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E-Book

Der weiße Fleck

DDR, Hohenschönhausen

AutorIvanka Penjak
VerlagHirnkost
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783945398982
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Aus dem Vorwort: Von März bis Dezember 2017 traf und fotografierte ich ehemalige politische Gefangene in der Gedenkstätte und in ihrem privaten Umfeld und ließ sie ihre Geschichten erzählen. Dokumentarische Aufnahmen des Sperrgebiets HSH geben einen Eindruck über die Räume, in denen die Gefangenen in Isolationshaft saßen und von der Staatssicherheit (Stasi) verhört wurden. Die Fotos von heute zeigen das, was damals unsichtbar war. Auf den Stadtplänen zur Zeit der DDR war an der Stelle des Sperrgebiets ein weißer Fleck. Die Mitarbeiter/innen der Stasi waren darin geschult, die Insassen psychisch zu brechen. Auch diese Seite beleuchte ich in meinem Buch. Ich traf ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und besuchte die ehemalige Minister-Etage der Zentrale des MfS. Mit diesem hatte die DDR einen der am stärksten ausgebauten Überwachungsapparate der Geschichte. Ich erhielt Einblicke in einige Stasi-Akten politisch Inhaftierter und war erschrocken über das Ausmaß und die Ausführlichkeit der Überwachungsvorgänge. Sie sind Ausdruck der Entwicklung zu einem Regime, das individuelle Freiheit für die eigene Staatsideologie opferte. Ich möchte die Lesenden dazu einladen, sich ein eigenes Bild von dem zu machen, was ich in diesem Buch zusammengetragen habe.

Ivanka Penjak, lebt und arbeitet in Berlin. 1988 in Nürnberg geboren, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Werbefotografin. Im Januar 2018 schloss sie ihr Studium Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover mit dem Bachelor of Fine Arts ab. Sie arbeitet als selbstständige Fotografin seit 2012.

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Leseprobe

Henry Leuschner


Zur Person


Geboren bin ich im März 1962 in Leipzig und dann in Jena aufgewachsen.

Ich habe die 10. Klasse absolviert, war aber nicht in der FDJ und auch nicht in irgendeiner anderen Jugendorganisation. Ich bin nicht aufgenommen worden, da ich lange Haare hatte.

Ganz anders als all die anderen Jugendlichen da drüben.

1978 habe ich dann in der DDR ein neues Fach bekommen: Wehrsportkundeunterricht.

Da musste man mit Maschinenpistolen und Handgranaten durch den Wald rennen.

Habe ich den Arsch offen? Natürlich nicht!

Da habe ich gesagt: Das mache ich nicht mit. So bin ich von der Schule geflogen.

Da gab es dann nur die Wahl zwischen Pest und Cholera:

Es gab nur Dachdecker oder Maurer. Ich habe mich für die Firma entschieden, die näher dran war. So konnte ich länger schlafen.

Ich bin Dachdecker geworden. Scheiß Idee, reine FDJ-Firma. Also musste ich als Einziger die Dachziegel hochtragen.

1978 habe ich einen Lehrstreik organisiert. Was ich natürlich nicht wusste, war, dass der letzte Streik 1958 war. Ich habe Freunde aktiviert, Plakate gemalt usw. Es kam kein Schwein, habe ich also alleine gestreikt.

Ein Streik bleibt ein Streik.

Dann kam ich in Jena in den Knast, da hat mich mein Vater, Gott sei Dank, wieder rausgeholt. Der war Oberstaatsanwalt in Algerien gewesen. Er hat in der DDR studiert, war Widerstandskämpfer gegen die Franzosen und hat dann ’62 eine Professorenstelle bekommen und ’75 das Land verlassen.

Der hat mich jedenfalls rausgeholt, das habe ich aber erst durch die Stasi-Akten erfahren. Ich habe über 1650 Seiten Stasi-Akten.

Mit 17 Jahren haben sie mich zur nationalen Volksarmee von der Stasi gebracht. Die wollten mich mustern. Da wollte ich aber nicht hin, wurde mir gedroht, wenn ich nicht zur Armee gehe, muss ich in den Knast. Das wollte ich natürlich nicht, also habe ich einen Antrag auf Bausoldat gestellt. Das habe ich auch alles begründet, warum ich da hingehen will. Fünf oder sechs Tage später wurde ich wegen dem Schreiben abgeholt.

Ich habe schon mit 16, 17 Jahren einen PM-12 bekommen, einen Spezialausweis mit zwei Seiten. Ich durfte die Stadt nicht verlassen, hatte Platzverbot, Umgangsverbot, Meldepflicht und den ganzen Scheiß. Ich war ein feindlich eingestufter Bürger, der wegen Landesverrat, feindlicher Hetze, Fluchtgefahr bedrohlich war, und vor allem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Blaue Haare hatte ich damals. Ich war aber kein Punk, ich hatte auf der Autobahn jemanden getroffen, der war kein Punk und auch kein Hippie. Das war ein schwuler Friseur, der kam vom Tunten-Festival. Da dachte ich, hier geht doch was, habe meine Haare abgeschnitten und blau gefärbt.

Den Spezialausweis habe ich mir dann drei Tage später um den Hals gehängt, damit ihn jeder sieht. Das fanden die dann total scheiße und haben mir den Ausweis abgenommen. Dann hatte ich überhaupt keinen Ausweis mehr.

Bei uns in der Stadt gab es einen Typ, Peter der Bulle. Der totale Schwachmat. Extrem fett, extrem dumm, hatte eine Uniform gehabt.

Als sie mir damals den Ausweis abgenommen haben, habe ich gesagt, wenn ihr das macht, gehe ich einen Schritt zurück. Und wenn ich einen Schritt zurückgehe, komme ich nicht mehr zurück. Das haben die bloß nicht verstanden, was ich damit meine.

Genau an meinem 18. Geburtstag, 1980, bin ich zur Stasi gegangen und habe gesagt: „Hier ist mein Ausreiseantrag und meine Geburtsurkunde, ich will hier raus!“

Beim Rausgehen habe ich gesagt, ich warte ein Jahr, dann haue ich ab.

Das hätte ich nicht sagen dürfen. Das war Androhung einer Straftat.

Ich habe ein Jahr und 7 Tage gewartet, nicht länger. Am 1. April bin ich dann zu meinem Kumpel gegangen: „Dietzi, hör mal zu, kurze Rede langer Sinn, Schluss mit lustig, heute ist Deadline! Kommst du mit oder nicht?“

Da sind wir auf den Zug aufgesprungen Richtung Plauen Oelsnitz. Im Zug bekam ich dann mit, dass wir beobachtet werden, dann sind wir aus dem fahrenden Zug abgesprungen.

Das Dumme war: auf der falsche Seite. Noch mal für das Protokoll: Wir wollten in den Westen abhauen, wir schreiben den 1. April. Wir wissen nicht, wo der Westen ist. Fängt nicht gut an.

Dann haben wir uns zwischen den Bäumen versteckt. Nach einer Stunde waren die weg, ich sehe am Horizont ein Licht, dachte: Da muss der Westen sein.

Was wir nicht wussten: Es war die bestgesichertste Grenze der Welt — Panzersperren, Elektrozäune, Stacheldraht, Scharfschützen, das ganze Programm.

Rechts waren Hunde, also rannten wir nach links. Warum da keine Hunde waren, haben wir erst später erfahren. Das war ein ganz bestimmter Grund. Da war die CSSR.

Da ist mein Freund losgerannt, bekommt einen massiven Elektroschlag, bleibt im Todesstreifen liegen. Den konnte ich natürlich nicht liegen lassen und habe gewartet, bis die Scheinwerfer weg sind. Ich bin in den Wald gerannt, habe eine Astgabel abgebrochen, habe daran den Draht hochgedrückt und bin durchgesprungen.

Was wir damals aber nicht wussten, ist, dass wir auf einem Minenfeld gewesen sind.

30 Meter weiter war ein Schild, da sind wir hingekrochen, da stand tatsächlich drauf:

„Minenfeld! Betreten Lebensgefahr!“ Da kam allgemeine Freude auf!

Was macht man nicht auf einem Minenfeld? Man geht niemals zu zweit drüber. Also haben wir uns getrennt, aber auf der anderen Seite standen die SM-70, die Fleischfresser, die Selbstschussanlagen. Die habe ich angefasst, berührt, aber nichts passiert. Hoch- und runterbewegt, ist nichts passiert. War eine Attrappe. Wir wussten ja nicht, dass die Dinger erst bei 40 kg losgehen. Festgehalten und hochgezogen, es gab eine mörderische Explosion.

Von der einen Seite kamen 150 Schuss und von der anderen Seite auch 150 Schuss.

Alles total zersiebt, meine scheiß Knochen waren komplett weggewesen, überall Blut; am Boden liegend schießt ein Grenzpolizist noch in meinen Oberschenkel rein.

Ich lag im Sterben. Ich habe hier Steckschüsse überall. Die sind richtig böse, wenn du da drübergreifst, spürst du ein richtiges Loch.

Wir mussten im Dreiländereck die deutsch-deutsche Grenze um wenige Meter verpeilt haben. Deshalb waren keine Hunde zu hören gewesen. Und trotzdem standen dort Selbstschussanlagen — an einer Grenze zum befreundeten Ausland.

Ich hatte mehrere Operationen, im Westen wie im Osten.

Das war es gewesen.

Wäre das nicht passiert und ich wäre in den Westen gekommen, ohne Verletzungen, wäre ich nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Ich hätte einen anderen Freundeskreis, alles wäre anders. So eine Scheiße passiert keinem. Für mich ist wichtig, dass es so ist, wie es ist.

Man sieht sich immer zweimal im Leben:

13 Jahre später habe ich die Schützen getroffen, in Erfurt zu dem Mauerschützen-Prozess.

Ich kam gerade aus Indien und wollte wissen, warum die geschossen haben, auf Leute, die schon am Boden lagen.

„Konntet ihr auf die Entfernung sehen, ob da eine Frau oder ein Kind liegt? Wer hat euch den Auftrag gegeben, wieso habt ihr geschossen? Ich will nicht, dass ihr in den Knast geht, sondern wissen, warum ihr geschossen habt! Wenn ihr in den Knast geht, denkt ihr, ihr habt eure Strafe abgesessen, das wäre für alle blöd. Für mich, für euch, für die Mutti. Geht zur Mutti, heult euch aus! Die Entscheidung liegt sowieso beim Richter, nicht bei mir.“

Ich bin dann nach Hohenschönhausen gekommen, nach den ganzen Operationen. Die Verhöre waren meistens nach einer Operation.

Was sollte ich machen? Ich galt als Staatsfeind. Ich bin kein Staatsfeind, wieso sollte ich? Feinde nehme ich für voll. Ich konnte die gar nicht für voll nehmen. Das ging da rein und da raus. Ich habe ein Jahr probiert, hier legal rauszukommen, ihr habt mich nicht rausgelassen. Jetzt bin ich hier gefangen. Illegal aus meiner Sicht. Ich komme früher oder später hier...

Blick ins Buch

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