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An der Seite gelehrter Männer

Frauen zwischen Emanzipation und Tradition

VerlagVerlag Julius Klinkhardt
Erscheinungsjahr2017
ReiheBildungsgeschichte. Forschung – Akzente – Perspektiven 
Seitenanzahl300 Seiten
ISBN9783781556041
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,90 EUR
Aus den großen Geschichtserzählungen sind Frauen häufig ausgeschlossen. Sofern sie doch eine Rolle spielen, dann oft als Ausnahmefall. Ihre Leistungen bleiben vielfach im Verborgenen oder werden marginalisiert.
Um das Leben von Frauen als Subjekte ihrer Lebensgeschichte und speziell das von eigensinnigen Frauen „im Schatten“ prominenter männlicher Partner sichtbar zu machen, fand in der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung in Berlin eine interdisziplinäre Tagung statt, deren Vorträge hier dokumentiert und um weitere Beiträge ergänzt wurden.
Die Geschichten ranken sich um Frauen des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich an der Seite eines bekannten Forschers oder Künstlers eigenständig wissenschaftlich oder künstlerisch engagierten bzw. das Wirken von Männern durch Tatkraft ermöglicht und bereichert haben.
Die Beiträge dokumentieren Variationen der eigensinnigen Interpretation historisch vorherrschender Geschlechtermodelle. Sie zeigen Frauen, die sich gegen gesellschaftliche Rollenzuschreibung zu behaupten suchten und selbstbestimmt eigene Bildungsprozesse beförderten.

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Leseprobe
Denise Löwe und Sabine Reh
Das zölibatäre Leben des Fräulein Maria Lischnewska (1854-1938): „Mensch sein, heißt ein Kämpfer sein“ (S. 33-34)

Mit dieser Haltung trat Maria Lischnewska aus dem Schatten – jedoch nicht dem ihres Ehemannes. Als verbeamtete Volksschullehrerin in Preußen war sie unverheiratet, auch wenn sie in ihrem Anstellungsvertrag 1875 noch nicht den Passus hatte unterschreiben müssen, der ab 1892 in Preußen galt und bestimmte, dass sie bei Heirat entlassen werden konnte und ihre Pensionsansprüche verloren hätte. Eine regelrechte Offensive gegen diese Zölibatsklausel führte sie als zweite Vorsitzende des Landesvereins Preußischer Volksschullehrerinnen auf einer Versammlung am Rande des Internationalen Frauenkongresses im Jahre 19042: „Ich will den Lehrer sehen, dem man eine Stelle auf dem Lande anböte mit der Bedingung, daß er sich zu lebenslänglichem Cölibat verpflichten müsse. Er würde dem Staate den Dienst einfach vor die Füße werfen.“

Für die Öffentlichkeit sichtbar tritt Maria Lischnewska hier aus dem Schatten – aus dem des Staates. Im Rahmen des Familienrechts, wie es im Allgemeinen Preußischen Landrecht und später im BGB festgeschrieben war, galt im 19. und auch noch im 20. Jahrhundert, dass die Frau ohne Einwilligung des Ehemannes keine Rechtsgeschäfte abschließen durfte; der Mann konnte also zu jedem Zeitpunkt einen Arbeitsvertrag seiner Ehefrau kündigen. Dies war nicht im Interesse des Staates als Arbeitgeber: „Das Recht des Ehemanns über die Gattin kollidierte hier mit dem Anspruch des Staates, frei über seine ‘Staatsdienerinnen’ verfügen zu können“4. Die Zölibatsklausel kann daher als Versuch verstanden werden, die Staatsdienerin aus der Obhut des Ehemannes zu lösen, indem nun auf dem Verwaltungswege zementiert wurde, dass sie einem anderen unterstellt war, nämlich dem Staat.

Maria Lischnewska trat aber nicht nur aus dem Schatten. Vielmehr opponierte sie gegen den Staat und die Begrenzungen, die dieser den Frauen setzte. Sie kämpfte für die Aufwertung ihres Berufsstandes, für gleiche Rechte der Lehrerinnen und die Möglichkeit der Frauen, sowohl Ehefrau und Mutter wie auch als Lehrerin im Staatsdienst tätig sein zu können – und schließlich auch noch für das Recht auf eine erfüllte Sexualität. Das war viel, vielleicht zu viel – in ihren Forderungen war Maria Lischnewska unbequem, durchaus streitbar und bildete auch innerfamiliär einen Gegenpol zu ihren Schwestern Clara und Anna, die ebenfalls als Volksschullehrerinnen arbeiteten. Zwar führten alle drei Frauen ihr zölibatäres Leben gemeinsam, die beiden jüngeren Schwestern scheinen sich mit der Lage aber eher arrangiert zu haben und blieben im Schatten eines Staates, der noch über ihr privates Leben bestimmte. Wie die meisten Lehrerinnen zu dieser Zeit waren sie wohl glücklich über die Möglichkeit, überhaupt einen – und zwar einen geliebten und mit einem Bildungsversprechen verbundenen – Beruf ausüben zu können5; die damit verbundenen Bedingungen und Einschränkungen nahmen sie mehr oder weniger schicksalsergeben in Kauf.
Inhaltsverzeichnis
Sonja HäderUlrich Wiegmann(Hrsg.)An der Seitegelehrter Männer1
Titelei4
Impressum5
Inhaltsverzeichnis8
Sonja Häder und Ulrich Wiegmann: Vorwort10
Quellen und Literatur19
Anja Bunzel: Johanna Kinkel als Balladenkomponistin: Rezeptionsgeschichte ex nihilo?20
1. Einleitung20
2. Rezensionen der Lieder22
3. ‚Don Ramiro‘27
4. Fazit: Rezeptionsgeschichte ex nihilo?30
Gedruckte Quellen32
Literatur32
Denise Löwe und Sabine Reh: Das zölibatäre Leben des FräuleinMaria Lischnewska (1854-1938)34
1. Wer waren die Lischnewskas?35
2. Zölibatäre Lebensformen39
3. Reformengagement: Vereinstätigkeiten und öffentliche Auftritte43
4. Scheitern im Kampf gegen das Zölibat – Sterben in Einsamkeit?49
5. Die Kosten einer Lebensform54
Quellen und Literatur55
Holger Kliche: „Wir haben doch unsere Zeit ausgelebt...“59
1. Breslauer Prägung60
2. Beschränkte Aufstiegsmöglichkeiten in Jena63
3. Die Auerbachs im Ersten Weltkrieg67
4. Anna, Elisabeth Förster-Nietzsche und die Frauenfrage70
5. Der Freitod72
Quellen und Literatur73
Matthias Steinbach: „Die Frau ist für den Mann da, der Mann für den Staat …“75
1. Moderne Wilhelminer76
2. Grüblerische Chronistin80
3. Ehe, Vaterland, Weltordnung84
4. Familienleben im Krieg91
5. Umwertung aller Werte „nach unten hin“96
Quellen und Literatur103
Walburga Hoff: Im Zwiespalt zwischen Wissenschaft und weiblicher Kulturmission105
1. Einleitung105
2. Zum Stellenwert empirischer Sozialforschung für das Professionalisierungsprojekt der Wohlfahrtspflege im beginnenden 20. Jahrhundert108
3. Die Interpretation objektiver Daten als methodischer Zugang zur biografischen Fallanalyse110
4. Zur Lebens- und Berufsgeschichte Marie Baums – Analyse der objektiven Daten110
5. Schlussbetrachtungen124
Quellen und Literatur126
Eberhard Demm: Schöne Frauen und große Gelehrte. Zum Heidelberger Liebesreigen in Wilhelminischer Zeit129
1. Einleitung129
2. Die Gelehrten und ihre Ehefrauen129
3. Ehefrau und Geliebte: Else Jaffé-von Richthofen131
4. Max Weber und Mina Tobler (1911-1919)138
5. Die Ménage à trois in Weltkrieg und Revolution (1914-1918)140
6. Die Ménage à Quatre und Mina Tobler (1918-1920)142
7. Wirkten die Geliebten als Musen?144
8. Konklusion: Frauen im Schatten großer Gelehrter149
Quellen und Literatur149
Martina Dlugaiczyk: Tina Haim – Tina Haim-Wentscher – Tina Wentcher: Das Bild der Neuen Frau aus drei Perspektiven151
1. Prolog151
2. Atelierhaus Siegmundshof 11152
3. Mit der Schwester zum Erfolg159
4. Familien-Aufstellung160
5. Von der Lewin-Funcke-Schule ins eigene Atelier161
6. Berlin – München – Berlin – Paris164
7. Künstlerehepaar168
8. Volle Auftragsbücher171
9. Expansion174
10. Hauptgewinn177
11. Ideal artistic partnership178
12. Vom Enemy Alien zum Tina Wentcher Price180
Quellen und Literatur182
Sonja Häder: Subjektformen, Subjektivierungsprozesse und Beziehungsgeflechte:186
1. Problemaufriss186
2. Elisabeth Sträter – Herkunft und Familienleben (1892-1910)188
3. Selbstbildung als Arbeit an sich und Arbeit für andere – Elisabeths Selbst- und Menschenbild formt sich (1910-1915)190
4. Ehejahre 1: Elisabeth und Hans (1915-1961)196
5. Eine neue Konstellation: Elisabeth – Hans – Rosemarie (1955-1961)202
6. Rosemarie Wothge/Ahrbeck: Selbstbehauptung auf dem Weg in die Wissenschaft (1946-1981)210
7. Ehejahre 2: Rosemarie und Hans (1962-1981)218
8. Abschließende Betrachtung222
Quellen und Literatur223
Reena Perschke: Die Felsbildforscherin Erika Trautmann-Nehring (1897-1968)226
1. Kindheit in Westpreußen228
2. Der Erste Weltkrieg und die Vertreibung nach Brandenburg229
3. Ausbildung und Studium in Berlin230
4. Eine eigene Karriere als Felsbildforscherin in Frankfurt/Main232
5. Der Wechsel zum Ahnenerbe der SS in Berlin240
6. Der Impact der Kriegsjahre – Herabstufung von der eigenständigen Forscherin zur Mitautorin252
7. Kriegsverluste und Kriegsende257
8. Das Fortbestehen der Ahnenerbe-Kontakte261
9. Lebensabend und Bestattung in Münster262
10. Fazit: eine Forscherin zwischen Chancen, Politik und persönlichen Entscheidungen265
Quellen und Literatur266
Ulrich Wiegmann: Melorle und ihr Geliebtester. Nach dem Tagebuch der Leonore Alt (1901-2003)271
1. Inseldasein und Gewissensnot275
2. Getrennt an seiner Seite277
3. In der auseinanderstrebenden deutschen Geschichte gefangen286
Quellen und Literatur296
Autor(inn)enverzeichnis298
Rückumschlag300

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