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Der Sommer war sehr groß

Wie uns das Schicksal über Nacht zu Winzern machte und wir im steilsten Weinberg Europas das Glück fanden.

AutorAngelina Franzen, Kilian Franzen
Verlagbene! eBook
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783963400698
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Die beeindruckende und ermutigende Geschichte eines jungen Paares, das nach einem schweren Schicksalsschlag über Nacht zu Winzern im Weinbaugebiet Mosel wird. Angelina und Kilian Franzen machen Mut, Außergewöhnliches zu wagen und zu vertrauen. Für ihre Arbeit im Calmont an der Mosel - dem steilsten Weinberg Europas - wurden sie 2018 als »Newcomer des Jahres« ausgezeichnet Die Bewirtschaftung und Erhaltung der Weinberge im Calmont an der Mosel ist eine der körperlich anstrengendsten und arbeitsintensivsten Aufgaben, die es überhaupt gibt. Als der Vater von Kilian Franzen durch einen tragischen Unfall im Weinberg ums Leben kommt, werden er und seine Frau Angelina mit Anfang 20 plötzlich und unerwartet Besitzer eines der steilsten Weinberge Europas. Die beiden sind ein Paar, seit sie 13 und er 16 war. Nun stehen sie vor einer großen Entscheidung: Sollen sie es wagen und den Traum des Vaters fortführen? Nicht nur das finanzielle Risiko ist erheblich. Beiden fehlt es vor allem an Erfahrung. Allen Bedenken zum Trotz beschließen sie, alles auf eine Karte zu setzen. Denn Wegducken kommt für sie nicht infrage. Mit Leidenschaft und Passion haben Kilian und Angelina es weit gebracht, wurden für ihre Arbeit als Winzer 2018 als »Newcomer des Jahres« gekürt. 70.000 Flaschen füllen sie mittlerweile pro Jahr ab. Doch der Weg dorthin war steinig: 80-Stunden-Wochen, eine erste Ernte, die aufgrund des Wetters zur Hälfte verfault, hohe Schulden und der Tod der Mutter nur wenige Jahre nach dem Vater ... Die wahre Geschichte zweier Winzer, die hoffen, vertrauen, glauben und lieben.

Angelina Franzen, Jahrgang 1990, ist seit 2013 mit ihrem Mann Kilian verheiratet, mit dem sie schon seit Jugendzeiten an zusammen ist. Die beiden begannen gemeinsam das Studium des Weinbaus und der Önologie, bis sie 2010 den Weinberg der Familie Franzen übernommen. 2015 kam Tochter Emilia auf die Welt. Inzwischen haben sie sich erfolgreich im Weinanbau etabliert: 2018 wurden sie vom Wein- und Lifestyle Magazin Falstaff als 'Newcomer des Jahres' gekürt.

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Leseprobe

»Der Papa ist tot«


ANGELINA Ich erinnere mich noch an den Anruf, als sei es gestern gewesen. Ich bin gerade dabei, das Bad zu putzen – es war in der ersten eigenen Wohnung, die Kilian und ich bezogen hatten, während wir beide in Geisenheim Weinbau studierten –, als ich das Klingeln höre, mir das Telefon schnappe und die Nummer von Kilians Mutter auf dem Display sehe. Sie ruft regelmäßig an, um zu fragen, wie es uns geht, also denke ich mir nichts dabei, als ich sie fröhlich begrüße. Doch schon wenige Augenblicke später merke ich, dass es diesmal kein netter Plausch werden wird. Iris ist völlig außer Atem, ihre Stimme klingt zitterig, überschlägt sich, sie weint: »Angelina … es ist … ein Unfall … Kilians Papa hatte einen Unfall … Ihr müsst kommen, beide, sofort!« Dann legt sie auf. Mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf: Was heißt Unfall? Ist Uli verletzt? Wie schlimm ist es? Was ist überhaupt passiert? Sofort versuche ich, Kilian auf dem Handy zu erreichen. Mir ist klar, dass es schwierig werden wird, da er gerade Vorlesung hat.

»Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar.« Klar! Er hat das Handy ausgeschaltet. Hektisch wähle ich die Nummer eines gemeinsamen Kommilitonen, Philipp. Der müsste ebenfalls in der Vorlesung sitzen. Aber auch der geht nicht ran. Vielleicht Julia? Diesmal habe ich Glück. »Hi Angelina, ich kann grad nicht, bin in der Vorlesung«, höre ich die Freundin flüstern und habe Angst, dass sie wieder auflegt, bevor ich etwas sagen kann. Bitte bleib dran. »Ist Kilian bei dir? Es ist wichtig.« Einen Moment ist es still, dann sagt sie: »Er sitzt drei Plätze weiter. Ist etwas passiert?«

»Kilians Papa hatte einen Unfall. Ich komme Kilian jetzt holen. Er soll rauskommen. Sag ihm das, bitte. Wir fahren zu ihm nach Hause.«

Auf dem Parkplatz vor der Fachhochschule lasse ich den Motor laufen, während ich auf Kilian warte. Als er einsteigt, fragt er sofort: »Was ist los?« Ich bin unsicher, was ich sagen soll. So genau weiß ich es ja selbst nicht. »Deine Mama hat angerufen. Dein Papa hatte einen Unfall. Mehr weiß ich auch nicht.« Kilian reicht das nicht: »Was ist passiert? Ist er verletzt? Was ist passiert?« Ich versuche, ruhig zu bleiben: »Kilian, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir so schnell wie möglich nach Hause müssen.«

Normalerweise brauchen wir mit dem Auto für die 130 Kilometer von Geisenheim nach Bremm etwa 90 Minuten. Dieses Mal dauert die Fahrt kaum eine Stunde. Ich fahre, so schnell ich kann. Als könnten wir das Unglück dadurch eindämmen. Während der Fahrt sprechen wir kein Wort. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Die Zeit scheint wie eingefroren, wir stecken fest zwischen Bangen und Hoffen. Die Stille ist erdrückend. Ich schalte das Radio ein, um ihr etwas entgegenzusetzen, nehme aber kaum wahr, was aus den Boxen kommt. Bis ein Sprecher die regionalen Kurznachrichten liest: »Ulrich Franzen, Steillagenwinzer im Bremmer Calmont, ist tragisch verun… « Schnell schalte ich das Radio aus und schiele zu Kilian hinüber. Hat er etwas gehört? Ich will noch nicht wissen, was passiert ist. Zumindest nicht so. Und schon gar nicht will ich, dass Kilian die Einzelheiten aus dem Radio erfährt. Der tut zumindest so, als habe er nichts bemerkt. Solange wir nichts Endgültiges wissen, besteht Hoffnung. Daran klammern wir uns. Die Schlimmste aller Möglichkeiten sprechen wir nicht aus.

Kurz vor Bremm ist eine Durchfahrt gesperrt, der Verkehr staut sich. Ich brettere kurzerhand über den Grünstreifen an der Schlange der Wartenden vorbei. Endlich sind wir da. Als wir am heimischen Gut vorfahren, ist der Hof bereits voller Menschen: Nachbarn, Freunde, Verwandte, der halbe Ort. Viele mit Tränen in den Augen. Als wir aussteigen, ruhen alle Blicke auf uns, doch niemand spricht uns an. Rasch gehen wir in Richtung Haustür. Schweigend bilden die Menschen eine Gasse für uns.

Drinnen wartet die Familie: Onkel Horst, der Bruder von Kilians Mama; Maximilian, Kilians 18 Jahre alter Bruder; Verena, seine 20 Jahre alte Schwester – und Iris, Kilians Mutter. Sie sitzt auf der Eckbank am Tisch. Ihre Wangen sind tränenüberströmt, als sie zu uns aufsieht und uns schluchzend das letzte bisschen Hoffnung nimmt: »Der Papa ist tot.«

*

KILIAN Nachdem wir die anderen begrüßt, uns umarmt und erste Tränen vergossen haben, sitzen wir gemeinsam am Esstisch. Mama berichtet von dem, was sie über das Unglück weiß. Die Nachbarn haben es berichtet: Papa wollte Pflanzenschutzmittel in einer der Flachlagen, beim alten Kloster, ausbringen. Als er mit dem Traktor über einen Erdhügel fahren wollte, geriet das Gefährt in Schräglage und kippte zur Seite. Papa ist genau auf einen Rebstock gefallen, der sich in sein Herz gebohrt hat. Als die Nachbarn bei ihm sind, ist es schon zu spät.

Papa war so ein erfahrener Weinbauer. Er hat in den Steilhängen des Calmont gearbeitet, jahrelang, ohne sich auch nur einmal ernsthaft zu verletzen. Und jetzt das. Beim Pflanzenschutzmittel-Ausbringen in einer der Flachlagen. Es klingt derart absurd, wenn es nicht so schlimm wäre.

Auch wenn wir selbst völlig fertig sind, versuchen wir, Mama zu trösten. Uns ist klar, dass es lange dauern wird, bis sie diesen Schicksalsschlag überwunden haben wird.

Gestern Morgen hat Papa noch da drüben auf seiner Bank gesessen, die Zeitung gelesen und mit Mama übers heiße Wetter gesprochen. Auf der Spüle steht noch die Tasse, aus der er am Morgen getrunken hat, da hinten liegt sein alter Pulli, den er oft zum Arbeiten im Weinberg trug, auf dem Schrank steht die Legofigur, die er mir mal für eine gute Note geschenkt hat. Fast ist es, als ob er gleich zur Tür reinkäme und sagt: »War alles nur ein Irrtum, mir geht’s gut!«

Aber er kommt nicht.

Niemand mag jetzt darüber sprechen. Immer wieder setzen wir an, etwas zu sagen, geraten ins Stocken, schauen uns hilflos an.

Irgendwann merke ich, dass ich jetzt einen Moment für mich allein brauche. Ich schleiche mich in mein altes Zimmer, setze mich aufs Bett, vergrabe das Gesicht in meinen Händen und versuche, das Unfassbare zu begreifen: Papa ist nicht mehr da! Tausend Bilder gehen mir durch den Kopf: Papa im Weinberg, mit seiner Arbeitshose, der sonnengegerbten und braun gebrannten Haut, dem konzentrierten Blick, mit dem er sich an den Pflanzen zu schaffen macht. Papa, als er mir zum ersten Mal erklärt, wie man Reben schneidet. Papa abends am Küchentisch, wie er nach getaner Arbeit die Arme auf der Tischplatte faltet, den Kopf ablegt und einfach einschläft. Papa, wie er freudestrahlend unterm Weihnachtsbaum steht, neben ihm eines seiner gigantischen Legobauwerke, die er immer zur Bescherung für uns vorbereitet hat.

Plötzlich merke ich, wie Angelina neben mir sitzt. Ich habe gar nicht mitbekommen, wie sie hereingekommen ist. Ich nehme ihre Hand, und wir schweigen zusammen. Es gibt Dinge, für die es keine Worte braucht!

Als wir am nächsten Morgen aufstehen und ich aus dem Fenster blicke, sieht es so aus, als habe sich nichts geändert. Das Leben im Dorf geht seinen gewohnten Gang: Winzer, die zur Arbeit in die Weinfelder fahren, der Eiermann, der alle paar Meter in den Straßen hält und an den Haustüren schellt, ob jemand etwas haben möchte, eine alte Katze, die von ihrer nächtlichen Tour nach Hause streicht, und der Zeitungsjunge, der die Briefkästen abklappert.

Nur bei uns ist nichts mehr, wie es war.

Während wir in der Küche darüber sprechen, wann wohl der Leichnam freigegeben wird – bei einem solchen Unglück muss dieser erst obduziert werden, hat man uns erklärt – und die Beerdigung stattfinden kann, klingelt immer wieder das Telefon. Die Nachricht von Papas Tod hat sich noch am Abend wie ein Lauffeuer herumgesprochen, im Ort, entlang der Mosel und in der gesamten Weinfachwelt. Nachbarn rufen an, um sich zu erkundigen, wie es uns geht, andere sprechen uns einfach ihr Beileid aus, Journalisten bitten um Daten für die Nachrufe, die sie schreiben wollen. So geht es noch lange Zeit. Es ist bewegend, die Anteilnahme zu erleben. So viele Menschen, die ihn kannten, so viele Menschen, die ihn vermissen.

Während langsam das erste Begreifen einsetzt, taucht mitten in der Trauer eine Frage auf, die noch niemand auszusprechen wagt: Wie soll es jetzt weitergehen? Mit dem Weingut? Mit der Mutter und der Großmutter, die davon leben? Heute, morgen und in den nächsten Wochen? Die Lese, die Abfüllung, die Kundenanfragen – die Arbeit steht ja nicht still. Was jetzt?

Doch Hilfe ist schon unterwegs. Zumindest für den Anfang. Während wir zusammensitzen, öffnet sich die Haustür. Onkel Karl-Heinz und Onkel Jürgen, Papas Brüder, treten ein. Verstohlen schauen sie auf den Boden, dann zu Mama. Onkel Jürgen räuspert sich: »Der Karl-Heinz und ich würden jetzt rauffahren und uns um alles kümmern. Na ja, der Schlepper und der Hänger. Das kann ja nicht da liegen bleiben. Und der Pflanzenschutz muss ja noch fertig ausgebracht werden. Da müssen wir uns beeilen, bevor der nächste Regen kommt, sonst wäscht der alles wieder weg. Wir haben die Lagen zwischen uns aufgeteilt und fahren jetzt los.« Und schon sind sie wieder verschwunden.

Es ist, als hätten sie mit ihrem Besuch eine Lawine der Hilfsbereitschaft losgetreten: Immer mehr befreundete Winzer tauchen plötzlich auf, um uns zu helfen. Auch ihre Frauen kommen mit. Während wir noch sprachlos am Küchentisch sitzen, breitet sich auf dem Hof eine emsige Geschäftigkeit aus: Gemeinsam beratschlagen die Helfer, was zu tun ist, holen sich die Werkzeuge aus der Halle und legen los.

Der Zusammenhalt der Menschen im Ort ist riesig. Eigentlich weiß man das, und doch überwältigt es einen immer wieder. Alle packen mit an,...

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