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E-Book

Der Ton macht die Musik

Erinnerungen

AutorDieter Thomas Heck
VerlagLangenMüller
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783784483627
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Einer der bekanntesten und beliebtesten Moderatoren und Entertainer der Unterhaltungsszene breitet sein Leben aus. Ein spannender Blick hinter die Kulissen der Welt der Schlager, der Lieder , der Spiele und des Films. Ein farbiger Bilderbogen eines Lebens, in dem Langeweile und Routine niemals Platz hatten.

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Leseprobe

1

Es schien, als würde die weiße Sonne die Wattewölkchen zum Gefrieren bringen, und plötzlich tauchte Berlin unter mir auf. Der Pilot legte die Maschine in eine Kurve, und die Flügelspitzen tunkten zaghaft in ein Wolkenband.

Es rüttelte ein wenig.

Für mich ist das Fliegen in gewissem Sinne immer aufregend: Ich hatte nie Angst im Flugzeug, aber ich fühle mich jedesmal so wie ein kleiner Junge, der auf die Kirmes geht. Eine Zeitlang wollte ich unbedingt Pilot werden. Flugzeuge faszinierten mich noch mehr als Autos. Als kleiner Junge blieb ich auf der Straße stehen, wenn hoch oben ein Flugzeug über uns hinwegflog, und starrte der Maschine nach. Einmal sagte ich meinem Vater, daß ich Berufspilot werden wolle. »Das wird nicht klappen, Dieter«, antwortete er, »du siehst nicht gut genug.« Ich weiß nicht, ob meine Kurzsichtigkeit letzten Endes wirklich den Traum vom Fliegen zunichte gemacht hätte, aber wahrscheinlich muß sich jeder Mensch einen heimlichen Wunsch offenlassen, vielleicht eine Art äußerlich nicht sichtbarer, entrückter Hingabe, welche den Sehnsüchten die Zügel schießen läßt.

An jenem 15. Januar 1969, es war ein Mittwoch, saß ich jedenfalls in der kleinen, sechssitzigen Turbopropmaschine der Modern Air von Saarbrücken nach Berlin und beobachtete gebannt jeden Handgriff des Piloten. Er drückte auf den Steuerknüppel und ging allmählich auf 500 herunter. In dem Sitz rechter Hand von mir hatte es sich Truck Branss bequem gemacht. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt und hielt die Augen geschlossen, so als schliefe er. Truck war ein Bär von einem Mann: groß gewachsen, mit einem mächtigen Brustkorb und einem kantigen Schädel, der von dichtem, langsam grau werdendem Haar eingerahmt war. Die Koteletten ließ Truck üppig über die Ohren sprießen. Truck war 1969 der absolute Starregisseur des deutschen Fernsehens. Ein Regisseur, der mit seinen Sendungen Künstler machen oder untergehen lassen konnte. Er besaß einen beißenden Witz, ein geniales Auge für das Optische, und er war manchmal menschenverachtend böse. Truck – ein phonetischer Kunstgriff übrigens, denn von Geburt her hieß er Kurt Branss und drehte den Vornamen einfach um, weil das besser klang – hatte die Attitüden eines russischen Großfürsten.

Truck war geistreich, originell und arrogant. Als einmal ein Reporter von bild und funk in seinem Haus in Kleinblittersdorf war, um ihn zu interviewen, zeigte er ihm eine alte Madonnen-Statue und sagte ungeniert: »Die ist so viel wert wie das ganze Haus.“

Wenn Journalisten in den ersten Monaten etwas über die Hitparade wissen wollten, fragten sie Truck. Zu Hör Zu sagte er damals im Januar 1969: »Ich habe Dieter Heck als Aushängeschild für die Hitparade gewählt, weil er unverbraucht ist und sich im Rundfunk sehr bewährt hat.«

Ich verdanke Truck Branss tatsächlich eine ganze Menge. Er war damals der TV-Profi, er war der Motor der Hitparade. Wahrscheinlich wäre ohne ihn gar nichts gegangen. Truck hatte zu jener Zeit phantastische Fernsehporträts von Françoise Hardy, der Knef, Alexandra, Jean Claude Pascal und Katja Ebstein gemacht. Er war Sängerknabe und sollte Schauspieler werden, doch dann lernte er beim neugegründeten Fernsehen Kameramann und stieg zum Regisseur auf. Als ich von Radio Luxemburg zur Europawelle des Saarländischen Rundfunks wechselte, traf ich Truck hin und wieder in der Kneipe unterhalb des Haiberges. 1967 begann ich beim Saarländischen Rundfunk mit der »Deutschen Schlagerparade«, einer Sendung, die auf der damals revolutionären Idee basierte, ausschließlich deutschsprachige Musik zu präsentieren, während überall anders zu jener Zeit die Platten der Beatles, der Rolling Stones oder der Bee Gees rauf und runter gespielt wurden.

Die Schlagerparade kam jeden Samstag zwischen 16 Uhr und 17 Uhr, und entgegen allen Prophezeiungen von Rundfunkfachleuten, die mir einen schrecklichen Absturz vorhersagten, wurde die Sendung äußerst populär, so daß ich jede Woche zwischen 7000 und 8000 Zuschriften bekam und mit der Zeit gar nicht mehr daran zu denken war, die ganze Post zu beantworten.

Ich hatte zwar durch meine Arbeit in Luxemburg und in Saarbrücken eine Menge Hörfunk-Erfahrung, auf dem Gebiet des Fernsehens war ich damals ein völlig unbeschriebenes Blatt. Nachdem meine Idee, deutsche Hits in einer eigenen Schlagerparade vorzustellen, mit der Zeit auch vom Norddeutschen Rundfunk, später in Baden-Baden und schließlich noch vom Bayerischen Rundfunk kopiert wurde, überlegte ich, ob man solch eine Sendung nicht im Fernsehen versuchen könnte.

Als ich Truck Branss einmal darauf ansprach – ich kannte seine Fernseh-Features und bewunderte ihn sehr war er nicht abgeneigt, sich für die Hitparade einzusetzen: »Wir müssen natürlich zuerst zu unserem Haussender, dem Saarländischen Rundfunk, gehen und denen die Idee anbieten«, sagte er. »Wenn die ARD nicht mitspielt, gucken wir uns nach etwas anderem um.«

Truck gab mir damals zu verstehen, daß er meine Schlagerparade nicht gerade umwerfend fände, weil er eher Geschmack an klassischer Musik habe, aber er war vom Erfolg – immerhin hörten mir innerhalb von wenigen Wochen bereits mehr als zwei Millionen Menschen regelmäßig zu – der Sendung fasziniert. Eines Tages, ich wohnte damals mit meiner ersten Frau und den beiden kleinen Söhnen in Riegelsberg bei Saarbrücken, rief Truck Branss an. Er hatte die Gewohnheit, Leute, die er mochte, gleich jovial zu duzen: »Hör mal, mein Junge«, fing er an, »ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich. Welche möchtest du zuerst hören?«

»Die schlechte, Herr Branss«, antwortete ich.

»Na gut. Dann die schlechte ... die Schlagerparade bei der ARD kannste dir aus dem Kopf schlagen, Jungchen, die Herren wollen nicht mitziehen.«

Ich zog unwillkürlich die Schultern hoch und faßte den Telefonhörer fester: »Und jetzt noch die gute Nachricht, Herr Branss ...«

Er kostete die Spannung voll aus. Sekundenlang blieb es still. Dann sagte er: »Aber Herr Dr. Heinz Oepen, der Unterhaltungschef vom ZDF, ist äußerst interessiert. Der möchte die Sache machen.«

In den folgenden Wochen war ich von dem Gedanken besessen, eine eigene Fernsehsendung zu bekommen. Jeder Mensch hat in seinem Leben eine ganze Reihe von Chancen, die er nützen oder vorübergehen lassen kann. Es sind die Weichen auf einer engmaschigen Bahnstrecke: Du gehst entweder in die eine oder in die andere Richtung, aber wenn du das falsche Gleis wählst, kann es sein, daß es dich noch Jahre danach bitter reut.

Ich weiß heute nicht mehr zu sagen, ob ich tatsächlich das wirkliche Ausmaß der glücklichen Gelegenheit, die sich mir damals bot, erkannt habe. Aber ich erinnere mich, daß ich mächtig aufgeregt war und pedantisch versuchte, auch die kleinsten Fehler und Widrigkeiten von vornherein auszumerzen. Ich hatte wenig Erfahrung vor der Kamera: Außer meinem Auftritt bei Peter Frankenfelds »Toi, toi, toi«, einer Sendung für Nachwuchskünstler, und einem mehr oder weniger geglückten Auftritt als Sänger bei der Vorentscheidung zum Grand Prix d’Eurovision 1961 sowie einem Auftritt bei der »Aktuellen Schaubude« mit Werner Baecker war ich noch nie im Fernsehen gewesen.

Truck Branss vermag zwei Dinge mit einer geradezu atemberaubenden Souveränität zu bewerkstelligen: Er schafft es, mit ein paar treffenden Sticheleien auch sehr selbstbewußte Künstler blitzschnell zu zermürben. Auf der anderen Seite besaß er die Fähigkeit, flammende Begeisterung zu wecken. Ich konnte an diesem mächtigen Mann etwas spüren, das über die übliche Einstellung zum Beruf hinausging: eine beinahe gewalttätige Kraft. Ein Mann, dem die Show über alles ging.

Wenn wir in seinem Büro waren und über die bevorstehende Sendung redeten, schritt er heftig gestikulierend herum. Wenn Fotografen kamen, legte er seinen Arm um meine Schultern und führte mich auf und ab, während er auf mich einredete. In den alten Magazinen von damals kann man Dutzende solcher Bilder sehen: Der Meister weist seinen gelehrigen Schüler in die Geheimnisse des Fernsehens ein. Und er kümmerte sich wirklich um jede Winzigkeit. Einmal sagte er: »Sieh mal, Junge, ich will ganz offen sein – du läufst wie ’ne Vogelscheuche rum. Dein Anzug ist zickig, deine Schuhe sind das letzte, und die Haare mußt du dir auch schneiden lassen.« Er kostete seinen Angriff genießerisch aus.

Meine Nasenflügel zuckten.

Dann zog Truck die Augenbrauen zusammen und musterte mich. Ich hatte mir zu der Zeit einen Kinnbart wachsen lassen. Das war Ende der 60er Jahre äußerst schick, und ich war stolz auf den Bart.

»Der verdammte Bart muß weg«, sagte Truck.

»Sie können alles von mir verlangen, aber das werde ich nicht tun. Mir gefällt der Bart.«

Er lehnte ab, weiter über die Angelegenheit zu sprechen. Er schaffte es sogar, die Rasur in eine Sendung einzubauen, die unsere Hitparade ankurbeln sollte, und damit das Interesse an der ZDF-Sendung noch mehr anzustacheln. Ich mußte Ende 1968 in der »Starparade« bei Rainer Holbe auftreten und die Zuschauer fragen, ob sie mich mit oder ohne Bart sehen wollten. Am Ende kamen Berge von Briefen, und die Reaktion der Leute war so, wie Truck Branss es vermutet hatte, mein Bart mußte weg. Ein Zuschauer aus Detmold schrieb: »Beim Fernsehen müssen Sie so und so Haare lassen, Herr Heck«, und aus Heidelberg bekam ich einen Brief, da schrieb eine Frau: »Männer mit Bart sind Spinner!« Als ich mir meinen Bart abrasieren ließ, ließ sich dann Truck Branss einen wachsen.

Ich gab anfangs immer nach. Ich war bereit, seine Auffassung...

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