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Der weite Weg

Breslau, Leipzig, Ulm. Erinnerungen einer Breslauer Lerge

AutorUrsula Kodantke
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl244 Seiten
ISBN9783743108370
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Im Jahr 1995 schrieb meine Mutter ihre Erinnerungen auf - für ihre Kinder, Enkel und inzwischen sogar Urenkel. Es ist eine wahre Geschichte über eine glückliche Kindheit und Jugend in Breslau, Abschied und Flucht im zweiten Weltkrieg, die Mühen der Nachkriegszeit in Leipzig und Markkleeberg und schließlich über den Neubeginn im Westen, in Ulm. Ereignisse, die unzählige Menschen ähnlich erlebt haben. Ein kurzweiliges und interessantes Stück Zeitgeschichte und zugleich auch die Geschichte meiner Vorfahren und meiner Familie. Mittlerweile fast 89jährig wartet meine Mutter nun gespannt darauf, ihre Lebensgeschichte gedruckt und in Buchform zu lesen. Beim liebevollen Bearbeiten habe ich selbstverständlich darauf geachtet, dass ihr lebhafter schlesischer Erzählstil erhalten geblieben ist (na ja, liebe Mutti, ein paar Ausrufezeichen mussten schon auch dran glauben ...). Elke Mayer

Ursula Kodantke, mittlerweile fast 89 Jahre alt, erzählt mit ihren Erinnerungen an Kindheit und Jugend in Breslau, Krieg und Vertreibung, die Nachkriegsjahre in Sachsen und den mühseligen Neuanfang in Ulm ein lebhaftes und berührendes Stück Zeitgeschichte. Eine Geschichte wie sie wohl unzählige andere Menschen ähnlich erlebt haben und doch ein einmaliges persönliches Zeugnis aus dieser Zeit.

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Leseprobe

Die Jugend


Freud und Leid in schwerer Zeit

Nach der Schulentlassung hieß es, eine Lehrstelle zu suchen.

Für meine Eltern stand fest, dass eine Büroarbeit für mich das Richtige wäre. Wir hatten nämlich auch in der Schule Stenografie gelernt und das war mir außerordentlich leicht gefallen. Ich selber hatte den Drang, mich bei der Sparkasse zu bewerben, weil ich als Kind schon immer so gerne ”kassieren” gespielt habe. Und wenn ich mit Mutti in der großen Sparkasse gelegentlich warten musste, bis unsere Nummer aufgerufen wurde, dann habe ich immer ganz verzaubert die riesengroßen Buchungsmaschinen beobachtet und die Postkörbchen, die an der Decke entlang fuhren von Schalter zu Schalter.

So nahm mich mein Vati kurzentschlossen am Arm und wanderte mit mir zur Dresdner Bank, um mich dort vorzustellen. Doch wir bekamen eine bittere Pille zu schlucken. Man nahm dort nur Lehrlinge auf, die in Mathematik mindestens die Note 2 hatten. Oh je – ich war ja froh, dass ich es im Abschlusszeugnis in Mathe auf eine 3 gebracht hatte! Dass sich mindestens vier „Einser” in meinem Abschlusszeugnis tummelten war völlig unwichtig für die Personalstelle der Bank (ich hatte in Deutsch, Englisch, Musik und Geschichte die Note 1, Französisch die 2, Mathe und Erdkunde und Turnen die 3). Die 3 in Turnen habe ich mir mit Musik ergaunert! Die Note stimmte nun wirklich nicht. Ich war eine sportliche Null … Aber meine Turnlehrerin brauchte ja jemanden, der in der Turnhalle bei der Gymnastik die Begleitmusik machte – und das war ich! Meine schöne Note 3 holte ich mir bei Volkstanz und Gymnastik. Auch an zwei Stangen hochklettern- das konnte ich ganz schnell. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie ich das fertiggebracht habe. Aber beim Aufschwung am Reck musste mir immer eine Hilfe den Allerwertesten mit hochhieven. Und auf dem ledernen Pferd bin ich prompt in Reitstellung oben gelandet – aber nicht darüber hinweg gekommen.

Nachdem wir also bei der Dresdner Bank mit der Bewerbung gescheitert waren, versuchten wir es mit der Bewerbung bei der Städtischen Sparkasse/Bank zu Breslau. Genau da, wo ich schon als Kind so gerne zugeschaut hatte. Warum eigentlich sind wir nicht gleich dorthin gegangen? Es klappte – sie nahmen auch Lehrlinge an, die in Mathe eine Note 3 hatten. Gleich am nächsten Tag musste ich zur Aufnahmeprüfung erscheinen und das war für mich sozusagen der Umweg zum Glück!

An dem aufregenden Prüfungstag, als ich mit anderen Bewerbern an einem langen Tisch in der Personalstelle saß und mit Angst und Bangen auf die Zettel mit den Rechenaufgaben wartete, da schaute ich gegenüber von meinem Platz genau in zwei große blaugraue Augen, die mich interessiert musterten. Sie gehörten einem hübschen blonden Jungen, der mir auch sofort sehr gefiel.

Es war mein Achim – und wir konnten damals beide noch nicht ahnen, dass dort die Fäden gesponnen wurden, die unseren weiteren Lebensweg miteinander verknüpfen würden!

Nachdem uns das Ergebnis unserer Prüfungsarbeiten (ein Deutschdiktat gab es auch noch) bekanntgegeben wurde und wir alle bestanden hatten, wurden wir vom Personalchef in unsere zukünftigen Zweigstellen eingewiesen. Achim, mein freundliches Gegenüber, kam in die Nebenstelle 2 und ich in die 17. Das Schöne an unserer Lehrzeit war, dass jeweils der Lehrling von einer Zweigstille am Abend mit der angefallenen Post zur Hauptstelle fahren musste. Das bedeutete für uns, dass sich eine fröhliche Lehrlingskolonne jeden Abend dort traf. Das war in dem Hochhaus am Ring wo es auch noch einen Paternoster gab. Übrigens hat das Sparkassenhochhaus in Breslau am Ring den Krieg überstanden, wie ich später erfahren habe.

Zu Pfingsten 1944 trafen wir „Margareten“ uns zum ersten Mal nach der Schulentlassung im Südpark mit unserer Klassenlehrerin. Nun konnten wir uns erzählen, welche Wege zur Lehre wir inzwischen eingeschlagen hatten.

Aber auch mit meinen Sparkassenlehrlingen war ein großer Ausflug ins Gebirge geplant. Wir wollten eine lange Wanderung unternehmen mit einer Übernachtung bei einem Bauern und dem Endziel „Sparkassenerholungsheim“, wo wir uns auch angemeldet hatten. Dort sollte die zweite Übernachtung stattfinden und dann sollte es wieder heimgehen per Bahn. Bis ich aber von meinem Vati die Genehmigung bekam, bei dieser Tour mitzumachen, da habe ich zuhause das größte Theater aufführen müssen. So streng waren die Sitten, oder sagen wir mal, so besorgt waren meine Eltern um mich. Ich blieb für sie halt immer das Kind, dem ja etwas zustoßen könnte! Zumal nun schon die Buben im Spiel waren … Auf dem Stopfpilz meiner Mutti stand ja auch sinnigerweise: ‚Wenn dich die bösen Buben locken – dann bleib daheim und stopfe Socken‘!

Aber – ich erreichte meinen Freibrief zum Mitfahren mit viel Tränen und Gebettel und ich konnte mit dem Rucksack auf dem Rücken mit meinen Freunden losziehen. Wir waren 6 Leute – vier Mädels und 2 Jungen. Nach der Ankunft mit der Eisenbahn am Zielort zogen wir zu einem langen Wanderweg los. Es streckte sich sehr weit bis zu dem Bauernhof, wo wir unser erstes Nachtlager haben sollten. Unterwegs wurde es längst dunkel und wir sahen auf einmal auf einer Lichtung Rehe, die im Mondschein ästen. Ich weiß das noch so genau, als wäre es gestern gewesen.

Als wir dann endlich müde am Ziel anlangten, da hieß es vom Bauern: „So, meine Herrschaften, es ist üblich, dass die kleinere Gruppe im Hause untergebracht wird. Die größere Gruppe muss auf dem Heuboden in der Scheune schlafen!“

Unsere Jungens waren gut raus! Aber wir vier Mädchen mussten über eine steile Leiter hinauf auf den Heuboden klettern. Dazu bekamen wir vorsorglich noch einen Eimer hinaufgereicht für den Fall, dass mal eine von uns „musste“. Es war weiß Gott die kälteste Nacht, die ich je so verbracht habe. Immerhin war es erst Anfang Juni und da sind die Nächte im Gebirge noch lausig kalt. Wir hatten vorher ausgemacht: wer den Eimer am meisten benützen würde, der musste ihn am Morgen leeren und putzen. Na ja, das war natürlich ich. Aber das Drama, einen wohlgefüllten Eimer die steile Leiter herunterzubugsieren! Runter bin ich glücklich gekommen, aber am Misthaufen bin ich doch noch ausgerutscht und habe beim Stolpern voll in die Ausbeute hineingelangt. Sehr zum Vergnügen der anderen – besonders der Jungen, die sich gerade im Hof an der Plumpe wuschen. Schadenfreude ist eben immer die reinste Freude. Die Jungen – das waren Achim und Joachim Heintze. Letzterer ist in Breslau als Flakhelfer gefallen. Wir erfuhren das später einmal. Wahnsinn. Gerade er war so ein lustiger Kerl. Auf einigen Bildern, die ich noch von dieser Wanderung besitze, ist dieser Joachim übrigens mit drauf.

Nun gut, unsere Wanderung ging weiter – fröhlich in den neuen Tag hinein. Unterwegs haben wir uns ein paarmal fotografiert, wir haben unsere Wanderlieder geschmettert und erreichten am Abend unser Sparkassenerholungsheim. Wir wurden mit großem Hallo empfangen, denn man feierte dort gerade einen bunten Abend.

Am nächsten Tag liefen wir dann nur noch bis zum nahegelegenen Bahnhof, von wo uns der Zug wieder nach Breslau bringen sollte.

Der Zug war knüppeldick besetzt – aber das war ja für uns nicht weiter schlimm. Im Gegenteil: Auf dieser Heimfahrt – in der drangvollen Enge – da sprang plötzlich zwischen Achim und mir der berühmte Funke über, der uns für ein ganzes Leben zusammenbrachte.

Mein lieber Achim, der treue Freund

Wir waren ja beide wirklich noch so jung mit unseren 16 Jahren – aber wir waren viel, viel gesetzter, als ich es später jemals von Generationen im gleichen Alter erleben konnte. Achim und ich, wir sind zwei Fische-Geborene, romantisch und sensibel. Wir verstanden uns restlos, wir hatten uns gesucht und gefunden – wie man so schön sagt. Wir hatten uns sehr lieb und schworen uns mehr als einmal ewige Treue. Der Krieg ging ja seinem Ende bald entgegen und auch Achim konnte plötzlich eingezogen werden (was ein paar Monate später auch geschah). Er fragte mich so oft, ob ich ihm auch treu sein würde. Ich war’s über so viele Jahre der Trennung hinweg. Dabei hatte ich nur die Erinnerung an manchen innigen Kuss und an sein immer strahlendes Gesicht, wenn er mich sah!

Doch nun will ich erst einmal den Faden wieder aufnehmen wie es denn weiterging mit unserer Heimfahrt nach dem schönen Wanderurlaub. Unterwegs hörten wir im Zug, dass Breslau schon Voralarm hatte. Auch bei der Ankunft am Bahnhof kam die Durchsage. Also mussten wir uns schnell voneinander verabschieden und sind in alle Himmelsrichtungen nachhause gelaufen. Unsere Heimwege waren weit durch die Stadt und die Straßenbahnen fuhren abends nicht mehr. Ich nehme an, dass das mit der Verdunklung zusammenhing. Stockdunkel war es, wenn nicht gerade vom Himmel der Mond leuchtete. Da brannte nicht eine Laterne und die Fenster mussten mit schwarzem Verdunklungsrollos abgedichtet sein. Wir Bürger hatten an der Kleidung eine Phosphorplakette, so dass es aussah, als würden Glühwürmchen durch die Straßen geistern.

An den...

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