flucht nach Vietnam überlebt. Seitdem ist sein Leben, das Leben eines Ex-Übersetzers, ein Scherbenhaufen. Ein Großteil seiner Familie wurde hingerichtet oder verkam, er selbst wandert seit über 25 Jahren von einem Ort zum anderen. Als »freelance hairdresser«, wie er grinsend anmerkt. In einer zerschlissenen Tasche transportiert er seine Utensilien. Und ein paar Alain-Delon-Cigarettes

Wir gehen hinter drei Häuserecken, zu einem Verhau schiefer Hütten. Hier lebt der Ex-Beamte auf zwei Quadratmetern, ohne Wasser, ohne Strom. Mein erstes Geschenk an das Land ist mein Mut, mich von dem 62-Jährigen rasieren zu lassen. Schon mutig, denn Chring Seng rasiert die Stoppel nicht, er rupft sie. Leicht verwundet und durchaus dankbar – immerhin blutet die Halsschlagader nicht –, eile ich davon.

350 Meter Luftlinie vom Slum des Friseurmeisters entfernt steht das Drop-in Center for street children, ebenfalls direkt neben der Hauptstraße. Die freundliche Chantha bittet mich herein. Die junge Frau arbeitet für eine Schweizer NGO, die sich den bescheidenen Namen Goutte d’eau gegeben hat, Wassertropfen. Mehr können sie nicht tun, aber immerhin: Hierher bringen bettelarme Mütter ihre Kinder, hier dürfen sie spielen, essen, übernachten. Und hier werden sie beschützt. Damit keiner sie zur Prostitution abrichtet oder als Adoptivfracht ins Ausland schleust.

Am Ende der Hauptstraße liegt der Hauptplatz. Inmitten von Dreckhaufen steht eine dreckige Statue. Ein paar Meter daneben strahlen die Casinos. Acht fertige und drei im Rohbau. Ich gehe ins Grand Diamond City. Auf dem Weg dorthin komme ich am Hausaltar des Unternehmens vorbei, ein Mann kniet gerade davor und bewegt die Lippen. Sicher im innigen Zwiegespräch mit dem money god. Man kann nicht sagen, ob der Murmler zum Spielen antreten wird und deshalb um dicke Gewinne bettelt oder ob hier ein Ruinierter sich offenbart und fragt, wie es jetzt weitergehen soll.

Jeder Besucher muss durch einen Metalldetektor. Die Hausordnung daneben mahnt: keine Hüte tragen (um was zu verstecken), keine Sonnenbrillen (um sich zu verstecken), keine Funktelefone (um nicht die Gangsterspezis zu informieren), keine Eierhandgranaten mitbringen, keine Flinten und Revolver, keine Spritzen (auch eine Waffe, um das Personal unschädlich zu machen). Cash darf jeder reintragen, mit drei Währungen kann man hier zahlen, mit Dollar, mit Bath, sogar Riel, die kambodschanische, wird akzeptiert.

Wie in allen Casinos der Welt stinkt es auch hier vor Langeweile. Langweiler sitzen um große Tische und warten, bis sie alles verloren haben. Sind sie bis dahin noch nicht besoffen, holen sie das jetzt nach. Die paar Gewinner sind auch Langweiler, Langweiler im Glück. Kein Paar sieht aus wie James Bond und Halle Berry, sie sehen eher aus wie Gatte mit Gattin. Ich täusche mich natürlich, denn die Hotels neben den Casinos – direkt miteinander verbunden – funktionieren vornehmlich als Five-Star-Bordelle.

Aber plötzlich bleibt mein Blick hängen. An den Händen der Thai-Frauen, die hier als Croupiers arbeiten. Mit letzter Anmut werfen sie die Kugel auf das Roulette, streichen die Jetons ein, mischen die Bakkarat-Karten. Das Bild versöhnt mit der Ödnis der Umgebung. Mir fällt zum ersten Mal auf, dass schöne Hände noch schöner werden, wenn sie sich anmutig bewegen.

In jeder fremden Stadt beginnt am ersten Abend die Suche nach einem Tisch. Zu dieser Stunde gibt es kein sinnlicheres Möbel. Ein Tisch zum Schreiben. Das ist – es klingt regelrecht wahnwitzig – ein schwieriges Unterfangen. Ein Tisch, der gerade steht, nicht wackelt und nicht umlagert wird von Unterhaltungsindustrie und neugierigen Blicken. Und dennoch die Nähe zu anderen nicht abschneidet....

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