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E-Book

Der Traum vom Frieden zwischen Mensch und Tier

Eine christliche Tierethik

AutorMichael Rosenberger
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641169572
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Tiere haben teil an der Auferstehung und am ewigen Leben, auch sie sind gesegnet und frei in der Liebe Gottes geboren. Aufgrund dieser Prämisse können und dürfen wir Tiere als gleichwertige Mitgeschöpfe wahrnehmen und damit endlich ein glückliches, würdevolles Miteinander leben.

Prof. Dr. Michael Rosenberger, geb. 1962, lehrt Moraltheologie an der KTU Linz. Seit 2004 ist er Mitglied der Gentechnik-Kommission beim österreichischen Bundesministerium für Gesundheit und Frauen und Umweltsprecher der Diözese Linz. Er leitet die 'Interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung'.

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Leseprobe

WIE EINZIGARTIG JEDES TIER IST

Vorahnungen unendlicher Vielfalt

Im Mai 2009 veranstaltete ich für Studierende unserer Universität eine Exkursion zur Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal. Die Forschungsstelle betreibt viele Projekte mit unterschiedlichen Tierarten. Doch schon aus Verehrung für ihren Gründer Konrad Lorenz spielen die Graugänse noch immer eine besondere Rolle. Dr. Josef Hemetsberger, der uns den Tag über begleitete, schlug vor, dass die ExkursionsteilnehmerInnen zuerst einmal eine Stunde lang eine individuelle Graugans ihrer Wahl beobachten sollten. Dabei sollten sie deren Verhalten möglichst genau aufschreiben. Nun könnte man meinen, dass die Theologiestudierenden, ungeübt wie sie waren, »ihre« Graugans im Gewimmel der rund hundert ArtgenossInnen schnell aus den Augen verloren. Jedoch hat in Grünau jede Graugans verschiedenfarbige Ringe an den Füßen, ist also auch für Ungeübte individuell erkennbar, wenn man sich nur die Farben merkt. Doch spätestens nach zehn Minuten brauchten die Studierenden den Kontrollblick auf die beringten Füße gar nicht mehr. Sie erkannten »ihre« Gans davon unabhängig an ihrem Erscheinungsbild – ihrem Gefieder, ihrer Körpergestalt, ihrer Kopfform – und an ihrem Verhalten. Zehn Minuten reichten, um die Einzigartigkeit der beobachteten Gans zu erfassen und wenigstens grob beschreiben zu können.

Hätte die Aufgabe darin bestanden, einen von hundert Menschen zu beobachten, hätte es vermutlich nicht verwundert, dass die BeobachterInnen nach zehn Minuten nicht mehr auf die Farbe der Hose und der Jacke achten, sondern auf das Gesicht, den Gang, die Gestik und das Verhalten. Dass dasselbe aber auch bei Tieren, noch dazu bei Vögeln, möglich ist, die keine besonders nahen Verwandten des Menschen sind, dürfte manchen überraschen. Doch warum sollten nichtmenschliche Tiere weniger Individualität besitzen als die Individuen der Gattung homo sapiens?

Erste Erkenntnisse über die Individualität von Tieren

Die Individualität von Tieren ist noch wenig erforscht. Bisher richtete sich die Aufmerksamkeit der Naturwissenschaften mehr auf das Allgemeine, das Artspezifische, als auf das Individuelle. Dennoch haben die Forschungen der letzten Jahrzehnte erste Erkenntnisse zutage gebracht 39 . Entscheidend für diese war der Paradigmenwechsel der Evolutionsbiologie in den 1960er Jahren, der das Individuum und nicht mehr die Art als treibenden Faktor der Selektion und damit der Evolution identifizierte.

Um den individuellen Charakter eines Tieres zu erheben und zu beschreiben, werden in der Biologie vielfach dieselben Parameter angewandt wie beim Menschen. Dabei spielen die »Big Five« der Persönlichkeitspsychologie eine zentrale Rolle, die fünf Hauptmerkmale der Persönlichkeit: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen (openness to experience), Gewissenhaftigkeit (conscientiousness) und Verträglichkeit (agreeableness). Für die Biologie entscheidend ist, dass diese fünf Faktoren die menschliche Persönlichkeit weltweit und unabhängig von Kultur oder Geschlecht definieren. Daher werden sie »zunehmend auch in der bio-psychologischen Forschung, etwa im Bereich Mensch-Tier-Beziehung eingesetzt.« 40

Mittlerweile wird Individuen vergleichende Forschung seit mehr als zwanzig Jahren an Dutzenden Tierarten unterschiedlichster Komplexität betrieben, vom Wasserläufer bis zum Schimpansen. Da diese Forschung die Individuen von außen beobachtet und ihnen nicht wie Menschen einen Fragebogen vorlegen kann, dessen Beantwortung das innere Befinden widerspiegelt, konzentrieren sich die meisten Versuche auf zwei der »Großen Fünf«, nämlich Extraversion und Offenheit für Erfahrungen. Untersucht wird, ob die Tiere eher »reaktiv« oder »proaktiv«, »schüchtern« oder »mutig«, »langsam« und zögerlich oder »schnell« sind. Proaktive, mutige und schnelle Tiere weisen dabei meist auch andere konstante Verhaltensneigungen auf.

»Es handelt sich also um ›Verhaltenssyndrome‹, die auch als Ausprägungen der Persönlichkeit im Umgang mit den Herausforderungen der sozialen, ökologischen und physikalischen Umwelt interpretiert werden können.« 41

Sind diese konstanten Verhaltensneigungen ererbt oder erlernt? Beim Menschen schätzt die Persönlichkeitspsychologie den genetischen Einfluss auf den Charakter auf etwa 50 %. »Angeborene« Dispositionen werden in der Auseinandersetzung mit Umweltbedingungen lebenslang geformt und gewandelt. Individuen lernen durch die Widerfahrnisse ihres Lebens und entwickeln dadurch ihren Charakter kontinuierlich weiter. Die eigene Persönlichkeit ist also weder völlig »angeboren« noch völlig »anerzogen«, sondern entfaltet sich in einem ständigen Wechselspiel genetischer und sozialer Einflüsse. An der charakterlichen Verschiedenheit eineiiger Zwillinge lässt sich dies auch für Laien sehr einfach ablesen. – Das Gesagte gilt analog bei Tieren: Genetische und soziobiografische Faktoren beeinflussen sich wechselseitig und sind gemeinsam für die tierliche Individualität verantwortlich.

Die eigene Individualität ist für Tiere ebenso folgenreich wie für Menschen. Sie bestimmt nicht nur ihre Gewohnheiten im Alltagsverhalten, sondern beeinflusst sämtliche sozialen Beziehungen. Letztlich ist sie auch für die Wahl von SexualpartnerInnen und FreundInnen verantwortlich. Tiere sind hier mitunter nicht weniger wählerisch als Menschen. Ihre sexuelle Aktivität folgt nicht mehr und nicht weniger als die menschliche einem »triebhaften« Automatismus, und nicht selten nutzen umworbene Tiere wie umworbene Menschen die Möglichkeit zur Ablehnung sexueller Kontakte. Das gilt ebenso für Freundschaften. FreundInnen müssen charakterlich zusammenpassen. Nicht jedes Individuum ist als FreundIn für jedes andere geeignet. Das können soziale Tiere ähnlich gut wahrnehmen und in Vorzugsentscheidungen umsetzen wie Menschen.

Haben Tiere dann auch eine »Persönlichkeit«? Darf man von einer »Tierpersönlichkeit« sprechen, oder ist diese Bezeichnung zu anthropomorph, zu vermenschlichend? Eine eingehende Diskussion des Begriffs ist bisher nicht geleistet worden. Wenn man allerdings die klassische philosophische Definition der »Person« als einer »zugrundeliegenden Beziehung« annimmt und davon ausgeht, dass sich die individuelle Persönlichkeit aus Beziehungen und Rollenzuschreibungen heraus entwickelt, ist der in der Anthropologie etablierte Begriff durchaus analog auf Tiere anwendbar. »Persönlichkeit« meint dann die unverwechselbare Einzigartigkeit eines tierlichen Individuums in seinem Charakter, seinem Verhalten, seinen Beziehungen und seiner Lebensgeschichte. Diese Einzigartigkeit steht in einem Spannungsverhältnis zu den allgemeinen Bestimmungen jedes Tieres, die es gemeinsam mit allen Individuen seiner Art teilt 42 .

Wiederum: Einen bisher dem Menschen reservierten Begriff auf das Tier zu übertragen, nimmt dem Menschen nichts weg. Im Gegenteil: Richtig verstanden wird die Rede von der Tierpersönlichkeit alle Vorstellungen von der menschlichen Persönlichkeit noch großartiger und vielschichtiger erscheinen lassen. Zudem wird sowohl evolutionsbiologisch als auch anthropologisch deutlicher, welche Komponenten eine menschliche oder tierliche Persönlichkeit ausmachen, wie ihre Entwicklung vonstattengeht und welche Relevanz sie für das Zusammenleben mit anderen Persönlichkeiten hat.

Tiere beim Namen nennen

So wie der moderne Mensch seine eigene Individualität und Persönlichkeit und die seiner Mitmenschen aus dem Blickwinkel des Einzigartigen und Unverwechselbaren wahrnimmt, tut er dies ebenso bei Tieren. Aber selbst wenn dieses Wahrnehmungsmuster in der Moderne mit ihrer Subjektzentrierung eine Intensität und Bedeutsamkeit erreicht hat wie nie zuvor in der abendländischen Geschichte, ist es doch keineswegs völlig neu. Auch in frühen Texten und Kunstwerken der abendländischen Geistesgeschichte wird mitunter bereits deutlich, dass sie das Besondere im Unterschied vom Allgemeinen zu erfassen und zu würdigen suchen. Und dies gilt sowohl für die Wahrnehmung von Menschen als auch für die Wahrnehmung von Tieren.

Ein Medium, in dem die Einzigartigkeit eines Individuums ausgedrückt wird, ist der Eigenname 43 . Seit sehr früher Zeit ist die Namensgebung für individuell wahrgenommene Tiere belegt. Man denke nur an Argos, den Hund des Odysseus, von dem Homer schon im 8. Jahrhundert vor Christus erzählt und dessen Charakter er weit ausführlicher darstellt als den mancher Menschen 44 : Argos sei von Odysseus selbst erzogen und als Jagdhund genutzt worden, schnell im Lauf, voller Kraft, mit hervorragender Spürnase. Doch während der langen Abwesenheit seines Herrn sei er ohne menschlichen Betreuer gewesen, der sich um ihn kümmert, und habe im Mist der verwahrlosten Rinder gelebt, das Fell voller Ungeziefer. Jetzt ist er, obgleich altersschwach, der Einzige, der seinen ebenfalls geschundenen und alt gewordenen Herrn wiedererkennt. Er wedelt mit dem Schwanz, senkt die Ohren – und stirbt. Zärtlicher und individueller als Homer kann man von einem Hund nicht sprechen.

Häufiger wird die Nennung von Tiernamen allerdings erst ab dem 16. Jahrhundert:...

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