Sie sind hier
E-Book

Der Quantenbeat des Lebens

Wie Quantenbiologie die Welt neu erklärt

AutorJim al-Khalili, Johnjoe McFadden
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783843711883
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
WORUM GEHT ES? Leben ist das faszinierendste Phänomen des Universums. Aber wie entsteht es? Wie funktioniert es? Und wieso verändert es sich ständig? Die noch junge Wissenschaft der Quantenbiologie liefert bahnbrechende Erklärungen für diese bislang ungelösten Rätsel. Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden zeigen, wie die unglaublich kleinen Ereignisse in der Quantenwelt eine große Wirkung auf alles Leben haben. Genau wie Richard Dawkins' Das egoistische Gen kann dieses Buch unser Verständnis von Evolution grundlegend verändern. WAS IST BESONDERS? Dieses Buch eröffnet uns eine völlig neue Sichtweise darauf, wie Leben entsteht und sich erhält. Die Autoren verbinden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit großartigen Erzählungen über das Faszinosum Leben. WER LIEST? • Jeder, der sich für neue Wissensgebiete interessiert • Die Leser von Richard Dawkins und Stephen Hawking

Wer schreibt? Jim Al-Khalili, geboren 1962, ist Professor für Theoretische Kernphysik an der Universität von Surrey, Autor, Fernseh- und Hörfunk-Journalist. Zu seinen jüngsten Auszeichnungen zählen der Royal Society Michael Faraday Prize für Wissenschaftspublizistik (2007) und die Ernennung zum Officer of the Order of the British Empire (OBE; 2008). Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Johnjoe McFadden, geboren 1956, ist Professor für Molekulargenetik an der Universität von Surrey. Er schreibt regelmäßig u. a. für The Guardian, Washington Post und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

1. Einleitung


Der winterliche Frost ist dieses Jahr früh gekommen in Europa. In der Abendluft liegt eine durchdringende Kälte. Tief im Inneren eines jungen Rotkehlchens nimmt ein zunächst vages Gefühl von Zielstrebigkeit und Entschlossenheit immer mehr an Stärke zu. In den letzten Wochen hat das Vogelweibchen weit mehr Insekten, Spinnen, Würmer und Beeren gefressen als normal. Jetzt ist es fast doppelt so schwer wie im August, als seine Jungen das Nest verlassen haben. Das zusätzliche Gewicht stammt vor allem von Fettreserven, und die wird es brauchen: Sie sind der Brennstoff für die anstrengende Reise, auf die es sich in Kürze begeben wird.

Dann wird das Rotkehlchen den mittelschwedischen Kiefernwald zum ersten Mal verlassen. Den Wald, der während seines kurzen bisherigen Lebens sein Zuhause war und wo es noch vor wenigen Monaten seine Jungen großgezogen hat. Zum Glück war der vorige Winter nicht allzu streng gewesen, denn damals ist es noch nicht ganz ausgewachsen und deshalb nicht kräftig genug für eine so lange Reise. Aber jetzt, da es seiner Elternpflichten bis zum nächsten Frühjahr ledig ist, braucht es sich nur um sich selbst zu kümmern. Es ist bereit, sich nach Süden aufzumachen und nach wärmeren Gefilden zu suchen, um dem kommenden Winter zu entfliehen.

Die Sonne ist schon vor einigen Stunden untergegangen, aber statt sich für die Nacht zur Ruhe zu begeben, hüpft das Rotkehlchen im Dämmerlicht an die Spitze eines der unteren Äste des gewaltigen Baumes, in dem es seit dem Frühjahr wohnt. Es schüttelt sich wie ein Marathonläufer, der vor dem Rennen die Muskeln lockert. Die orangefarbene Brust glänzt im Mondlicht. Die Mühe und die Sorgfalt, die es in den Bau seines Nestes gesteckt hat – es ist nur einen knappen Meter entfernt und teilweise hinter der moosbedeckten Rinde des Baumstammes verborgen –, verblassen in der Erinnerung.

Es ist nicht der einzige Vogel, der sich auf die Abreise vorbereitet. Auch andere Rotkehlchen, Männchen und Weibchen, sind zu dem Entschluss gelangt, dass dies die richtige Nacht ist, um die lange Wanderung nach Süden in Angriff zu nehmen. In den Bäumen um sich herum hört es deren durchdringende Rufe, die die üblichen Geräusche anderer nächtlicher Waldbewohner übertönen. Es ist, als fühlten die Vögel sich genötigt, ihre Abreise bekannt zu geben und den anderen Waldbewohnern gleichzeitig mitzuteilen, dass sie es sich genau überlegen sollten, ob sie die Reviere und die leeren Nester der Rotkehlchen in Besitz nehmen, während deren Besitzer fort sind. Denn ganz ohne Zweifel wollen diese im Frühjahr zurückkehren.

Noch einmal wendet das junge Weibchen den Kopf schnell nach der einen und anderen Seite und vergewissert sich, dass die Luft rein ist. Dann erhebt es sich in den Abendhimmel. Die Nächte sind mit dem Heranrücken des Winters länger geworden; bis es sich das erste Mal ausruhen kann, hat es rund zehn Stunden Flug vor sich.

Das Rotkehlchen schlägt einen Kurs von 195 Grad ein, 15 Grad westlich von der genauen Südrichtung. In den nächsten Tagen wird es mehr oder weniger immer in der gleichen Richtung fliegen und dabei, wenn alles gut geht, täglich mehr als 300 Kilometer hinter sich bringen. Es hat keine Ahnung, was ihm unterwegs bevorsteht, und kein Gefühl dafür, wie lange es dauern wird. Das Gelände rund um den Kiefernwald war ihm vertraut, aber schon nach wenigen Kilometern fliegt es jetzt über einer fremdartigen, mondbeschienenen Landschaft mit Seen, Tälern und Ortschaften.

Irgendwo, nicht weit vom Mittelmeer, wird es sein Ziel erreichen. Es hat sich nicht zu einem bestimmten Ort auf den Weg gemacht, aber wenn es an einer günstigen Stelle ankommt, wird es dort bleiben und sich die Charakteristika der Landschaft einprägen, so dass es in den nächsten Jahren hierher zurückkehren kann. Wenn es genügend Kraft hat, fliegt es vielleicht sogar bis an die nordafrikanische Küste. Aber dies ist seine erste Wanderung, und vorerst geht es nur darum, der schneidenden Kälte des herannahenden skandinavischen Winters zu entkommen.

Es scheint die anderen Rotkehlchen gar nicht zu beachten, die alle in etwa die gleiche Richtung fliegen und von denen manche die Reise schon viele Male unternommen haben. Es kann nachts hervorragend sehen, hält aber – anders als wir es auf einer solchen Reise tun würden – nicht Ausschau nach Orientierungsmarken. Es gleicht auch die Position der Sterne am klaren Nachthimmel nicht mit einer inneren Himmelskarte ab, wie andere nachtaktive Zugvögel es tun, vielmehr verfügt es über eine andere bemerkenswerte Fähigkeit. Mehreren Millionen Jahren der Evolution hat es das Rotkehlchen zu verdanken, dass es von nun an jedes Jahr im Herbst nach Süden ziehen und dabei mehr als 3.000 Kilometer zurücklegen kann.

Wanderungen sind im Tierreich gang und gäbe. Lachse laichen beispielsweise jeden Winter in den Flüssen und Seen Nordeuropas, die jungen Lachse folgen nach dem Schlüpfen dem Verlauf ihres Flusses bis ins Meer und in den Nordatlantik. Dort wachsen sie heran und kehren drei Jahre später – wenn sie geschlechtsreif sind – in die Flüsse und Seen ihrer Geburt zurück, um sich dort zu paaren. Amerikanische Monarchfalter wandern im Herbst Tausende von Kilometern über die gesamten Vereinigten Staaten nach Süden. Später kehren sie (oder ihre Nachkommen, denn sie paaren sich unterwegs) nach Norden in dieselben Bäume zurück, auf denen sie sich im Frühjahr verpuppt haben. Grüne Schildkröten, die an den Küsten der Insel Ascension im Südatlantik geschlüpft sind, schwimmen Tausende von Kilometern durch den Ozean, kehren aber alle drei Jahre zurück und paaren sich genau an demselben, von Eierschalen übersäten Strand, von dem sie stammen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern: Viele Arten von Vögeln, Walen, Karibus, Langusten, Fröschen, Salamandern und sogar Bienen können Reisen unternehmen, die selbst für die größten Entdecker unter den Menschen eine Herausforderung darstellen würden.

Wie Tiere es schaffen, ihren Weg um die ganze Welt zu finden, war jahrhundertelang ein Rätsel. Heute wissen wir, dass sie sich verschiedener Methoden bedienen: Manche orientieren sich tagsüber an der Sonne und nachts am Sternenhimmel, manche prägen sich Merkmale der Landschaft ein, wieder andere können ihren Weg rund um den Planeten sogar riechen. Aber den rätselhaftesten Orientierungssinn von allen besitzt das Rotkehlchen: Es nimmt Richtung und Stärke des Erdmagnetfeldes wahr, eine Eigenschaft, die man Magnetsinn nennt. Und auch wenn wir mittlerweile eine ganze Reihe anderer Tiere kennen, die ebenfalls über diese Fähigkeit verfügen, so ist doch vor allem die Art und Weise, wie das Rotkehlchen (Erithacus rubecula) seinen Weg um den Globus findet, für unsere Geschichte von Interesse.

Diese besondere Fähigkeit ist in der DNA codiert, die das Rotkehlchen von seinen Eltern geerbt hat. Es ist tatsächlich eine Art sechster Sinn, mit dem der Vogel seinen Kurs bestimmt. Wie viele andere Vögel, Insekten und Meerestiere ist das Rotkehlchen in der Lage, das schwache Magnetfeld der Erde wahrzunehmen und daraus mit einem inneren Orientierungssinn Informationen über die Richtung zu beziehen; im Fall des Rotkehlchens ist dazu ein ungewöhnlicher chemischer Kompass erforderlich.

Der Magnetsinn ist ein Rätsel. Das Erdmagnetfeld ist nämlich mit 30 bis 70 Mikrotesla an der Oberfläche sehr schwach; es reicht aus, um eine fein und nahezu ohne Reibung aufgehängte Kompassnadel abzulenken, hat aber nur ein Hundertstel der Stärke eines typischen Kühlschranktürmagneten. Das wirft eine Frage auf: Damit ein Tier das Erdmagnetfeld wahrnehmen kann, muss dieses irgendwo im Organismus eine chemische Reaktion beeinflussen – nur auf diesem Weg nehmen alle Lebewesen, einschließlich des Menschen, äußere Signale wahr. Aber die Wechselwirkungen zwischen dem Erdmagnetfeld und den Molekülen in lebenden Zellen liefern weniger als ein Milliardstel der Energie, die notwendig ist, um eine chemische Bindung aufzulösen oder herzustellen. Wie also kann das Magnetfeld für das Rotkehlchen wahrzunehmen sein?

Rätsel, und seien sie auch noch so klein, sind faszinierend: Bergen sie doch die Möglichkeit, dass ihre Lösung zu einem grundsätzlichen Wandel in unserem Verständnis der Welt führt. Kopernikus hatte im 16. Jahrhundert über ein relativ unbedeutendes geometrisches Problem im Zusammenhang mit dem ptolemäisch-geozentrischen Modell des Sonnensystems nachgedacht, doch am Ende verschob er den Mittelpunkt des ganzen Universums – weit weg von der Menschheit. Darwins intensive Beschäftigung mit der geographischen Verteilung von Tierarten und die Frage, warum Finken und Spottdrosseln auf abgelegenen Inseln in extrem spezialisierten Formen vorkommen, führte ihn schließlich zu seiner Evolutionstheorie. Und als der deutsche Physiker Max Planck das Rätsel der Schwarzkörperstrahlung löste, die mit der Wärmeabstrahlung heißer Objekte zu tun hat, gelangte er zu der Vermutung, dass die Energie in abgegrenzten Paketen oder »Quanten« vorliegt, womit im Jahr 1900 die Quantentheorie geboren war. Könnte also eine Antwort auf die Frage, wie Vögel ihren Weg rund um die Welt finden, auch zu einer Revolution der Biologie führen? Die Antwort lautet »Ja«, so seltsam dies zunächst auch erscheinen mag.

Aber Rätsel wie dieses ziehen auch Pseudowissenschaftler und Mystiker magisch an. Der Chemiker Peter Atkins aus Oxford stellte 1976 fest: »Die Untersuchung der Wirkung von Magnetfeldern auf chemische Reaktionen war lange ein Tummelplatz für Scharlatane.«1 Tatsächlich wurden alle möglichen exotischen Phänomene – von der Telepathie und alten Verbindungslinien (»Ley-Lines«: unsichtbare Wege, die...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Biologie und Genetik - Lehre und Forschung

Weitere Zeitschriften

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

BMW Magazin

BMW Magazin

Unter dem Motto „DRIVEN" steht das BMW Magazin für Antrieb, Leidenschaft und Energie − und die Haltung, im Leben niemals stehen zu bleiben.Das Kundenmagazin der BMW AG inszeniert die neuesten ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

Demeter-Gartenrundbrief

Demeter-Gartenrundbrief

Einzige Gartenzeitung mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zum biologisch-dynamischen Anbau im Hausgarten (Demeter-Anbau). Mit regelmäßigem Arbeitskalender, Aussaat-/Pflanzzeiten, Neuigkeiten ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

DHS

DHS

Die Flugzeuge der NVA Neben unser F-40 Reihe, soll mit der DHS die Geschichte der "anderen" deutschen Luftwaffe, den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee (NVA-LSK) der ehemaligen DDR ...

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler ist die Fachzeitschrift für die CE- und Hausgeräte-Branche. Wichtige Themen sind: Aktuelle Entwicklungen in beiden Branchen, Waren- und Verkaufskunde, Reportagen über ...