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E-Book

Der Unwohlfahrtsstaat

Hat unser System noch Zukunft?

AutorPeter Rabl
VerlagChristian Brandstätter Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783850339544
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Der österreichische Wohlfahrtsstaat kostet immer mehr, aber seine Leistungen nehmen seit Jahren kontinuierlich ab. In den kommenden 20 Jahren steht unser System vor einer nahezu unlösbaren Herausforderung: Der Staat steht unter starkem Druck, seine Ausgaben zu senken, gleichzeitig erreichen mit der Babyboom-Generation Hunderttausende Menschen mehr als im Schnitt vergangener Jahrzehnte das Pensionsalter - kombiniert mit wachsender Lebenserwartung. Gleichzeitig sinkt durch geburtenschwache Jahrgänge die Zahl der Erwerbsfähigen, und selbst für diese sind die Aussichten auf Jobs durch die rasante Veränderung der Arbeitswelt und angesichts schwachen Wirtschaftswachstums eher düster. Die digitale Revolution macht viel mehr Arbeitsplätze überflüssig, als sie neue schafft. Massen­haft prekäre Arbeitsverhältnisse statt Fulltime-Jobs reduzieren die Beitragsleistungen für den Sozialstaat und damit gleichzeitig die Pensionen der jetzt Aktiven. Altersarmut wird, vor allem für Frauen, zur realen Bedrohung. Die vorwiegend auf den nächsten Wahltermin fixierte Politik verdrängt die Probleme der kommenden zwei dramatischen Jahrzehnte für Millionen direkt betroffene oder bedrohte Bürger. Durch 'Schönreden statt Probleme lösen' droht uns ein Un-Wohlfahrtsstaat. Dabei kann aber noch viel getan werden für den Erhalt eines einigermaßen leistungsfähigen Wohlfahrtsstaates: Wenn man nur will.

Peter Rabl, Jahrgang 1948, prägte die journalistische Landschaft Österreichs in verschiedenen Positionen mit: Sendungsleiter und Moderator für ORF-Politmagazine, Chef des profil, viele Jahre Herausgeber des Kurier. Er kommentiert das Zeitgeschehen auf seinem Blog (derRabl.at).

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1LIEB, ABER IMMER TEURER


Frösche merken es nicht, wenn das Wasser langsam erhitzt wird, in dem sie schwimmen. Die Österreicher wollen es in ihrer großen Mehrheit nicht wahrhaben, dass es mit ihrem Wohlfahrtsstaat bergab geht, der ihnen vergleichsweise zu den meisten anderen Menschen auf der Erde ein sicheres Leben im kleinen Wohlstand garantiert.

Auf einer zehnstufigen Skala zwischen „überhaupt nicht zufrieden“ und „vollkommen zufrieden“ stufen in einer Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2014 („Wie geht’s Österreich“) unsere Landsleute ihre Lebenszufriedenheit mit rekordverdächtigen 7,8 im Schnitt ein. Der Wohlfahrtsstaat österreichischer Prägung hat an dieser kuscheligen Selbsteinschätzung zweifellos einen ganz großen Anteil. Unser über Jahrzehnte steigender Wohlstand bis zu einem Platz unter den reichsten Ländern der Erde wäre ohne das breit ausgebaute und gefächerte Sozialsystem nie erreichbar gewesen.

Über sieben Jahrzehnte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ein staatliches Netz geknüpft, das über den engeren Begriff eines Sozialstaates inzwischen weit hinausreicht. Die Sozialversicherungen sichern die Beitragszahler und ihre Familien mit Pensionen und Leistungen bei Krankheit, nach Unfällen oder in der Arbeitslosigkeit ab. Die sozialen Leistungen des Staates gehen darüber hinaus. Er regelt per Gesetz die Verhältnisse in der Arbeitswelt, fördert Familien, finanziert das Gesundheitswesen, bekämpft über Transferleistungen die Armut und bezahlt das Bildungssystem. In der langen Ära des Kanzlers Bruno Kreisky kamen in den 70er-Jahren zu diesen klassischen Leistungen starke Elemente aus dem Modell des skandinavischen Wohlfahrtsstaates wie Geburtenbeihilfe oder die Gratis-Schulbücher und die Schulfreifahrten. Bis in die 90er-Jahre, etwa mit der Einführung des Pflegegeldes, wurde der Wohlfahrtsstaat mit seinen Leistungen immer breiter.

Es stimmt daher schon, was der SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann zum 70-jährigen Jubiläum seiner Partei im April 2015 stolz verkündete: „Österreich bietet Sozialleistungen, wie dies nur ganz wenige Staaten auf der Welt können.“ Nicht ausgesprochen wurde die andere Seite der Medaille: „Die Österreicher zahlen so hohe Steuern und Abgaben, wie dies nur in wenigen Staaten auf der Welt üblich ist.“

VATER STAAT VERTEILT 88 MILLIARDEN IM JAHR

Der Wohlfahrtsstaat ist uns nachhaltig lieb, aber er wird halt immer teurer. Die Ausgaben für Soziales stiegen seit dem Jahr 2000 im Jahresschnitt mit 3,8 Prozent doppelt so rasch wie die gesamte Wirtschaftsleistung. Die Sozialquote, also der Anteil der Ausgaben für Soziales am gesamten Bruttoinlandsprodukt (BIP), stieg auf 30 Prozent.

Die gesamten Transferzahlungen für Soziales und Gesundheit sind seit 2000 von rund 35 Prozent der Staatsausgaben auf mehr als 45 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Fast 34 Milliarden Euro hat der Staat an Steuern und Abgaben kassiert, um sie dann wieder zu verteilen.

Noch beeindruckender sind die Vergleichszahlen für den Gesamtstaat, also neben dem Bund jene der Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen. Rund 160 Milliarden hat das Unternehmen Österreich im Jahr 2013 ausgegeben. Durch die öffentlichen Hände geht damit mehr als die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes. Mit fast 55 Prozent fließt der größte Teil dieser öffentlichen Ausgaben als Transferzahlungen an private Haushalte. Teils als Geldleistung, zum anderen Teil als soziale Sachleistungen von Gesundheitsversorgung über Kindergärten bis zu Gratis-Schulbüchern. Insgesamt sind das staatliche Sozialleistungen in Höhe von fast 88 Milliarden Euro, ergibt pro Kopf der 8,5 Millionen Österreicher 10.350 Euro pro Jahr.

Die gute Nachricht ist, dass damit ein hohes Maß an sozialem Ausgleich und eine sehr erfolgreiche Bekämpfung von Armut erreicht werden. Ohne Transfers wären 44 Prozent der Österreicher unter der Schwelle der Einkommensarmut, die zum Beispiel für eine Einzelperson bei knapp 1.100, für einen Paarhaushalt bei 1.600 oder für eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern bei 1.700 Euro liegt. Nach der großen Bescherung der staatlichen Umverteilung sind vergleichsweise moderate 12 Prozent unter dieser Schwelle.

Die schlechte Nachricht ist, dass fast 40 Prozent der Einnahmen aller Haushalte (im unteren Drittel sogar über 80 Prozent) aus solchen staatlichen Transfers kommen, im Schnitt der OECD-Staaten macht diese Rate dagegen nur 22 Prozent aus. Damit ist Österreich absoluter Spitzenreiter in der Abhängigkeit seiner Bürgerinnen und Bürger von „Vater Staat“.

Inwieweit dieses Übermaß an staatlicher Fürsorge vernünftig und zielgerecht ausgegeben wird, lässt sich mangels einer detaillierten Übersicht über alle Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden nicht präzise prüfen. Vom Rechnungshof immer wieder aufgezeigte Zwei- und Mehrgleisigkeiten bei diversen Förderungen deuten jedenfalls auf einen ziemlich hohen Anteil unsinniger und unsinnig teurer Fehlleitungen der Transferleistungen hin.

So beschrieben beispielsweise die Rechnungskontrollore nach Untersuchung der Familienleistungen von Bund und den Ländern Kärnten, Oberösterreich und Salzburg im Jahr 2011 die herrschenden Zu- oder besser wohl Missstände: „Insgesamt 117 eigenständige Familienleistungen befanden sich im Leistungsspektrum der vier Gebietskörperschaften. Im Bund waren sieben Ressorts für den Vollzug der Familienleistungen zuständig, in den Ländern jeweils mehrere Abteilungen der Ämter der Landesregierung. Eine gesamthafte Abstimmung zwischen den Gebietskörperschaften erfolgte nicht. Auch eine genaue Übersicht, welche Leistungen in welcher Höhe eine Familie insgesamt bezog, gab es nicht. Die Folge waren strukturelle Parallelitäten und Überlappungen von Leistungen: Allein im Bund knüpften zehn verschiedene Leistungen an den Lebenssachverhalt ‚Schwangerschaft/Geburt‘, in Kärnten weitere vier, in Salzburg weitere zwei.“

Auch ohne präzise Untersuchungsergebnisse kann man unterstellen, dass die gesamtstaatliche Großzügigkeit in breiten Schichten der Bevölkerung nicht wirklich zu Eigeninitiative und Eigenverantwortung anregt.

Und die ganze schlechte Nachricht betrifft jene rund zwei Millionen Steuerzahler, die mehr in den Transfertopf hineinzahlen, als sie an Leistungen daraus kassieren. Jeder dieser Nettozahler finanziert damit gleich drei Nettoempfänger mit. Was für die Parteien und viele ihrer politischen Entscheidungen besonders interessant ist: Weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten sind Nettozahler. Wen wundert es, wenn sich die großen Parteien in ihrer Sozialpolitik mehr an den Interessen der Mehrheit der Transferempfänger orientieren?

BIS ZUM 25. JULI ARBEITEN WIR FÜR DEN STAAT

Weil wir schon bei den von Politikern so gern zitierten internationalen Rankings sind. Der Brüsseler Thinktank „New Direction“ errechnet jährlich für alle Staaten einen sogenannten „Steuerzahlertag“. Also jenen Tag im Jahr, bis zu dem ein durchschnittlicher Verdiener sein gesamtes Einkommen inklusive Lohnnebenkosten für Lohnsteuer, Abgaben und Mehrwertsteuer abliefert.

In Österreich machte das 2014 rund 56 Prozent Belastung des jährlichen Gesamteinkommens aus. Das ergibt einen Steuerzahlertag 25. Juli, ab dem das Einkommen endlich den geplagten Steuerzahlern gehört. Die Franzosen sind noch ein paar Tage später dran, die Belgier zahlen gar noch zwei Wochen länger. Unter den 28 EU-Staaten ergibt das für Österreich demnach einen traurigen 3. Platz. Vergleichbare Staaten wie Deutschland haben 14 Tage, notorische Hochsteuerländer wie Schweden, die Niederlande oder Finnland haben mehr als einen Monat früher ihre Steuerzahlertage.

Internationaler Spitzenreiter mit 88 Milliarden Euro im Transfertopf, das sollte wohl reichen für einen feinen Wohlfahrtsstaat, möchte man meinen. Theoretisch ja. Aber ebenso theoretisch könnte der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern auch noch mehr abknöpfen. Die rekordverdächtige Abgabenquote von knapp 44 Prozent des BIP liegt zwar sehr deutlich über den Durchschnittswerten der EU-Partner (40 %), aber immer noch sehr deutlich hinter den Franzosen (47,8 %), Belgiern (47,4 %) oder Dänen (46,9 %). Selbst diese hohe Abgabenquote würde aber nicht ausreichen, die Kostensteigerungen im Wohlfahrtsstaat Österreich zukünftig nachhaltig abzudecken.

In den guten wirtschaftlichen Jahren der frühen 70er ließen sich die sozialen Segnungen ja noch relativ leicht finanzieren. Als mit den globalen Ölkrisen 1973 und dann 1979/80 die lange boomende Nachkriegswirtschaft in die Rezession verfiel, brachen in logischer Folge die Staatseinahmen ein, während die Ausgaben für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und für die staatliche Wirtschaftsbelebung stark stiegen.

DER TEUERSTE WAHLSLO GAN DER GESCHICHTE

Der sozialistische Bundeskanzler Bruno Kreisky, persönlich geprägt vom...

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