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Der Weg zu dir selbst

Das kleine Buch des Pilgerns

AutorJakobus (Bruder)
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451336331
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Zahllose Menschen suchen beim Pilgern Ruhe und Stille, Selbstbesinnung und Neuorientierung. Dieses Buch enthält alles, was dabei hilfreich ist, von praktischen Tipps bis zu spirituellen Anregungen und Gebeten - verfasst von einem der erfahrensten Pilgerbegleiter, Bruder Jakobus.

Bruder Jacobus ist seit 24 Jahren Mönch des Benediktinerklosters Beuron an der oberen Donau. Er oganisiert und begleitet Pilgerwanderungen seit vielen Jahren und auf den unterschiedlichsten Routen.

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Leseprobe

Wer sich auf den Weg nach Santiago begibt, den Camino zum »wahren Jakob« im Nordwesten Spaniens, für den verbünden sich Glaubensgeist und Körperkraft, um das gewählte Ziel zu erreichen. – Aus einer noch unbenannten Sehnsucht, die aufleuchtet, sobald Santiago angesprochen wird, wird womöglich eine Glaubensgeschichte werden, die viele Jahre, ja Jahrzehnte unterschwellig schmoren und »verkochen« kann. – In dieser Zeit sind die geistigen Energien und Kräfte eher »eigenwillig«, egozentrisch fixiert. Der Leib geht dabei seine eigenen Wege, seine Kräfte sind noch nicht geistlich geordnet und gerichtet. Dabei entwickeln sich die körperlichen Antriebskräfte entweder überstark und unkontrolliert oder werden unterdrückt und »abgetötet«. Beide Weisen, den menschlichen Körper mit dem Geist zu verbinden, sind noch nicht gelungen, führen so zu Gefühlen des »Nicht-in-Ordnung-Seins«, zu persönlichen und sozialen Konflikten.

Die Harmonisierung von Geist und Körper bringt eine neue Qualität mit sich, die ich Geistleib nennen möchte. Dieser Geistleib reift über verschiedene Entwicklungsstufen bis hin zum Auferstehungsleib, der von Anfang an als Potential in uns angelegt ist. Der Kernpunkt unseres christlichen Glaubens ist ja der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

Das Pilgern, die ganz einfache körperliche, rhythmische Bewegung auf ein geistliches Ziel hin, vermag das Eigentliche wachsen und reifen zu lassen, ohne dass diese komplexen Hintergründe bewusst wären. Die Erfahrung dieses Weges, der auch Heilung für Körper und Psyche bedeutet, ist oft unmittelbar und eindeutig. Die spirituelle Ausdeutung dieses Prozesses freilich bedarf zusätzlicher Bemühung, die als innere Arbeit gewollt sein muss, jedoch von außen unterstützt und begleitet werden sollte.

Die spirituelle Betrachtung des Pilgerns als Reifungsweg kann in verschiedene Phasen und Etappen gegliedert werden, wenn man genauer bei sich hinschauen will. Dass sich dieser Prozess bei unterschiedlichen Menschen verschieden entwickelt, liegt auf der Hand.

Wir sind bereits auf den Sehnsuchtsaspekt (Santiago) eingegangen, der trotz einer inneren Blockade, die viele Jahre, auch Jahrzehnte zu einem Aufschub des entscheidenden ersten Schrittes führen kann, zum entscheidenden ersten Schritt drängt. Das »Irgendwann gehe ich los«, »Irgendwann« ist die Zeit reif für meinen Weg, schlägt um zu dem festen Entschluss, der Sehnsucht, dem Traum Realität zu verleihen. Nun werden alle weiteren mentalen und praktischen Hindernisse aus dem Weg geräumt.

Sicher wäre es sehr nützlich, sich die verschiedenen Widerstände, Ängste und Probleme anzuschauen, die sich dem zum Pilgern Entschlossenen entgegenstellen können.

Dogen Zenji, der Gründer des Soto-Zen in Japan zu Beginn des 13. Jahrhunderts, bezeichnet den »ersten Schritt« auf den ZEN-Weg, der als Herzübung des Buddhismus gilt, als die größte Erleuchtung, als das große Erwachen. Gar nicht zu meditieren und eine erste Meditation zu praktizieren, sei ein Eintreten in eine ganz neue Welt, einen neuen Kosmos. Alle weiteren Schritte sind die logische Folge des ersten Schrittes, auch wenn die Schritte (= Übungen) durch unterschiedliche körperliche, psychische und mentale Schichten führen.

Wenn der erste Schritt des Pilgerns getan ist, der in der mystagogischen Lehre des »Dreischrittes« via illuminativa (Erleuchtungsweg) genannt wird, folgt in der Regel bei vielen Übenden der zweite Schritt, die zweite Phase, die Zeit der Reinigung (via purgativa). Wenn man will, ist diese Weg-Zeit eine Art Purgatorium, ein »Fegefeuer«, in dem der Mensch von Schlacken gereinigt wird. Er kann in vielen Schichten seiner Person nachreifen und muss vielfach innere Widerstände überwinden, wodurch jedoch körperliche, psychische und seelische Kräfte aktiviert, gestärkt und geschult werden. »Und das Wort ist Fleisch geworden« ist die spirituelle Grundbotschaft, von der wir annahmen, dass sie sich in der geistlichen Übung des Pilgerns besonders günstig umsetzen kann. In den Widerständen des Körpers, einzelner Muskelverspannungen bis hin zu Krämpfen, Organschwächen oder Kreislaufschwierigkeiten, kurz in Störungen aller Art, zeigen sich Defizite, die in der Regel beeinflusst, verringert oder beseitigt werden können. Hier ist es an dem Übenden, mit Weisheit und Maß an sich zu arbeiten, seinen Willen und seine Ausdauer einzusetzen. Er darf aber dabei nicht übertreiben und durch zu hartes Vorgehen gegen sich selbst die Grenzen des Erträglichen überschreiten. Sonst werden angeschlagene Organe vollends überlastet, was zu noch schlimmeren Störungen führen kann. Hier ist die Zeit der vielen kleinen Vorund Rückschritte, die Zeit, wo Geist und Körper sich immer besser, tiefer und harmonischer einschwingen, die Zeit einer subtilen, aber sehr tief greifenden »Neugeburt« des ganzen Körpers, eines Muskels oder eines Organs. Nach meiner Erfahrung aus vielen Übungsjahren in der Meditation wie auch im praktischen Pilgern ist diese »Inkarnation« die Voraussetzung der Auferstehung, der Erlösung des Menschen aus seiner Geschöpflichkeit zu seiner ursprünglichen Bestimmung.

Dieser Pilgerweg der Befreiung freilich ist lang für denjenigen, der nur Schritte zählt, für den, der nur Kilometer zählt, Orte abstreicht und Buch führt.

Ein natürlicher Weg beginnt üblicherweise an einem konkreten Ort, z. B. an der Kirche, dem Rathaus, dem Stadttor oder am eigenen Haus. Der Jakobsweg als ein Pilgerweg jedoch hat noch eine andere Dimension, da er als geistlicher Weg einen inneren Aufbruch voraussetzt. Und dieser innere Aufbruch kann zeitlich von dem äußeren Aufbruch divergieren. Vom ersten Lesen und Hören über das Pilgern im Allgemeinen oder den Berichten konkreter Pilgererfahrungen anderer bis zur ersten Idee, sich selber auf den Weg zu machen, kann eine lange Zeit verstreichen. Eine weitere lange Zeit kann verstreichen, bis sich aus der persönlichen Idee ein konkreter Zeitpunkt ergibt. Ist es für den einen die Zeit nach einer Prüfung, nach Beendigung der Berufstätigkeit oder einer persönlichen Krise, so ist für manch anderen das Angebot einer Gruppe, eines Reiseveranstalters der Anlass, sich auf den Weg zu machen. Wenn wir also fragen »Wann beginnt der Jakobsweg?«, versuchen wir in die Psyche, ja in noch tiefere Schichten des Menschen hineinzuhorchen.

Schon der heilige Ordensgründer und Mönchsvater Benedikt von Nursia (480550) beginnt seine geistliche Rede mit dem Wort »Höre ...«. Liest man ein wenig weiter, lernt man, dass es hier nicht um das akustisch äußere Hören, sondern um das mentale, spirituelle innere Horchen geht: »Höre, mein Sohn, auf die Worte des Meisters. Neige das Ohr deines Herzens.« Die Menschen aller Zeiten und Kulturen sind meist so mit dem Bewältigen ihres Lebensalltags in Familie und Beruf belastet oder in leidvolle Prüfungen, Krisen und Konflikte verwickelt, dass das Ohr des Herzens überlastet oder verstopft erscheint und die feineren Lebensmelodien nicht wahrnehmen kann. Immer wieder aber spüren Menschen in Situationen der Not, der Freude oder Liebe, dass jenseits der alltäglichen strengen Pflichten eine andere Stimme ruft: »C’est la voix de Compostelle – Das ist die Stimme von Compostela« heißt es in unserem Pilgerlied. Die Melodie können wir als Sehnsucht beschreiben, als eine Stimme, die uns auf den Weg des Lebens rufen will. Das Hören auf die innere Stimme führt den Menschen zwar aus der Überlastung seiner Alltagsbewältigung hinaus ins Weite, aber nicht um ihn in den Raum einer vorgestellten Freiheit zu entlassen, sondern um ihn in das Übungsfeld einer neuen, weiter gefassten Balance des Lebens zu führen. Der schwierigste, aber entscheidende Schritt ist die Verbindung von neuen Weg- und Lebenserfahrungen mit den bisherigen Prozessen im Alltag.

Ist es nicht vermessen, ja größenwahnsinnig, sich auf einen Weg zu machen, der rund 2400 Kilometer lang ist? Von München nach Hamburg sind es ungefähr 1000 Kilometer. Diese Strecke mit dem Auto zurückzulegen überlegt man sich schon gründlich und denkt an das Flugzeug, das zwei Stunden braucht. Und die Strecke von zweieinhalbmal so vielen Kilometern soll man nun zu Fuß, Schritt für Schritt bewältigen, um von Süddeutschland nach Nordwestspanien zu gelangen? Da mag manchem das Herz verzagt werden. Beginnt man jedoch kühlen Kopf zu bewahren und Zahlen sprechen zu lassen, reduziert sich die Unmöglichkeit auf ein Organisationsproblem.

Zwanzig bis 25 Kilometer pro Tag kann die Pilgerin, der Pilger schaffen, vor allem, wenn der Weg gut beschrieben und gekennzeichnet ist. 100 bis 125 reine Gehtage lassen sich dann errechnen mit einigen Ruhetagen, also 120 bis 150 Tage für denjenigen, der den ganzen Weg in einer Etappe gehen will. 240 bis 300 Tage jedoch für diejenigen, die ganzheitlich denken und auch den Rückweg einplanen. Kalkuliert man 25 Euro pro Tag, dann ergeben sich bei 120 Tagen 3000 Euro, mit Rückweg 6000 Euro, bei 150 Tagen 3750 bzw. 7500 Euro.

 

Aus all diesen Überlegungen entwickelten sich folgende Jahresetappen:

1999  Kennenlernen: Beuron – Meßkirch

2000  »Probelauf«: Beuron – Überlingen

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