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Der wirkliche Jesus?

Eine Streitschrift über die historisch wenig ergiebige und theologisch sinnlose Suche nach dem 'historischen' Jesus

AutorKlaus Wengst
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783170264281
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Die Suche nach dem historischen Jesus beginnt im deutschen Sprachraum mit Hermann Samuel Reimarus. Er meinte, man brauche nur die 'Tünche' der Apostel wegzunehmen, um die 'tatsächliche' Stimme Jesu zu vernehmen. An dem sich hier zeigenden Grundproblem hat sich seitdem nichts geändert und kann sich angesichts der Quellenlage auch nichts ändern: Wer nach dem 'historischen' Jesus fragt und also die 'tatsächlichen' Fakten sucht, muss mit für dieses Unternehmen äußerst widerständigen Texten rechnen. Wengst stellt die ersten beiden Phasen der Leben-Jesu-Forschung modellhaft vor. Anschließend wendet er sich der 'dritten Suche nach dem historischen Jesus' zu und fragt, was es denn Neues bei dieser dritten Suche gibt - mit negativem Ergebnis. Aufgabe der Exegeten kann daher nur sein, nicht die Texte der Evangelien für eigene Hypothesengebilde auszuschlachten, sondern sie immer wieder auszulegen.

Prof. Dr. Klaus Wengst lehrt Neues Testament und Judentumskunde an der Universität Bochum.

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Leseprobe

3. „Das einfache historische Gerüste des Lebens Jesu“ Radikale historische Kritik der Evangelien
DAVID FRIEDRICH STRAUß (1808–1874)


a) Skizze seines Lebens


In einer Kaufmannsfamilie in Ludwigsburg am 8. Januar 1808 geboren und dort aufgewachsen, wechselte Strauß nach dem Besuch der Lateinschule 1821 ins Seminar Blaubeuren, wo Ferdinand Christian Baur sein wichtigster Lehrer war.71 1825 kam er ins Tübinger Stift und studierte dort bis zum Examen 1830 Theologie, was ein intensives Philosophiestudium einschloss. Anschließend arbeitete er neun Monate als Vikar in einer Landgemeinde und unterrichtete danach kurzzeitig am Maulbronner Seminar Latein, Geschichte und Hebräisch. Anfang November 1831 ging er wegen Hegel nach Berlin, in dessen Haus er bei einem Besuch auch freundlich aufgenommen wurde. Hegel starb jedoch bereits am 14. November. Im Sommer 1832 wurde Strauß Repetent am Tübinger Stift und hielt an der Universität, von Hegel inspiriert, außerordentlich gut besuchte philosophische Vorlesungen. Das weckte nicht nur den Unwillen der Professoren der Philosophischen Fakultät, sondern veranlasste sie auch zu Unternehmungen, die Strauß das Halten dieser Vorlesungen verleideten, sodass er sie einstellte. Das gab ihm Muse zur Abfassung des schon in Berlin projektierten „Leben Jesu“. Der erste Band dieses Epoche machenden Werkes erschien im Sommer 1835, der zweite noch am Ende desselben Jahres, vom Verleger jedoch mit der Jahreszahl 1836 versehen. Nach dem Erscheinen des ersten Bandes wurde Strauß sehr schnell als Repetent abgesetzt. Man gab ihm eine Stelle als Lehrkraft („Professor“) am Lyzeum in Ludwigsburg, was als „Ruf“ ausgegeben wurde. Aber das Unterrichten an der Schule war seine Sache nicht. Er gab die Stelle alsbald auf und zog nach Stuttgart. Von seiner Ausbildung und Begabung her wäre eine theologische Professur für ihn angemessen gewesen. Aber dass er in den deutschen Ländern eine solche bekommen würde, darauf konnte er sich aufgrund der heftigen Reaktionen auf sein „Leben Jesu“ kaum Hoffnung machen. Hoffen durfte er jedoch auf eine Berufung nach Zürich. Sie erfolgte auch in der Tat am 2. Februar 1839. Das führte zu solchen Protesten, dass sie schon am 18. März wieder zurückgenommen und Strauß pensioniert wurde. Die so gemachten Erfahrungen, besonders der Umstand, dass nun endgültig der Weg zu einer theologischen Professur versperrt war, gingen selbstverständlich nicht spurlos an ihm vorbei. Sein Leben danach war wechselvoll und auch etwas unstet. Er starb am 8. Februar 1874 in Ludwigsburg. Für sein Begräbnis „hatte sich Strauß (Glockengeläute) ausdrücklich verbeten, auch kein Geistlicher sollte an seinem Grabe sprechen“.72

b) Strauß über Reimarus


Mit seinem „Leben Jesu“ knüpft Strauß an Reimarus an und führt beträchtlich über ihn hinaus. Er hat ihm, knapp 30 Jahre nach Erscheinen des „Leben Jesu“, in Form einer Biographie ein schönes literarisches Denkmal gesetzt. Als er das „Leben Jesu“ schrieb, kannte er lediglich die von Lessing herausgegebenen Fragmente des „Wolfenbüttelschen Ungenannten“.73 Für die Abfassung der Biografie hatte er das gesamte Werk in einer im Privatbesitz befindlichen Abschrift lesen können. Von einer Veröffentlichung, an die er zuvor gedacht hatte, nahm er Abstand. „Es ist […] unserer Zeit fremd geworden. Ihr gegenüber bedarf der alte Reimarus eines Dolmetschers, eines Mittelsmanns. Der wollte ich werden“ (VIII).74 Schon die Lektüre der Fragmente hätte in ihm Liebe und Verehrung gegenüber ihrem Verfasser geweckt. Er gilt ihm, meint er im Rückblick, „nicht blos als Vorgänger in dem Kampfe, in den mich einzulassen ich eben damals im Begriffe stand“. Vielmehr: „In Reimarus sah ich das freie vernünftige Denken in Sachen der Religion zum Charakter geworden“ (Vs.) Nach seinem Urteil hat sich der „Kern“ der Ansichten des Reimarus „als unverlierbare Wahrheit erprobt“ (IX).

Strauß kritisiert an Reimarus, er sei „mit seiner Kritik auf halbem Wege stehen geblieben“ (114). Er hat an dieser Stelle die an Mose geübte Kritik im Blick und meint mit dem nur halben Weg, dass Reimarus „nach der moralisch-pragmatischen Kritik des Mannes und Werkes nicht sofort auch die Berichte über ihn einer historischen Kritik unterworfen“ habe (ebd.). Analoges äußert er hinsichtlich einer neutestamentlichen Stelle in Bezug auf das von Reimarus behauptete abgekartete Spiel zwischen „den beiden Vettern“ bei der Taufe Jesu durch Johannes: „Kaum möchte sich bei einem andern Falle augenscheinlicher nachweisen lassen, wie die von einer unvollständigen Kritik der neutestamentlichen Geschichte geschlagenen Wunden einzig durch eine gründlicher durchgeführte Kritik zu heilen sind“ (191). Der Vorwurf des Betrugs überzeugt nicht mehr, zumal er im zuletzt genannten Fall aus der Vermengung von Nachrichten unterschiedlicher Evangelien gewonnen ist. Deren Berichte sind je für sich zu nehmen und erst dann ist nach ihrer Relation zueinander zu fragen. Dabei gilt es, eine historisch nachvollziehbare Erklärung ihrer sagenhaften Elemente zu finden. Dass die Ablehnung des Betrugsvorwurfs nicht dazu führen kann, die Wahrheit der biblischen Berichte wieder trotzig im Sinne historischer Tatsächlichkeit zu behaupten, ist für Strauß selbstverständlich. Dieser Weg ist für historische Kritik schlechterdings nicht gangbar.

An späterer Stelle in seinem Reimarusbuch geht Strauß auf dieses Problem grundsätzlich ein (271–275). Er spricht dort pauschal vom „achtzehnten Jahrhundert“, dem „alle positiven Religionen ohne Ausnahme Werke des Betrugs“ gewesen seien (271). Es habe aber „die Voraussetzung des geschichtlichen Charakters der biblischen Berichte“ festgehalten, „die es von den Jahrhunderten des Glaubens übernommen und noch keiner genaueren eigenen Prüfung unterworfen hatte“ (272f.). Demgegenüber fragt Strauß: „Aber wer berechtigt denn die Kritik, so willkürlich halbirend zu verfahren? Wenn es Gott nicht war, der bei der Gesetzgebung auf Sinai blitzte und donnerte, wer sagt uns denn, daß es überhaupt geblitzt und gedonnert hat? Derselbe Schriftsteller sagt es, der uns auch sagt, daß es Gott gewesen sei, und dem wir nicht ohne Weiteres für das Eine Glauben schenken, für das Andere ihn versagen dürfen“ (274). Das führt er an einer Reihe weiterer Punkte durch und hält schließlich fest, „daß das Wunder nicht blos eine Hülse ist, die man ohne Weiteres abstreifen kann, sondern daß allemal ein gut Stück Geschichte daran hängen bleibt“. Daraus folgert er: „Freilich wissen wir dann um so viel weniger von Mose, von Jesus und seinen Aposteln, weniger Wunderbares nach der einen, weniger Nachtheiliges nach der andern Ansicht: doch immer noch genug, um eine wahrhaft geschichtliche Auffassung ihres Wesens und Wirkens, wenn auch nur in den allgemeinsten Zügen, möglich zu machen“ (275). Aber kann eine „nur in den allgemeinsten Zügen“ mögliche Darstellung Jesu „eine wahrhaft geschichtliche Auffassung“ seines „Wesens und Wirkens“ abbilden? Hier scheint schon der Strauß des „Leben Jesu für das deutsche Volk bearbeitet“, 1864 erschienen, zu sprechen. Der Strauß des „Leben Jesu“ von 1835 war mit Recht skeptischer. Er setzte die Kritik des Reimarus als radikale historische Kritik der evangelischen Berichte fort.

c) Zwischen Skylla und Charybdis: Mit der „mythischen“ Erklärung gegen Supranaturalisten und Rationalisten


Gleich zu Beginn seines Vorworts zum ersten Band benennt Strauß die von ihm bekämpften Gegner: Supranaturalisten und Rationalisten. Ihm „schien es Zeit zu sein, an die Stelle der veralteten supranaturalen und natürlichen Betrachtungsweise der Geschichte Jesu eine neue zu setzen“ (III). Man muss sich klar machen, dass beide je auf ihre Weise auf die Behauptung der Historizität der Angaben in den Evangelien fixiert waren. So nimmt auch bei Strauß – wie bei Reimarus – die Destruktion den weitaus größten Raum ein. Er zeigt z.B. einmal mehr umständlich und erschöpfend auf, dass sich die chronologischen Angaben in den Darstellungen der Evangelien zu Taufe und Versuchung Jesu unter historischen Gesichtspunkten schlechterdings nicht harmonisieren lassen (I 397–399), und zieht zur Versuchungsgeschichte nach langen weiteren Erörterungen den Schluss, dass sie „überhaupt nicht so vorgegangen sein (kann), wie die Synoptiker sie berichten“ (I 414), und hält schließlich fest: „so kann sie überhaupt nicht von Jesu, sondern nur über ihn gebildet worden sein, d.h. sie ist urchristliche Sage“ (417). Und zu Heilungsgeschichten meint er, um ein weiteres Beispiel zu nennen, es sei „leichter möglich gewesen“, dass sie „den messianischen Erwartungen gemäß sich in der Sage bilden, als daß sie wirklich erfolgen konnten“ (II 93). Aus der umfangreichen historischen Destruktion ergibt sich für ihn, dass bei keinem der Evangelien die Verfasserschaft durch einen Augenzeugen vorausgesetzt werden kann (I 681).

Nach Strauß hat sich die supranaturalistische Ansicht von der Geschichte Jesu „schon früher als die rationalistische überlebt“, weil sie „der fortschreitenden Bildung nicht mehr genügte“ (I IV). Diese „fortschreitende Bildung“ werde „der Vermittlungen immer deutlicher sich bewußt, welche die Idee zu ihrer Verwirklichung bedarf“, sodass „jenes unmittelbare Eingreifen des Göttlichen in das Menschliche seine Wahrscheinlichkeit verliert. […] Das Göttliche kann nicht so (theils überhaupt unmittelbar, theils noch dazu roh) geschehen sein, oder das so Geschehene kann nicht Göttliches gewesen...

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