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Der Sachsenspiegel. Deutsches Rechtsbuch des Mittelalters. Seine Entstehung und Verbreitung in Europa

AutorMatthias Thiele
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl49 Seiten
ISBN9783668320840
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Jura - Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte, Note: 16, Freie Universität Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Sachsenspiegel ist das einflussreichste deutsche Rechtsbuch des Hochmittelalters und Urbild einer ganzen Quellengattung. Diese Arbeit fasst Erkenntnisse und Probleme der Forschung in Bezug auf die Entstehung und Verbreitung insbesondere des Sachsenspiegels, aber auch des Magdeburger Rechts und der anderen Rechtsbücher (Deutschenspiegel, Schwabenspiegel) zusammen. Aufbau und Inhalt des Sachsenspiegels werden dagegen nur dann thematisiert, wenn dies für die die Bewertung einzelner Fragen notwendig ist.

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Leseprobe

II. Einleitung: Der geschichtliche Hintergrund


 

Der Sachsenspiegel lässt sich ins erste Drittel des 13. Jh. datieren.[14] Lange sah man in ihm, die Reimvorrede[15] wörtlich nehmend, niedergeschriebene elbostfälische Rechtsgewohnheiten[16] des 12. Jahrhunderts allenfalls mit Spuren gelehrten Rechts[17]. Der zunächst kaum gehörte Hinweis auf Einflüsse der Kanonistik und anderer schriftlicher Quellen[18] bestimmt heute die Diskussion[19].

 

A. Zeit des Umbruchs und der Schriftlichkeit


 

1. Allgemeine Tendenzen


 

Das 12. Jh. gilt als die Zeit größter vertikaler und horizontaler Mobilität[20]. Die Auswirkungen der gewaltigen Umbrüche im Herrschaftssystem, der Bevölkerungsstruktur, Wissenschaft und Wirtschaft strahlen in die Zeit der Entstehung des Sachsenspiegels hinein: Getrieben durch die kluniazensisch-gregorianische Reformbewegung der Kirche und das stauffische, ideelle Prinzip der politischen Einheit des Westens, setzte sich im 12. Jh. ein Universales Weltbild durch, das auf dem Einheitsprinzip der Scholastik beruhte und alles weltliche auf die Idee der einen Wahrheit in Gott zurückführte[21] – mit großen Auswirkungen auf die Konzeption des Rechts[22]. Demgegenüber steht die partikulare Entwicklung der Lebenswelt des Mittelalters: Die Bevölkerung in Deutschland wuchs dramatisch und stellte die Gesellschaft vor erhebliche Probleme[23], denen sie mit Rodung und Entsumpfung weiter Landstriche[24] sowie der Auswanderung jenseits der deutsch-slawischen Siedlungsgrenze entlang von Elbe und Saale[25] begegnete. Politisch sind es Krisenjahre des deutschen Königtums.[26] Es zeigten sich neue Organisationstendenzen: die Territorien begannen sich ebenso auszubilden wie die ständische Verfassung[27], der Dualismus von Einheit und Vielfalt, der in den Gedanken der in Gott gegründeten Einheit und ihrer Entfaltung in der Vielfalt mündete[28].Die Städte wuchsen in Größe und Zahl[29], die neu gegründeten Bettelorden verbreiteten sich rasch, gründeten Studia[30]; Laien lernten in Kloster- und Domschulen lesen.[31]

 

Einher ging die Schriftkenntnis seit dem 12. Jh, mit ihrem Gebrauch in der Lebenspraxis: die Überlieferung von Urkunden und Geschäftsbriefe nahm zu, zunächst in Italien, bald Frankreich und England entstanden Universitäten, die die neue Denkform der Scholastik prägten. Übersetzungen aus dem Griechischen und Arabischen erweiterten den Fundus der Gelehrten, volkssprachliche Dichtung verbreitete sich[32]. Die juristische Renaissance[33] ist Begleiterscheinung der Veränderung, die letztlich Juristen das Entscheidungsmonopol für Konflikte verschaffte[34].

 

2. Die Verschriftlichung des Rechts


 

Das mündlich tradierte Recht von Gewohnheiten kannte im deutschen Mittelalter allenfalls Inseln der Schriftlichkeit[35]. Die Herrscher des Mittelalters organisierten Macht in genossenschaftlich strukturierten Personenverbänden und geboten nur in konkreten Zusammenhängen – meist in Urkunden –, nicht in abstrakt geltenden Normen[36]. Im Konfliktfall suchten Streitparteien vor Gericht Bestätigung anhand überlieferter Rechtsgewohnheiten[37]. Am Übergang zum 13. Jh. entstanden europaweit volkssprachliche Aufzeichnungen des Rechts[38]. Auslöser war das zwischen 1125 bis 1140/45 entstandene Decretum des Rechtsgelehrten Gratian[39]. Darin entwarf er eine consuetudo-Lehre, die zwar auf den Kirchenlehrer Isidor von Sevilla aufbaut[40], jedoch eine entscheidende Neuerung enthält: Bezeichnete dieser die consuetudo als lex non scripta, fasst Garatian Gesetz und Gewohnheit unter dem Begriff der consuetudo zusammen und unterscheidet consuetudo redacta in scriptis von consuetudo moribus utentium reservata. Nur der ersten spricht er Rechtsqualität zu, die vor Gericht nicht mehr bewiesen werden muss[41]: „Quae in scriptis redacta, constitutio sive ius vocatur.[42] Ferner mahnt das Decretum, Gewohnheiten des Volkes und Einrichtungen der Vorfahren zu befolgen und subsidiär zum geschrieben Recht anzuwenden[43]. Die Verschriftlichung der Rechtsgewohnheiten konnte die Subsidiarität also aufheben, sofern die consuetudo nicht gegen die Vorgaben der göttlichen veritas und ratio verstießen[44]. Verbreitung könnte die Bestimmung durch die Neuerung des Laterankonzils 1215 erfahren haben: Demnach musste jeder Christ dreimal jährlich beim geistlichen Sendgericht erscheinen, wo auch kirchliche Rechtsnormen in ihrem Kernbestand bekannt gemacht wurden[45].

 

Schriftlichkeit verlieh dem Recht eine höhere Autorität, worin ein Grund für die Vielzahl an Rechtsaufzeichnungen liegen dürfte[46], die den „Drang nach Kodifikation“[47] belegen und damit die Rechtsbücherzeit[48] einleiten. Schriftlichkeit bedeutete zugleich Teilhabe an einem erweiterten Kommunikationsspielraum, steigerte die Komplexität[49] des Rechts und hob es damit in eine neue Dimension[50], wenngleich die Vorstellung bestehen blieb, bei dem nun kodifizierten Recht handelte es sich um Recht, dessen Gütemerkmale Alter, Bewährung und Einsichtigkeit war[51].

 

Hinzu trat, dass die Volkssprachen das Latein als Rechtssprache zu verdrängen begann: 1235 wurde der Mainzer Reichslandfriede wohl zunächst in der Kanzlei Friedrichs II. lateinisch verfasst, jedochin einer deutschen Übersetzung verlesen[52].

 

3. Der Elb-Saale-Ostharz-Raum und beginnende Verdichtung von Herrschaft


 

a. Siedlungsgeschichte des Elb-Saale-Ostharz-Raums

 

Sämtliche Quellen, die Eike von Repgow dokumentieren[53], entstanden im Raum zwischen Elbe, Saale und Mulde[54]. Das Gebiet westlich von Elbe und Saale war, legt man die bis heute geläufigen Gaubezeichnungen zugrunde, bereits nach der Eroberung Thüringens durch die Franken und Sachsen 531 in den Einflussbereich des Reiches gekommen[55]. Ins Harzvorland zogen Nordschwaben, Franken und Friesen, von Osten drangen die Slawen in die alten Siedlungsgebiete der Thüringer ein[56]. Die Siedlungsgrenze zwischen Elbe, Mulde und Saale war Ziel eines Feldzugs gegen die Sorben 805[57], ab etwa 880 waren sie im Mulde-Gebiet unterworfen[58]. Seit der Slawenmission Ottos ab 948[59] siedelten vermehrt deutsche Kolonialisten im Schutz befestigter Burgen östlich der Saale[60], nach dem Slawenaufstand 983 endete dies jäh[61]; Magdeburg, Halle und Naumburg bleiben „Grenzstädte“ des deutschen Siedlungsraums.[62]

 

König Lothar III. gelang – auch unter dem Druck steigender Bevölkerungszahlen – ein Neubeginn der Ostpolitik, indem er das Abodritenreich beseitigte und damit die Rahmenbedingen für die verstärkte Ostsiedlung in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. schuf[63]. Bäuerliche Landnahme und Siedlung, planmäßige Stadtgründungen und Klosterstiftungen trieben sie voran, Neusiedler aus Flamen brachten Kenntnisse in der Urbarmachung von Sumpf mit. Markgraf Konrad von Meißen[64] und Bischof Wichmann von Naumburg, der spätere Erzbischof von Magdeburg, förderten die Ansiedlung ganzer Gruppen aus Thüringen, Franken, Schwaben und Westfalen; sie erhielten Vorrechte, die die Alteingesessenen nicht besaßen[65], darunter ein eigene Gerichtsbarkeit mit eigenen Bezirken, Richtern und Recht.[66]

 

b. Einflusssphären im Elb-Saale-Ostharz Raum

 

Standen Halle bereits im 12. Jahrhundert unter der Herrschaft des Erzbischofs von Magdeburg[67], lag das die Städte umgebende Land seit dem 12. Jh. im Enflussgebiet der nach Territorialherrschaft strebenden Fürstengeschlechter, insbesondere der Askanier und der Wettiner[68], zunächst auch der Welfen, Gosdecker und Ludowinger.[69]

 

c. Vom Personalitäts- zum Territorialprinzip

 

War die ältere Vorstellung des Stammesrechts, anknüpfend an römisches Recht, an die Herkunft gebunden[70], tauchen in den lateinischen Urkunden des 12. Jh. die Begriffe provincia oder terra auf, die als räumliche Einheiten mit eigenen Rechten und Gewohnheiten verknüpft werden (ius et consuetudo terrae). Sie sind Zeugnis für die langsam beginnenden Verdichtung von Herrschaft, die, maßgeblich getrieben von der Ausbildung von Dynastien[71] und dem allmählichen Verwaltungsausbau[72], darin mündete, dass das Personalitäts- vom Territorialprinzip abgelöst wurde, wobei beide...

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